Pädokriminalität

Vertrauen von Kindern erschleichen

Cybergrooming: Täter holen sich die Informationen über ihre Opfer über die sozialen Medien, aus den Profilen bei Online-Spielen.
Cybergrooming: Täter holen sich die Informationen über ihre Opfer
über die sozialen Medien, aus den Profilen bei Online-Spielen.
© Fitzkes/Stock.adobe.com

Cybergrooming ist das gezielte Heranschleichen an Opfer im Netz, mit dem Ziel, Minderjährige zu missbrauchen. Was dahinter steckt und wie man sich und seine Kinder am besten schützt.

Ihr Revier ist das Internet – dessen Anonymität ihr Versteck. Ihre Opfer sind Minderjährige. Ihr Ziel – sexuelle Kontakte anzubahnen. Cybergroomer sprechen Kinder und Jugendliche an – hauptsächlich in Chatrooms und sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram in Messenger-Diensten wie WhatsApp oder auf Spieleseiten – dort, wo sich die Opfer oft anonym und sicher fühlen.

Grooming

Grooming ist eine spezielle Form der sexuellen Belästigung, die über das Betrachten pornografischer Darbietungen Minderjähriger live mittels Web-Cam bis hin zu tatsächlichem sexuellem Missbrauch führen kann. Seit Jänner 2012 ist Grooming eine gerichtlich strafbare Handlung. § 208a StGB (Anbahnung von Sexualkontakten zu Unmündigen) verbietet Cybergrooming sowie die Kontaktaufnahme allein mit sexuellen Absichten im realen Raum bei Personen unter 14 Jahren. Unter Umständen drohen bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe. Die Anzeigebereitschaft ist in letzter Zeit gestiegen: Waren es 2019 101 angezeigte Fälle, stieg die Zahl 2020 auf 142 Anzeigen. „Ich bin jedoch überzeugt, dass die Dunkelziffer viel größer ist“, sagt Ministerialrätin Mag. Petra Huber-Lintner, LL.M., Leiterin des Büros 3.2 (Allgemeine Kriminalität) des Bundeskriminalamtes. „Vor allem deshalb, weil Jugendliche heutzutage social-media-fitter und -kritischer sind und dem Täter bei seinem Versuch, sie „zu ködern“, immer öfter abblitzen lassen.“

Der Täter

Der Täter ködert sein Opfer mit Versprechungen oder indem er ihm besondere Aufmerksamkeit, Anerkennung oder einfach Zeit schenkt. „Besonders gefährdet sind jene Kinder, die sich in ihrer aktuellen Lebenssituation nach derartigen Dingen ganz besonders sehnen – etwa, weil sie keine Vertrauenspersonen oder Freunde haben, mit denen sie über ihre Wünsche, Sorgen oder Probleme reden können“, erklärt Huber-Lintner. „Beim Cybergrooming geht es den Tätern darum, zunächst das Vertrauen der Opfer zu erlangen. Dazu benötigen sie Informationen, etwa, wie alt das Kind ist, in welche Schule es geht, welche Hobbys, welche Interessen es hat, etc. Diese Informationen holen sich die Täter oft über die sozialen Medien, z. B. aus den Profilen der Kinder bei Online-Spielen, aber auch über die Facebook-Seiten der Eltern. Diese sollten überlegen, ob es gescheit ist, Kinderfotos vom letzten Badeurlaub im Netz zu posten, wenn ja, dann sollten auch Erwachsene auf die Profileinstellung achten und darauf, wer diese Informationen abgreifen kann.“
Bei Cybergrooming ist der typische Täter männlich. „Frauen sind die Ausnahme“, sagt Huber-Lintner. „2019 konnten zwei mutmaßliche Täterinnen ausgeforscht werden – von insgesamt 69 Verdächtigen. 2020 ebenfalls zwei von insgesamt 105 Tätern. Die Täter sind in allen Gesellschaftsschichten und unterschiedlichsten Altersklassen zu finden. Wir haben den 14-jährigen Schüler genauso wie den 45-jährigen Geschäftsmann. Die Zahl der Täter zwischen 14 und 18 Jahren ist von 6 (2019) auf 20 (2020) angestiegen.“
Kontaktbeschränkungen, Home-Schooling und Lockdowns haben dazu geführt, dass Kinder noch mehr Zeit mit sozialen Medien verbringen als zuvor. „Damit hat sich das Risiko, Opfer von Cybergrooming zu werden, erhöht“, sagt Huber-Lintner. „Die Folgen dieser Entwicklung werden uns noch länger beschäftigen. Denn es ist oft so, dass die Täter die Missbrauchsfotos und -Videos nicht nur für den Eigengebrauch dem Opfer abfordern, sondern das Missbrauchsmaterial über das Internet (etwa auf einschlägigen Plattformen) verteilen. Fotos und Videos, die einmal im Netz sind, lassen sich nicht mehr zurückholen oder ein für alle Male löschen. Damit besteht ein hohes Risiko einer Reviktimisierung.“

Petra Huber-Lintner: „Kinder sollten bei Kontakt mit Unbekannten im Netz ihrem Bauchgefühl vertrauen.“
Petra Huber-Lintner:
„Kinder sollten bei Kontakt
mit Unbekannten im Netz ihrem
Bauchgefühl vertrauen.“
© Armin Halm

Gefangen im Netz.

Ein Mädchen chattet mit einem Fremden im Netz: „Ist das okay, ich bin zwölf?“ „Wenn das zwischen uns ein Geheimnis bleibt, na klar.“ „Es stört dich nicht, dass ich zwölf bin?“ „Warum sollte das ein Problem sein, wenn du auf mich stehst und ich auf dich?“ Das ist eine Szene aus dem Dokumentarfilm „Gefangen im Netz“, der zeigt, wie schnell Kinder im Internet zu Opfern sexuellen Miss­brauchs werden. Er zeigt, wie Männer auf der Suche nach virtuellen sexuellen Kontakten mit Mädchen vorgehen und wie sie von ihnen Nacktfotos und persönliche Treffen fordern. Der Film, gestaltet von zwei tschechischen Dokumentarfilmern, ist eine Art Experiment, das zeigen soll, welchen Gefahren Kinder online ausgesetzt sind. Er ist inszeniert und dokumentiert von einem Filmteam, begleitet von Juristen, Psychologen und der tschechischen Polizei. Drei erwachsene, aber sehr jung aussehende Schauspielerinnen geben sich in sozialen Netzwerken als zwölfjährige Mädchen aus. Zehn Tage lang gehen sie mit Fake-Profilen in eigens gebauten Jugendzimmern online. Rund 2.500 Männer, im Film sind sie unkenntlich gemacht, kontaktieren die jungen Frauen. Mit 21 Männern finden auch echte Treffen statt. Die Schauspielerinnen werden dabei von einem versteckten Kamera-Team begleitet.
Zusätzlich zum Kinofilm gibt es eine Schulversion der Dokumentation, sie soll im Rahmen von „Safer-Internet“-Workshops in österreichischen Schulen gezeigt werden. „Das finde ich gut, denn es trägt dazu bei, die Kinder zu sensibilisieren“, sagt Huber-Lintner. „Je mehr Kinder die Masche der Täter durchschauen und bei einem merkwürdigen Bauchgefühl ein klares „Nein – bis hierher und nicht weiter“ kommunizieren, umso schwerer haben es die Täter. Darüber hinaus kann ich mir gut vorstellen, dass Kinder, die bereits Opfer wurden und sich aus Scham bislang nicht getraut haben, den Missbrauch zu melden, durch den Film erfahren, dass sie erstens mit ihrem Schicksal nicht alleine sind und zweitens nicht sie die Schuldigen sind und es völlig okay ist, darüber zu reden.“

Prävention.

„Das Allerwichtigste ist, dass die Eltern ihre Kinder hinsichtlich der möglichen Gefahren, die im Internet lauern, sensibilisieren“, sagt die Expertin des Bundeskriminalamts. „Die Kinder sollen wissen, dass sich hinter dem Nickname und Profilnamen nicht immer die Person verbirgt, die diese vorgibt zu sein, und, dass nicht jeder „Friend“ wirklich ein Freund ist. Es gibt zwei Grundregeln, die – wenn man sie beachtet – dazu beitragen, das Risiko, Opfer von Cybergrooming zu werden, wesentlich reduzieren: 1. Höre auf dein Bauchgefühl. Wenn Dir jemand im Netz komisch kommt, dann ist es völlig okay, nein zu sagen und den Kontakt abzubrechen. In einem solchen Fall müssen sich die Kinder sicher sein können, dass sie sich ihren Eltern anvertrauen können. 2. Geiz ist geil – zumindest was die Weitergabe persönlicher Informationen und Bilder anbelangt. Gib auf Plattformen und in sozialen Medien – ohne zwingenden Grund – nur die Dinge von Dir preis, die du ohne Bedenken auch an die Eingangstür deiner Wohnung anschlagen würdest.“ Ein gesundes Misstrauen ist im Internet angeraten.
„Durchschaut das Kind die Masche und widersetzt sich, so lässt der Täter in der Regel von seinem Opfer ab und sucht sich das nächste“, erklärt Huber-Lintner. „Oft reicht es, wenn das Kind dem Groomer klipp und klar sagt ,Ich möchte das nicht‘, oder: ,Das, was du hier machst, ist verboten‘.“

Kindersicherheit im Netz.

Eltern sollten sich für die neuen Medien interessieren und dem Kind erklären, wie soziale Netze, Chat räume etc. funktionieren.
Eltern sollten sich für die neuen Medien interessieren und dem
Kind erklären, wie soziale Netze, Chat räume etc. funktionieren.
© Pixel-Shot/Stock.adobe.com

Bei digitalem Kinderschutz geht es nicht nur um „Sicherheit by Design“ sondern auch um die Medienkompetenz der Kinder. Hier bietet das Innenministerium Präventionstipps und Jugendprogramme. Im Rahmen des Projekts „Cyber.Sicher“ informieren Präventionsbedienstete, wie man sich vor Computer- und Internetkriminalität schützen kann.
Ziel ist es, die Handlungssicherheit im Internet und den digitalen Medien zu steigern. In Einzelberatungen oder Vorträgen wird der Basisschutz für internetfähige Geräte im täglichen Gebrauch erklärt. Darüber hinaus wird auf die Gefahren im Internet und Trends im Netz hingewiesen. Soziale Netzwerke und Kindersicherheit werden ebenso erklärt wie die notwendigen Maßnahmen, die bei einem Schadensfall zu setzen sind. Das Bundeskriminalamt setzt im Speziellen auf Kampagnen und mediale Berichterstattung über Cybergrooming über Facebook. „Das BMI ist bemüht, das Präventionsangebot in diesem Bereich laufend zu verbessern und zu erweitern“, sagt Huber-Lintner. „Dazu wurde 2019 mit der Schulung von Präventionsbediensteten begonnen. Inhalte der Schulung sind: Cybergrooming, Cybermobbing und Cyberstalking, richtiger Umgang mit neuen Medien, Gefahren im Internet, Themenbereich: Social Media, Spiele im Internet. Darüber hinaus wird das Thema regelmäßig in Elternabenden in Schulen von Präventionsbediensteten der Polizei angesprochen.“

Chats dokumentieren.

Wie lässt sich die kriminelle Absicht eines Groomers erkennen? „Ein Groomer wird am Anfang versuchen, eine gute, heißt, vertrauensvolle Gesprächsbasis aufzubauen“, erklärt die Expertin. „Gemeinsame Bekannte oder gemeinsame Interessen sind ein guter Ausgangspunkt. Hellhörig sollte man werden, wenn es zu viel des Guten an Gemeinsamkeiten gibt. Misstrauen ist auch angebracht, wenn das Gegenüber einen Videochat einfordert und selbst nicht bereit ist, die Webcam aufzudrehen oder, wenn das Gegenüber fordert, dass die „Freundschaft“ ein Geheimnis zwischen ihm und dem Kind bleiben soll. Ganz klar werden die kriminellen Absichten, wenn diese Forderung durch entsprechende Drohungen untermauert wird.“

Die Polizei

Die Polizei muss dem Täter die Anbahnung und – bei einem geplanten persönlichen Treffen – die Vorbereitungshandlungen nachweisen können, was oft schwierig ist. „Da ist es hilfreich, wenn die Anbahnung, also der Chatverkehr, gut dokumentiert ist“, sagt Huber-Lintner. „Screenshots anfertigen und Mailverkehr abspeichern. Hilfreich ist auch ein Protokoll über die Kontaktaufnahmen zu Zeitpunkt, Medium, Kontaktdaten des Täters etc. Wenn das Kind bereits Opfer von Cybergrooming geworden ist, sollen die Eltern gemeinsam mit dem Kind alle verfügbaren Informationen sammeln und bei der nächsten Polizeiinspektion Anzeige erstatten.“

Julia Brunhofer/Herbert Zwickl

Kriminalprävention

Schutz vor Cybergrooming

  • Kinder und Jugendliche sollten darauf vorbereitet werden, dass der Gesprächspartner im Internet oft nicht der ist, für den er sich ausgibt. Keiner weiß, wer sich hinter Benutzernamen wie „cool15“ oder „sportlich16“ versteckt.
  • Eltern sollten sich für die neuen Medien interessieren und dem Kind erklären, wie soziale Netzwerke, Charäume etc. funktionieren. Wo es mögliche Gefahren gibt?
  • Wenn Eltern über die Umgangsweise in Chaträumen Bescheid wissen, gelten sie für ihre Kinder eher als Ansprechperson, um über belas­tende Erfahrungen im Netz zu reden.
  • Welche Bilder werden ins Netz gestellt? Erotische Fotos können Auslöser für Grooming, Cybermobbing oder Erpressung sein.
  • Sicherheitseinstellungen des Computers überprüfen. Auch Virenschutzprogramme bieten keinen hundertprozentigen Schutz.
  • Verbale sexuelle Belästigung sollen Kinder und Jugendliche mit einem klaren Nein beenden. Das muss jedoch geübt werden.
  • Mädchen und Burschen sollten wissen, welches Verhalten das Risiko einer sexuellen Ausbeutung erhöht und was sie auf jeden Fall unterlassen sollten – wie etwa Informationen über die eigene Identität zu geben, erotische Fotos zu veröffentlichen und sich mit nicht persönlich bekannten Chatfreunden ohne Begleitung von Erwachsenen zu treffen.

Kontakt. Die Spezialisten der Kriminalprävention stehen kostenlos und österreichweit unter der Telefonnummer 059133 zur Verfügung.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2022

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