Air-Marshals

Schützer der Lüfte

Übung der Flugsicherungsbegleiter im Air-Marshal-Ausbildungszentrum des EKO Cobra/DSE in Wiener Neustadt.
Übung der Flugsicherungsbegleiter im Air-Marshal-Ausbildungszentrum des EKO Cobra/DSE in Wiener Neustadt. © EKO Cobra/DSE

Seit 40 Jahren sind Polizisten des Einsatzkommandos Cobra als „Air-Marshals“ eingesetzt. Im internationalen Netzwerk der Flugsicherheitsbegleiter nimmt Österreich eine aktive Rolle ein.

Am 23. November 1981 wurde ein neues Kapitel in der Geschichte des Gendarmerieeinsatzkommandos (heute Einsatzkommando Cobra) aufgeschlagen: Die Einheit übernahm die Aufgabe, besonders gefährdete österreichische Linienflüge mit bewaffneten Beamten zu begleiten. Der erste Flug – Austrian-Airlines OS701 – ging nach Beirut und Damaskus. Für die Cobra an Bord waren Oberstleutnant Erhard Jaros und Bezirksinspektor Wilhelm Raffler. Erstmals wurden damit österreichische Exekutivbeamte außerhalb von internationalen Polizeimissionen ins Ausland entsandt.
Seit den 1960er-Jahren war die Zahl von Flugzeugentführungen international gestiegen. Eine Handvoll Staaten, darunter die Schweiz, Israel und die USA, hatten bereits Air-Marshals. Nach mehreren terroristischen Anschlägen auf heimischem Boden, darunter auf den Stadttempel in Wien, begann die österreichische Exekutive, sich auch im Flugverkehr neu aufzustellen. Die Erfahrungen der Schweiz spielten dabei eine wichtige Rolle. Das dort geschaffene System von Flugsicherheitsbegleitern wurde zusammen mit dem in Israel Anfang der 1980er-Jahre zu einem Vorbild für Österreich. Léon Borer, langjähriger Kommandant der Kantonspolizei Aargau und Schweizer Verbindungsmann zu Johannes Pechter, dem Chef des Gendarmerieeinsatzkommandos, erinnert sich: „Johannes Pechter rief mich an und sagte mir, er würde ehestmöglich Material über die Flugbegleitungen durch die Polizei benötigen. Ich schickte ihm noch am selben Tag alle Informationen mit dem Flugzeug nach Wien.“

Vorreiterrolle.

Szenarientraininig im Air-Marshal-Ausbildungszentrum in Wiener Neustadt.
Szenarientraininig im Air-Marshal-Ausbildungszentrum in
Wiener Neustadt. © EKO Cobra/DSE

In den vergangenen 40 Jahren hat Österreich im Air-Marshal-Bereich international immer wieder eine Vorreiterrolle eingenommen, etwa nach den Terroranschlägen in den USA im Jahr 2001. Andere Staaten haben erfolgreiche Einsätze der Cobra – etwa die unblutige Beendigung der Entführung einer „Aeroflot“-Maschine nach Lagos 1996 – analysiert bzw. österreichische Konzepte übernommen. „Österreich ist einer der wenigen Staaten, wo die Flugsicherheitsbegleitung von einer Anti-Terror-Einheit durchgeführt wird“, sagt Oberst Christoph Scherz, Leiter des Referates für Ausbildung und Einsatz, dem heute das Air-Marshal-Programm beim Einsatzkommando Cobra untersteht. „Wir haben ein hohes taktisches Grundlevel, auf dem wir aufsetzen können, das macht für uns vieles einfacher. Alle Air-Marshals sind zugleich Cobra-Operatoren, die auch für andere Einsätze in der Sondereinheit herangezogen werden können.“ In 10.000 Metern Höhe gehe es um eine einzigartige polizeiliche Lage, schildert Scherz. Weil in einem Flugzeug niemand mehr zur Unterstützung gerufen werden könne, seien die Air-Marshals ganz auf sich allein gestellt. Sie werden in der Regel im Rahmen eines „Drei-Säulen-Modells“ herangezogen: bei gefährdeten Destinationen, aufgrund aktueller Warnungen und nach einem Zufallsprinzip, wo alle österreichischen Fluglinien rotierend von Polizisten begleitet werden. „Grundsätzlich haben wir täglich Teams in der Luft“, sagt Christoph Scherz. Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 lag der Flugverkehr allerdings wochenlang lahm. Eine solide Tarnung ist das Um und Auf für die Flugsicherheitsbegleiter: Sie reisen mit fiktiven Identitäten und tragen Pistolen, die gut verborgen sind. „Der Schusswaffengebrauch ist das letzte Mittel an Bord und wird intensiv trainiert, um keine unschuldigen Passagiere zu treffen oder Schäden am Flugzeug zu verursachen.“ In Österreich wird für die Air-Marshals intern die Bezeichnung „Tiger“ verwendet. Es handelt sich dabei um einen informellen Namen, der 1981 von den Schweizern entlehnt wurde. International hat sich für die Funktion des Flugsicherheitsbegleiters der offizielle Terminus In-Flight Security Officer (IFSO) etabliert. Daneben werden in verschiedenen Staaten weiter die Ausdrücke „Air-Marshal“ oder „Sky-Marshal“ verwendet.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 („9/11“) veränderten die Luftfahrtsicherheit nachhaltig: Vier entführte Flugzeuge wurden in die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Centers und des Verteidigungsministeriums bei Washington, D.C. gesteuert. Eine Maschine stürzte auf dem Weg nach Washington in Pennsylvania ab, nachdem Passagiere die Hijacker zu überwältigen versuchten. Rund 3.000 Menschen starben. Obwohl es in den USA eines der ersten Sky-Marshal-Programme der Welt gab, waren vor „9/11“ nur ein paar Dutzend Flugsicherheitsbegleiter im Personalstand.
Nach den Anschlägen brach der inneramerikanische Flugverkehr völlig ein, die Angst vor neuerlichen Entführungen war groß. U.S.-Präsident George W. Bush investierte in einen großzügigen Ausbau des Programms, dem heute mehrere Tausend Beamte angehören. In vielen Staaten, die bereits über ein Air-Marshal-Programm verfügten, stieg die Zahl deren Einsätze in den Monaten nach den Anschlägen des 11. September 2001 an. Überall wurde darüber nachgedacht, wie man Passagierflugzeuge während eines Fluges besser sichern könnte. Dazu kamen verschärfte Sicherheitskontrollen auf den Flughäfen und neue Vorschriften, welche Gegenstände nicht mehr mit in die Maschine genommen werden durften.

Internationaler Workshop.

In Europa wurde Österreich eine wichtige Initiatorenrolle zuteil: Als eines der „Urprogramme“ im Air-Marshal-Bereich organisierte das Einsatzkommando Cobra im Oktober 2002 in der Einsatz- und Ausbildungszentrale in Wiener Neustadt einen internationalen Workshop: Spezialisten aus der EU, aus EU-Beitrittsstaaten, Kanada, Australien und den USA nahmen teil. Sie behandelten ein knappes Jahr nach dem 9/11 die aus den Anschlägen gezogenen Lehren und erörterten eine verbessere Zusammenarbeit. „Nach 9/11 ist das österreichische Know-how weltweit abgefragt worden. Sogar der damalige US-Justizminister hat zu diesem Zweck die Einheit besucht“, sagt Bernhard Treibenreif, Direktor des Einsatzkommandos Cobra/Direktion für Spezialeinheiten.
Ende 2003 erließ das US Department of Homeland Security Regulative, nach denen die USA die Präsenz bewaffneter Air-Marshals auf bestimmten Transatlantik-Flügen verlangten – nicht nur in US-Maschinen, sondern auch in europäischen Fluglinien. Sollten keine Air-Marshals bereitgestellt werden, drohte ein Versagen der Landeerlaubnis in den USA. Mehrere EU-Staaten widersprachen den neuen U.S.-Vorgaben, Österreich ergriff die Initiative und setzte die Thematik der Air-Marshals auf die Tagesordnung eines Treffens der Arbeitsgruppe der EU-Polizeichefs im März 2004 in Dublin. Ebenso wurde im März 2004 ein weiterer internationaler Workshop abgehalten, an dem auch US-Experten teilnahmen. Das Ziel war die Schaffung international anerkannter Vorschriften über den Einsatz von Air-Marshals sowie eine Harmonisierung von Ausbildung, Ausrüstung und Einsatzabläufen. Weitere informelle Treffen und Workshops folgten und gipfelten 2006 in dem Entschluss, die internationale Kooperation der Flugsicherheitsbegleiter auf organisierte Beine zu stellen.

IIFSOC.

Dies war die Geburtsstunde des International Inflight Security Officer Committee (IIFSOC), des internationalen Air-Marshal-Verbundes. Eine Charta wurde erarbeitet, in der eine gemeinsame Struktur und Arbeitsweise, Pflichten, Werte und Kooperationsformate festgelegt wurden. Im Rahmen der internationalen Air-Marshal-Conference 2009 in der Schweiz unterzeichneten die Gründerstaaten des Verbundes – Australien, Österreich, Kanada, Tschechische Republik, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Schweiz, das Vereinigte Königreich und USA – die Charta. Heute gehören zu IIFSOC auch noch zahlreiche andere Staaten weltweit. „Die internationale Zusammenarbeit hat sich kontinuierlich intensiviert, denn auch die Täter kennen keine Landesgrenzen, sind vernetzt und hochmobil“, sagt Generalmajor Erwin Strametz, BA MA, Leiter der Abteilung für Ausbildung und Spezialeinsatz beim EKO Cobra/DSE. Österreich ist als eines der Gründungsländer der IIFSOC auch im Steering Board, der Steuerungsgruppe des Verbundes, tätig. Der Zusammenschluss der Air-Marshal-Einheiten ermöglicht Strategiemeetings und Trainerworkshops zum Informationsaustausch, zur wechselseitigen operativen Unterstützung und zur gemeinsamen Entwicklung von Lösungsansätzen. Seit Juli 2007 verfügt das Einsatzkommando Cobra über ein modernes Air-Marshal-Ausbildungszentrum in Wiener Neustadt. In zwei Flugzeugrümpfen in Originalgröße mit detaillierter Innenausstattung können unterschiedlichste Szenarien trainiert werden; auch die Verwendung scharfer Munition ist möglich.

Vertraulicher Austausch.

„Innerhalb des IIFSOC-Verbundes besteht eine hohe Vertraulichkeit“, betont Oberst Christoph Scherz. „Zum Teil werden wie bei einem Think-Tank neue Lösungsmodelle für die Einsätze in der Luft erarbeitet. Dabei werden auch aktuelle technische Entwicklungen einbezogen,“ sagt Scherz. Wesentlich sei zudem der Kontakt mit Fluglinien, der Flugzeugindustrie oder Experten aus dem ballistischen Bereich und dem Sprengstoffbereich. Mit sehr vielen Staaten müssen zwischenstaatliche Abkommen und zusätzliche Vereinbarungen geschlossen werden, um bewaffnete Air-Marshals ins Ausland senden zu dürfen. Gemäß internationalem Luftfahrtrecht behält auch bei einer Anwesenheit von Flugsicherheitsbegleitern immer der Pilot die oberste Hoheits- und Polizeigewalt in der Maschine.
Innerhalb des IIFSOC-Verbundes ist die Abstimmung zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz besonders eng. Dies ist nicht nur durch die gemeinsame deutsche Sprache begründet, sondern auch durch den Umstand, dass die größten Airlines dieser Länder alle zum Lufthansa-Verbund gehören.

EU-Ebene.

Zuletzt konnte auch auf EU-Ebene die Zusammenarbeit im Air-Marshal-Wesen intensiviert werden: Durch das EU-Projekt EIFS (Enhancing In-Flight Security) stehen neue Geldmittel zur Verfügung, um die Flugsicherheit in der EU zu erhöhen und die Air-Marshal-Kooperation in Europa auszubauen. 2022 sollen die Kontakte mit ATLAS, dem Verbund der europäischen Polizei-Spezialeinheiten, verstärkt werden, die während des österreichischen ATLAS-Vorsitzes bis 2021 aufgebaut wurden.

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2021

Druckversion des Artikels  (PDF 319 kB)