Deutschland

Besuch in „Little Berlin“

Ein Museum im Grenzland von Bayern und Thüringen erinnert an die Teilung in Bundesrepublik Deutschland und DDR und den Dienst von Polizei und Militär an der innerdeutschen Grenze.

Grenzlandmuseum in Mödlareuth: Erinnerungen an die jahrzehntelange Teilung Deutschlands.
Grenzlandmuseum in Mödlareuth: Erinnerungen an die jahrzehntelange Teilung Deutschlands. © Gregor Wenda

Mödlareuth im bayrisch-thüringischen Hügelland: Eine ländlich wirkende Idylle mit Kuhglockengeläut und Entenschnattern. Doch unvermutet ragt zwischen alten Bäumen ein riesiger Wachturm in den Himmel, gegenüber einer Scheune erheben sich Stacheldrahtzäune und Betonmauern. Es sind bedrohliche Relikte einer Zeit, als Deutschland in zwei Staaten geteilt war und zwischen diesen Staaten über eine Länge von 1.400 Kilometern riesige, rund um die Uhr überwachte Grenzanlagen verliefen. Um diese Zeit anschaulich zu machen, führt ein Museum mit Freigelände die Besucher zurück in ein schwieriges Kapitel der deutschen Geschichte: Nach dem Zweiten Weltkrieg untergliederten die Besatzungsmächte Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion und USA das Land in vier Besatzungszonen. Aus der Sowjetischen Besatzungszone entstand 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die ihre Grenze zur Bundesrepublik Deutschland zunehmend abschottete, während dort die drei übrigen alliierten Staaten weiterhin die Kontrolle behielten. 1961 gipfelte dies im Bau der Berliner Mauer und der völligen Absicherung der „innerdeutschen Grenze“ auf DDR-Seite. Die Flucht von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik sollte damit unterbunden werden.

Klein-Berlin.

Wie kaum ein anderer Ort in Deutschland symbolisierte das kleine Dorf Mödlareuth im Drei-Länder-Eck von Bayern, Thüringen und Sachsen zwischen den Städten Hof, Schleiz und Plauen die deutsch-deutsche Teilung. Die Amerikaner prägten in den 1960er-Jahren den Ausdruck „Little Berlin“, weil Mödlareuth wie Berlin durch gewaltige Grenzanlagen zerrissen wurde. Der Tannbach, eine nur sechs Kilometer lange, schmale Wasserstraße, führt mitten durch das Dorf mit seinen knapp 50 Einwohnern. Die Geschichte des Dorfes lieferte das Vorbild für die ZDF-Fernsehserie „Tannbach“, die zwar eine fiktive Ortschaft an der Grenze von Bayern und Thüringen zeigen wollte, aber eindeutige Bezüge zu Mödlareuth herstellt. Im 19. Jahrhundert grenzte am Tannbach das Königreich Bayern an das Fürstentum Reuß, später der Freistaat Bayern an den Freistaat Thüringen. Dennoch entwickelte sich auf beiden Seiten des Baches ein gemeinsames Dorf, in dem die unterschiedlichen Territorien im Alltag kaum Bedeutung hatten. Das Wirtshaus und die Schule waren im Ostteil Mödlareuths, die Kirche befand sich auf der bayrischen Seite, die zur Gemeinde Töpen gehörte.
Der Tannbach galt als reine Verwaltungsgrenze. Erst mit Kriegsende erlangte er plötzlich neue Bedeutung als „Limes“ zwischen zwei verschiedenen politischen Welten. Gemäß den Vereinbarungen in den „Londoner Protokollen“ steckten die Alliierten ihre Zonen entlang der Landesgrenzen des Deutschen Reichs bis 1937 ab. Kurz nachdem die Amerikaner im April 1945 Mödlareuth besetzt hatten, zogen sie vorerst wieder ab und überließen das gesamte Dorf den nachrückenden sowjetischen Truppen. Mehr als ein Jahr später, am 26. Juli 1946, forderten die Amerikaner schließlich den Westteil des Dorfes ein – die sowjetische Armee musste sich auf die Ostseite zurückziehen. Damit begannen in Mödlareuth mehrere Jahrzehnte der Abgrenzung.

Demarkationslinie.

Anfangs konnte der Tannbach noch von beiden Seiten mit einem Passierschein überquert werden, im Ostteil kontrollierten sowjetische Soldaten die Zutrittsberechtigungen, im Westteil amerikanische.
Am 26. Mai 1952 beschloss der Ministerrat der DDR jedoch Maßnahmen „an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“. Einen Tag später trat die „Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie“ des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Kraft. In Mödlareuth wurde entlang des Tannbachs ein Kontrollstreifen angelegt, der nicht mehr betreten werden durfte.
Auf der DDR-Seite entstand zuerst ein 500 Meter breiter Schutzstreifen mit einer dahinterliegenden Sperrzone, bald darauf die erste Grenzanlage mit einem Bretterzaun. Familien, Freundschaften und Wirtschaftsbeziehungen wurden abrupt auseinandergerissen, verschiedene Ideologien und Lebensweisen prallten nun am kleinen Tannbach aufeinander. Im Ostteil des Ortes wurden mehrere Familien in andere Teile der DDR zwangsweise „ausgesiedelt“. Nächtliche Ausgangssperren und Versammlungsverbote trieben einen zusätzlichen Keil in das verbliebene gesellschaftliche Leben von Mödlareuth-Ost. Auf den Holzbretterzaun folgte ein Pfahlzaun mit Stacheldrahtgeflecht. Anlässlich des „Mauerbaus“ in Berlin wurde ein an Betonsäulen befestigter Stacheldrahtzaun entlang des Tannbachs errichtet und später durch weitere Stacheldrahtreihen ergänzt.
1964 wurden Plattenwände aus Beton und Holz errichtet, um den Blickkontakt zu unterbinden, 1966 bauten die DDR-Grenztruppen eine massive, 700 Meter lange und 3,3 Meter hohe Sperrmauer aus Beton nach dem Vorbild der Berliner Mauer. Außerhalb des Ortes wurde die Grenze durch einen Metallgitterzaun gesichert, an dem bis 1983 Selbstschussanlagen angebracht waren. Nur einem DDR-Bürger gelang 1973 die Flucht in den Westen. Die Sperranlagen wurden danach weiter ausgebaut. Entlang der Mauern und Zäune standen einander DDR-Soldaten und Bundesgrenzschützer der Bundesrepublik Deutschland gegenüber. Die Grenztruppen behielten die Umgebung auch von zwei Wachtürmen aus im Blick.
Nach dem Fall der Mauer in Berlin im November 1989 sollte es noch einen ganzen Monat dauern, bis sich auch in Mödlareuth nach 37 Jahren wieder die Mauer öffnete. Am 9. Dezember 1989 konnte ein erster Grenzübergang eingeweiht werden: Der Andrang war groß, ebenso die Wiedersehensfreude unter vielen lange getrennt gewesenen Menschen.

Kampfpanzer der sowjetischen Armee aus 1945; Tannbach, von 1945 bis 1989 Grenze zwischen „Ost“ und „West“.
Kampfpanzer der sowjetischen Armee aus 1945; Tannbach, von 1945 bis 1989 Grenze zwischen „Ost“ und „West“. © Gregor Wenda

Gedenkstätte.

Nachdem der Westteil von „Little Berlin“ jahrzehntelang eine vielbesuchte Attraktion gewesen war, zu der nicht nur Touristen aus dem In- und Ausland, sondern auch zahlreiche Politiker – darunter Bundeskanzler Helmut Kohl oder U.S.-Vizepräsident George Bush – anreisten, entstand Mitte 1990 die Idee, ein Museum über die Geschichte der deutschen Teilung im Mödlareuth aufzubauen. Kurz vor der deutschen Wiedervereinigung, am 3. September 1990, wurde das „Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth“ (https://moedlareuth.de/) durch eine ehrenamtliche Initiative gegründet. Seit der Wiedervereinigung befindet sich ein Teil von Mödlareuth verwaltungstechnisch wieder in Bayern, der andere in Thüringen. Das Dorf hat inzwischen zu einem gemeinsamen Alltag zurückgefunden, in dem auch wieder Feste gefeiert werden. Dennoch ist die Erinnerung an die belastete Vergangenheit allgegenwärtig: Auf einem 15.000 Quadratmeter großen Freigelände sind Mauern, Grenzzäune, Bunker, Schranken, Beleuchtungskörper und Wachtürme zu sehen. Das Museum wurde seit 1990 schrittweise erweitert. Anfangs wurde neben der Gedenkstätte eine erste museale Stelle mit Verwaltung, Archiv und Bibliothek aufgebaut. 1997/98 entstand ein Fahrzeug-Depot , zwischen 1999 und 2003 kamen zwei Film- und Vortragsräume, ein Sonderausstellungsraum sowie eine Infothek und ein Museumsshop hinzu. Neben der Entwicklung der innerdeutschen Grenze werden auch wirtschaftliche und soziale Aspekte der Teilung beleuchtet. Die zahlreichen Original-Objekte, darunter auch historische Grenzfahrzeuge, sind beliebte Motive für Dokumentar- und Spielfilme. Für Schulklassen werden Seminare und Projekte angeboten – denn gerade die junge Generation hat keine persönliche Vorstellung vom so lange geteilten Deutschland. „Dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist, ist eine von vielen Erkenntnissen, die man in Mödlareuth erfahren kann“, bemerkte Thüringens Staatskanzleiminister Benjamin-Immanuel Hoff in einer Aussendung.

Erweiterung.

Im Juli 2021 beschlossen die Bundesrepublik Deutschland sowie die Freistaaten Bayern und Thüringen, eine Erweiterung des Deutsch-Deutschen Museums Mödlareuth mit insgesamt 12 Millionen Euro zu unterstützen. Die bundesdeutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters hielt anlässlich des angekündigten Ausbaus fest: „Die Erinnerung an das menschenverachtende DDR-Grenzregime muss auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall für zukünftige Generationen erhalten bleiben.“ „Mödlareuth bietet mit den authentischen Sperranlagen die einmalige Chance, die Teilung Deutschlands mit den gravierenden sozialen Folgen für Familien und Freunde lebendig zu machen“, betonte Bayerns Kultusminister Michael Piazolo. Zukünftig soll die Geschichte der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung Deutschlands an Hand des Beispiels von „Little Berlin“ mit digitaler Technik präsentiert werden. Im Rahmen der Neukonzipierung des „Grenzlandmuseums“ ist ein Erweiterungsbau für das Museum mit neuer Dauerausstellung geplant. Sowohl in den Museumsgebäuden als auch auf dem behindertengerecht adaptierten Freigelände werden zukünftig moderne Themenstationen sowie interaktive Medien Details zur Teilung und zum Grenzverlauf vermitteln.

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2021

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