Polizeichor Wien

Verstummte Sänger

Polizeichor Wien: Auflösung im 120. Jahr des Bestehens.
Polizeichor Wien: Auflösung im 120. Jahr des Bestehens.
© Polizeichor Wien

1901 wurde der Wiener Polizeichor gegründet. Wegen Nachwuchsmangel, der Covid-19-Pandemie und anderer Probleme löste sich der traditionsreiche Gesangsverein nach 120 Jahren freiwillig auf.

Amtsdirektor Andreas Schreiner, Vorstand des Polizeichores Wien, sah sich gezwungen, am 5. November 2021 bei der Vereinsbehörde der Landespolizeidirektion Wien die Auflösung des Wiener Polizeichors anzuzeigen. Damit endete die 120-jährige Geschichte einer traditionsreichen Sängervereinigung der Polizei. Schon längere Zeit gab es Nachwuchsprobleme, der Polizeichor überalterte und die drastischen Einschränkungen infolge der Covid-19-Pandemie führten zum Erliegen der Vereinstätigkeit. Das 120-jährige Bestandsjubiläum konnte nicht mehr gefeiert werden.
Der Wiener Polizeichor wurde 1901 vom Sicherheitswacheinspektor Anton Angerer als „Gesangverein der k. k. Sicherheitswache in Wien“ gegründet. Chorleiter war Daniel Willas, ihm folgte 1904 Regierungsrat Prof. Josef Obermayer. Die ersten Proben wurden staatspolizeilich überwacht, da der Zusammenschluss mehrerer Personen zu einem Verein als möglicherweise staatsgefährdend angesehen wurde. Die Staatsschützer waren bald überzeugt, dass von den singenden Polizisten keine besondere Gefahr für die Staatssicherheit ausging.
Allerdings bedeutete das Zwei-Gruppen-Dienstsystem der Wiener Sicherheitswache mit 24 Stunden Hauptdienst und 24 Stunden Bereitschaftsdienst ein Problem: Hatten die Polizisten der Dienstgruppe A frei, mussten ihre Kollegen von der Dienstgruppe B Dienst versehen und umgekehrt. An den Gesangsproben konnten daher nur Polizisten einer Dienstgruppe teilnehmen. Deshalb gründeten die Sicherheitswacheinspektoren Johann Fuchs und Karl Geschina mit einigen Kollegen 1902 den „Sängerbund Frohe Laune der k. k. Sicherheitswache“ in Wien. Vereinszweck war „die Pflege und Hebung des deutschen Gesanges im Besonderen, die Verbreitung musikalischer Bildung im Allgemeinen“.
1909 wurde die Musikkapelle der k. k. Sicherheitswache gegründet. Ihren ersten Auftritt hatte die Polizeimusik beim Familienfest des Sängerbunds „Frohe Laune“.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es keine öffentlichen Auftritte mehr, ein Teil der Sänger musste an die Front. Am 3. Februar 1916 hielt der Sängerbund seine letzte Generalversammlung ab.

„Gesangverein der Sicherheitswache in Wien“.

Bald nach dem Ersten Weltkrieg formierten sich die Wiener Polizeisänger neu: Am 1. Oktober 1919 trafen 70 Mitglieder beider Polizeichöre zur gemeinsamen Generalversammlung zusammen. Die Klubs vereinigten sich zum „Gesangverein der Sicherheitswache in Wien“. Ein gleichzeitiges Proben von Sängern verschiedener Dienstgruppen war nun möglich, denn mit der Reform der Exekutive in der neuen Republik Österreich wurde 1919 ein dreiteiliges Dienstzeitsystem eingeführt. Der alte Wahlspruch des Sängerbunds wurde im neuen Gesangsverein beibehalten: „In freier Stunde ein heller Sang, schlingt um uns ein festes Band.“ Erster Vorstand wurde Johann Fuchs. Der Verein hatte über 100 aktive Mitglieder, Chormeister war Prof. Josef Obermayer.

„Schmelzer Lercherln“ & Co.

Die Sangesfreude war in der Zwischenkriegszeit groß: 1922 gab es zwei weitere Polizeichöre in Wien – den „Gesangsverein Treue Wacht“ in Wien-Leopoldstadt und den „Gesangverein der Sicherheitswache Wien-West“ („Schmelzer Lercherln“) im 15. Bezirk. Auch die Kriminalbeamten hatten einen Chor, die „Sängerrunde der Kriminalbeamten“, aus dem sich später der „Männerchor der Wiener Kriminalbeamten“ bildete. 1928 hatte der „Gesangverein der Sicherheitswache“ über 208 Polizeisänger und 194 unterstützende Mitglieder.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Österreich 1938 wurden die Polizei-Gesangvereine aufgelöst und das Vereinsvermögen wurde eingezogen.

Neugründung 1946.

Ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten Johann Krenn und Josef Ströbinger den Polizeigesangverein neu. Chormeister wurde Josef Drexler, der auch das Bohéme-Quartett gründete. Seit 1959 lautet der Vereinsname „Polizeichor Wien“. Ab 1961 leitete Gruppeninspektor Otto Altenburger den Chor. Sein Nachfolger wurde Prof. Günther Ambros.
Die Polizeisänger wurden bei vielen Auftritten von Gästen und Ehrenmitgliedern verstärkt, unter ihnen Kammersängerin Lieselotte Maikl und Lotte Rysanek, Heinz Zednik, Alfred Dallapozza, Karl Terkal und Irma Richter. Der Polizeichor trat auch gemeinsam mit den „Polizeischrammeln“ auf, die von Otto Kwartic (Violine), Robert Klaer (Akkordeon, Gesang) und Viktor Hink (Gitarre) gebildet wurden. Einer der Höhepunkte des Polizeichors war der Auftritt beim „Musikantenstadl“ 1988 in Hollabrunn. Von 1993 bis 1995 bestand beim Polizeichor auch ein Frauenchor. Geprobt wurde im Bildungszentrum Wien in der Marokkanerkaserne.
In den letzten Jahren gab es Schwierigkeiten, junge Sängerinnen und Sänger bei der Polizei zu finden. Die Maßnahmen im Zuge der Covid-19-Pandemie verhinderten regelmäßige Proben. Deshalb verstummte der „Polizeichor“ fast 120 Jahre nach seiner Gründung. Archivalien des Gesangsvereins, wie Fahnen, Dokumente, Notenbände und Bilder wurden dem Polizeimuseum Wien in der Marokkanerkaserne übergeben.

Stimmen aus Kärnten.

Während es in den Landespolizeidirektionen Musikkapellen gibt, wird nach der Auflösung des Polizeichors Wien innerhalb der Bundespolizei nur mehr in Kärnten gesungen. Der Polizeichor der Landespolizeidirektion Kärnten ist der einzige „Dienstchor“ in der Bundespolizei. Er wurde nach der großen Polizeireform 2005 aus dem 1922 gegründeten Gendarmeriechor gebildet; Chorleiter ist seit 2001 Ernst Pollheimer.
Seit 2008 gibt es die „Stimmen der Polizei Klagenfurt“. Sänger des ehemaligen „Polizeichors Klagenfurt“ schlossen sich zu dieser Formation zusammen. Die „Stimmen“ bestehen aus elf Sängern. Musikalischer Leiter ist seit 2014 Christian J. Tschemernig – als Nachfolger von Oberstudienrat Prof. Heinz Türk. Neben Kärntner Liedern gehören das klassische Liedgut und internationale Lieder zum Repertoire. Die „Stimmen der Polizei Klagenfurt“ treten in verschiedenen Formationen auf – vom Quartett bis zum Gesamtchor.
Der Villacher Polizeichor feiert heuer sein 40-jähriges Bestehen. Er wurde im Jänner 1982 von Mitarbeitern der Bundespolizeidirektion Villach gegründet – ursprünglich als Sektion „Chorsingen“ im Polizeisportverein Villach und seit 1987 als Verein „Polizeichor Villach“. Chorleiter ist seit Mai 2007 Hannes Mikl-Petschnig.
In Deutschland gibt es über 70 Polizeichöre.

W. S.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2022

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