Gewalt gegen Ärzte

Schimpfen, drohen, beleidigen

Feindbild Arzt: Patienten lassen ihren Unmut immer öfter an Ärzten aus; in manchen Fällen kommt es zu Drohungen oder Gewalt.
Feindbild Arzt: Patienten lassen ihren Unmut immer öfter an Ärzten aus;
in manchen Fällen kommt es zu Drohungen oder Gewalt.
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Umfragen zeigen, dass aggressives Verhalten gegen Ärzte sowie Pflegepersonal zunimmt. Die Corona-Pandemie hat das Problem verlagert: Es kam zu aggressivem Verhalten in den Test- und Impfstraßen.

Von Drohungen über Beschimpfungen bis hin zu Anzüglichkeiten reicht die Palette der Übergriffe, denen sich Österreichs Ärztinnen und Ärzte ausgesetzt sehen. Das beschreiben Studien der Ärztekammer und des Wiener Gesundheitsverbundes zum Thema „Aggression und Gewalt im Spital und in Arztpraxen“.

Der Messerangriff

Der Messerangriff auf einen Kardiologen des Sozialmedizinischen Zentrums Süd in Wien im Juli 2019 zeigte, dass Spitalspersonal zunehmend mit Aggression und Gewalt konfrontiert ist. Aufgrund dieses Vorfalls hat der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) im Sommer 2019 seine Bediens­teten nach Gewalterlebnissen befragt. Etwa ein Viertel der rund 30.000 Bediensteten haben sich an der Umfrage beteiligt. Das Ergebnis der Studie zeigt, dass aggressives Verhalten gegen Spitalsbedienstete zunimmt. Vor allem Angestellte mit Patientenkontakt seien diesem Verhalten am ehesten ausgesetzt, das oft von Angehörigen oder Besuchern ausgehe. Die Gründe würden unter anderem an langen Wartezeiten in den Ambulanzen liegen, darin, dass vorgemerkte Patienten, Schwangere oder Notfallpatienten vorgelassen würden, dass Ärzte eine Behandlung ablehnten, die medizinisch nicht angemessen sei oder von den Kassen nicht bezahlt werde, oder dass sie eine Krankschreibung ablehnten, weil sie sie nicht verantworten könnten.

Gewalterfahrungen.

Laut der KAV-Studie haben 85,4 Prozent der Befragten in ihrem Berufsleben bereits Gewalterfahrungen gemacht, davon 61,6 Prozent innerhalb der vergangenen zwölf Monate. „Aggressionen und Bedrohungen nehmen unterschiedliche Formen an“, sagt Mag. Markus Pederiva, Pressesprecher des Wiener Gesundheitsverbundes. „Sie reichen von Beschimpfungen und Beleidigungen bis zur sexuellen Anzüglichkeit. Körperliche Gewalt kann sich nach den Erfahrungsberichten der Befragten etwa äußern in Kratzen, Beißen oder Spucken, was etwa typische Übergriffe von Patienten oder Bewohnern in Pflegewohnhäusern sind.“
Einem Wiener Arzt wurde von einem Patienten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, einem anderen das Nasenbein gebrochen. Aggressives oder gewalttätiges Verhalten könne auch von Angehörigen ausgehen. „Aggression und Gewalt kommt grundsätzlich in allen unseren Einrichtungen vor“, sagt Pederiva. Besonders davon betroffen seien laut Befragung Bediens­tete, die etwa in zentralen Notaufnahmen oder Notfallabteilungen, psychiatrischen Bereichen oder der Geriatrie tätig sind. „Dies liegt offenbar an den besonderen Ausnahmesituationen, in denen sich Patienten und deren Angehörige in diesen Bereichen befinden“, sagt Pederiva.

Kassenärzte sind vermehrt betroffen.

ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres, Brigitte Steininger, Bundeskurie angestellte Ärzte: Die Kammervertreter fordern mehr Schutzmaßnahmen für Ärztinnen und Ärzte.
ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres, Brigitte Steininger, Bundeskurie
angestellte Ärzte: Die Kammervertreter fordern mehr
Schutzmaßnahmen für Ärztinnen und Ärzte.
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Ähnliche Situationen kennen die Verantwortlichen der Wiener Ärztekammer, wo 2019 eine Online-Befragung unter Ärztinnen und Ärzten durchgeführt wurde. Die höchste Beteiligung lag hier bei den Kassenärzten. In den vergangenen sechs Monaten sei es bei ihnen durchschnittlich zu elf Vorfällen gekommen.
Am häufigsten seien es Beschimpfungen, Beleidigungen und abwertende Äußerungen gewesen sowohl direkt als auch am Telefon und per E-Mail. Auch aggressive Äußerungen auf Online-Plattformen werden aus Kassenordinationen deutlich häufiger berichtet als aus Krankenhäusern.
In Wahlarzt- und Privatordinationen würde aggressives Verhalten gegenüber dem medizinischen Personal vergleichsweise selten vorkommen. Grundsätzlich sei erkennbar: Körperliche Übergriffe seien im Ordinationsbereich deutlich seltener als im Krankenhaus. Analog zum Krankenhausbereich seien in Ordinationen Angehörige anderer Gesundheitsberufe, hier vor allem Ordinations- und Sprechstundenhilfen, die am häufigsten von Aggression betroffene Gruppe (etwa 50 % im Kassenbereich), dahinter die befragten Ärztinnen und Ärzte. Im Herbst 2019 gab es eine bundesweite Umfrage im Auftrag der Ärztekammer, in der das Meinungs- und Stimmungsbild unter den Spitalsärztinnen und -ärzten erhoben wurde. Zur Frage über verbale und physische Gewalt während ihrer Tätigkeit, antworteten 71 Prozent der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte, verbale Gewalt erfahren zu haben, 25 Prozent gaben an, körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein.

Covid-19 verlagert die Problematik.

Spitäler und Ordinationen seien aufgrund der Pandemie abgeschirmt und die Wartezeiten – der Hauptfaktor für Aggression – seien verringert wurden, heißt es von der Ärztekammer. In den Ordinationen haben sich durch den coronabedingten Terminverkehr die Wartezeiten aufgelöst und in den Spitälern sei aufgrund der Zugangsbeschränkungen mit Testpflicht die Situation entschärft worden.

Test- und Impfstraßen.

Allerdings ist es in den Test- und Impfstraßen zu chaotischen Zuständen gekommen. Wie etwa im April 2021 in Kärnten, wo Menschen mit gefälschten Impftickets oder ohne Termin sich Zugang zu den Impfzentren verschaffen wollten. Gefälschte Impftickets gelten nach dem Strafgesetz als Urkundenfälschung. Als Konsequenz daraus sind die Impfstraßen von Sicherheitspersonal gesichert und die Polizeipräsenz ist erhöht worden. Auch in Wien ist man mit Streits in den Impfstraßen konfrontiert, wie Stefan Grasel, Leiter der größten Impfstraße Österreichs, des Samariterbundes, berichtet: „Es ist oft zu Diskussionen gekommen und schnell hat jemand die Hand erhoben, auch gegen Ärzte und diplomierte Kräfte, was bei der großen Zahl an Klienten nicht verwundert. Ich habe pro Tag 5.000 bis 8.000 Personen, die hier geimpft werden. Aber körperlich gewalttätig ist hier zum Glück noch niemand geworden.“

Die häufigsten Auslöser

Die häufigsten Auslöser seien etwa, wenn ein Klient zu einem falschen Termin kommt und ein Arzt ihm erklären müsse, dass er ihn nicht impfen könne, und, „fast noch häufiger, wenn nicht der Impfstoff verimpft werden soll, den jemand bevorzugt. Viele Klienten meinen, der Arzt, der hier sitzt, entscheidet, wer welchen Impfstoff erhält, das wird aber zentral zugeteilt“, erklärt Grasel. Die Ärzte würden nur den Gesundheitszustand der Klienten abklären und Fragen beantworten. „Der Arzt ist nicht ungerecht. Die Unterstützung der Polizei haben wir bis jetzt nur einige Male aufgrund zu hohen Personenaufkommens benötigt, da sind wir regelrecht gestürmt worden, weil Klienten der Meinung gewesen sind, auch ohne Termin kommen zu können.“

Schulungsangebote.

Verhaltenstraining: Der Wiener Gesundheitsverbund bietet Deeskalationsschulungen für das Personal an.
Verhaltenstraining: Der Wiener Gesundheitsverbund bietet
Deeskalationsschulungen für das Personal an.
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Was sich seit den bis dato zwei Befragungen im Gesundheitsbereich verändert hat, ist der Informationsstand über präventive Schulungsangebote. „Der Gesundheitsverbund bietet Schulungen laufend und flächendeckend an, und die Angebote werden stark in Anspruch genommen. Außerdem ist die Sensibilität gegen­über dem Thema Gewalt deutlich gestiegen“, berichtet Markus Pederiva vom Wiener Gesundheitsverbund. In manchen Spitälern sorgen Sicherheitsdiens­te für Ordnung, und Ärztinnen und Ärzte werden schon in der Ausbildung im Umgang mit Konfliktsituationen geschult.
„Der Wiener Gesundheitsverbund bietet seit mittlerweile etwa 15 Jahren Deeskalationsschulungen flächendeckend und in allen Berufsgruppen an“, sagt Pederiva. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen unter anderem, potenzielle Aggressoren zu erkennen, Gefährdungen frühzeitig zu erkennen, Deeskalationsmethoden und Strategien zur Beherrschung von Gefahrensituationen anzuwenden sowie sich notfalls in Sicherheit zu bringen und Hilfe zu holen. „Zudem gibt es eine klare Haltung des Unternehmens gegenüber Aggression und Gewalt“, betont Pederiva. „Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter wird dazu ermutigt, jeden Fall von Aggression oder Gewalt den Verantwortlichen der jeweiligen Einrichtung zu melden. Dort können die Betroffenen Unterstützungsangebote wie Supervision oder Beratung in Anspruch nehmen. Körperliche Übergriffe werden bei der Polizei angezeigt, wenn der oder die Betroffene damit einverstanden ist.“

Deeskalationsmaßnahmen

Deeskalationsmaßnahmen haben auch unter den von der Ärztekammer befragten Kassenärztinnen und -ärzten den höchsten Bekanntheitsgrad, gefolgt von Ausbildungsangeboten für Be-dienstete. Angebote über den Umgang mit Konfliktsituationen seien auch die am häufigsten erwünschten zusätzlichen Maßnahmen in der Kassenordination. Mehr als 60 Prozent der befragten Kassenärzte erwarten auch von der Ärztekammer Schulungsmaßnahmen, die Hälfte wünscht sich eine Anlaufstelle für Fragen.

Verhaltenstipps.

Markus Schimpl, Sicherheitsberater, Sachbuchautor und ehemaliger Jagdkommando-Ausbildner (www.ichrettemich.com) schult in der Steiermark Spitals- und Pflegepersonal in Selbstschutz- und Deeskalationsmaßnahmen. In seinen Workshops gibt er Tipps, wie man Situationen richtig einschätzt und sich in einer Konfliktsituation richtig verhalten soll, weiters werden Vorfälle analysiert oder verschiedene Situationen durchgespielt, die schon passiert sind.
„Das dient unter anderem auch zur Aufarbeitung einer traumatischen Situation“, sagt Schimpl. Wichtig sei auch, auf das eigene Verhalten zu achten: „Die Stimme und die Körperhaltung können auf das Gegenüber einen Reiz auslösen, der zu einem Ausrasten führen kann.“ Man sollte vermitteln, dass man keine Angst hat, aber auch nicht bedrohlich wirkt“, sagt der Sicherheitsexperte.
Ziel sei es, Konfliktsituationen zu vermeiden oder zu beruhigen. Eigenschutz gehe vor Fremdschutz. Zu den häufigsten Vorfällen zählen sexuelle Übergriffe, Drohungen, aggressives Verhalten, oft begünstigt durch den Einfluss von Medikamenten oder Drogen. Während der Corona-Pandemie seien laut Schimpl auch fehlende soziale Kontakte in Betreuungsstätten Auslöser von aggressivem Verhalten gewesen.

Frauen als Opfer.

Die Medizin wird demografisch immer weiblicher und gerade Frauen sind besonders gefährdet, Opfer von aggressivem Verhalten zu werden“, sagt Brigitte Steininger, Referentin für leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung und Standardspitäler der Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer und Vizepräsidentin der burgenländischen Ärztekammer. „Schließlich wird ein Angreifer eine Frau immer als schwächere Person einstufen.“ Auch deshalb seien entsprechende Schulungen unbedingt notwendig. „Meist beginnt ein Angriff mit verbalen Attacken, ehe er in körperlichen Übergriffen ausartet.“ Steininger verweist auf das Beispiel Schweden. Auch dort gebe es zunehmend Probleme mit Gewalt und aggressivem Verhalten. „Hier sitzt die triagierende Schwester bereits hinter Panzerglas.“ Steininger selbst bestätigt zudem, dass sich das Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz – etwa im Nachtdienst – schon negativ verändert habe. „Die aktuellen Entwicklungen gehen an uns Ärztinnen und Ärzten nicht spurlos vorbei.“

Polizeiärzte.

Auch Ärztinnen und Ärzte der Polizei sind zunehmend mit dem Thema Gewalt konfrontiert. „Dies ist unter anderem dem polizeiärztlichen Aufgabenbereich geschuldet, die amts-ärztlichen Untersuchungen finden daher in Anwesenheit von Polizisten statt“, sagt die Chefärztin des Bundesministeriums für Inneres Dr. Yasmin Frank-Dastmaltschi. Die Mehrheit der Übergriffe sei auch hier verbaler Natur. Aufmerksamkeit und Vorsicht seien dennoch gefragt.

Gesetzliche Maßnahmen.

Der Anschlag auf unseren Kollegen im SMZ Süd ist leider kein Einzelfall, weder europaweit noch österreichweit“, sagt Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Gewalt in der Arztpraxis sei kein Kavaliersdelikt. Körperverletzungen würden strafrechtlich verfolgt. Die Nachbarländer Italien und Deutschland beispielsweise reagierten mit Forderungen nach Strafverschärfungen auf die zunehmende Zahl an Angriffen auf medizinisches Personal. Zur Abschreckung vor weiterer Gewaltanwendung sollte das Strafausmaß bei tätlichen Angriffen auf Gesundheitspersonal im Strafrecht angehoben werden. „Strafgesetzlich soll eine Gewalthandlung gegen einen Arzt oder andere im Gesundheitsbereich tätige Bedienstete jedenfalls immer den Tatbestand einer schweren Körperverletzung erfüllen“, sagte Szekeres.
Derzeit seien im Strafgesetzbuch etwa Körperverletzungen bei Beamten, Zeugen oder Sachverständigen mit dem Strafrahmen der schweren Körperverletzung zu bestrafen. Auch tätliche Angriffe auf Bus-Chauffeure oder Fahrscheinkontrolleure seien gesetzlich speziell geregelt. „Ein entsprechender Vorschlag der ÖÄK liegt dem Parlament bereits vor“, sagt Szekeres.

Julia Brunhofer/Herbert Zwickl


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2021

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