Historisches Forschungsprojekt

Aktive Aufarbeitung

Palais Modena in der Herrengasse in Wien, Sitz des Bundesministeriums für Inneres: Während der nationalsozialistischen Diktatur befand sich das Gebäude im Besitz der Reichs-Polizeiverwaltung.
Palais Modena in der Herrengasse in Wien, Sitz des Bundesministeriums
für Inneres: Während der nationalsozialistischen Diktatur befand
sich das Gebäude im Besitz der Reichs-Polizeiverwaltung.
© Gerd Pachauer

Zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Polizei im Nationalsozialismus hat man im Bundesministerium für Inneres ein Forschungsprojekt initiiert.

Vom „Anschluss“ 1938 bis zur Befreiung durch die Alliierten 1945 war Österreich Teil des Deutschen Reiches und unter nationalsozialistischer Herrschaft. Bislang gibt es nur wenige tiefgehende wissenschaftliche Arbeiten über die Exekutive in Österreich während der NS-Zeit. Um die Polizei und die Gendarmerie im „Dritten Reich“ umfassend wissenschaftlich zu erforschen und die Ergebnisse transparent darzustellen, hat man im Bundesministerium für Inneres (BMI) am 8. Mai 2021 das Projekt „Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1938–1945“ initiiert.
„Die Polizei ist der Garant für unser demokratisches Zusammenleben. Sie sichert unseren Rechtsstaat und somit die Einhaltung der Grund- und Freiheitsrechte in unserem Land", sagte Innenminister Karl Nehammer anlässlich des Projektstarts. „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Polizei im Nationalsozialismus ist nicht nur ein essenzieller Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch die Grundlage für eine moderne Polizei.“

Die Untersuchung

Die Untersuchung soll auch Entwicklungen vor 1938 und den Umgang mit der Ära des Nationalsozialismus in den frühen Jahren der Zweiten Republik ab 1945 beleuchten und dadurch ein noch breiteres Verständnis der Zusammenhänge vermitteln. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist in Österreich nach wie vor ein präsentes Thema und wird auch in Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen weiter forciert. Das Projekt wird extern begleitet. Im Rahmen einer Ausschreibung werden derzeit wissenschaftliche Institutionen gesucht, die sich im Projekt insbesondere Fragen der Stellung der Exekutive als Täter und Opfer während des Dritten Reiches, der Polizeiarbeit in der NS-Zeit sowie der Entnazifizierung und politischen Einstellung der Exekutive nach dem Ende des Dritten Reiches widmen sollen.

Das Projektteam

Das Projektteam besteht derzeit aus Projektleiter Mag. Gerald Hesztera (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit), Mag. Eva-Marina Strauß (stellvertretende Projektleiterin und Referentin in der Abteilung für Protokoll und Veranstaltungsmanagement) sowie Mag. Ulrike Landmann (Polizeimuseum Wien), Oberstleutnant Helmut Marban (Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der LPD Burgenland), Mag. Dr. Mario Muigg (Sicherheitsakademie) und Mag. Dr. Joachim Steinlechner (Fachzirkel Polizeigeschichte). In Arbeitsgruppen zu den Themen „Polizei“, „Wissenschaft“, „Aus- und Fortbildung“, „Budget, Beschaffung und Controlling“, „Recht“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ werden weitere Bedienstete des BMI und externe wissenschaftliche Expertinnen und Experten mitwirken. „Mit dem Projekt leistet das BMI einen Beitrag zur Erforschung eines wichtigen und traurigen Kapitels der österreichischen Geschichte und stärkt die demokratische Ausrichtung der Institution Innenministerium“, sagt Projektleiter Gerald Hesztera.

Biografien.

Wiener Polizisten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im März 1938.
Wiener Polizisten nach der Machtübernahme durch
die Nationalsozialisten im März 1938.
© Polizeiarchiv

„Ein besonderer Schwerpunkt wird auf der Biografie von Tätern und Opfern liegen“, erklärt die stellvertretende Projektleiterin Eva-Marina Strauß. Diese sollen unter anderem in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen näher beleuchtet werden. „Durch die Geschichten einzelner Polizisten und Gendarmen bekommt die damalige Zeit nicht nur ein persönliches Gesicht, sondern es können auch Brüche und Kontinuitäten vom Anschluss bis hin zur Zweiten Republik nachvollziehbar aufgearbeitet werden.“ So könne es etwa sein, dass ein und dieselbe Person bei der Exekutive im Verlauf der Jahre zuerst dem NS-Regime gedient und sich später dagegen gewendet habe. Umgekehrt könne ein ursprünglicher Gegner der Nationalsozialisten in der Folge zu einem Verfechter der NS-Ideologie geworden sein. „Diese Vielschichtigkeit wird eine der Herausforderungen in der Forschungsarbeit sein. Wir wollen so genau wie möglich hinschauen und größte Transparenz sicherstellen.“
Um das Projekt im Innenressort breit aufzustellen, sind auch die Landespolizeidirektionen eingebunden. „Die Mitwirkung von Kolleginnen und Kolleginnen aus ganz Österreich ist uns ein großes Anliegen. Nach so langer Zeit wird es immer wichtiger, noch bestehende Informationen, Erinnerungen oder Unterlagen zu finden, zu sammeln und objektiv aufzubereiten“, betont Gerald Hesztera. Bis Ende 2023, dem 85. Jahrestag des „Anschlusses“, soll das Projekt laufen und Ergebnisse liefern. Geplant sind unter anderem wissenschaftliche Publikationen, ein wissenschaftliches Symposium zum nationalen und internationalen Fachaustausch und die Erstellung von Ausbildungsbehelfen bzw. eines Ausbildungsprogramms für die Grundausbildung und Fortbildung des Bundeministeriums für Inneres.
Der Bevölkerung sollen die Ergebnisse insbesondere im Rahmen einer Wanderausstellung und durch regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit bekannt gemacht werden. Die Wanderausstellung soll auch regionale Aspekte der Forschungsarbeit und somit eine starke Verbindung zu den Bundesländern gewährleisten.

Kontakt:

Wer das Projekt unterstützen möchte, etwa durch Bilder, Dokumente oder aktive Mitarbeit, kann jederzeit mit dem Projektteam in Kontakt treten:
polizeigeschichte@bmi.gv.at

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2021

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