Judikatur

Zivil- und Strafrecht 

Haftung für Verfolgungsschäden: Laut einer OGH-Entscheidung wurde einem Polizisten Schadenersatz zugesprochen, weil er sich bei der Verfolgung eines Verdächtigen verletzt hatte.
Haftung für Verfolgungsschäden: Laut einer OGH-Entscheidung
wurde einem Polizisten Schadenersatz zugesprochen, weil er
sich bei der Verfolgung eines Verdächtigen verletzt hatte.
© Gerd Pachauer

Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu den Themen „Haftung für Verfolgungsschäden“ und „Qualifikation von Polizeifahrzeugen als kritische Infrastruktur“.

Der Kläger, ein im Einsatz befindlicher Polizeibeamter, und dessen Kollege unterzogen am 6. April 2020 um etwa 20 Uhr – somit nach Dämmerungseinbruch – drei Personen, darunter den Beklagten, einer Identitätsfeststellung gemäß § 35 VStG und, nachdem dem Kläger ein Päckchen Cannabis in unmittelbarer Nähe des Beklagten aufgefallen war, auch einer Personendurchsuchung gemäß § 119 StPO.

Anlass der Identitätsfeststellung

Anlass der Identitätsfeststellung war gewesen, dass die drei Personen sich entgegen der zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie angeordneten „Ausgangssperre“ im Freien aufgehalten hatten. Nachdem der Beklagte die Personendurchsuchung anfangs noch geduldet hatte, riss er sich plötzlich los und lief über eine Gebüschzeile, eine Wiese, eine asphaltierte Straße und schließlich eine Schotterstraße davon. Der Kläger eilte ihm umgehend nach, übersah jedoch auf der Schotterstraße – 150 bis 200 Meter vom Ort der Personendurchsuchung entfernt – eine Bodenvertiefung und stürzte, wodurch er sich eine Verletzung unbestimmten Grades zuzog. Er begehrte vom Beklagten den Ersatz des aus dem Sturz unmittelbar resultierenden Schadens und die Feststellung, dass der Beklagte für allfällige zukünftige damit verbundene Schäden hafte.

Das Urteil

Das Urteil des LG Salzburg, das der Klage dem Grunde nach stattgab und gegen das der Beklagte Berufung erhob, wurde vom OLG Linz aufgehoben. Der OGH gab der gegen dieses Berufungsurteil erhobenen Revision des Klägers jedoch statt und stellte das Urteil des LG Salzburg wieder her. 

Aus der Begründung:

Die Beurteilung, ob die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes – hier: des Rechts auf körperliche Unversehrtheit – rechtswidrig ist und daher zum Schadenersatz verpflichten kann, ist Gegenstand einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall.
In dieser Interessenabwägung ist unter anderem zu würdigen, welches Verhalten dem Schädiger zumutbar gewesen wäre, ob sein Verhalten den letztlich eingetretenen Schaden (ex ante) herbeizuführen geeignet war, ob er für den Geschädigten eine erhöhte, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefahrenlage geschaffen hat und welcher Stellenwert dem verletzten Rechtsgut an sich zukommt. Dies gilt auch für die hier zu prüfende Schadenersatzpflicht wegen sogenannter Verfolgungsschäden.
Da unmittelbar beim Beklagten ein Päckchen Cannabis gefunden worden war, konnte der Kläger mit Grund davon ausgehen, dass jener eine Straftat begangen hatte; der Beklagte hat mit seiner Flucht die Verfolgung durch den Kläger, zu der dieser als im Einsatz befindlicher Polizeibeamter berechtigt war, provoziert.
Die Flucht war für den Kläger überraschend, weil der Beklagte an der Personendurchsuchung anfangs noch mitgewirkt hatte. Sie führte zudem auf kurzer Dis­tanz und bei schlechter Sicht (Dämmerung) über wechselndes und unebenes Terrain. In mehrfacher Hinsicht hat der Beklagte für den Kläger daher eine erhöhte Gefahrenlage geschaffen, und dies musste ihm auch bewusst sein.
Entgegen der von bestehender Rechtsprechung des OGH abweichenden Ansicht des OLG Linz, im Sturz des Klägers habe sich bloß das dem Laufen auf einer Schotterstraße innewohnende „allgemeine Lebensrisiko“ verwirklicht, ist es daher geboten, das Verletzungsrisiko auf den Beklagten zu überwälzen, ihn also zivilrechtlich zum Ersatz des von dem Sturz herrührenden Schadens zu verpflichten. Dies hat das LG Salzburg zutreffend entschieden, weshalb dessen Urteil in Stattgabe der Revision wiederherzustellen war.

(OGH 1 Ob 158/21y, 7.9. 2021)


Polizeifahrzeug als „kritische Infrastruktur“

Polizeiliche Einsatzfahrzeuge sind wesentliche Bestandteile der kritischen Infrastruktur.
Polizeiliche Einsatzfahrzeuge sind wesentliche Bestandteile
der kritischen Infrastruktur. © Gerd Pachauer

Am 3. August 2021 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht den Angeklagten unter anderem wegen versuchter vorsätzlicher Gemeingefährdung, versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, teils vollendeter und teils versuchter schwerer Körperverletzung sowie schwerer Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Angeklagte am 5. April 2021 alkoholisiert und mit stark überhöhter Geschwindigkeit im Stadtgebiet von Wien unterwegs gewesen war. Dabei hatte er zunächst in unmittelbarer Nähe mehrerer Personen einen Schutzweg und danach unter anderem mehrere Sperrlinien überfahren, woraufhin er mit einem Streifenfahrzeug der Landespolizeidirektion Wien kollidiert war. Dessen Lenkerin erlitt dabei eine Prellung am rechten Knie sowie eine Zerrung der Lendenwirbelsäule, und an dem Fahrzeug entstand ein Sachschaden von knapp 20.000 Euro.
Der Angeklagte erhob gegen das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde und führte darin unter anderem aus, das Schöffengericht habe zu seinem Tatvorsatz widersprüchliche bzw. mangelhafte Feststellungen getroffen (Mängelrüge, § 281 Abs. 1 Z 5 StPO); außerdem habe es das materielle Strafrecht falsch angewendet, insbesondere weil es sich mit seiner Annahme, der Angeklagte habe eine Gefahr für Leib und Leben einer „größeren Zahl von Menschen“ herbeizuführen versucht, zum festgestellten Sachverhalt in Widerspruch gesetzt und ihn dadurch zu Unrecht wegen versuchter vorsätzlicher Gemeingefährdung (§§ 15, 176 Abs. 1 StGB) verurteilt habe (Subsumtionsrüge, § 281 Abs. 1 Z 10 StPO).
Der OGH wies die Nichtigkeitsbeschwerde zurück und stellte im Zusammenhang mit der Sachbeschädigung (§§ 125 f. StGB) Folgendes klar: Wegen der Kollision mit dem Streifenfahrzeug hat das Schöffengericht den Angeklagten nur anhand der Wertqualifikation des § 126 Abs. 1 Z 7 StGB verurteilt; diese ist anzuwenden, wenn der Täter „an der Sache einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt“. Polizeiliche Einsatzfahrzeuge sind jedoch für sich genommen auch wesentliche Bestandteile der kritischen Infrastruktur (§ 74 Abs. 1 Z 11 StGB). Richtigerweise wäre auf die Tat des Angeklagten also zusätzlich § 126 Abs. 1 Z 5 StGB anzuwenden gewesen. Dieses Versäumnis des Schöffengerichtes schlägt allerdings nicht zum Nachteil des Angeklagten aus. Mangels Beschwer des Angeklagten kann es daher nicht Gegenstand einer Subsumtionsrüge nach § 281 Abs. 1   Z 10 StPO sein.

(OGH 12 Os 118/21a, 22. 10.2021)

Bernhard Krumphuber


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2022

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