Nationale Strategie gegen Antisemitismus

Antisemitismus vorbeugen 

Die Stabstelle Österreichisch-Jüdisches Kulturerbe im BKA bei einer Aktion zum Gedenken an die Opfer des Holocaust.
Die Stabstelle Österreichisch-Jüdisches Kulturerbe im BKA
bei einer Aktion zum Gedenken an die Opfer des Holocaust.
© Gerd Pachauer

Mit der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus der Bundesregierung soll jüdisches Leben in Österreich längerfristig abgesichert und gefördert werden. Jede Form von Antisemitismus soll bekämpft werden. Am 31. Jänner 2022 wurde der erste Umsetzungsbericht vorgelegt.

Zur ganzheitlichen Bekämpfung und Verhütung aller Ausprägungen von Antisemitismus, präsentierte die Bundesregierung am 21. Jänner 2021 die „Nationale Strategie gegen Antisemitismus“ (kurz: NAS). Als einer der ersten EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sich Österreich durch die Umsetzung der darin enthaltenen 38 Maßnahmen, jüdisches Leben in Österreich zu fördern und gesetzlich abzusichern. Gleichzeitig enthält die Strategie konkrete aktionsorientierte Maßnahmen, die sowohl die Vorbeugung als auch die Bekämpfung von Antisemitismus zum Gegenstand haben.
Bundesministerin Mag. Karoline Edtstadler sieht den Kampf gegen Antisemitismus als historische Pflicht der Republik Österreich und unterstreicht die Vorreiterrolle sowohl in der EU als auch international. Sie fühle sich seit ihrer Schulzeit dem Kampf gegen den Antisemitismus verpflichtet und möchte „ … der Vision einer Welt, eines Europas, eines Österreichs frei von Antisemitismus ein Stück weit näher kommen. Das erfordert ein ständiges Daran-Arbeiten, Aufzeigen, Aufklären, Sensibilisieren einerseits, aber auch klare Reaktionen auf Fehlverhalten und eine Anpassung der Gesetze andererseits“.

Stabstelle.

Antonio Martino, Leiter der Stabstelle im BKA.
Antonio Martino,y
Leiter der Stabstelle
im BKA. © BKA

Für die Koordinierung der „Nationalen Strategie gegen Antisemitismus“ wurde in der Sektion IV des Bundeskanzleramtes die „Stabstelle Österreichisch-Jüdisches Kulturerbe“ eingerichtet, die neben der Prävention und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus auch für die Bewusstmachung und Stärkung des jüdischen Kultur- und Gemeindelebens, sowie für die Verstärkung der Koordination zwischen den einzelnen Akteurinnen und Akteuren in den Bereichen Gedenken, Antisemitismusaufklärung und -prävention zuständig ist.
Leiter der Stabstelle ist Mag. Dr. Antonio Martino, LLM, früherer Mitarbeiter des Bundesministeriums für Inneres. Martino ist seit 2019 österreichischer Delegationsleiter in der Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und war maßgeblich an der Entwicklung und Verhandlung der EU-Ratserklärung gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischer Einrichtungen vom 6. Dezember 2018 beteiligt.
„Jüdisches Leben ist ein selbstverständlicher Teil Österreichs, den es mit allen Mitteln zu schützen und zu fördern gilt. Es liegt in unser aller Verantwortung einerseits den Schutz unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sicherzustellen, anderseits aber auch aktiv mitzuhelfen, jüdisches Leben und Kultur in unserer Gesellschaft auszubauen“, betont Edtstadler, in deren Kompetenzbereich sich die Stabstelle befindet.

Ein Umsetzungsbericht

Ein Umsetzungsbericht der Stabstelle auf der Grundlage von Beiträgen verschiedener Ressorts (BMBWF, BMI, BMJ, BKA, BMEIA, BMLV und der Parlamentsdirektion) wurde am 31. Jänner 2022 vorgestellt und wurde dem Nationalrat zur Information übermittelt. 

Kulturerbegesetz.

Karoline Edtstadler und Kurt Tutter vor der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte im Ostarrichipark in Wien.
Karoline Edtstadler und Kurt Tutter vor der Shoah-
Namensmauern-Gedenkstätte im Ostarrichipark in Wien.
© BKA

Zu den wichtigs­ten Errungenschaften in den verschiedenen Wirkungsbereichen der NAS zählt die einstimmige Annahme des Bundesgesetzes über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes (Österreichisch-Jüdisches Kulturerbegesetz – ÖJKG) am 24. Februar 2021 durch den Nationalrat.
Dieses sichert der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) eine jährliche Sonderförderung von vier Millionen Euro, womit unter anderem Projekte zur Förderung des interreligiösen Dialogs finanziert werden, wie etwa das Projekt „LIKRAT“, eine Initiative der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, in der jüdische Jugendliche als Peer Educators nichtjüdische Schülerinnen und Schüler über das Judentum aufklären, um gegenseitige Vorurteile abzubauen (siehe dazu auch „Öffentliche Sicherheit“, Ausgabe 1-2/2022, S. 62).

ÖIF-Workshops.

Weitere Maßnahmen betreffen den Ausbau von Multiplikatorinnen- und Multiplikatoren-Workshops, die Lehrenden und Mitarbeitenden von Behörden Grundlagenwissen über Antisemitismus und seine unterschiedlichen Ausprägungen vermitteln, sowie von Werte- und Orientierungskursen des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), in denen Flüchtlinge und subsidiär schutzberechtigte Personen nicht nur grundlegende Werte und Normen der Gesellschaft in Österreich vermittelt bekommen, sondern auch für unterschiedliche Formen von Antisemitismus sensibilisiert werden.

Vernetzung.

Auch Vorbereitungen für eine österreichweite Plattform zur gesamtgesellschaftlichen Abstimmung laufen. In regelmäßigen Sitzungen sollen dort aktuelle Entwicklungen und Lösungsmöglichkeiten diskutiert sowie Best-Practice-Beispiele ausgetauscht werden.

Erinnerungskultur.

Eindrucksvolle Projekte gab es 2021 auch im Bereich des Holocaust-Gedenkens. Beispielsweise die am 15. Oktober 2021 eröffnete Outdoor-Ausstellung „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“ am Wiener Heldenplatz, die Besucherinnen und Besuchern das System der Entrechtung, Enteignung, Vertreibung und Vernichtung der österreichischen Jüdinnen und Juden nähergebracht hat.

Ein Meilenstein

Ein Meilenstein österreichischer Gedenkkultur ist zweifellos die Neugestaltung der 1978 eröffneten österreichischen Ausstellung im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager und jetzigen staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Polen. Nationalrats­präsident Mag. Wolfgang Sobotka, der bei der Eröffnung der historisch überarbeiteten Länderausstellung „Entfernung – Österreich und Auschwitz“ am 4. Oktober 2021 anwesend war, formuliert die dem neuen Konzept zugrunde liegende Idee: „Es ging darum, nachdem die ursprüngliche Ausstellung Österreich vor allem als ‚erstes Opfer des Nationalsozialismus‘ beschrieb, nun auch neben den Opfern auch die Täterseite von Österreichern in den Fokus zu rücken – und das nicht nur in Bezug auf Auschwitz, sondern in den größeren Zusammenhang des NS-Vernichtungsfeldzugs gesetzt.“

Die Eröffnung

Die Eröffnung der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte im Ostarrichipark am 9. November 2021 (siehe dazu auch „Öffentliche Sicherheit“, Ausgabe 1-2/ 2022, S. 61) stellte einen vorläufigen Höhepunkt in der Erinnerungskultur Österreichs dar. Auf Initiative des Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter wurde mit der Namensmauer eine Stätte geschaffen, an der die Hinterbliebenen von knapp 65.000 dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallenen jüdischen Kindern, Frauen und Männern aus Österreich ihre Familienmitglieder betrauern und ihrer gedenken können. 

Forschung.

In den Maßnahmen der NAS sind auch zahlreiche, teils internationale, Forschungsprojekte verankert, wie ein D-A-CH-Projekt von Erinnern.at, dem Büro des Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für Jüdisches Leben und gegen Antisemitismus sowie dem Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Die Ergebnisse dieses Projektes sollen helfen, die Ausbildungspläne österreichischer Lehrender zu überarbeiten, sodass diese ein besseres Verständnis von und lösungsorientierteres Umgehen mit Antisemitismus im Klassenzimmer erlangen. Weiters wird in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Zentrum für Antisemitismusforschung gegründet, in dessen Mittelpunkt interdisziplinäre Grundlagenforschung zu Antisemitismus, Antijudaismus und Antizionismus betreffend Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen in Vergangenheit und Gegenwart stehen soll – mit Fokus auf Österreich und Europa.

Hasskriminalität.

Ein Seminar in der polizeilichen Aus- und Fortbildung zum Thema „Antisemitismus-Früherkennung-Sensibilisierung“ sowie die Einführung eines Erfassungssystems (flag) für Hasskriminalität im Polizeilichen Protokollierungssystem (PAD) (siehe „Öffentliche Sicherheit“, Ausgabe 1-2/2022, S. 62) bringen wichtige Neuerungen im Bereich der Exekutive. Angesichts steigender Zahlen antisemitischer Vorfälle ein bedeutender Schritt zur dringend notwendigen Vereinheitlichung der Erfassung und Registrierung von Daten antisemitischer Übergriffe.
„Der Kampf gegen Antisemitismus ist Teil der modernen österreichischen Identität“, sagte Innenminister Mag. Gerhard Karner anlässlich des internationalen Holocaustgedenktages am 27. Jänner 2022 in Wien, „Wir müssen konsequent dafür eintreten, dass menschenverachtendes Denken und Handeln keinen Platz in unserer Gesellschaft hat. Unsere Polizistinnen und Polizisten gewähren durch Erfüllung ihres demokratischen Auftrags ein friedvolles Miteinander in unserem Land.“
Auch Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, weiß um die Bedeutung der Sicherheitsbehörden für das Aufblühen jüdischer Gemeinden Bescheid. „Leider gehören Sicherheitsmaßnahmen und starke Polizeipräsenz zum Alltag für Jüdinnen und Juden in Österreich“, sagte Deutsch, „Ohne diese Maßnahmen wäre jüdisches Leben kaum möglich. Zugleich sehen sich die jüdischen Gemeinden in Österreich nicht nur als selbstverständlichen Teil Österreichs, wir wissen auch die meisten Menschen in unserem Land auf unserer Seite, auf der Seite der Menschlichkeit und der Demokratie.“

Cathrin Colussi

Holocaustgedenktag

Lebendige Erinnerungskultur

Der Schutz jüdischer Gemeinden habe höchste Priorität,  sagte Innenminister Mag. Gerhard Karner anlässlich des internationalen Holocaustgedenktages am 27. Jänner 2022 in Wien.  Als eine wichtige Maßnahme zur Stärkung einer lebendigen Erinnerungskultur kann auch die Errichtung einer Gedenkstätte im ehemaligen KZ Gusen gezählt werden. Der Ankauf der verbliebenen Teile des ehemaligen KZs Gusen wurde Ende Dezember 2021 abgeschlossen.

Holocaustgedenktag: Innenminister Gerhard Karner zündete eine Kerze an.
Holocaustgedenktag: Innenminister Gerhard Karner
zündete eine Kerze an. © BMI / Karl Schober

Zahlreiche Initiativen im Innenministerium. Ab dem Frühjahr 2022 erhalten Polizistinnen und Polizisten im Rahmen eines neuen Schulungsmoduls Aus- und Fortbildungen zum Thema „Antisemitismus“. „Dabei ist mir besonders wichtig, dass im Rahmen der Polizeiausbildung auch jüdisches Leben erfahrbar gemacht wird“, betonte Karner. So gibt es einen Gedankenaustausch junger Jüdinnen und Juden mit Polizeischülerinnen und -schülern. Diese Gespräche finden in Kooperation mit den Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs (IKG) statt. Im Zuge des Projektes „GEMEINSAM.SICHER in Österreich“ werden außerdem gezielte Informationsveranstaltungen zur Aufklärung über Verschwörungstheorien abgehalten. Seit Herbst 2020 wird vorurteilsbedingte Straftaten („Hate-Crime“) systematisch erfasst. Auf Basis der Daten werden gemeinsam mit der IKG Maßnahmen erarbeitet und weiterentwickelt. Es findet ein ständiger und intensiver Austausch zwischen Innenministerium und IKG zum laufenden Schutz jüdischer Einrichtungen statt.
Im Frühjahr 2021 wurde das Forschungsprojekt „Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1938-1945“ initiiert, um die Geschichte der österreichischen Polizei zur Zeit des Nationalsozialismus umfassend zu erforschen. Die Forschungsergebnisse sollen Grundlage für eine umfassende und nachhaltige Auseinandersetzung mit der Geschichte der österreichischen Exekutive vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus sein. Die Erkenntnisse sollen in die Aus- und Fortbildung einfließen, um bei allen Bediensteten des Innenminis­teriums das Wissen über die Verbrechen des Nationalsozialismus zu schärfen und zur Selbstreflexion anzuregen.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2022

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