Ausgabe 3/2016


Zentrale Daten des Rechtsschutzbeauftragten für 2015

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Manfred Burgstaller, Louis Kubarth

Der Rechtsschutzbeauftragte (fortan kurz: RSB) beim Bundesminister für Inneres (BMI) Manfred Burgstaller ist gemäß § 91a Abs 1 SPG zur "Wahrnehmung des besonderen Rechtsschutzes im Ermittlungsdienst der Sicherheitsbehörden" berufen. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich der Auftrag zur Überprüfung verschiedener in § 91c Sicherheitspolizeigesetz (SPG) aufgezählter Ermittlungsmaßnahmen. Gemeinsames Kennzeichen für diese vom RSB zu kontrollierenden Maßnahmen ist, dass sie den Betroffenen typischerweise zumindest zunächst nicht bekannt werden, weshalb sie selbst kein Rechtsmittel dagegen erheben können. Diese Rechtsschutzlücke soll die unabhängige Kontrolle des RSB schließen. Der RSB veröffentlicht seit mittlerweile sechs Jahren regelmäßig Informationen über seine konkrete Tätigkeit im jeweils vorangegangenen Geschäftsjahr. Diese dem Transparenzanliegen des RSB dienende Übung wird mit dem vorliegenden Beitrag, der eine Zusammenfassung der wichtigsten Daten aus 2015 bietet, fortgeführt. Die Erhebung der Daten aus den Meldungen wurde von Louis Kubarth durchgeführt. Die nähere Datenanalyse sowie die Auswahl und Aufbereitung der im Folgenden präsentierten Daten aus dem vom RSB verfassten und der Bundesministerin für Inneres gem § 91d Abs 4 SPG erstatteten Jahresbericht 2015 erfolgte durch Manfred Burgstaller und Louis Kubarth gemeinsam.

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Kognitive Fehlschlüsse und kriminalistische Untersuchungen

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Hans Ditrich

Der menschliche Verstand ist anfällig für Fehlinterpretationen, die ein vollständig rationales Handeln oft behindern. Viele solcher Missverständnisse haben einen evolutionären Hintergrund und sind somit schwer zu vermeiden. Mangelhafte Zuverlässigkeit von Augenzeugen ist Kriminalbeamten, Staatsanwälten und Richtern gut bekannt. Auf die Auswirkungen kognitiver Effekte bei Ermittlern von Straftaten wurde allerdings bisher wenig Aufmerksamkeit gerichtet. Schon geringfügige Fehlschlüsse am Beginn von Untersuchungen können mitunter schwerwiegende Konsequenzen haben. Als Beispiele werden hier drei solche Fälle genannt, die große internationale Beachtung gefunden haben. In Interviews mit erfahrenen Tatortermittlern wurden unter anderem selektive Wahrnehmung, Erwartungshaltung und Bestätigungstendenz, Ablenkung durch sachlich unzusammenhängende Informationen (anchoring) und die Verlagerung der Beweislast vom Ermittler auf den Verdächtigen (onus probandi) als häufig auftretende Fehlerquellen bei strafrechtlichen Ermittlungen genannt. Als mögliche Gegenmaßnahmen werden die folgenden Schritte vorgeschlagen: Die ermittelnden Beamten sollen in ihrer Ausbildung verstärkt auf die Gefahren von kognitiven Täuschungen vorbereitet werden und der Erfahrungsaustausch unter den Ermittlern sollte durch regelmäßige, moderierte Fachzirkel gefördert werden. Darüber hinaus werden Verbesserungen des Fehlermanagements im Rahmen der Organisationskultur und die Schaffung eines Fehleranalysesystems zur Identifizierung und Verbesserung fehleranfälliger Prozesse vorgeschlagen.

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3D-Tatortdokumentation und Recht

Neue Methoden der 3D-Tatortdokumentation im Lichte der österreichischen Rechtsordnung

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Nadja Paulus, Alexander Bornik, Reingard Riener-Hofer

Biologen, Mediziner, Psychologen, Techniker und andere Wissenschaftler arbeiten täglich daran, neue Methoden zur Aufklärung von Verbrechen zu entwickeln. So hat zB die DNA-Analyse unschuldig Verurteilte entlastet und Tausende von Verbrechern überführt. Neurowissenschaftlern ist es gelungen, mit bildgebenden Verfahren bei Aussagen zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Nun sollen neue 3D-Kameras dafür sorgen, dass Ermittler Tatorte als dreidimensionales Modell konservieren können. Dafür entwickelt ein Team des Ludwig Boltzmann Instituts für Klinisch-Forensische Bildgebung Graz, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen der Technischen Universität Graz sowie der Firma Holistic Imaging, für das Bundesministerium für Inneres als Bedarfsträger, ein neuartiges 3D-Aufnahme- und Dokumentationssystem. Diese im Rahmen des Sicherheitsforschungsförderprogramms KIRAS des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie zu entwickelnden Technologien sollen in der täglichen Begutachtungspraxis als standardmäßig angewandtes Verfahren etabliert werden, um Tatorte in Zukunft umfassend dreidimensional dokumentieren zu können.

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Mobile Jugendarbeit als komplexe Sicherheitsmaßnahme

Wirkungserkenntnisse aus dem KIRAS-Projekt JA_SICHER

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Hemma Mayrhofer, Andreas Bengesser

Die vom KIRAS-Sicherheitsforschungsprogramm geförderte Studie JA_SICHER erforschte die Wirkungsweisen mobiler Jugendarbeit. Diese Angebote an junge Menschen im öffentlichen Raum leisten komplexe Sicherheitsarbeit unter Einbeziehung der kommunalen Ebene. Im Forschungsprojekt wurden mit Hilfe elaborierter Methodentools aussagekräftige Wirkungserkenntnisse gewonnen und evidenzbasierte Empfehlungen zur Optimierung mobiler Jugendarbeit und zur Erhöhung des sozialen Friedens im Gemeinwesen abgeleitet. Der Artikel präsentiert ausgewählte Ergebnisse aus der Wirkungsevaluation, wobei ein Auswahlkriterium deren Relevanz für die Sicherheits- und Präventionsarbeit der Polizei darstellte. Die verschiedenen methodischen Evaluationszugänge zeigten zunächst auf Basis vertrauensvoller Beziehungen zwischen Jugendlichen und Jugendarbeiterinnen bzw. Jugendarbeitern eine beachtliche toleranzsteigernde Vorbildwirkung, etwa in den Dimensionen Gender, sexuelle Orientierungen und nationale bzw. ethnische Herkunft. Sie lassen ein großes Potenzial mobiler Jugendarbeit erkennen, verständigungsorientierte sowie deeskalierende Umgangsweisen mit Konflikten zu fördern. Die gewonnenen Daten zeigen auch einen statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen Interventionen mobiler Jugendarbeit und dem Rückgang von Delikten mit jugendlichen Tatverdächtigen, und zwar allgemein und auch in Bezug auf spezifische Deliktsgruppen wie Körperverletzungen. Die erzielbaren Wirkungen in Bezug auf den Umgang mit gesetzlichen Ge- und Verboten generell sowie mit Suchtmitteln unterschiedlicher Art zeigen sich heterogener. Aber auch hier entfaltet mobile Jugendarbeit vor allem bei langfristigen Kontakten zu den Jugendlichen bedeutsame Wirkungen. Die Schnittstellengestaltung zwischen Jugendarbeiterinnen bzw. Jugendarbeitern und Polizei erfordert in der Praxis ein professionell reflektiertes Wechseln zwischen Nähe und Distanz, um förderliche Beziehungen in den Überschneidungsbereichen des beruflichen Wirkens zu gewährleisten.

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Das Entstehen und Bewältigen von Gefahrensituationen

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Uwe Füllgrabe

Die psychologischen Grundlagen der Survivability, der Fähigkeit, Gefahren rechtzeitig zu bemerken und zu bewältigen, werden vorgestellt. Dazu ist bezüglich zwischenmenschlicher Situationen ein "Mentales Judo" notwendig, das aus vier Stufen besteht, je nach dem Stadium der Gefahr. Einem Angriff kann man durch Eigensicherung vorbeugen: Da vorwiegend derjenige angegriffen wird, der als schwach oder unaufmerksam angesehen wird, muss man sprachliche und nichtsprachliche Signale der Selbstsicherheit ausstrahlen. Man braucht auch einen Gefahrenradar, d.h. mit gelassener Wachsamkeit genau seine Umgebung und andere Personen betrachten und auf Veränderungen ihres Verhaltes achten. Man muss reaktionsbereit sein und dann mit Entschlossenheit handeln. Für eine Krise ist eine Stressimpfung notwendig, d.h. eine vorherige mentale Vorbereitung auf eine solche Situation und das Abrufen automatisierter Verhaltensweisen. Selbst bei schweren Verletzungen und in lebensbedrohlichen Situationen hat man durch das Aktivieren des psychologischen Immunsystems große Überlebenschancen, z.B. durch das Denken an Bezugspersonen, Ärger über den Täter. Nach einem Ereignis ist eine mentale Nachbereitung wichtig. Da sich die Denkweisen und Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Stadtteilen (z.B. Ghettos) oder Ländern von denen der Mittelschicht unterscheiden können, muss man "streetwise" sein, d.h. deren Psychologie kennen. In Katastrophensituationen (z.B. Schiffskatastrophen) ist es notwendig, Angst und Verzweiflung zu vermeiden. Dazu ist eine straffe, sachorientierte Führung notwendig.

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Kompetenzprofil und Kompetenztraining für den Polizeidienst

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Thomas Schlesinger, Andreas Nagl, Julia Kremnitzer

Die Sicherheitsakademie des Bundesministeriums für Inneres entwickelt zurzeit auf Grundlage eines zuvor erstellten Kompetenzprofils für den uniformierten Polizeidienst ein Kompetenztraining für die Polizeigrundausbildung. Den Anstoß dafür gab das Projekt "Polizei.Macht.Menschen.Rechte", das als umfassendes Organisationsentwicklungsprojekt unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft die Menschenrechte ins Zentrum polizeilichen Handelns stellte und damit eine klare Ausrichtung der Bundespolizei und ihrer Aufgabenerfüllung vorgab. Als Ausgangspunkt für die Erschließung eines Kompetenzprofils für Polizistinnen und Polizisten wurde der Frage nachgegangen, welchem Anforderungsprofil eine Polizistin bzw. ein Polizist entsprechen sollte, damit sie bzw. er den beruflichen Alltag bestmöglich bewältigen kann. Das Kompetenzmodell von Heyse und Erpenbeck bildete die Grundlage dieser Forschungsarbeit. Nach Durchführung einer quantitativen Fragebogenerhebung wurde die Sichtweise der Bediensteten des Innenressorts erschlossen. Die Beforschung der gesellschaftlichen Perspektive erfolgte auf Basis qualitativer Methoden durch das Forschungsinstitut "queraum". Im Anschluss an die Zusammenführung dieser Daten entstand das Kompetenzprofil, welches als Ausgangspunkt für die inhaltliche Evaluierung der Polizeigrundausbildung herangezogen wird. Dieses Kompetenzprofil bildet auch die Grundlage für das geplante Kompetenztraining in der Polizeigrundausbildung, das einen ganzheitlichen Ausbildungsansatz unter bestmöglicher Vernetzung der Ausbildungsinhalte verfolgen und dem aus dem Projekt "Polizei.Macht.Menschen.Rechte" abgeleiteten Ziel "Handlungssicherheit und Bürgernähe auf Basis menschenrechtskonformen Einschreitens" entsprechen soll.

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Die Affäre Riehl, Karl Kraus und der Menschenhandel um 1900

Ursachen, Erscheinungsformen, Bekämpfung

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Johannes Schönner

Mädchen und junge Frauen als reine "Handelsgüter" sexueller Begierden lassen sich in der Kulturgeschichte der Menschheit seit Jahrtausenden beschreiben. Wien und die gesamte k. u. k. Monarchie waren vor gut hundert Jahren aber Zentren des weltweiten Mädchenhandels, wobei Galizien und Bukowina den bei weitem größten Teil der zeitgenössischen Mädchenhändler stellten. Alleine in den Jahren 1906 bis 1909 verschwanden aus den Ballungsräumen Wien und Budapest über 1.200 junge Frauen und Mädchen spurlos, um in den Bordellen von Konstantinopel, Algier oder Buenos Aires wie Sklaven gehalten "anzuschaffen". Der Mädchenhandel war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein globaler Moloch, dessen Geschäftszweige von Mitteleuropa nach Nordafrika, dem Osmanischen Reich bis nach Südamerika reichten. Diese geografische Aufzählung ist freilich ohne Vollständigkeit. Die Stützpunkte der Händler, der "Vertrieb" und die Rekrutierungsfahrten erfassten alle Städte der damals so genannten zivilisierten Welt. Zu einträglich war das Geschäft. Der Mädchenhandel war auch einer der ersten kriminellen Geschäftszweige, wo sich internationale Polizeiermittlungen und Fahndungsmethoden durchsetzen konnten und sich auch teilweise bewährten.

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EU-Fluggastdatensystem und die Grundrechte

Die neue Richtlinie über die Nutzung von Fluggastdaten zur Kriminalitätsbekämpfung im Lichte der Grundrechtecharta

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Matthias Haller

Nachdem europäische Fluggesellschaften auf Grund von völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union bereits heute persönliche Informationen über ihre Passagiere an Drittstaaten übermitteln, soll die so genannte Fluggastdatenspeicherung unter dem Eindruck der Terroranschläge auf Paris im Jahr 2015 künftig auch von den EU-Mitgliedstaaten für die Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität genutzt werden. So sollen die von den Fluggesellschaften erhobenen Daten auf Grund einer kürzlich erlassenen Richtlinie (RL) spätestens ab Mitte 2018 und mindestens in Bezug auf Flüge von und in Drittstaaten von den Behörden der Mitgliedstaaten genutzt werden. Vor diesem hochaktuellen Hintergrund bezweckt der vorliegende Aufsatz zunächst, dem Leser Informationen über Fluggastdaten und deren Speicherung sowie einen Überblick über nationale Systeme und die völkerrechtlichen Abkommen der EU zu vermitteln (1.), bevor die wesentlichen Inhalte der neuen RL dargestellt werden (2.). Da hinsichtlich der Vereinbarkeit einer solch umfassenden Datenspeicherung mit den Unionsgrundrechten Bedenken bestehen, werden diese aufgezeigt (3.), bevor der Aufsatz mit Überlegungen zur Grundrechtskonformität und Effektivität eines solchen Systems, zu Alternativen und mit einer Prognose zu einer etwaigen EuGH-Entscheidung zur RL schließt (4.).

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