Ausgabe 3/2022


Gewaltschutz in der internationalen Rechtsprechung. Eine Analyse des EGMR-Urteils Kurt gegen Österreich

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Peter Andre

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Fall Kurt gegen Österreich, in dem ein Familienvater, gegen den ein aufrechtes Betretungsverbot bestand, seinen Sohn in der Schule getötet hatte, eine grundsätzliche und weitreichende Entscheidung zu Fragen der positiven Verpflichtung Pflicht der Behörden zur Verhinderung (tödlicher) häuslicher Gewalt getroffen. Der EGMR stellte mit Mehrheit fest, dass keine Verletzung des Art 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) durch Österreich vorlag. Dem Urteil sind zustimmende und abweichende Meinungen einzelner Richter angeschlossen. Der EGMR prüfte den Fall anhand der von ihm zu den positiven Gewährleistungspflichten des Art 2 EMRK entwickelten Grundsätze zu einem Risikomanagement und einer Gefährdungseinschätzung und hat festgestellt, dass in Fällen häuslicher Gewalt und der Verhängung von Maßnahmen (Betretungs- und Annäherungsverbot) eine Risikobewertung nach standardisierten Risikobewertungsinstrumenten vorzunehmen ist. Es werden auch Risikomanagementpläne und koordinierte Unterstützungsdienste für Opfer häuslicher Gewalt sowie ein schneller Informationsaustausch angesprochen. Der EGMR betont, dass Behörden eine eigenständige, proaktive und umfassende Risikobewertung zur Prüfung auch der Frage, ob eine tatsächliche und unmittelbare Lebensgefahr besteht, durchführen müssen. Österreich ist durch Gewaltschutzgesetzgebung und im Vollzug international Vorbild in der Gewaltprävention. Im Sicherheitspolizeirecht wurde mit der Möglichkeit der Verhängung von Betretungsverboten ein bedeutendes und praktisch häufig angewendetes Mittel geschaffen, um Gefahrensituationen für gefährdete Personen rasch wirksam begegnen zu können. Adaptierungen in den vergangenen Jahren haben dieses Schutzinstrument weiter verbessert und ausgebaut, zuletzt im Jahr 2019 durch die Schaffung des mit dem Betretungsverbot ex lege verbundenen Annäherungsverbotes oder die Einführung einer Gewaltpräventionsberatung für Gefährder durch Beratungsstellen für Gewaltprävention.

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Polizeiwissenschaft – aufgegeben?

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Karlhans Liebl

„Wenn man als Werkzeug nur einen Hammer hat, so sieht man in jedem Problem einen Nagel“ (Paul Watzlawick). Die Polizeien der Länder und des Bundes werden bei ihren Aufgaben ständig vor neue und größere Herausforderungen gestellt. Stichworte sind z.B. politischer Extremismus, Cybercrime oder zunehmende Gewaltbereitschaft. Die Radikalisierung der Akteure zeigt sich nicht nur bei Auseinandersetzungen mit der Polizei, die durch eine zunehmende Gewaltbereitschaft geprägt ist, sondern auch gegenüber anderen Rettungskräften sowie in den zahlreichen „Kommentaren“ in den sog. „Sozialen Medien“. Auch werden z.B. aufgrund sich selbst zugeschriebener Sprachhoheit bzw. -korrektheit durch „Shit-Storms“ bestimmte Meinungen verunglimpft oder versucht zu unterdrücken. Diese Aktionen gehen von Links- und Rechtsextremisten aus. Zur Bewältigung dieser neuen gesellschaftlichen „Disharmonie“ sind Kompetenzen bei der Polizei gefordert, die sich nicht mehr durch die hergebrachte Ausbildung oder im alltäglichen Dienst erwerben lassen. Auch die oftmals noch vorliegende Einstellung „das müssen wir nun aussitzen“ wird nicht mehr weiterhelfen. Insoweit ist es erforderlich, die Handlungskompetenz durch eine wissenschaftliche Grundlage, die auf den Polizeiberuf bezogen ist, zu unterfüttern. Dies kann und muss die Polizeiwissenschaft sein, da nur sie die notwendigen Erkenntnisse der bestehenden Wissenschaften für die Polizei bereitstellen kann.

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Plurales Polizieren in deutschen Großstädten. Wahrnehmung und Unterscheidbarkeit urbaner Sicherheitsakteure

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Nathalie Hirschmann, Nina Kleen, Frauke Reichl

Die Akteure, die sich mit der Herstellung und/oder Gewährleistung von Sicherheit und/oder Ordnung beschäftigen, sind schon lange nicht mehr nur auf die deutschen Polizeien der Länder oder des Bundes beschränkt. Der Kreis an Sicherheitsproduzentinnen und -produzenten umfasst Akteure wie beispielsweise der Ordnungsverwaltung von Kommunen, jene von gewerblich agierenden Sicherheitskräften bis hin zu ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern. Ausgehend von der Beobachtung einer solchen Pluralität an kooperativ und koexistent arbeitenden Sicherheitsakteuren, die sich in verschiedenen allgemeingültigen Modellen des pluralen Polizierens fassen lässt, beschäftigt sich der nachfolgende Artikel mit der Wahrnehmung und Bewertung von Sicherheitsakteuren in fünf deutschen Großstädten und der Frage, welche potentiellen Vorteile und Herausforderungen die visuelle Ähnlichkeit der Sicherheitsakteure für sie selbst, aber auch aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger mit sich bringen kann.

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Strategien der Einflussnahme extremistischer Organisationen im Bildungsbereich. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse des Projekts Stratex

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Veronika Hofinger

Der Artikel gibt einen Überblick über die Ergebnisse eines zweijährigen Forschungsprojekts, bei dem untersucht wurde, wie extremistische Organisationen im formalen Bildungssystem Einfluss zu nehmen versuchen bzw. welche eigenen Bildungsangebote solche Organisationen machen, um ihre Ideologien zu verbreiten und neue Mitglieder zu rekrutieren. Dabei wurden fünf Bereiche in Status quo-Analysen und vertiefenden Fallstudien beleuchtet, nämlich autochthoner Rechtsextremismus, Ultranationalismus in Diaspora-Communities, christlicher Extremismus, Salafismus sowie rechtsesoterischstaatsfeindliche Bewegungen. Während wir wenig direkte Einflussnahme auf das formale Bildungssystem feststellen konnten, sind vor allem eigene Angebote der Organisationen, die als Bildungsarbeit im engeren oder weiteren Sinn eingestuft werden können, von Relevanz. Die untersuchten Gruppierungen unterscheiden sich in ihren Organisationsstrukturen, aber auch in ihren Angeboten und Zielgruppen stark. Während manche nur sehr lose Netzwerke bilden, die sogar auf die Verwendung eines gemeinsamen Namens oder Labels verzichten, sind andere streng hierarchisch organisiert. Nicht allen ist es gleichermaßen ein Anliegen, in der Breite neue Mitglieder zu rekrutieren; manche Organisationen, wie die Piusbrüder oder die „Grauen Wölfe“, richten ihre Anstrengungen im Bildungsbereich stark nach innen und auf die „eigene“ Jugend; andere – etwa aus dem salafistischen oder identitären Bereich – sind gezielt missionarisch. Die Ziele der untersuchten Organisationen sind entsprechend vielfältig und reichen von der Reproduktion der eigenen Gemeinschaft über die Rekrutierung neuer Kader und Multiplikatoren bis hin zur Beeinflussung des öffentlichen Diskurses durch niederschwellige Verbreitung der eigenen Ideologie. Nicht-ideologische Bildungsmaßnahmen können zudem dazu dienen, sich Legitimität in der jeweiligen Community zu verschaffen.

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Bedrohung der Lichtbildausweis-Sicherheit durch Gesichts-Morphing. Optionen für das österreichische Umfeld

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Andreas Uhl

Gesichts-Morphing, das Mischen von zwei Portraitfotos in eine neue virtuelle Zwischenidentität, wurde vor acht Jahren als Gefahr für die Lichtbildausweis-Sicherheit erkannt. Seither gibt es diverse internationale Bestrebungen, diese Gefahr zu bannen. In diesem Beitrag werden einerseits ein Überblick über den Stand der Forschung zu Methoden, diese Sicherheitsproblematik zu adressieren, und andererseits Wege aufgezeigt, die in Österreich beschritten werden könnten, um die gegenwärtige Bedrohungslage zu entschärfen.

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Geoengineering: Eine sicherheitspolitische Betrachtung

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Christian Herrmann

Der Beitrag beleuchtet das Phänomen des Geoengineering, der von Menschen beeinflussten Steuerung von Klimaphänomenen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf sicherheitspolitischen Implikationen dieser Technologie. Dabei wird deutlich, dass insbesondere autoritär verfasste Staaten sich dieses Phänomens im Rahmen der operativ-strategischen Konfliktführung bedienen könnten. Für demokratisch verfasste Streitkräfte bestehen immense zivilgesellschaftliche Herausforderungen, die eine Nutzung dieser Technologie kurz- bis mittelfristig unwahrscheinlich machen.

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Zur Motivationsbildung im FPD Baden-Württemberg. Eine qualitative Studie mit zehn Angehörigen des Freiwilligen Polizeidienstes (FPD) in Baden-Württemberg

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Friedrich Schwindt, Paul Reiners

In der Struktur der Polizeikräfte der Bundesrepublik Deutschland nimmt der Freiwillige Polizeidienst (FPD) in Baden-Württemberg eine besondere Stellung ein. Die Mitglieder des 1963 gegründeten FPD sind nach dem Gesetz über den freiwilligen Polizeidienst (FPolDG 1985) Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte des Landes Baden-Württemberg. Sie sind bewaffnet und tragen eine Polizeiuniform, die sich nur durch die Rangabzeichen von der regulären Polizei unterscheidet. Der FPD in Baden-Württemberg hat sich von positiven Anfängen mit hohen Mitgliederzahlen zu einer anämischen Organisation entwickelt. Heute hat er nur noch 30 % der Mitgliederzahl von 1965. Am 31.12.2012 waren 1.041 freiwillige Polizeibedienstete tätig, am 31.12.2019 waren es nur noch 601 (vgl. IM BW 2020). Das ist ein Rückgang um 42,2 % innerhalb von sieben Jahren. Bislang liegt noch keine Studie zur Erforschung der Motive vor, Mitglied des FPD Baden-Württembergs zu werden. Der Einsatz von Freiwilligen ist nicht kostenneutral. Die Rekrutierung, das Auswahlverfahren, die Grundausbildung und die Ausbildung „on the job“ binden Personalressourcen der regulären Polizei und kosten daher Geld. Auch Ausrüstung, Ausstattung und Zulagen für ehrenamtlich tätige Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind nicht kostenlos (vgl. Whittle 2014). Avon und Somerset Constabulary schätzen die Kosten für die Anwerbung, Ausstattung und Ausbildung einer oder eines Freiwilligen auf mehr als 2.300 Euro (vgl. Pepper/Wolf 2015). Organisationen, die Freiwillige beschäftigen, müssen sich der Kosten bewusst sein und versuchen, ihre Freiwilligen so lange wie möglich zu halten. Daher ist es wichtig zu wissen, was Freiwillige motiviert und was sie demotivieren kann. Haefliger und Hug (vgl. Haefliger/Hug 2009) weisen resümierend darauf hin, dass es bisher keine Studie gibt, die die Motivation von Freiwilligen vom Rekrutierungsprozess über den aktuellen Dienst bis hin zum Ausscheiden aus dem Dienst untersucht und aussagekräftige Beobachtungen der sich im Laufe der Zeit verändernden Motivation liefert. Wir wollten mit dieser Studie dazu Erkenntnisse gewinnen, aber auch darüber, welchen Einfluss die Herkunftsfamilien und die politischen Rahmenbedingungen auf die Motivation von FPD-Mitgliedern beim Eintritt in den Dienst und beim Verbleib in der Organisation haben. Für diese Studie wurden zehn FPD-Mitglieder befragt.

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