Flüchtlinhskoordination

Hoffnung und Perspektive geben   

Michael Takacs: „Unsere wichtigste Aufgabe ist es, diese Krise geordnet, kontrolliert und professionell zu bewältigen.“
Michael Takacs: „Unsere wichtigste Aufgabe ist es,
diese Krise geordnet, kontrolliert und
professionell zu bewältigen.“
© Gerd Pachauer

Michael Takacs ist der Mann, der als Krisenkoordinator vertriebenen Menschen aus der Ukraine in Österreich eine Hoffnung gibt. Er betont, dass das nur in Zusammenarbeit mit den Ministerien, Ländern, Gemeinden sowie Hilfs- und Blaulichtorganisationen möglich ist.

Generalmajor Michael Takacs ist als Chef der Landesverkehrsabteilung der Wiener Polizei freigestellt, während er Bundeskanzler Karl Nehammer als Krisenkoordinator für die Ukraine-Krise zur Seite steht. Schon während der Flüchtlingskrise von August 2015 bis September 2016 stand er der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und dem Flüchtlingskoordinator Christian Konrad zur Seite. „Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, und wir haben unproblematisch und rasch Lösungen erwirkt – schon damals habe ich mich um die Beschaffung von Quartiermöglichkeiten gekümmert. Ich habe das Aufstellen von Containern, Zelten und dergleichen organisiert, und ich habe versucht, das geordnet und ministeriumsübergreifend zu erledigen – immer mit dem Ziel, dass keine Vertriebene und kein Vertriebener auf der Straße leben muss“, sagt Takacs.   

Neun Monate Irak, zehn Jahre Erfahrung.

Michael Takacs kommt 1988 zur Wiener Polizei. Schon bald nach Abschluss der Grundausbildung meldet er sich für einen Auslandseinsatz. Drei Faktoren seien dafür ausschlaggebend gewesen, sagt er. „Als 24-jähriger Polizist wollte ich etwas erleben, jeder wusste, dass ein Auslandseinsatz im Irak gefährlich sein kann, das hat mich nicht abgeschreckt. Ich wollte andere berufliche Situationen erleben, andere Länder kennenlernen, und ich wollte etwas Gutes tun – schon als Jugendlicher war ich Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und Wasserrettung.“
Takacs ist mit 24 Jahren der Jüngste im österreichischen Kontingent im Irak. Nach einer einmonatigen Einschulung in Bagdad wird er in einen von drei Sektoren eingeteilt. „Wir haben Hilfsorganisationen beschützt, haben versucht, Anschläge aufzuklären, Hilfs-transporte gesichert, Objekte geschützt und Erkundungsmissionen durchgeführt.“ Takacs erste Station ist Dohuk, die Hauptstadt des Gouvernements Dahuk in der autonomen Region Kur­dis­tan im Irak nahe der türkischen Grenze. „Wir waren mit zwölf Nationen vertreten, das war sehr faszinierend und lehrreich, weil ich gemerkt habe, dass man mit Lachen, mit gemeinsamem Essen und Trinken und mit Musik zusammenkommt, egal, in welcher Kultur man sich befindet – dabei lernt man am besten Menschen kennen.“ Gefährlich sei allerdings, „dass man dadurch die Sicht auf die Kriegssituation verliert, denn es hat in meiner Zeit auch Anschläge auf unsere Kontingente gegeben, mit verletzten und zwei toten Kollegen. Wir waren alle irgendwann mehrmals unter Beschuss.“ Der Punkt sei, man komme in ein Land und schalte in einen Krisenmodus, der in der Wahrnehmung schwinde. „Das Gefährliche wird zur Normalität, das macht so einen Einsatz besonders gefährlich. Kommt es zu Anschlägen, setzt das Denken wieder ein. Unter anderem auch deshalb haben mir neun Monate im Irak vermutlich zehn Jahre an Erfahrung gebracht.“

Brückenbauer und Vorbereiter.

Ein Arbeitstag mit 18 Stunden ist derzeit für Michael Takacs keine Seltenheit; eine Sache lässt er sich aber nicht nehmen. „Ich versuche jeden Tag in der Früh Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Tagsüber und bis spät in die Nacht hinein ist Takacs als Krisenkoordinator in Kontakt mit Partnern der Wirtschaft, mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Ministerien und Hilfs- und Blaulichtorganisationen, mit Landeshauptleuten, mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, und ringt um Lösungen für die Menschen, die aus der Ukraine nach Österreich vertrieben werden. Er sagt: „Ich halte insbesondere zu den Hilfs- und Blaulichtorganisationen einen sehr engen Kontakt, weil wir in Österreich ohne sie nicht so gut ‚aufgestellt‘ wären.“ Takacs hebt hervor: „Auftretende Problemen versuche ich zu lösen, unbürokratisch und rasch. Man könnte sagen, ich bin der Brückenbauer, man könnte aber auch sagen, ich versuche die Menschen auf die Situation vorzubereiten und sie ihnen bewusst zu machen.“

Wo gekämpft wird, flüchtet man.

Flüchtlingskoordinator Michael Takacs (li.) begleitete Bundeskanzler Karl Nehammer im April 2022 bei seinem Ukraine-Besuch.
Flüchtlingskoordinator Michael Takacs (li.) begleitete
Bundeskanzler Karl Nehammer im April 2022 bei seinem
Ukraine-Besuch.
© BKA / Dragan Tatic

Die Frage, wie viele vertriebene Menschen aus der Ukraine in Österreich zu erwarten seien, beantwortet der Krisenkoordinator so: „Meine Aufgabe ist, Österreich auf bis zu 200.000 Vertriebene vorzubereiten. Das ist die Zahl, die derzeit von Expertinnen und Experten prognostiziert wird. Den Zeitfaktor haben wir nicht in der Hand, je nachdem wie der Kriegsverlauf ist. Aber eines ist klar: Wo gekämpft wird, flüchtet man. Wo alles zerstört ist, kann man vorerst nicht leben.
200.000 Menschen würden bedeuten, dass sie in Österreich zumindest notversorgt werden müssen: „Ein Dach über dem Kopf, ein Bett und die Grundversorgung – was nicht bedeutet, dass alle Flüchtlinge eine eigene Wohnung bekommen würden, es bedeutet, dass im Falle einer großen Fluchtbewegung Turnsäle mit Betten belegt sein werden und der Turnbetrieb eingestellt ist.“

Drei Phasen.

Takacs denkt dabei in drei Phasen. Ers­te Phase: „Alle Menschen, die nach Österreich kommen, müssen versorgt sein.“ Zweite Phase: „Alle Menschen, die in Österreich bleiben und arbeiten wollen, müssen unterstützt, gefördert und integriert werden.“ Dritte Phase: „Damit das umgesetzt werden kann, muss das Zusammenspiel von Ministerien, Ländern, Gemeinden sowie Hilfs- und Blaulichtorganisationen forciert werden – das alles ist nur in gemeinsamer Zusammenarbeit möglich.“

Was ist anders als 2015?

„Der Unterschied zu 2015 sind eindeutig die Erfahrungen, die wir von damals mitgenommen haben“, sagt der Krisenkoordinator. „Deshalb hat das Innenministerium auch so schnell reagieren können, mit Quartiersuchen, Initiativen, Hotlines, Registrierungen, mobilen Teams und vielem mehr.“ Man könne aber beide Fluchtbewegungen nicht miteinander vergleichen. Takacs ergänzt: „Wir dürfen nicht vergessen, vor mehreren Wochen haben diese Menschen, die bei uns Schutz suchen, in der Ukraine noch gearbeitet, haben ein normales Leben geführt, ohne Krieg. Das hat sich von einer auf die andere Minute geändert.
Viele Frauen und Familien haben ihre Männer zurücklassen müssen, die dort noch immer kämpfen. Viele Frauen wissen nicht, ob sie ihre Männer, ihre Verwandten, jemals wiedersehen werden, ob sie jemals wieder zurückkehren können – weil es heute dort nichts mehr gibt.“ Man habe 2015 auch andere Bilder gesehen, ergänzt der Generalmajor. Man habe junge Afghanen, Syrer und Iraker gesehen, die über die Grenze nach Österreich gekommen seien. „Jetzt läuft alles geordnet ab, und solange es geordnet abläuft, ist es auch für die Bevölkerung akzeptabel. Das ist unsere wichtigste Aufgabe, die diese Krise geordnet, kontrolliert und professionell zu bewältigen.“

Drei prägende Fragen.

Besonders wichtig ist dem Krisenkoordinator der direkte Kontakt mit vertriebenen Menschen. Er sagt: „Ich suche den Kontakt, ich war erst vor Kurzem bei einer Veranstaltung, bei der ich zwei Stunden lang mit 50 Frauen aus der Ukraine und ihren Kindern geredet und Fragen beantwortet habe. Gespräche darüber, wie es ihnen geht, was sie erwarten, erhoffen, wovor sie Angst haben.“ Haben diese Frauen noch Hoffnung? „Sie haben Hoffnung, und sie wird genährt durch den Umstand, dass sie sich in einem sicheren Land befinden“, sagt Takacs. „Sie haben ihre Kinder, Eltern, Großeltern, sich selbst in Sicherheit gebracht und jetzt zittern sie um ihren Mann, ihren älteren Sohn, der in der Ukraine kämpfen muss – diese Angst kann ihnen keiner nehmen.“ Was man machen könne, sei, dafür zu sorgen, dass sie einen geregelten Tagesablauf bekämen, sagt Takacs. „Jede psychologische Belastung wird leichter, wenn man Aufgaben erhält. Und diese Frauen wollen einen geregelten Ablauf, sie wollen arbeiten gehen.“ Drei Fragen der ukrainischen Frauen seien prägend gewesen, betont Generalmajor Michael Takacs. „Wann bekommen wir die blaue Karte, wann können wir arbeiten gehen, und dürfen wir in die Ukraine zur Beerdigung unseres Mannes fahren, wenn er im Krieg fällt.“     

Reinhard G. Leprich


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2022

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