Kriminalfall Jack Unterweger

Zwischen Schaudern und Bewunderung

Jack Unterweger verbrachte einige Jahre seiner Kindheit in der Keusche seines Großvaters im Wimitztal in Kärnten.
Jack Unterweger verbrachte einige Jahre
seiner Kindheit in der Keusche
seines Großvaters im Wimitztal in
Kärnten. © Werner Sabitzer

Bei einem Vortrag zu den Serienmorden von Jack Unterweger gab der einstige Chefermittler Ernst Geiger Einblicke in die Welt der kriminalpolizeilichen Ermittlungen. Josef Thon, Leiter der Magistratsabteilung 48 in Wien, berichtete über seinen Briefwechsel mit Unterweger.

Mord ist etwas Abscheuliches. Warum sind Menschen trotz allem davon fasziniert? Was ist an Kriminalromanen oder Krimiserien so aufregend und zieht ein solches Interesse auf sich? Wieso kann man sich teilweise in einen Mörder hineinversetzen oder gar Sympathie entwickeln? Bei der Veranstaltung im 48er-Tandler im fünften Wiener Bezirk gewährte Dr. Ernst Geiger, der frühere Leiter der Abteilung im Bundeskriminalamt für Ermittlungen, organisierte und allgemeine Kriminalität, am Abend des 3. Februar 2022 Einblicke in die kriminalpolizeilichen Ermittlungen im Fall Jack Unterweger. Der Serienmörder und „Literat“ hatte für großes mediales Aufsehen gesorgt.

Briefwechsel.

DI Josef Thon, Leiter der Magistratsabteilung (MA) 48 in Wien, wurde auf Ernst Geiger durch dessen Buch über die Favoritner Mädchenmorde „Heimweg“ aufmerksam. Thon führte Jahrzehnte zuvor als Maschinenbau-Student an der Technischen Universität Wien einen Briefwechsel mit Jack Unterweger und nahm deshalb mit Geiger Kontakt auf. Aus reinem Interesse schrieb er nach Lektüre der Autobiografie von Unterweger „Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus“ an den Autor und erhielt Antworten. „Ich antworte auf alles, ungeniert, wie es meine Art ist, nur in Briefen geht’s nicht so leicht runter … Ich seh das Gegenüber ganz gern beim Reden von heiklen Themen“, heißt es etwa im zweiten Brief von Unterweger an Thon vom 21. Februar 1984. Die vermeintliche Autobiografie sollte sich später als Lügenwerk entpuppen. 

Häfenliterat.

Veranstaltung über den Serienmörder Jack Unterweger: Ernst Geiger, Josef Thon, musikalischer Begleiter Dietmar Klose.
Veranstaltung über den Serienmörder Jack Unterweger:
Ernst Geiger, Josef Thon, musikalischer Begleiter
Dietmar Klose. © Nicole Felicitas Antal

Johann „Jack“ Unterweger wurde am 16. August 1950 in Judenburg in der Steiermark geboren und begann 1979 mit seiner literarischen Arbeit – im Gefängnis. Die lebenslange Verurteilung aufgrund des Mordes an Margret Schäfer 1974 verschaffte Unterweger Zeit: Er holte seinen Schulabschluss nach, brachte von 1985 bis 1989 die Literaturzeitschrift „Wort-Brücke“ heraus und verhielt sich fügsam. So erweckte er bei der damaligen Kunstszene den Eindruck, dass er sich erfolgreich resozialisiert habe und wurde aufgrund zahlreicher Petitionen von berühmten Kunstschaffenden wie Intellektuellen nach sechzehn Jahren Haft 1990 ohne weitere Auflagen vorzeitig entlassen. Danach verübte er eine Mord-Serie an Prostituierten, die er mit deren eigener Unterwäsche strangulierte.

Werke.

„Ich heiß nicht Hans, sondern wirklich Jack. Steht in all meinen Papieren, nur einige Volksmeinungsmacher glaubten halt, sie müßten Hans sagen…“, steht im ersten Brief vom 6. Februar 1984 aus der Justizanstalt Stein, adressiert an Thon. Unterweger, der Schriftsteller, beschreibt darin seine Werke – er berichtet von „Endstation Zuchthaus“, von „Fegefeuer“ oder dem gemeinsam mit Grete Wassertheurer verfassten Gedichtband „Worte als Brücke“, zwei Theaterstücken sowie Kurzgeschichten, die regelmäßig unter einem Pseudonym veröffentlicht wurden. Mit „mach‘s gut, grüß die anderen, wer mich kennt“, endeten die Briefe Jack Unterwegers für gewöhnlich.
Laut Ernst Geiger hatte sich Jack Unterweger stets an den Tatorten aufgehalten, wobei er zunächst nicht als Verdächtiger aufgefallen war. Der erste Mord ereignete sich ein halbes Jahr nach seiner Entlassung 1990 in Prag, weitere folgten in den darauffolgenden Monaten in Graz, Wien und Lustenau, bevor sich Unterweger nach Amerika begab – im Sommer 1991 verübte er weitere drei Morde in Los Angeles. Als er in Verdacht geriet, flüchtete Unterweger im Februar 1992 von Wien über die Schweiz nach Miami, wo er vom FBI festgenommen wurde. Indizien, die auf sein Verschulden hinwiesen, waren etwa die Tatsache, dass er jedes Opfer mit demselben Knoten, dem sogenannten Henkersknoten, erdrosselt hatte oder er sich stets zu den Tatzeiten in unmittelbarer Nähe der Tatorte befand, ohne ein Alibi zu haben. Der ansonsten regelmäßige Tagebuch-Schreiber machte überdies von Mitte September 1990 bis Ende Juli 1991 keine Einträge mehr, als die Morde stattfanden.

„Sieg und Niederlage“.

Anklage wegen elffachen Frauenmordes: Jack Unterweger am ersten Prozesstag im Landesgericht Graz am 20. April 1994.
Anklage wegen elffachen Frauenmordes: Jack Unterweger am
erstenProzesstag im Landesgericht Graz am 20. April 1994.
© Georg Schneider/APA-Archiv/picturedesk.com

„Ich rede mit jedem, der reden will, ich dränge mich niemandem auf, ich komm aber zu jedem, der mich akzeptiert, so wie ich bin, ich erwarte nichts und erspare mir so Enttäuschungen“, heißt es im zweiten Brief Unterwegers an Thon, vom 21. Februar 1984, wobei das wohl nicht gegenüber der Polizei galt. „Sieg und Niederlage“ nannte Geiger die Flucht von Unterweger, denn hätten sie ihn damals noch erwischt, bevor er Miami erreicht hatte, wären die Beweise möglicherweise nicht stichhaltig genug für eine erfolgreiche Überführung wegen Mordes gewesen. So hatten die Kriminalpolizisten Zeit, ausreichendes Material zu sammeln. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler in Unterwegers Wohnung einen roten Schal, dessen Faser mit jenen an der Kleidung eines der anderen Opfer ident war. Außerdem wurde zum ersten Mal ein DNA-Gutachten vor Gericht zugelassen: Ein Haar, das auf dem Autositz gefunden worden war, konnte der ermordeten Frau in Prag zugeordnet werden.

Die Rekonstruktion

Jack Unterweger nach seiner Auslieferungsverhandlung am 28. Februar 1992 in Miami, Florida.
Jack Unterweger nach seiner
Auslieferungsverhandlung am 28.
Februar 1992 in Miami, Florida.
© Bill Cooke/AP/picturedesk.com

Die Rekonstruktion der Biografie Unterwegers erfolgte mehr über Einvernahmen von Kontaktpersonen als anhand seiner Autobiografie, denn viele Informationen stellten sich als Lügen heraus. Er war ein Meister auf dem Gebiet der Manipulation, beeinflusste nicht nur Frauen, sondern auch Medien und startete regelmäßige Angriffe auf Polizisten oder Richter. Als kriminalpolizeiliche Konsequenzen nach dem Fall Unterweger wurde die Kriminalpolizei modernisiert: Tatortgruppen wurden eingerichtet. und eine nationale DNA-Datenbank erstellt, wobei Österreich als Vorreiter auf diesem Gebiet galt. Nach Verkündung des Urteils am 29. Juni 1994 – Unterweger wurde in neun von elf Fällen schuldig gesprochen –, nahm er sich das Leben, indem er sich mit Hilfe des „Henkersknotens“ erhängte. 

Nicole Felicitas Antal


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2022

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