Hate Crime

Vorurteilskriminalität: Bei 1.936 vorurteilsmotivierten Straftaten wurden 2.401 Vorurteilsmotive registriert.
Vorurteilskriminalität: Bei 1.936 vorurteilsmotivierten
Straftaten wurden 2.401 Vorurteilsmotive registriert. © BMI

2.400 Vorurteilsmotive erfasst

Die systematische Erfassung von Vorurteilsmotiven bei vorsätzlichen Straftaten bietet Anhaltspunkte für das Erkennen und Verfolgen von „Hate-Crime“ seit 1. November 2020.

Die Polizei in Österreich hat die gesellschaftliche Verantwortung, vorurteilsmotivierte Straftaten zu verfolgen und an den Wurzeln zu unterbinden“, sagte Innenminister Karl Nehammer am 21. Juli 2021 bei der Präsentation des Berichts zur „Vorurteilskriminalität in Österreich“. Der Bericht wurde gemeinsam mit dem stellvertretenden Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, General Reinhard Schnakl, mit vier Betroffenen sowie dem Polizeispitzensportler Karim Mabrouk und Vertretern des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) vorgestellt.

Opferzentrierter Zugang.

„Das Innenministerium nimmt die Verantwortung ernst, reagiert und erfasst Straftaten. Polizeibedienstete haben Vorbildwirkung im Umgang mit solchen Straftaten. Sie sind oft erste Ansprechpartner von Opfern von Hasskriminalität“, sagte Nehammer. Die Sensibilisierung wirke nach innen und außen, eine professionelle, unvoreingenommene Arbeitsweise aller Bediensteten sei wichtig. „Wir nehmen ,Hate-Crime‘ ernst und erfassen es auf Basis eines opferzentrierten Zugangs. So können wir eine konsequente und qualifizierte Strafverfolgung gewährleisten und Opfern den Schutz gewähren, der ihnen zusteht.“

Systematische Schulung und Erfassung.

„Die systematische Erfassung von Vorurteilsmotiven bei vorsätzlichen Straftaten ist seit 1. November 2020 ein fixer Bestandteil der Polizeiarbeit“, erläuterte General Reinhard Schnakl. Dafür wurde die Erfassung von „Hate-Crime“ im polizeilichen Protokollierungsprogramm „PAD“ als eigene Registerkarte „Motiv“ mit dem Titel „Vorurteilsmotive (Hate-Crime) gemäß Opfergruppen“ freigeschaltet. Die eingetragenen Daten werden seither über eine eigene Schnittstelle über „Elektronischen Rechtsverkehr“ (ERV) an die Justiz übertragen und im BMI einer Qualitätssicherung unterzogen. Das Eintragen eines oder mehrerer Vorurteilsmotive über Klickfelder ist für manche Delikte (z. B. Verhetzung) eine Pflichtaufgabe, für die meisten Vorsatzdelikte möglich und für einzelne Delikte (z. B. Fahrlässigkeitstatbestände) unmöglich. Die neun Kategorien der Vorurteilsmotive sind Alter, Behinderung, Geschlecht, Hautfarbe, nationale/ethnische Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung, sozialer Status und Weltanschauung.
Für die Ermittlungsarbeit der Polizei wurden Vorurteilsindikatoren formuliert. Die Indikatoren wurden als Akronym „ERNST“ mit 5 Buchstaben zusammengefasst: E steht für „Empfindungen und Eindrücke des Opfers“. R steht für „Raum und Zeit“. N steht für „Negative Botschaften des Täters/der Täterin“. S steht für „Schwere der Tat“. T steht für „Täter/Täterin“.

Schulungen.

Damit die 30.000 Polizistinnen und Polizisten auf diese Aufgabe flächendeckend vorbereitet sind, wurden ein E-Learning-Seminar konzeptioniert sowie eine Ausbildung für Multiplikatorinnen und Mulitplikatoren (siehe „Gegen Hass und Vorurteile“ in Öffentliche Sicherheit 11-12/20). Diese Schulungsstrategie wurde ab August 2020 in drei Schritten eingeführt. Es wurden 207 Multiplikatoren aller Landespolizeidirektionen im September 2020 ausgebildet und der Online-Kurs wurde mit Stand 10. Mai 2021 bereits von 22.788 Teilnehmenden mit Zertifikat absolviert. Eine vollständige Umsetzung ist noch im Laufen, da die Covid-19-Schutzmaßnahmen zu Verzögerungen geführt haben. Die Polizei arbeitet auf Basis eines opferzentrierten Zugangs durch Zuhören sowie konsequentes Ermitteln und Strafverfolgung. „Wir können durch die systematische Erfassung und die Analyse vergleichbarer Fallmuster und Häufungen kriminalstrategisch Konfliktfelder rascher und genauer erkennen“, erklärte Schnakl bei der Berichtspräsentation.

Berichts-Ergebnisse.

Innenminister Karl Nehammer präsentierte mit General Reinhard Schnakl (li.) sowie dem Polizeischüler und Spitzensportler Karim Mabrouk (re.) den Bericht zur „Vorurteilskriminalität in Österreich“.
Innenminister Karl Nehammer präsentierte mit General Reinhard Schnakl (li.)
sowie dem Polizeischüler und Spitzensportler Karim Mabrouk (re.)
den Bericht zur „Vorurteilskriminalität in Österreich“.
© BKA / Florian Schrötter

Das erste Halbjahr polizeilicher Erfassung (November 2020 bis April 2021) wurde statistisch vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) ausgewertet. Wie bei der Kriminalstatistik werden nur Straftaten einbezogen, deren polizeiliche Ermittlungen bereits abgeschlossen worden sind. Es wurden bei 1.936 vorurteilsmotivierten Straftaten 2.401 Vorurteilsmotive registriert.

Am häufigsten

Am häufigsten wurden die Kategorien „nationale/ethnische Herkunft“, „Weltanschauung“ und „Religion“ den Straftaten zugeordnet. Bei den Vorurteilsmotiven „Geschlecht“, „sexuelle Orientierung“, „Islam“ und „Behinde<rung“ dominierten Delikte gegen Leib und Leben, Freiheit, Ehre sowie die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. Bei den Kategorien „Hautfarbe“ und jüdische Religion herrschten Delikte gegen den öffentlichen Frieden, insbesondere Verhetzungen und nach dem Verbotsgesetz vor.
Verglichen mit der Kriminalstatistik 2020, waren die erfassten Tatverdächtigen bei Hate-Crime-Delikten häufiger jugendlich, männlich mit österreichischer Staatsbürgerschaft ohne Wiener Wohnsitz, wenn man von Vorurteilsdelikten wegen „Geschlecht“ oder christlicher Religion absieht. Noch stärker war dies bei Verhetzungen und nationalsozialistischen Wiederbetätigungen der Fall. Zu den Tatorten lässt sich exemplarisch festhalten, dass bei Hate-Crime-Delikten wegen „Hautfarbe“ oder jüdischer Zugehörigkeit der hohe Anteil ermittelter Online-Straftaten auffällig war. Vorurteilsdelikte gegen „Muslime“ wurden hingegen öfter im (halb-)privaten Bereich und in Anstalten begangen. Besonders viele Delikte gegen fremdes Vermögen, vor allem Sachbeschädigungen, waren bei „Alter“, „sozialer Status“ und christlicher Religion zu beobachten.

Dunkelfeldumfrage.

Bis Anfang 2021 wurde die Dunkelfeldumfrage „Prävalenz von vorurteilsmotivierten Straftaten in der österreichischen Bevölkerung“ mit 2.325 Telefoninter­views für das BMI durchgeführt: Knapp vier Prozent der Befragten gaben an, Opfer eines Vorurteilsdelikts geworden zu sein. 98 Vorurteilsmotive wurden angegeben, zuerst „Geschlecht“ (vor allem Frauen), dann „sozialer Status“ (vor allem Männer), „Herkunft“, „Alter“ und „Religion“. Das Sicherheitsempfinden von Hate-Crime-Opfern (29 % unsicher) war deutlich schlechter als bei anderen Befragten, die eine Straftat ohne Vorurteilsmotiv erlitten (18,5 %) oder die keine Viktimisierungserfahrung angaben (11,5 %). Zugleich war die Wahrscheinlichkeit, dass Opfer Hate-Crime anzeigen, weit geringer als bei Delikten ohne Vorurteilsmotive (44 vs. 62 %).
Diese Werte liegen im Bereich internationaler Studienergebnisse und bestätigen das Phänomen Hate-Crime, wie es aus zivilgesellschaftlichen Meldedaten und den vorliegenden polizeilichen Daten bekannt ist: Vorurteilskriminalität ist ein alltägliches, häufig vorkommendes Phänomen, das deutlich über den Bereich politisch motivierter, extremistischer Straftaten hinausgeht.
„Durch die neue systematische Erfassung von Hate-Crime wird das Phänomen mit validen Daten sichtbar. Darauf aufbauend, können präventive Maßnahmen gezielt gesetzt werden“, sagt Johanna Eteme, Projektleiterin und Leiterin der Abteilung „Grund- und Menschenrechtliche Angelegenheiten“ im Innenministerium.

Weitere Informationen und den Pilotbericht gibt es unter www.bmi.gv.at/408/Projekt/start.aspx 

Richard Melichar

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Rat und Unterstützung

Betroffene können sich an Opferhilfeeinrichtungen oder Beratungsstellen wenden, wie zum Beispiel den Opfer-Notruf, eine Initiative des Bundesministeriums für Justiz, betrieben vom WEISSEN RING: 0800 112 112, www.opfer-notruf.at  Die Polizei hilft Betroffenen Kontakt herzustellen, wenn sie das wollen. Bei akuter Bedrohung 133 wählen. Die Polizei wird alles Notwendige tun, um Menschen zu schützen.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2021

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