Katastrophengeschichte

Explosion in der Pulverfabrik

Vor 100 Jahren wurden bei einer heftigen Explosion in der Pulverfabrik Blumau in Niederösterreich mindestens 24 Menschen getötet und Hunderte verletzt.

Katastrophe in der Munitionsfabrik Blumau im Mai 1922: Die Folgen waren 24 Tote und ein enormer Sachschaden.
Katastrophe in der Munitionsfabrik Blumau im Mai 1922: Die Folgen waren 24 Tote und ein enormer Sachschaden.
© Freiwillige Feuerwehr Blumau-Neurißhof

Im Läuterwerk der „Betriebsinspektion I“ der staatlichen Pulverfabrik Blumau in Niederösterreich brach am 25. Mai 1922 am Nachmittag ein Brand aus. In diesem Gebäudeteil wurde Dynamon verarbeitet. Zwei Arbeiter versuchten vergeblich, das Feuer zu löschen. Auf dem Areal gab es Wassertürme und viele Hydranten, aber der Schlauch, den die beiden Arbeiter verwendeten, war löchrig und viel zu kurz. Außerdem fehlte das Anschlussstück für die Spritze. Über eine elektrische Verbindung wurde die Berufsfeuerwehr Blumau alarmiert. Sieben Feuerwehrmänner fuhren mit einem Spritzenwagen zur Unglücksstelle. Auch sie hatten Probleme beim Löschen. Weitere Schläuche waren schadhaft. Fatalerweise war der Wasserdruck reduziert worden, um zu verhindern, dass Anrainer das Wasser aus den Hydranten zum Gießen ihrer Felder und Gärten verwendeten. Die Feuerwehrmänner legten notdürftig Schläuche zum Löschteich.
Kurz nach Beginn der Löscharbeiten kam es zu einer kleineren Explosion, die aber keine schweren Schäden verursachte. Das Feuer griff auf ein Gebäude neben der Arbeiterkolonie über, in dem Nitrodynamon gelagert war. Zehn Minuten nach der ersten Explosion erfolgten in diesem Gebäude zwei gewaltige Detonationen. Industriegebäude, Häuser und Baracken in der Umgebung wurden zerstört oder beschädigt. Dächer waren abgedeckt, Fenster zertrümmert und Mauern eingestürzt. In Sollenau, Teesdorf und Dingelsdorf zersplitterten fast alle Fensterscheiben. In Blumau wurde fast jedes Haus zerstört oder beschädigt. In Felixdorf wurden zahlreiche Dächer zerstört. Eisentraversen wurden bis zu zwei Kilometer durch die Luft geschleudert. Die Erschütterung war noch in vielen Kilometern Entfernung wahrnehmbar. Vier der sieben eingesetzten Blumauer Feuerwehrmänner starben, die anderen drei überlebten verletzt.
Feuerwehren aus der Umgebung versuchten, das Feuer zu löschen. Einsatzkräfte der Feuerwehr der Stadt Wien und der Freiwilligen Wiener Rettungsgesellschaft fuhren ebenfalls nach Blumau, um zu helfen. Zunächst wurden 19 Tote geborgen, darunter einige Kinder. Die vielen Schwerverletzten wurden in Krankenhäuser in der Region gebracht. Sonderzüge der Aspangbahn brachten Verletzte nach Wien. Der Ort Blumau wurde evakuiert. Angehörige der Gendarmerie und der Reichswehr riegelten das betroffene Gebiet ab.
Den Feuerwehrkräften gelang es, ein weiteres Werk, in dem sich 15 Tonnen Nitroglyzerin befanden, vor den Flammen zu schützen und so eine weitere verheerende Explosion zu vermeiden. Die Zahl der tödlich Verunglückten wurde später offiziell auf 24 korrigiert.
Am Tag nach der Explosionskatastrophe gab es in Blumau ein heftiges Gewitter; zwei Männer wurden durch einen Blitzschlag getötet. Als der Bezirkshauptmann von Baden und der Fabrikdirektor den Katastrophenbereich abfuhren, kam es zu einem Unfall, bei dem das Auto umstürzte. Beide Insassen überlebten verletzt.

Pulverfabrik Blumau.

Auf dem Garnisonsübungsplatz in Blumau-Neurißhof befinden sich Gebäuderuinen der ehemaligen Pulverfabrik.
Auf dem Garnisonsübungsplatz in Blumau-Neurißhof befinden sich
Gebäuderuinen der ehemaligen Pulverfabrik.
© Andreas Listmayr

Die im 19. Jahrhundert errichtete Pulverfabrik in Blumau wurde 1890 von der k. u. k. Armee übernommen und wesentlich erweitert. Das Werk war die erste staatliche Pulverfabrik. Daneben errichtete die Dynamit Nobel AG ein Werk zur Erzeugung von Nitrozellulose, das später in die Pulverfabrik eingegliedert wurde. Im Ersten Weltkrieg wurde die Anlage ausgebaut; damals gab es mehr als 30.000 Beschäftigte. Die Erzeugnisse wurden in die Munitionsfabriken in Wöllersdorf, Hirtenberg und in anderen Orten zur Weiterverarbeitung geliefert.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Produktion stark eingeschränkt. 1922 gab es sechs Betriebsinspektionen. Hergestellt wurde unter anderem Nitroglycerin, Nitrozellulose, Schwarzpulver, Trinitrotoluol (TNT) und Pikrinsäure. In der Fabrik waren etwa 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt. Auf dem Gelände waren 30.000 Kilogramm Dynamit und 8.000 Kilogramm Nitroglyzerin gelagert. Immer wieder gab es in den Werksgebäuden kleinere Brände und Explosionen, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden.
Nach der verheerenden Explosion im Mai 1922 wurden nur mehr in einem Teil der Fabrik Sprengstoffe produziert, vor allem für das neue Bundesheer. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Produktion wieder ausgeweitet. Im April 1945 beschlagnahmte die sowjetische Besatzungsmacht die Munitionsfabrik, demontierte das Inventar und transportierte es ab. Ein Teil des ehemaligen Werksgeländes wird heute vom Bundesheer und von der Polizei für Katastrophenübungen verwendet. 

Unglücke in Munitionsfabriken.

Im Raum Wiener Neustadt gab es während des Ersten Weltkriegs eine Reihe von Rüstungsbetrieben. Die Arbeitssicherheit hatte keinen besonderen Stellenwert und immer wieder kam es zu schweren Unfällen. Am 17. Juni 1917 explodierten um halb drei Uhr nachts in der Nähe der Munitionsfabrik auf dem Steinfeld drei Pulvermagazine. Es gab mindestens 22 Tote und 360 Verletzte.
Die folgenschwerste Katastrophe in einer Munitionsfabrik ereignete sich am 18. September 1918 im Werk Wöllersdorf, eine der größten Munitionsproduktionsstätten in der Monarchie. 1918 arbeiteten hier mehr als 40.000 Menschen, überwiegend Frauen. Auslöser war nach offiziellen Angaben eine Unachtsamkeit. Nachdem einer Arbeiterin eine Hülsenkartusche aus der Hand gefallen war, löste die Zündkapsel aus und entzündete das Pulver. Innerhalb von Sekunden griff das Feuer auf die Teilladungen auf den Tischen und in den Kästen über und die Stichflammen erfassten die Beschäftigten. Nur wenige Beschäftigte konnten sich retten. Viele Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Vermutlich kamen mehr als 400 Menschen ums Leben. Die Berichterstattung über die Katastrophe war knapp und zurückhaltend. Die Tageszeitungen und Zeitschriften unterstanden der Kriegszensur. Die Brandkatastrophe führte zu keinen strafrechtlichen Konsequenzen. Zwar wurden zwei verantwortliche Offiziere strafweise an die Front versetzt, aber einige Wochen später war der Erste Weltkrieg zu Ende. 

Werner Sabitzer


Quellen/Literatur:

  • Leopold, Hans: Zur Geschichte der k.u.k. Pulverfabrik Blumau bis 1918.
  • Zur Geschichte der k.u.k. Pulverfabrik Blumau bis 1918.
  • In: Mulley, Klaus (Hg): Zur Geschichte der k.u.k. Pulverfabrik Blumau bis 1918. 125 Jahre Pottendorfer Linie. Eigenverlag der Gewerkschaft der Eisenbahner Ortsgruppe Ebenfurth-Pottendorf, Ebenfurth 1996.
  • Marwan-Schlosser, Rudolf F.: Kasernen, Soldaten, Ereignisse. Kasernen und militärische Einrichtungen in Wiener Neustadt, Bad Fischau, Wöllersdorf, Katzelsdorf, Felixdorf-Grossmittel-Blumau. Weilburg-Verlag, Wiener Neustadt 1983.
  • Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Blumau-Neurißhof.
  • Furchtbare Explosionskatastrophe in Blumau. In: Illustrierte Kronen Zeitung, 26. Mai 1922, S.
  • Die Explosionskatastrophe in Blumau. In: Illustrierte Kronen Zeitung, 27. Mai 1922, S. 4-5.
  • Das Unglück in Blumau. In: Neue Freie Presse. 26. Mai 1922, S. 2.
  • Opfer der Arbeit. In: Arbeiter-Zeitung, 26. Mai 1922, S. 1-2.
  • Die Explosionskatastrophe in Blumau. In: Illustrierte Kronen Zeitung, 27. Mai 1922, S. 4-5.
  • Die Explosionskatastrophe in Blumau. In: Neue Freie Presse. 28. Mai 1922, S. 11.

Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2022

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