Europäischer Polizeikongress

Europa im Krisenmodus

Europäischer Polizeikongress: Karl Nehammer forderte die EU-Kommission auf, die Interessen Europas konsequenter zu vertreten.
Europäischer Polizeikongress: Karl Nehammer
forderte die EU-Kommission auf,
die Interessen Europas konsequenter zu vertreten.
© Jürgen Markowecz

Innenminister Karl Nehammer nahm am Polizeikongress in Berlin als Eröffnungsredner teil. Zum Leitthema des Kongresses „Europa im Krisenmodus“ führte er exemplarisch drei Krisen an: Die Corona-Krise, die Terrorgefahr in Europa und die Migrationskrise.

Teils gewalttätige Auseinandersetzungen in einigen Staaten Europas zeigen, dass extremistische Kreise mitunter erfolgreich sind, die Lösungswege ihrer Regierung bei der Pandemiebekämpfung in Frage zu stellen, um gesellschaftliche Spannungen zu schüren. Doch auch Sicherheitsfragen, die bereits vor Covid-19 von Bedeutung waren, sind weiterhin auf der Tagesordnung. Migration, islamistischer Terrorismus, rechtsextreme Strukturen und Gefahren aus dem Cyber-Raum beschäftigen die Sicherheitsbehörden in Europa auch während der Pandemie.
Aus diesem Grund war der Europäische Polizeikongress am 14. und 15. September 2021 in Berlin dem Thema „Europa im Krisenmodus: Legitimität – Führung – Ausstattung“ gewidmet. Der Europäische Polizeikongress ist ein internationaler Kongress für Entscheidungsträger von Polizei, Sicherheitsbehörden und Industrie. Jedes Jahr finden Diskussionen zu aktuellen Themen statt und die neuesten Entwicklungen in Technologien für den professionellen Einsatz im Sicherheitsbereich werden von den Ausstellern präsentiert. Ziel ist es, den Dialog zwischen den Behörden zu intensivieren und den Teilnehmern neue Kontakte zu Kollegen aus der ganzen Welt zu ermöglichen. Es gab ein Hauptprogramm sowie ca. 25 Fachforen mit nationalen und internationalen Experten aus Politik, Verwaltung, den Polizeien sowie aus der Wirtschaft.
Der österreichische Innenminister Karl Nehammer nahm an der Konferenz als Eröffnungsredner teil. Zum Leitthema des Kongresses „Europa im Krisenmodus“ führte der Innenminister exemplarisch drei Krisen an: Die Corona-Krise, die Terrorgefahr in Europa und die Migrationskrise.

Spaltung der Gesellschaft verhindern.

Der Innenminister besuchte den Stand des österreichischen KI-Unternehmens T3K am Europäischen Polizeikongress.
Der Innenminister besuchte den Stand des österreichischen
KI-Unternehmens T3K am Europäischen Polizeikongress.
© Jürgen Markowecz

„Wir haben als Polizei ein gemeinsames Ziel: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu sichern“, sagte Karl Nehammer. Die Corona-Krise habe die polizeiliche Arbeit vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen hätten das Leben der Menschen grundlegend beeinträchtigt. Die Polizei hatte den Auftrag, Gesetze und Verordnungen der Gesundheitsbehörde zu vollziehen. „Da hat die Polizei einen unglaublichen Spannungsbogen meistern müssen“, sagte Nehammer. „Wir haben in Österreich das Motto herausgegeben: Wir sind die Partner der Bevölkerung, wenn es darum geht, durch die Corona-Krise zu gehen.“

3D-Stragie.

Die Polizei habe bei der Durchsetzung der Maßnahmen vorrangig die 3D-Stragie eingesetzt: „Dialog“, „Deeskalation“ und wenn es erforderlich war, auch „Durchgreifen“. Am Anfang der Krise sei es der Lockdown mit seinen Beschränkungen gewesen und dieses Jahr seien es die Corona-Demonstrationen. „Völlig neu sind für uns die Herausforderungen zum Schutz des Versammlungsrechtes und der Meinungsfreiheit gewesen“, sagte der Innenminister. Da galt es, Deeskalation neu zu definieren und zu leben.
Die Polizei gehe bei Verwaltungs­übertretungen normalerweise nicht in einen Demonstrationszug hinein, um Identitätsfeststellungen zu machen, das Strafgesetz gelte hier als Maßstab des Einschreitens. Bei den Corona-Demonstrationen hielten sich die Teilnehmer mitunter nicht an die Abstands- und Maskenregelungen. Der Eindruck entstand, die Polizei schaue zu. Das habe Bürgerinnen und Bürger empört, die sich an die Vorschriften hielten. „Das ist in Österreich eine ganz heikle Situation gewesen, denn die Polizei schützt ja auch das Recht der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Aber nun war es geboten, dass wir unser Handeln ändern und schon bei Verwaltungsübertretungen in die Demonstration hineingehen“, sagte Nehammer. Die Botschaft habe gelautet: „Dass es uns nicht egal ist, sondern dass wir bereit sind, auch durchzugreifen und dass es auch nicht egal ist, dass sich die Bürgerinnen und Bürger schützen und an die Maßnahmen halten.“ Die Polizei habe Verhältnismäßigkeit, Augenmaß und menschliches Gespür walten lassen.

Karl Nehammer: „Das Einschreiten der Polizei bei den Corona-Demonstrationen in Österreich ist eine heikle Situation gewesen.“
Karl Nehammer: „Das Einschreiten der Polizei bei den Corona-Demonstrationen in Österreich ist eine heikle Situation gewesen.“ © Jürgen Markowecz

Spannungsdruck.

Nun sei es so, dass der Spannungsdruck in der Bevölkerung zwischen Geimpften und Ungeimpften zunehme, niemand aber mehr einen weiteren Lockdown wolle. „Diese Fragen begleiten uns weiter und schlagen am Ende des Tages wieder bei den Polizistinnen und Polizisten auf, wenn sie für Ruhe und Ordnung sorgen, Verordnungen durchsetzen müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass das Virus nicht die Gesellschaft spaltet. Das Schlimmste, das uns passieren kann, ist, in einer Krise eine gespaltene Gesellschaft zu haben“, befand der Innenminister.

Ehrlichere Diskussion in der Flüchtlingsfrage.

Nehammer forderte die EU-Kommission auf, die Interessen Europas konsequenter zu vertreten: „Wir brauchen an der EU-Außengrenze rasche Asylverfahren, wir brauchen rasche Rückführungen und einen glaubwürdigen EU-Außengrenzschutz.“ Geld solle dort in die Hand genommen werden, wo die Not entsteht. „Der Europäische Rechnungshof hat heute gerade die Rückführungen kritisiert. Der Rechnungshof hat recht. Es muss stärker und effizienter rückgeführt werden. Und wir müssen uns überlegen, wie wir mit Ländern umgehen, die nicht kooperieren. Ein Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Menschen ist ein attraktiver Verhandlungspartner. Wir müssen klarmachen, dass es nützlich und sinnvoll ist, mit uns in Verbindung zu treten“, sagte Nehammer.

Zur Afghanistan-Krise

Zur Afghanistan-Krise bekräftigte der Innenminister die österreichische Position, nicht zusätzliche Afghanen aufzunehmen. Allein heuer habe es bereits über 2.500 Asylanträge von Afghanen gegeben, mehr als 2.100 davon betrafen Männer. „Österreich steht in der EU an dritter Stelle, was die Zahl der Schutzgewährungen von Asylwerbern pro 100.000 Einwohner anbelangt“, sagte Nehammer. Schutzgewährungen seien bereits über 130.000-mal ausgesprochen worden. Davon betroffen seien 44.000 Afghaninnen und Afghanen, die irregulär nach Österreich gekommen sind. Die Zahl 44.000 auf 100.000 Einwohner gerechnet bedeute die zweitgrößte afghanische Community in der EU. Österreich werde heuer bis zu 30.000 irreguläre Migranten aufnehmen müssen, „alternativlos, weil sie über die EU-Außengrenze eingedrungen sind, von niemandem davor aufgehalten worden sind und dann in Österreich landen“.
Nehammer forderte eine striktere Abschiebung von irregulären Migranten aus der EU und sprach sich gegen eine weitere Aufnahme afghanischer Flüchtlinge aus. Er sei dafür, dass eine faktenbasierte Diskussion geführt werde, wie belastet die Gesellschaften in der Europäischen Union bereits sind. „Hier ist Österreich nicht allein. Man muss offen und ehrlich reden können, was wir dagegen tun können. Es ist schwer darstellbar, warum es denn so sein muss, dass jemand mehr als 5.000 Kilometer überwindet, mehrere sichere Drittstaaten durchquert, um dann in Österreich oder Deutschland einen Asylantrag zu stellen“, sagte der Innenminister.

Terrorismus und organisierte Kriminalität.

Nehammer wies auf die Gefahr hin, die von „Foreign Terrorist Fighters“ und von sich im eigenen Land Radikalisierenden ausgehe. Diesen Gefahren seien mit verstärkten Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen zu begegnen. Der Innenminister warnte nicht nur vor den Gefahren des islamistischen, sondern auch des rechtsextremistischen Terrors. In den letzten Monaten habe es in Österreich im rechtsextremen Milieu mehrere Sicherstellungen zum Teil größerer Mengen von Waffen, Munition und Sprengstoffen gegeben. „Wenn wir Terror bekämpfen wollen, müssen wir auch die organisierte Kriminalität bekämpfen, denn zwischen den beiden bestehen gefährliche Allianzen, etwa im Drogen- und Waffenhandel“, sagte Karl Nehammer.

Der Europäische Polizeikongress

Der Europäische Polizeikongress (www.europaeischer-polizeikongress.de ) ist die größte Konferenz für innere Sicherheit in der Europäischen Union. Jährlich ist die Konferenz ein Treffpunkt für etwa 1.950 Experten aus mehr als 20 Ländern. Vertreter von Politik, Grenzschutz, Geheimdiensten sowie Regierungen, Parlamenten und Industrien nehmen an der Konferenz teil. Der Europäische Polizeikongress wird vom „Behörden Spiegel“ organisiert, der führenden deutschen Zeitung für Behörden mit Unterstützung nationaler und europäischer Behörden.

S.L.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2021

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