Bundesheer

Professionelle Versorgung

Jagdkommando Medical Team: Übung eines notfallchirurgischen Eingriffes in einem Black-Hawk-Hubschrauber.
Jagdkommando Medical Team: Übung eines notfallchirurgischen
Eingriffes in einem Black-Hawk-Hubschrauber.
© Jagdkommando/BMLV

Beim Jagdkommando des Bundesheeres stehen Ärzte, Pfleger und Sanitäter für hochriskante taktische Einsätze im In- und Ausland bereit.

Numquam Retro!“ – „Niemals zurück!“ lautet der Leitspruch des Jagdkommandos, der Eliteeinheit des österreichischen Bundesheeres. Sie ist in Wiener Neustadt stationiert und hält Kräfte für Einsätze in extremen Gefahrensituationen und bei schwierigen geografischen und klimatischen Bedingungen bereit. Jagdkommando-Soldaten sind dabei im Bereich der Spezialaufklärung tätig, um wichtige Informationen zu gewinnen, sie operieren in Kommandounternehmen, um etwa gefangene Militärpersonen zu befreien oder gesuchte Kriegsverbrecher zu stellen, und sie leisten militärische Unterstützung bzw. „Military Assistance“ für befreundete Nationen, zum Beispiel im Rahmen von EU-Trainingsmissionen, der „Partnership for Peace“ der NATO oder bei UN-Friedensmissionen.

Medics.

Innerhalb des Jagdkommandos werden einzelne Spezialisten zu Sanitätssoldaten („Medics“) ausgebildet. Diesen obliegt es, sich um Gesundheitsfragen innerhalb der Truppe zu kümmern und alle Angehörigen des Jagdkommandos in Grundkenntnissen der Verwundetenversorgung zu schulen.
„Jeder Soldat des Jagdkommandos muss unter Gefechtsbedingungen eine schnelle, professionelle und qualitativ hochwertige Versorgung von Verletzungen gewährleisten können – das sichert eine höhere Überlebenschance im Einsatz“, sagt Dr. Lukas Swittalek. Der Unfallchirurg, der zuvor im Milizstand des Jagdkommandos war, wechselte 2020 in den Aktivstand und ist nun für die Erarbeitung der Lehrpläne der Sanitäterausbildung verantwortlich. Permanent zum Sanitätszug des Jagdkommandos gehören neben Swittalek zwei weitere Ärzte und mehrere Sanitäter, darunter ein Vizeleutnant als „Master Medic“. „Die letzten großen militärischen Konflikte und Terroranschläge haben gezeigt, dass über 90 Prozent jener Personen, die gestorben sind, nur wenige Minuten zum Überleben hatten. Weil es immer seltener eine klare ‚Frontlinie‘ gibt und Verletzte nicht an einen Sanitätsdienst im sicheren Abstand übergeben werden können, ist eine extrem schnelle Verwundetenversorgung heute unabdingbar“, erklärt Swittalek. Bedrohungslagen seien in Einsatzgebieten nicht immer vorhersehbar, ein plötzlicher Kriegsschauplatz könne oft nicht eindeutig von sicheren, zivilen Bereichen abgegrenzt werden. Angehörige von Spezialeinsatzkräften werden daher als Sanitäter ausgebildet, direkt in die Einsatzteams eingebettet und begleiten das Geschehen als vollwertige „Operators“, um sofort reagieren zu können.

Übungsparcours im Jagdkommando-Ausbildungszentrum: Geiselnahmen-Szenario.
Übungsparcours im Jagdkommando-Ausbildungszentrum:
Geiselnahmen-Szenario. © Gregor Wenda

Mehrstufige Ausbildung.

Die Sanitätsausbildung des Jagdkommandos spiegelt internationale Vorgaben für Spezialeinsatzkräfte, etwa aus dem NATO-Bereich, wider und berücksichtigt Erfahrungen aus internationalen Einsätzen und Konflikten. Seit 2005 wurde ein Ausbildungskonzept (Sanitätsausbildung für Spezialeinsatzkräfte, kurz „SanSEK“) entwickelt, das nunmehr in drei Stufen (SanSEK I, II, III) abläuft.
Der einwöchige Basiskurs („SanSEK I“) ist für alle Angehörigen des Jagdkommandos, unabhängig von ihrer Funktion, verpflichtend vorgesehen und soll ihnen lebensrettende Sofortmaßnahmen bei den gängigsten Verletzungsmustern wie Schusswunden oder Explosionswunden nahebringen. In anderen Bereichen des Bundesheeres entspricht dieses Modul in etwa dem einwöchigen Kurs der „Erweiterten Selbst- und Kameradenhilfe“, die erforderlich ist, um Auslandseinsätze zu absolvieren. Jedes Jahr muss das Wissen im Rahmen einer eintägigen Fortbildung aufgefrischt werden.
Alle „Operators“, also in Einsatzteams eingeteilte Soldaten, müssen in der Folge einen Aufbaulehrgang, den „Operatorkurs“ („SanSEK II“), durchlaufen. In drei Wochen wird dort die erweiterte Verwundetenversorgung trainiert – bis zu einer Stunde unter taktischen Bedingungen muss ein Opfer stabilisiert werden können. Es gilt, Verletzungen zu erkennen, Vitalfunktionen zu überwachen und zu erhalten und auch komplizierte und improvisierte Evakuierungen durchzuführen. „Wir trainieren die Versorgung in fahrenden Fahrzeugen, auf Booten oder in einem Hubschrauber“, schildert Lukas Swittalek. Die Einsätze werden auch unter unwirtlichen Bedingungen wie schlechter Sicht, Regen oder eisigen Temperaturen geübt.

Die Sanitätsausbildung

Die Sanitätsausbildung des Jagdkommandos baut auf der zivilen Sanitäterausbildung als Rettungs- oder Notfallsanitäter auf. „Im Training ist uns die Nachhaltigkeit sehr wichtig“, betont Swittalek. „Wir üben und wiederholen wahnsinnig viel, es ist unerlässlich, dass sich alles automatisiert und dass immer nach einem klaren Muster vorgegangen wird. Mit Kontrollgriffen kann man zum Beispiel checken, ob man nichts vergessen hat.“ Die Fehlerquote könne durch dieses intensive Wiederholen deutlich reduziert werden. „Auf internationaler Ebene werden wir mit den sehr konsequenten Routinen in unserer Aus- und Fortbildung durchaus als Vorreiter wahrgenommen“, bemerkt Swittalek. Der „Master Medic“ in seinem Team, ein Vizeleutnant mit reichhaltiger Auslandserfahrung beim Jagdkommando, hat sich intensiv mit der Neuausrichtung der gefechtstaktischen Verwundetenversorgung beschäftigt. 2008 geriet er im Tschad unerwartet in ein Gefecht mit Rebellen, konnte sich aber unverletzt retten: „Ich habe gesehen, dass man unter diesem großen Druck nur noch anwenden kann, was man gelernt hat, aber nichts Neues mehr hinzufügen. Diese Philosophie versuchen wir jetzt bei allen Lehrgängen im Sanitätsbereich umzusetzen“, beschreibt der Unteroffizier.
Die dritte Stufe („SanSEK III“) im Ausmaß von neun Wochen ist für das Sanitätspersonal des Jagdkommandos ausgelegt und vertieft einsatzmedizinisches und taktisches Wissen. „Team Medics“, die jedem Einsatzteam von sechs Personen als vollausgebildete einsatzmedizinische Spezialisten zugewiesen sind, müssen „SanSEK III“ absolvieren, ebenso diplomierte Gesunden- und Krankenpfleger und Ärztinnen und Ärzte der Eliteeinheit. Nach positivem Abschluss des „Dreier-Kurses“ ist eine jährliche Fortbildung von zwei Wochen erforderlich. Alle „Team Medics“ sind nach der SanSEK III-Ausbildung neben ihrer Hauptfunktion als „Operators“ auch voll ausgebildete Notfallsanitäter mit Kompetenzmodulen wie dem Legen eines Venenzugangs oder der Gabe von Infusionen und müssen beim Ausfall eines Teammitglieds als „First Responders“ agieren. Gibt es mehrere Teams, in denen sich Soldaten mit SanSEK III-Ausbildung befinden, können diese aus einsatzmedizinischer Sicht unter der Führung eines „Master Medic“ oder eines Notarztes des Jagdkommandos zusammengefasst werden. „Bei größeren Einsätzen kann eine Verwundetensammelstelle eingerichtet werden und im Rahmen einer ‚Speed Triage‘ eine erste Sichtung und Selektion von Verletzten erfolgen“, erklärt Dr. Lukas Swittalek.

Ärzte und Sanitäter des Jagdkommandos stabilisieren einen Verwundeten.
Ärzte und Sanitäter des Jagd-
kommandos stabilisieren einen
Verwundeten.
© Jagdkommando/BMLV

Das Kernpersonal des Sanitätszuges

Das Kernpersonal des Sanitätszuges beim Jagdkommando ist fast permanent mit Schulungen beschäftigt: 150 bis 200 Kurstage fallen pro Jahr an, dabei durchlaufen 700 bis 900 Soldaten eine der San-Ausbildungen oder Auffrischungen. Das Ausbildungszentrum auf dem Gelände der Flugfeldkaserne in Wiener Neustadt besteht derzeit noch aus einer provisorischen Unterkunft, soll aber in der nahen Zukunft ausgebaut werden. Im aktuellen Gebäude der „Medics“ sind mehrere Szenarien aufgebaut, darunter eine Geisellage und die Bergung eines Schwerverletzten. Puppen mit speziellen Zugängen ermöglichen es beispielsweise einen Venenzugang oder Harnkatheter zu legen; spezielles Kunstblut führt dazu, dass sich die Puppen warm anfühlen. „Uns geht es um möglichst realistische Situationen. Dazu trainieren wir auch viel auf Englisch, denn unser Haupteinsatzgebiet sind Auslandseinsätze“, sagt Lukas Swittalek. „Im Bereich von SanSEK III gehen wir bei der Ausbildung dann stark in die Tiefe.“ Dabei werde etwa auch eine richtige Anamnese, also das genauen Erfassen der Situation eines Patienten, behandelt, oder die Frage, welche Medikamente gegeben werden müssten. Auch pflegerische Fertigkeiten werden vermittelt.
„Die Kooperation mit Gesundheits- und Krankenpflegern und mit Fachärzten ist dabei von großer Bedeutung.“ Das Jagdkommando kann auf medizinische Experten aus dem Milizbereich zurückgreifen. „Das sind ehemalige Soldaten, die nunmehr im Milizstand sind und hauptberuflich als Ärzte oder Pfleger arbeiten, aber im Rahmen von Waffenübungen zum Jagdkommando einberufen werden, um uns bei der Aus- und Fortbildung zu unterstützen – zum Beispiel zur Vermittlung von anästhiologischem oder traumatologischem Know-How, oder auch von Fachwissen aus anderen Bereichen wie der Zahnmedizin“, erläutert Swittalek.
Die Trainingsbedingungen werden im 3. SanSEK-Modul besonders herausfordernd: Geübt wird etwa im Gebirge, in Wäldern, Flüssen und Seen. Mögliche Szenarien inkludieren Berge- und Rettungseinsätze in einer Felswand oder die Erstversorgung eines angeschossenen Soldaten während eines geplanten Angriffs in einem Fluss. Für amphibische Einsätze verfügt das Jagdkommando über spezielle Tauchnotfallsanitäter. Bei Tauchunfällen kann eine mobile Dekompressionsanlage eingesetzt werden.

Drei Phasen.

In der militärisch-taktischen Medizin werden drei Phasen unterschieden: Die „care under fire“, wo man sich im direkten Kontakt mit dem Feind befindet und im Grunde nur Extremitätenblutungen mit einem „Tourniquet“ stoppen kann. Sobald man Abstand zum Angreifer gefunden hat, folgt die Phase der „tactical field care“, in der die Atemwege gesichert und Verwundungen versorgt werden. Die Evakuierung folgt in der dritten Phase, der „tactical evacuation care“. „Sollte diese nicht möglich sein, müssen wir unsere Medics darauf vorbereiten, auch über einen längeren Zeitraum die Versorgung zu garantieren“, beschreibt Swittalek. Im Rahmen der „prolonged field care“ versucht man, eine sichere Position zu finden und allenfalls eine geschützte Umgebung zu errichten. Etwa 24 Stunden lang sollte eine solche gesicherte Versorgung geleistet werden können. „Schon in der Vorbereitung eines Einsatzes muss man für diese verlängerte Phase, die immer einkalkuliert wird, alle möglichen Varianten mitbedenken. Die geeignete Ausrüstung ist für diese Eventualitäten unbedingt mitzuführen“, bemerkt Swittalek. Dass die umfassende „San-Versorgung“ mit eingerechnet werden muss, ist Teil des „Medical Planning“.

Sanitäter-Abzeichen des Jagdkommandos.
Sanitäter-Ab-
zeichen des Jagd-
kommandos.
© Gregor Wenda

Gefährliche Einsätze.

Bei Auslandseinsätzen wird das Jagdkommando zur Unterstützung regulärer Einheiten des Bundesheeres mit entsandt, wenn eine entsprechende Gefährdungssituation vorliegt. So wurde das Jagdkommando in den vergangenen Jahren etwa in Albanien, im Kosovo, im Tschad, in Afghanistan, in Mali, im Senegal oder in Burkina Faso eingesetzt. „In Burkina Faso wurde ein spezielles Notfallteam gebildet, in dem sich sogar Chirurgen befunden haben“, schildert Swittalek. International werde die Möglichkeit, dass österreichische Spezialeinsatzkräfte auch unmittelbar auf Chirurgen zugreifen können, aufmerksam notiert. „Das Interesse an einer Auslandsmission ist auch unter Ärzten durchaus groß, denn es bieten sich einmalige Einsatzmöglichkeiten, etwa im Dschungel oder in der Wüste, mit besonderen gefechtstechnischen Herausforderungen.“ Am 7. August 2015 gelang es österreichischen Jagdkommando-Soldaten bei einem Gefecht mit Taliban-Milizen 17 Angehörigen der US-Streitkräfte das Leben zu retten. Eine Anschlagserie in der afghanischen Hauptstadt Kabul forderte binnen 24 Stunden 51 Todesopfer. Das Camp Integrity der internationalen Friedenstruppe ISAF war eines der Ziele von Selbstmordattentätern. Drei österreichische Jagdkommando-Spezialisten sollten zu dieser Zeit die afghanische Regierung im Rahmen einer Ausbildungs- und Beratungsmission unterstützen und gerieten mitten in die Kampfhandlungen nach dem Angriff auf das Camp. Da die drei Österreicher alle über eine Sanitätsausbildung verfügten, gelang es ihnen, 17 verletzte U.S.-Soldaten zu stabilisieren und zu versorgen, bis sie mit Hubschraubern evakuiert werden konnten. Zwei der Jagdkommando-Angehörigen erhielten für ihren mutigen Einsatz die „Bronze Star Medal“, die höchste militärische Auszeichnung der USA für befreundete Nationen.

Kooperation.

Die Kontakte zwischen dem Jagdkommando und der Exekutive sind vielfältig. „Viele ehemalige Kameraden sind zur WEGA oder Cobra gegangen,“ sagt Lukas Swittalek. „Da gibt es ganz automatisch gute Verbindungen.“ Die Systematik der Tactical Combat Casualty Care (TCCC), also der Verwundetenversorgung im Gefecht, bildete den Ursprung für die Entwicklung von speziellen Systematiken im zivilen Bereich. Die Einteilung in eine heiße, eine warme und eine kalte Zone wird von Militär und Polizei gleichermaßen verwendet. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede: „Bei der Polizei steht aus verständlichen Gründen das Überwältigen des Gegners mit dem geringstmöglichen Eingriff im Mittelpunkt, etwa durch ein Niederringen“, sagt Dr. Lukas Swittalek. Im Gefechtseinsatz hingegen herrscht meistens eine höhere Eskalationsstufe. Im Herbst 2021 erhielten fünf „Medics“ des Jagdkommandos die Möglichkeit, an einem Kurs der Polizeisanitäter der WEGA teilzunehmen. Der positive Erfahrungsaustausch soll in Zukunft weiter fortgesetzt werden.

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2022

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