Interview

„Bin stolz auf unsere Mitarbeiter“

Innenminister Karl Nehammer
Karl Nehammer: „Ehrlich gesagt, ,zipft‘ mich das Virus auch an, aber wir
müssen weiterhin diszipliniert sein.“
©BMI / J. Markowecz

Terroranschlag, Corona-Pandemie, Lockdown: Innenminister Karl Nehammer über die größten Herausforderungen im ersten Jahr seiner Amtszeit.

Was ging in Ihnen vor, als Sie am 2. November 2020 von Schüssen in der Wiener Innenstadt gehört haben?

Ich war an diesem Abend – wie so oft – in meinem Büro. Nachdem erste besorgniserregende Informationen bei mir einlangten, verfolgte ich über den Polizeifunk das Geschehen. Aufgrund der Stimmlage der im Einsatz befindlichen Polizis­ten war mir klar, dass es sich um einen Ernstfall handelte.

Wie hat sich die Sicherheitslage nach dem Terroranschlag geändert?

Ich habe angeordnet, dass schnelle Eingreifgruppen des Einsatzkommandos Cobra in ganz Österreich, vor allem im städtischen Raum, zum Einsatz kommen. Auf Grund unserer sicherheitspolizeilichen Erkenntnisse nach dem Anschlag vom 2. November haben wir dem Schutz von Kirchen und Synagogen einen besonderen Stellenwert eingeräumt.

Welche Auswirkungen hat der Terroranschlag auf die Gesellschaft?

Ziel von politisch oder religiös motiviertem Terrorismus ist es, die Gesellschaft zu spalten sowie das Vertrauen in die staatlichen Behörden zu erschüttern und eine Destabilisierung des sozialen Friedens zu bewirken. Die Menschen in Österreich haben nach dem Anschlag vom 2. November eine Solidarität gezeigt, die keinen Spalt in der Gesellschaft erkennen lässt.

Hat der Verfassungsschutz seit dem Terroranschlag in Wien den Kampf gegen islamistische Terrorzellen in Österreich verstärkt?

Ermittlungen gegen Gefährder und andere Netzwerke, wie jenes der Muslimbrüder, laufen seit Jahren. Ein Anschlag, wie jener vom 2. November, legt Zusammenhänge offen, die genau untersucht werden müssen. Das geschieht in enger Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerdiensten.

Sie und Ihre Familie wurden bedroht. Wie gehen Sie damit um?

Das war für mich und meine Familie eine neue und ungewohnte Situation. Ich bin froh und dankbar, dass ich mich in dieser schwierigen Situation auf die professionelle und international anerkannte Sondereinheit EKO Cobra verlassen kann. Als Innenminister muss man damit rechnen, dass es zu Bedrohungen kommen kann. Doch wie jeder andere Vater und Ehemann sorgt man sich um seine Frau und seine Kinder.

Wie gehen Sie persönlich mit Krisensituationen um?

Nachdem ich längere Zeit beim österreichischen Bundesheer war, gehe ich als Offizier mit einem systemischen Ansatz an Probleme heran: Beurteilung der Lage, Varianten und Alternativen erarbeiten und dann entscheiden.

Im Dezember 2020 liefen die Corona-Massentests für alle Bediensteten des Innenministeriums. Wie ist Ihre Bilanz?

Polizistinnen und Polizisten sowie Bedienstete der Verwaltung hatten die Möglichkeit, sich freiwillig testen zu lassen. Die Teilnahme an den Tests ist wichtig gewesen, damit die Infektionsketten durchbrochen werden. Über 70 Prozent der Bediensteten haben beim ersten Durchgang davon Gebrauch gemacht.

Der zweite Lockdown hat nicht nur die Bürger, sondern auch die Exekutive gefordert. Wie diszipliniert waren die Bürgerinnen und Bürger?

Wir stehen bei knapp 5.000 Anzeigen und Organstrafverfügungen (Anm.: Stand Mitte Dezember 2020). Ich habe schon öfter gesagt, das auch mich das Virus „anzipft“. Aber wir müssen weiterhin diszipliniert sein. Laut meinen Informationen hält sich der Großteil der Menschen an die notwendigen Beschränkungen. Es war in diesem zweiten Lockdown jedoch schwieriger, die Menschen von seiner Notwendigkeit zu überzeugen und davon, dass sie die Maßnahmen mittragen.

Vermehrte Kontrollen bei der Einhaltung der Corona-Vorgaben, erhöhte Polizeipräsenz aufgrund der Terrorismus-Gefährdung. Ist das nicht eine enorme Belastung für die Polizei?

Unsere Polizistinnen und Polizisten und die Bediensteten der Verwaltung haben 2020 Außerordentliches geleistet. Ich danke allen für ihren Einsatz im Dienste der Sicherheit der Bevölkerung, der in diesen Zeiten mehrfach so hoch ist. Die Eindämmung der Pandemie wird noch dauern und uns alle weiter beschäftigen. Da seit dem 2. November die Gefährdung durch Terrorismus gestiegen ist, bin ich froh und dankbar, dass das Bundesheer die Botschaftsbewachungen in Wien übernommen hat und wir dadurch mehr Kräfte für polizeiliche Kernaufgaben zur Verfügung haben.

Wie geht es Ihnen persönlich in dieser belastenden Situation? Haben Sie noch Freizeit und Privatleben?

Die schwierigen Zeiten fordern einen Innenminister besonders. Ich bin stolz auf die Leistungen der Polizistinnen und Polizisten, nicht nur in der Nacht des 2. November – das gibt mir Kraft. Die wenige Zeit, die mir mit meinen Kindern und meiner Frau bleibt, versuche ich besonders schön zu gestalten.

Wie sieht die Prognose der Experten der Sektion Fremdenwesen für mögliche Zuwanderungsströme 2021 aus?

Die Corona-Pandemie hat die Migration aus dem medialen Fokus verdrängt. Doch dieses Thema ist aktueller denn je, vor allem, wenn wir uns vor Augen führen, dass an der griechischen Außengrenze 100.000 Menschen versuchen, in die Europäische Union zu gelangen. Dazu kommen noch etwa 20.000 Menschen, die in den Staaten des Westbalkan stehen. Das ist die gegenwärtige Situation – die unsere Lage in den nächsten Monaten bestimmen wird.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2021