Räumliche Kriminalanalyse

Kriminalitätshotspots erkennen

Proportionale Punktekarte: Je größer der Punkt, desto mehr vorher definierte) Straftaten sind bei einer Adresse vorzufinden.
Proportionale Punktekarte: Je größer der Punkt, desto mehr
(vorher definierte) Straftaten sind bei einer Adresse vorzufinden.
© Bundeskriminalamt

Geoinformationen und polizeiliche Daten können wichtige Erkenntnisse für die Verbrechensbekämpfung liefern. Seit 2021 setzt das Bundeskriminalamt auf die geografische Fallanalyse.

Welches Haus ist attraktiver für Einbrecher – das Haus in der Sackgasse oder an der Straßenkreuzung? Welche Straßenzüge sind besonders häufig von Raubdelikten oder Dämmerungseinbrüchen betroffen? Gibt es räumliche Veränderungen innerhalb einer Zeitperiode oder schlagen Serientäter wiederholt an denselben Orten zu?

Zahlen und Daten

Zahlen und Daten sind das tägliche Brot der Kriminalanalyse. Im Büro 4.5 für räumliche Kriminalanalyse und Geographic Profiling des Bundeskriminalamtes gehen die Expertinnen und Experten einen Schritt weiter und beschäftigen sich mit den Zusammenhängen zwischen der Örtlichkeit beziehungsweise der Lage und der Kriminalität beziehungsweise den polizeilichen Aktivitäten. Dafür ziehen die sieben Expertinnen und Experten des Fachbereichs unter der Leitung von Jacques Huberty die Methoden und Techniken der Kartographie und der Geoinformatik zur Analyse der Daten heran.

Crime Mapping.

Der Tatort ist in der Regel an einer bestimmten Örtlichkeit zu finden und hat daher einen geografischen beziehungsweise räumlichen Bezug in Form einer Adresse oder Koordinaten. Um die Verbrechen zu verorten und auf einer Karte zu visualisieren, kommt das sogenannte „Crime Mapping“ zum Einsatz. Die „Crime Map“ ist eine Karte, die die Kriminalität innerhalb eines festgelegten Gebietes und vordefinierten Periode darstellt. In dieser sind nicht nur ausgewählte Straftaten verzeichnet, sondern auch „Points of Interests“ (POI), wie Banken, Schulen, Polizeidienststellen, Tankstellen und Lokale.

Geografisches Informationssystem (GIS).

Das GIS ist das grundlegende Werkzeug des „Crime Mappings“, mit dessen Hilfe die verschiedenen Datensätze, wie beispielsweise soziodemografische Daten, Tatorte, Funde von Waffen oder Spuren sowie POIs in Form von Layern (Ebenen, Schichten) übereinandergelegt und visualisiert werden können. Dadurch gelingt es den räumlichen Kriminalanalytikerinnen und -analytikern des Bundeskriminalamtes Kriminalitätshotspots effizienter zu erkennen sowie Trends und Muster zu berechnen. Besonders im Bereich des Dämmerungseinbruchs können die Polizistinnen und Polizisten so in ihrem Einsatzgebiet vermehrt auf Präventions- und Aufklärungsarbeit setzen, sollte ein Hotspot auftauchen. Zu diesem Zwecke wurde die Geoapplikation „DWE-Infoboard“ entwickelt, in der nicht nur alle relevanten Daten gespeichert und grafisch aufbereitet sind, sondern den Polizistinnen und Polizisten ein tagesaktuelles Lagebild bietet. Die Daten stammen nicht nur aus einer Quelle, einbezogen werden Zahlen des Sicherheitsmonitors (SIMO), der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), der verschiedenen Lageberichte zu Falschgeld, Taschendiebstahl, Kfz-Entfremdung, Schlepperei oder Raub sowie aus den Analysearbeitsdatenbanken (AADB) Factotum, um zu unterschiedlichen (deliktspezifischen) Fragestellungen einen umfassenden Überblick zu ermöglichen. Des Weiteren können die Expertinnen und Experten ihre Daten auch direkt von den Kriminalbeamtinnen und -beamten erhalten. Darunter fallen Ortungs-, Navi- oder Rufdaten beziehungsweise Informationen aus Handyauslesungen.

Auswertung und 3D-Darstellung von Schlepper-Routen.
Auswertung und 3D-Darstellung von Schlepper-Routen
© Bundeskriminalamt

Geografische Fallanalyse.

Eine weitere besondere Art der Analyse ist die geografische Fallanalyse und stellt bei Seriendelikten, also ab fünf Delikten, eine ergänzende Fahndungs- und Ermittlungsmethode dar. „Bei dieser Methode wird die geografische Lage der Tatorte analysiert, um anschließend das wahrscheinlichste Gebiet zu bestimmen, in dem der Täter seinen sogenannten ,Ankerpunkt‘ (Ausgangspunkt) hat“, erklärt Büroleiter Huberty.
Diese Vorgehensweise erleichtert den Kriminalbeamtinnen und -beamten nicht nur die Priorisierung von Verdächtigen, sondern gestaltet auch die Nutzung von Fallinformationen effizienter und erweitert Ermittlungsstrategien. „Wichtig zu betonen ist, dass ein geografisches Profil mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet und nicht mit Sicherheiten, daher muss es als ein Werkzeug verstanden werden. Ein Geoprofil allein klärt noch keine Straftaten auf. Es bedarf zusätzlicher Ermittlungen der Beamten“, betont Huberty.

Ausbildung.

Die geografische Fall­analyse kommt in Österreich seit 2021 zum Einsatz. Das Austrian Geographic Profiling Analysis-Team (AGPA) wurde Anfang Oktober 2021 in einer zweiwöchigen Schulung von Dr. Spencer Chainey, außerordentlicher Professor für Sicherheits- und Kriminalwissenschaften am University College London, ausgebildet. Neun Analytikerinnen und Analytiker, fünf vom Bundeskriminalamt und vier aus den Landeskriminalämtern Oberösterreich, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg, nahmen daran teil. Nach zwei Prüfungen und einer praxisbezogenen Fallbearbeitung sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab Februar 2022 zertifizierte Geographic Profiler. Sollten Ermittlerinnen und Ermittler eine geografische Fall­analyse als Unterstützung anfordern, können sie per E-Mail (BMI-II-BK-4-5-Geographic-Profiling@bmi.gv.at) ihre Anfrage richten.

Die Grundlage

Die Grundlage für die geografische Fallanalyse bilden verschiedene Forschungsergebnisse aus der Verhaltensgeografie und der Umweltkriminologie. Kriminelle wählen ihr Ziel in der Regel nicht zufällig aus, sondern agieren in ihrer Wohlfühlzone, in der sie ihrer täglichen Routine nachgehen. Das kann der Einkaufsweg, der Weg zu Familie, Freunden, Partnerin oder Partner sein, der Arbeitsweg oder auch die häufig genutzte Sportroute. Die besuchten Orte und die Wege dazwischen bilden den Aktivitätsraum. Kriminelle begehen zumeist in diesem Aktivitätsraum die Straftaten, da sie die Umgebung und die Örtlichkeiten genau kennen.
Mit der geografischen Fallanalyse ist es bei Seriendelikten durch Analyse der geografischen Lage der Tatorte möglich, den wahrscheinlichen Ankerpunkt des Täters zu ermitteln. Häufig ist er bei der eigenen Wohnung zu finden, seltener ist es der Arbeitsort, die Wohnung der Eltern oder der Partnerin beziehungsweise des Partners sowie das Stammlokal oder dergleichen. Obdachlose Täter oder Nomaden haben daher keinen wirklichen Ankerpunkt.

Anwendungsbereiche.

Dichtekarte: Visualisierung der räumlichen Zu- und Abnahme von Straftaten in einem bestimmten Bereich.
Dichtekarte: Visualisierung der räumlichen Zu- und
Abnahme von Straftaten in einem bestimmten Bereich.
© Bundeskriminalamt

Nicht alle Tatserien sind für die Erstellung eines geografischen Profils geeignet, weshalb sich die räumliche Kriminalanalytikerin oder -analytiker im Vorfeld die Frage stellen muss, ob der Fall mit dieser Methode bearbeitet werden kann. Entscheidende Faktoren sind neben der Deliktsart auch die Menge und Streuung der Zielobjekte oder potenzielle Opfer eines bestimmten Gebietes. Daher sind Betrugsdelikte, wie Internet- oder Enkeltrickbetrug sowie Gewaltdelikte gegen Prostituierte auf der Straße wegen des fehlenden geografischen Bezugs ungeeignet, da sich die Opfer zumeist in einem abgegrenzten Gebiet befinden. Ebenso, wenn der Täter beispielsweise nur an ganz bestimmten Örtlichkeiten, wie in Schwimmbädern, strafbare Handlungen setzt.
Delikte, wie Brandstiftungen, Wohnungseinbrüche, Fahrzeugdiebstähle, Raubüberfälle oder Vergewaltigungen eignen sich hingegen sehr gut für die geografische Fallanalyse. Diese Art der Analyse beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Erstellung eines Geoprofils, sondern es werden auch die Tatzeiten, Intervalle und die Umgebung der Tatorte analysiert. Dadurch ergeben sich mitunter oft Ansätze darüber, wie die Täter an die Tatorte gelangt sind oder auch, ob der Täter erwerbstätig ist oder nicht. Eine Garantie, dass der Täter in dem Kernbereich des Geoprofils anzufinden ist, gibt es jedoch nicht.

Szenarienerstellung.

Da der Algorithmus keine Vorauswahl der Parameter treffen kann, muss die Analytikerin oder der Analytiker sich zudem die Fragen stellen, welche Straftaten einer Serie beziehungsweise welche sonstigen Informationen, wie Fundort von Sachen des Opfers, beispielsweise Kleidungsstücke, sie oder er mit in die Berechnung aufgenommen werden sollen. Dafür muss sich die Expertin oder der Experte mit den Fällen genau auseinandersetzen und die geografischen Gegebenheiten beachten. Um sich dafür ein genaues Bild machen zu können, wird der Tatort vorzugsweise persönlich oder per Google Street-View erkundet.

Visualisierungsmöglichkeiten.

Um einen besseren Überblick über die große Menge an Daten zu erlangen, können Peiler- und Rufdaten auch so dargestellt werden, dass Zusammenhänge oder Besonderheiten schneller erkannt werden. Dies erreichen die Analytikerinnen und Analytiker durch Punktkarten, Kartendarstellungen mit proportionalen Symbolen oder Pufferzonen, Choroplethenkarten oder Flächenkartogrammen, Dichtekarten, Density-Change-Karten, Tracking-Analysen oder eine 3D-Darstellung mithilfe einer raumbezogenen Analysesoftware, die es ermöglicht, 2D-Kartendarstellungen mit Zeitdaten zu einer 3D-Darstellung zu verknüpfen. Durch diese Software können etwa Kommunikations- oder Navigationsdaten visualisiert werden, um Bewegungsprofile sichtbar zu machen, die vor allem hinsichtlich der Schlepperkriminalität von Relevanz sind.

Webapplikationen.

Neben den Analysen diverser Daten fällt auch die Erstellung und Betreuung verschiedener Webapplikationen in das Aufgabengebiet des Büros für räumliche Kriminalanalyse. Nicht nur die DWE-Infoboard wird von den Expertinnen und Experten als wertvolles Tool angeboten, sondern auch das Covid-19-Dashboard, das Lagebild ÖBB oder auch der Kriminalitätsatlas, der für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter des Bundesminis­teriums für Inneres zugänglich ist.

Der Kriminalitätsatlas

Der Kriminalitätsatlas wird in neuer und verbesserter Form veröffentlicht, wodurch die Beamtinnen und Beamten einen intuitiveren und erweiterten Überblick über das Kriminalitätsgeschehen in Österreich mit zusätzlichen Funktionen erhalten werden. Zudem sollen die österreichweiten Videoüberwachungszonen ebenfalls als Infoboard in einer Webapplikation aufbereitet werden.

Romana Tofan

Cybercrime-Competence-Center

Vorstellung der neuen Büros für das C4: Andreas Holzer, Karl Nehammer.
Vorstellung der neuen Büros für das C4:
Andreas Holzer, Karl Nehammer.
© Karl Schober

Neue Büros, neue Abteilung

Innenminister Karl Nehammer und der Direktor des Bundeskriminalamtes General Andreas Holzer eröffneten am 9. November 2021 die neuen Büroräume des Cybercrime-Competence-Centers (C4) im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Auf zwei Stockwerken mit 3.600 Quadratmetern haben mehr als 120 Expertinnen und Experten Platz. Neue Werkstätten bieten IT-Forensikerinnen und -Forensikern den Platz und die Ausstattung, um Beweismittel auszuwerten. Zudem ermöglichen flexiblere Raumverbünde eine einfachere Zusammenarbeit der einzelnen Fachbereiche. Neben den neuen Räumlichkeiten erhält das C4 zudem den Status einer Abteilung. Die neue Abteilung 5 des Bundeskriminalamtes wird sich inhaltlich breiter ausrichten. Das digitale Beweismittelmanagement zur technischen Aufbereitung sichergestellter digitaler Beweismittel wird einen der Schwerpunkte einnehmen. Ein weiterer wichtiger Punkt wird die Zusammenarbeit mit Social Media und den Online-Providern sein, die zentral für alle Polizeidienststellen im C4 gebündelt werden sollen. Um die Kriminalpolizei vor Ort bestmöglich unterstützen zu können, werden spezialisierte Ermittlungsteams, wie beispielsweise im Bereich Darknet oder Ermittlungen mit Kryptowährungen, zum Einsatz kommen. Sie sollen Massenphänomene zentral bearbeiten. Ebenso soll die IT-Forensik im Bereich mobilen Forensik, Elektronik, automotive IT und Internet of Things gestärkt werden.

Mitarbeit im C4. Das C4 sucht Polizistinnen und Polizisten, die Interesse an einer Mitarbeit haben. Informationen erhält man per Anfrage an BMI-II-BK-5-2@bmi.gv.at.

Romana Tofan


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2022

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