Spezialeinheiten

Fahnenübergabe am 29. Juni 2021 in Wiener Neustadt: Österreich übergibt den ATLAS-Vorsitz an die Slowakei.
Fahnenübergabe am 29. Juni 2021 in Wiener Neustadt:
Österreich übergibt den ATLAS-Vorsitz an die Slowakei.
© Gerd Pachauer / Karl Schober

Schutz und Stütze

Vor 20 Jahren wurde das europäische Anti-Terror-Netzwerk ATLAS gegründet. Am 29. Juni 2021 übergab Österreich nach viereinhalb Jahren den ATLAS-Vorsitz an die Slowakei.

Atlas, die riesenhafte Gottheit aus der griechischen Mythologie, die eine Weltkugel stützt, ist das Symbol für den ATLAS-Verbund von 38 Spezialeinheiten aus allen EU-Mitgliedstaaten sowie dem Vereinigten Königreich, Island, Norwegen und der Schweiz. „All together to protect you!“ („Alle gemeinsam zu Ihrem Schutz!“) lautet das Motto des Kooperationsverbundes, der vor 20 Jahren – geprägt von den Terroranschlägen des 11. September 2001 – gegründet wurde.
Vom 1. Jänner 2017 bis 30. Juni 2021 hatte Österreich den Vorsitz bei ATLAS inne, repräsentiert durch den Direktor des Einsatzkommandos Cobra/Direktion für Spezialeinheiten (EKO Cobra/DSE), Ministerialrat Bernhard Treibenreif, BA MA. „Durch das gebündelte Wissen und das grenzüberschreitende Zusammenarbeiten bei ATLAS können wir terroristischen Bedrohungen und Schwerstkriminalität innerhalb der EU bestmöglich entgegentreten“, sagt Treibenreif.

EKO-Cobra/DSE-Direktor Bernhard Treibenreif
EKO-Cobra/DSE-Direktor
Bernhard Treibenreif
© Gerd Pachauer

Festakt.

Am 29. Juni 2021 erfolgte die symbolische Übergabe des ATLAS-Vorsitzes von Österreich an die Slowakei am Gelände des EKO Cobra/DSE in Wiener Neustadt. Spezialkräfte des EKO Cobra und der slowakischen Spezialeinheit LYNX Commando, flankiert von Hubschraubern, Drohnen und Rampenfahrzeugen, simulierten einen Staatsbesuch und gestalteten eine gemeinsame Ehrenformation und Fahnentruppe. Innenminister Karl Nehammer überreichte die ATLAS-Fahne in Anwesenheit eines Großteils der europäischen Spezialeinheiten-Kommandanten an seinen slowakischen Amtskollegen Roman Mikulec. „Diese internationale Kooperation der Spezialeinheiten ist der Schlüssel bei der erfolgreichen Bekämpfung von Terror und organisierter Kriminalität. Wir begegnen der Gefahr mit beeindruckender Leistungsfähigkeit, Kraft und Expertise der 38 ATLAS-Mitglieder“, betonte Innenminister Nehammer und bedankte sich bei Direktor Treibenreif und dem EKO Cobra für die „hervorragende Vorsitzführung“. Am 1. Juli 2021 übernahm Štefan Hamran, Kommandant der slowakischen Spezialeinheit LYNX Commando, den ATLAS-Vorsitz. Das slowakische LYNX Commando wurde am 1. März 1991 gegründet und ist in Bratislava stationiert.

Zahlreiche Erfolge.

Unter österreichischem Vorsitz wurde die ATLAS-Kooperation seit 2017 in Europa weiter ausgebaut. „Österreich hat während der viereinhalb Jahre viel erreicht. Bei den Verhandlungen auf EU-Ebene sind wir oft mit Erfolgen nach Hause gekommen“, betont Direktor Treibenreif. So wurde beispielsweise eine Kooperation mit Europol eingegangen, bei Europol wurde erstmals ein ATLAS-Unterstützungsbüro eingerichtet, das Budget wurde fast verdreifacht, in den Regionen Europas wurden die ersten gemeinsamen ATLAS-Ausbildungszentren aufgebaut und es entstehen neue gemeinsame Mechanismen für den Ankauf und den Austausch von besonderen Einsatzmitteln.

ATLAS-Support-Office.

Seit 1. November 2018 besteht mit dem ATLAS Support Office (ASO) bei der europäischen Strafverfolgungsbehörde Europol ein permanentes Büro, um den ATLAS-Vorsitz bei der Implementierung des ATLAS-Arbeitsprogramms und bei Verwaltungs- und Budgetfragen zu unterstützen. Das ASO ist Teil des European Counter Terrorism Centre (ECTC) von Europol und wird von dem österreichischen Cobra-Beamten Kontrollinspektor Alfred Spörr geleitet. Auch wenn ATLAS weiterhin ein eigenständiger Verbund bleibt, wird durch das Büro die Vernetzung innerhalb von Europol verbessert und die Sichtbarkeit der ATLAS-Kooperation verstärkt. Über Europol läuft auch die interne, gesicherte ATLAS-Kommunikationsplattform zum Austausch von Informationen zwischen den Sondereinheiten.
Am 24. November 2020 hat der Rat der EU die Schaffung gemeinsamer Ausbildungszentren und die Förderung des Austausches und gemeinsamen Gebrauchs von Einsatzmitteln empfohlen. Um grenzüberschreitende Einsätze problemloser durchführen und Einsatzmittel für Spezialeinheiten leichter zwischen den Mitgliedstaaten transportieren zu können, sollen auch eigene Rechtsgrundlagen geschaffen werden.

Centres of Excellence.

Der Aufbau von ATLAS-Ausbildungszentren (Centres of Excellence) soll höchste Qualität bei der Aus- und Fortbildung aller Spezialeinheiten des ATLAS-Verbundes gewährleisten. In den Zentren werden taktische Modelle weiterentwickelt und durch gemeinsame Trainingsprogramme die Standards innerhalb Europas vereinheitlicht.
2020 hat die ungarische Spezialeinheit TEK mit dem Aufbau eines Centre of Excellence für den Bereich „Medic“ in Budapest begonnen. Diese Einheit koordiniert und leitet federführend die Ausbildung der Einsatzsanitäter der ATLAS-Einheiten und war maßgeblich für die Etablierung des medizinischen TCCC-Standards bei den Polizeispezialeinheiten verantwortlich.
Am 9. Juni 2021 wurde unter italienischer Leitung das Centre of Excellence im Bereich Aircraft-Training, dem Training mit und an Luftfahrzeugen, im italienischen Livorno eröffnet. Die Sondereinheit GIS der italienischen Carabinieri ließ hier ihr Fachwissen aus der ATLAS-Expertengruppe „Aircraft“ einfließen. Auch das erste gemeinsame Projekt im Bereich „Joint Pooling and Sharing“ wurde gestartet: Besondere Einsatzmittel wie teure Technik oder Ausrüstung sollen gemeinsam beschafft und genützt werden. 2021 haben mehrere ATLAS-Einheiten beschlossen, ein Projekt zur gemeinsamen Verwendung von Einsatzbooten für die polizeiliche Intervention auf (Hochsee-)Schiffen umzusetzen.

Arbeitsweise.

Der ATLAS-Vorsitz wird durch eine ATLAS-Geschäftsstelle, das ATLAS Executive Bureau (AEB), unterstützt. Jene Einheit, die den Vorsitz führt, managt auch das AEB, das die ATLAS-Aktivitäten und die Finanzen verwaltet. Während des österreichischen Vorsitzes war Oberrätin Mag. Renate Lanzenbacher (DSE) die Leiterin des AEB. Zum AEB gehörten zudem Chefinspektor Norbert Schweinberger, Chefinspektor Thomas Kopeitka, Revidentin Lisa Köll und Mag. Melanie Eder. Operativer Koordinator für ATLAS-Angelegenheiten innerhalb des Einsatzkommandos Cobra ist Oberst Harald Gonner, Kommandant des Cobra-Standortes West in Tirol. Der ATLAS-Verbund erhielt Fördermittel der Europäischen Kommission aus dem Fonds für innere Sicherheit (Internal Security Fund – ISF), seit 2020 werden die Budgetmittel von Europol zur Verfügung gestellt. Die Verwendung der Budgetmittel wird im AEB koordiniert und abgerechnet. Mit diesen Finanzmitteln werden von den Expertengruppen und Foren jährlich innerhalb des ATLAS-Verbundes zahlreiche Projekte, aber auch Großübungen, Expertentreffen und Workshops organisiert. Das oberste Entscheidungsgremium bei ATLAS ist das Forum der Kommandanten (ATLAS Commander Forum – ACF), das halbjährig zusammentrifft. Alle Kommandanten haben Stimmrecht.
Den Kommandanten der europäischen Spezialeinheiten werden im ACF Vorschläge aus den Foren und Expertengruppen von ATLAS zur Entscheidung vorgelegt. Die Foren und Expertengruppen erarbeiten technische und taktische Konzepte und führen vielseitige Aktivitäten durch. Vier Expert-Groups behandeln terroristische Bedrohungen auf dem Seeweg (EG Naval), in Massenverkehrsmitteln (EG Transport), in Flugzeugen (EG Aircraft) und gegen Gebäude (EG Building). Dazu kommen sieben Foren: Möglichkeiten des Eindringens in Objekte (Entry), gemeinsame Einsatzführung und gemeinsame Einsatzsprache (C4), Präzisionsschützenwesen (Sniper), Verhandeln (Nego), medizinische Versorgung in Gefahrenbereichen (Medic) sowie schnelle, taktische Reaktionsteams (Rapid Response) Die ursprüngliche Projektgruppe „Drones“ ist inzwischen Teil des Forums „Innovation“ unter österreichischer Koordination und Leitung von Chefinspektor Ing. Thomas Vahrner (EKO Cobra/DSE). Innerhalb des Forums befasst man sich nicht nur mit Drohnen, sondern auch mit anderen technologischen Neuigkeiten wie Robotik und künstlicher Intelligenz, inklusive Marktforschung, Testungen und dem Austausch mit anderen Organisationen in Europa.

EKO-Cobra-Vorführung in Wiener Neustadt mit slowakischen Kollegen: Die österreichische Sondereinheit führte viereinhalb Jahre lang den Vorsitz im ATLAS-Verbund der europäischen Spezialeinheiten.
EKO-Cobra-Vorführung in Wiener Neustadt mit slowakischen Kollegen:
Die österreichische Sondereinheit führte viereinhalb Jahre
lang den Vorsitz im ATLAS-Verbund der europäischen Spezialeinheiten.
© Gerd Pachauer

Gemeinsame Übungen und Einsätze.

Von 9. bis 12. Oktober 2018 fand die bislang größte gemeinsame Einsatzübung (Common Challenge) statt, die im Rahmen von ATLAS durchgeführt wurde. Beinahe alle Einheiten des Verbundes waren vertreten, in sieben Regionen Europas wurden unterschiedlichste Szenarien mit insgesamt mehr als 1000 Beteiligten trainiert. Koordiniert wurde die „Common Challenge“, die große internationale Aufmerksamkeit erhielt, in der Europol-Zentrale in Den Haag. Eine weitere ATLAS-Großübung wurde von 9. bis 10. Oktober 2019 in der Slowakei abgehalten. Austragungsort war die historische Festungsanlage von Komarno. Schwerpunkte bildeten die Erstürmung von Gebäuden bei Terrorbedrohungen, schnelles Anlanden mit Hubschraubern, taktische Verwundeten-Versorgung und der Einsatz von Zugriffshunden. Neben Sondereinheiten aus zehn EU-Staaten waren Vertreter aus Singapur und den USA dabei.
„Wie wichtig die internationale Kooperation bei ATLAS ist, hat zuletzt der Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 gezeigt“, erklärt Bernhard Treibenreif. Innerhalb kürzester Zeit seien Spezialeinheiten aus Deutschland, Tschechien, der Slowakei und Ungarn zur Verfügung gestanden. Aus Frankreich gab es ein Angebot für Einsatzmittel. „Auch wenn die Unterstützung letztendlich nicht benötigt wurde, waren diese Angebote sehr beruhigend und beweisen die ausgezeichnete Zusammenarbeit.“
Gemeinsame ATLAS-Einsätze gab es zuletzt unter anderem nach dem Schiffsunglück in Budapest im Mai 2019, wo elf Tauchexperten des EKO Cobra die ungarischen Behörden unterstützten. Das EKO Cobra verstärkte auch die Kräfte der griechischen Spezialeinheit EKAM an der türkischen Grenze im Februar 2020. Im Mai 2021 wurde bei der Suche nach schwer bewaffneten Verdächtigen in Belgien eine grenzüberschreitende Fahndung mit ATLAS-Unterstützung durch Beamte der GSG 9 (Deutschland), der USP (Luxemburg) und der DSI (Niederlande) durchgeführt.

ATLAS-Verbund: Spezialeinheiten aus allen EU-Staaten, Großbritannien, Island, Norwegen und der Schweiz.
ATLAS-Verbund: Spezialeinheiten
aus allen EU-Staaten, Großbritannien,
Island, Norwegen und der Schweiz.
© Gregor Wenda

Rechtsgrundlagen.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA fand am 15. Oktober 2001 im Auftrag der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates für Justiz und Inneres in Brüssel ein Treffen der Leiter europäischer Spezialeinheiten unter Führung der belgischen Spezialeinheit statt. Als Grundlage diente die Anti-Terrorism Road-Map zur Bekämpfung des Terrorismus, die vom Europäischen Rat für Justiz und Inneres initiiert worden war. Die Ergebnisse des Meetings der europäischen Anti-Terror-Einheiten in Brüssel wurden der Task Force of Chiefs of Police und dem Europäischen Rat für Justiz und Inneres präsentiert. Das Treffen im Oktober 2001 gilt als Geburtsstunde von ATLAS. Österreich war neben Belgien von Anfang an maßgeblich an der organisatorischen Entwicklung der ATLAS-Kooperation beteiligt. „Das Einsatzkommando Cobra kann als einer der Impulsgeber und Motoren im Netzwerk bezeichnet werden“, unterstreicht der jetzige ATLAS-Präsident Štefan Hamran.
Belgien hatte ab 2001 den Vorsitz inne, Österreich bis 2008 den Vizevorsitz. Im Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 wurden erstmals terroristische Straftaten, sowie im Zusammenhang mit terroristischen Vereinigungen und Aktivitäten begangene Straftaten in der EU definiert und die EU-Staaten zu einer Angleichung ihrer Rechtsvorschriften und der Einführung von Mindeststrafen für Terrorakte aufgefordert.
Auf Initiative Österreichs beschloss der Rat der Europäischen Union am 29. Dezember 2006 die Kooperation und einen institutionellen Zusammenschluss der europäischen polizeilichen Anti-Terror-Einheiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit in Krisensituationen. Darauf aufbauend wurden – wiederum mit österreichischem Impuls – durch den Beschluss des Rates vom 23. September 2008 (2008/617/JI) die erforderlichen rechtlichen Grundlagen für die Sondereinheiten-Kooperation in Kraft gesetzt. Mit diesem Ratsbeschluss wurde die ATLAS-Kooperation formell verankert und die Basis für eine echte internationale Zusammenarbeit zwischen den Spezialeinheiten geschaffen.

Gregor Wenda

ATLAS

38 Spezialeinheiten

Jedem EU-Mitgliedstaat steht es frei, eine Spezialeinheit der Polizei als Mitglied in der ATLAS-Kooperation zu entsenden. Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Rumänien sind mit je zwei Einheiten im ATLAS-Verbund vertreten, ebenso das seit 2020 nicht mehr zu EU gehörende Vereinigte Königreich. Der Beschluss des Rates der Europäischen Union über die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Spezialeinheiten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Krisensituationen vom 31. März 2008 definiert eine „Spezialeinheit“ als „jede Strafverfolgungseinheit eines Mitgliedstaates, deren besondere Aufgabe darin besteht, Krisensituationen zu bewältigen“.

Zum ATLAS-Verbund gehören 34 Einheiten aus den 27 EU-Mitgliedsstaaten: AKS (Dänemark), ARAS (Litauen), BOA (Polen), BSIJ (Rumänien), DSI (Niederlande), DSU (Belgien), ERU/EAO (Zypern), EKAM (Griechenland), EKO Cobra (Österreich), ERU (Irland), GIGN (Frankreich), GIS (Italien), GEO (Spanien), GNR-GIOE (Portugal), GOE (Portugal), GSG 9 BPOL (Deutschland), Karhu (Finnland), K-Komando (Estland), LYNX Commando (Slowakei), NI (Schweden), NOCS (Italien), OMEGA (Lettland), RAID (Frankreich), Red Panther (Slowenien), RIU (Malta), SEK Baden Württemberg (Vertreter der SEKs in Deutschland), SIAS (Rumänien), SIU Croatia (Kroatien), SUCT (Bulgarien), TEK (Ungarn), UEI (Spanien), URNA (Tschechien), USP (Luxemburg). Außerdem kooperieren mit dem ATLAS-Verbund DELTA (Norwegen), SCO19 (Vereinigtes Königreich), PSNI-HMSU (Vereinigtes Königreich/Nordirland), Viking (Island) und Swiss SIU (Vertreter der Schweiz).


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2021

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