Flugzeugentführung

Hochrisiko über den Wolken

GEK-Kommandant Johannes Pechter (†) mit den vier Air-Marshals nach der vereitelten Flugzeugentführung.
GEK-Kommandant Johannes Pechter (†) mit den vier Air-Marshals
nach der vereitelten Flugzeugentführung.
© EKO Cobra / DSE

Österreichische Cobra-Beamte konnten im Oktober 1996 die Entführung eines russischen Passagierflugzeuges vereiteln. Der erfolgreiche Einsatz fand international Beachtung.

Donnerstag, 17. Oktober 1996: Vier Beamte des Gendarmerieeinsatzkommandos, des heutigen Einsatzkommandos Cobra, befanden sich auf einem Flug von Moskau über Malta in die nigerianische Metropole Lagos. Die Beamten begleiteten zwei nigerianische Staatsbürger im Rahmen einer Abschiebung. Einer der Cobra-Polizisten war Roland Wegscheidler, heute Chefinspektor und Bundeseinsatztrainer im Bundesministerium für Inneres. Wegscheidler war 1996 seit mehr als drei Jahren beim Gendarmerieeinsatzkommando und ausgebildeter „Air-Marshal“ – wie seine Bordkollegen Harald M., Nikolaus M. und Richard R. An diesem Tag lautete die Aufgabe der vier Cobra-Beamten allerdings nicht, einen österreichischen Linienflug zu schützen, sondern für die Sicherheit bei der Rückführung der nigerianischen Schubhäftlinge Sorge zu tragen. Vor dem Start in Moskau hatten die Spezialisten der Cobra vier deutsche Polizisten des Bundesgrenzschutzes kennengelernt – diese hatten ebenfalls den Auftrag, die Abschiebung von zwei Nigerianern bis nach Lagos in derselben Maschine zu begleiten.

Der Flug SU 417

Der Flug SU 417 der russischen Fluglinie „Aeroflot“ war mit 180 Passagieren, die meisten von ihnen Afrikanerinnen und Afrikaner, fast voll besetzt. Nach Moskau machte die Tupolew 154 noch einen Zwischenstopp auf Malta. Dort gelang es einem zusteigenden Passagier nigerianischer Herkunft, ein Fallmesser an Bord zu schmuggeln. „Der Mann hat ganz offensichtlich die Sicherheitskontrollen ausgetrickst. Die Stichwaffe war in einem präparierten Kugelschreiber versteckt“, schildert Roland Wegscheidler. Gegen 14.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit – die Maschine hatte nach dem Start in Malta bereits wieder Reiseflughöhe erreicht – verschaffte sich der bewaffnete Passagier plötzlich Zutritt zum Cockpit. Innerhalb weniger Sekunden drängte er den Bordtechniker hinaus, verschloss die Cockpit-Türe von innen und bedrohte den Kapitän und den Ersten Offizier mit seinem gezückten Messer. „Einer meiner Kollegen hat zufällig mitbekommen, dass sich vor dem Cockpit ein Tumult abspielt und angeblich ein Passagier zum Piloten vorgedrungen ist“, erinnert sich Roland Wegscheidler. „Da haben bei uns sofort die Alarmglocken geläutet“.

Schnelles Handeln.

Training im Air-Marshal-Ausbildungszentrum des EKO Cobra: Seit 1981 sind Cobra- Polizisten als Flugsicherungsbegleiter für österreichische Fluglinien im Einsatz.
Training im Air-Marshal-Ausbildungszentrum des EKO Cobra:
Seit 1981 sind Cobra- Polizisten als Flugsicherungsbegleiter
für österreichische Fluglinien im Einsatz.
© EKO Cobra / DSE

Die Cobra-Beamten, allesamt für hochriskante Einsätze über den Wolken ausgebildet, wussten, dass keine Zeit zu verlieren war. Bei einer möglichen Flugzeugentführung galt es, den Täter so rasch wie möglich stoppen. „Es war unklar, wie entschlossen der Mann tatsächlich ist, aber wir wollten ihm nicht die Zeit geben, seine Planungen weiter umzusetzen“, sagt einer der damaligen Air Marshals. Der Besatzung der „Aeroflot“ war bekannt, dass insgesamt acht Polizisten aus Österreich und Deutschland an Bord waren, sie kannte aber nicht ihre Sitzplätze. Als sich die Beamten zu erkennen gaben, machte sich Erleichterung beim Kabinenpersonal breit. Schnell und ruhig setzten die Cobra-Spezialisten, unterstützt von ihren deutschen Kollegen, die nächsten Schritte: Die ohnedies nur spärlich belegte Business Class wurde geräumt, die wenigen Passagiere auf noch leer geblieben Plätze in der Economy Class verteilt. Die vier Schubhäftlinge wurden in die Business Class gebracht; ein österreichischer und zwei deutsche Beamte behielten sie im Auge. Da nicht klar war, ob sich unter den Fluggästen noch Komplizen befanden, sondierten die übrigen deutschen Polizisten die Stimmung in der Maschine.

Zugriff.

Die Cobra-Spezialisten erörterten die Möglichkeiten, in die Pilotenkanzel vorzudringen. Der aus dem Cockpit geworfene Techniker der „Aeroflot“ hatte einen Tipp: Er besaß einen Schlüssel, mit dem man die verriegelte Türe öffnen konnte. „Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 lässt sich das Cockpit aus Sicherheitsgründen nicht mehr von außen aufbekommen“, bemerkt Wegscheidler. „Damals hat uns die Möglichkeit aber sehr geholfen.“ Immer wieder hatten die Cobra-Beamten taktische Routinen und Zugriffe in einem Flugzeug trainiert, nun konnten sie diese in der Praxis umsetzen. Als Air-Marshals in einem österreichischen Flugzeug hätten die Cobra-Beamten Schusswaffen mitgehabt, zur Begleitung von Abschiebungen waren sie aber nur mit Pfefferspray und schnittfesten Handschuhen ausgestattet. Auch die deutschen Kollegen führten keine Pistolen mit. Während die österreichischen Spezialisten vor der Cockpit-Tür Aufstellung nahmen, forderte der Hijacker in solidem Englisch, den Flug nach Südafrika oder Deutschland umzuleiten. Dort seien „Gesinnungsgenossen eingesperrt“, die er freipressen wollte. Er wirkte fahrig und verwirrt, eine Durchsuchung der Tasche auf seinem ursprünglichen Sitzplatz deutete darauf hin, dass er unter Medikamenteneinfluss stand. Von der folgenden Polizeiaktion wurde der Entführer völlig überrascht: Das Cobra-Team öffnete mit dem Schlüssel die Cockpit-Tür, besprühte den sich umdrehenden Mann mit Pfefferspray und entwaffnete ihn. „Der Zugriff ist sehr schnell verlaufen, wir hatten wenig Zeit zum Überlegen“, rekapitulieren die involvierten Beamten. Der Täter leistete massiven Widerstand und schrie „20 bis 30 Sekunden“. Schließlich konnten ihm Handfesseln angelegt werden. Ein Polizist wurde im Handgemenge leicht verletzt. Bald, nachdem sich der Entführer beruhigte hatte, sackte er plötzlich zusammen: Kreislauf und Atmung schienen zu versagen. Ein Arzt an Bord konnte den Hijacker wieder stabilisieren.
Der Co-Pilot wies eine leichte Verletzung am Hals auf, der Pilot hatte keinen Schaden genommen. Er setzte eine Meldung über die versuchte Entführung der „Aeroflot“-Maschine ab und entschied nach Beratung mit den österreichischen Polizeikräften, den Flug nach Nigeria fortzusetzen und den Hijacker dort sofort den Behörden zu übergeben. Lagos war nur mehr etwa eine Stunde entfernt. „Zum Glück ist es an Bord auch nach dem Einsatz ruhig geblieben, die Schreie und der Kampf waren doch deutlich wahrzunehmen“, sagt Wegscheidler. Nach der Landung in Lagos übergaben die österreichischen Beamten den Täter unmittelbar an der Flugzeugtüre der nigerianischen Polizei. Es gab in der Sache keinen weiteren Kontakt mit den nigerianischen Behörden, über Umwege brachte die Cobra aber in Erfahrung, dass der Entführer in Nigeria zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Analyse.

Ehrung für den erfolgreichen Einsatz in der Aeroflot-Maschine.
Ehrung für den erfolgreichen Einsatz in der Aeroflot-Maschine.
© EKO Cobra / DSE

Erst beim neuerlichen Zwischenstopp in Malta auf der Rückflugstrecke konnten die österreichischen Beamten erstmals telefonisch Meldung über ihren Einsatz beim Hauptquartier des Gendarmerieeinsatzkommandos in Wiener Neustadt erstatten. In Malta herrschte große Aufregung, da es durch eine offensichtliche Panne bei der Sicherheitskontrolle zu der Entführung gekommen war. Als der „Aeroflot“-Flug endlich wieder in Wien-Schwechat landete, wartete bereits der Kommandant des Gendarmerieeinsatzkommandos, Johannes Pechter, auf das Cobra-Team und ließ sich einen ersten Bericht geben. Dass der Zugriff, mit Ausnahme der leichten Verletzung eines Kollegen, reibungslos abgewickelt werden konnte, stieß auf Erleichterung.
Der Einsatz wurde in der Folge in der Cobra-Zentrale detailliert rekonstruiert und taktisch analysiert, um daraus Lehren für zukünftige Flugsicherungsbegleitungen ziehen zu können. Er fand auch international viel Beachtung. Dass acht Polizeibeamte aus zwei deutschsprachigen Staaten an Bord waren, erwies sich als besonderer Glücksfall, da so die Aufgaben gut aufgeteilt und professionell abgearbeitet werden konnten. „Es hat sich gezeigt, wie wichtig es bei Air-Marshal-Missionen ist, die Passagiere genau zu beobachten“, bemerkt Wegscheidler. Gerade weil man auf die Sicherheitskontrollen im Ausland keinen Einfluss habe, müsse man auffälliges Verhalten an Bord so früh wie möglich herausfiltern.

Ehrungen.

Die vier Cobra-Spezialisten erhielten nicht nur heimische Ehrenzeichen, sie wurden für die Rettung der russischen Verkehrsmaschine auch von der „Aeroflot“ und vom Innenministerium in Russland ausgezeichnet. „Obwohl der Einsatz inzwischen 25 Jahre her ist, hat er mich und meine Kollegen in der weiteren Berufslaufbahn sehr geprägt. Es war eine einmalige Erfahrung“, unterstreicht Chefinspektor Wegscheidler. „Polizeiarbeit ist Teamarbeit. Dass man sich auf einander verlassen kann, ist überall in der Polizei ein wichtiger Erfolgsfaktor.“

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2021

Druckversion des Artikels  (PDF 357 kB)