Zeitgeschichte

Das Ukrainer-Lager in Wolfsberg

Ruthenenlager Wolfsberg (1914–1917); Holzbaracken; ukrainische Notkirche, Wasserleitung, Flüchtlinge im Lager.
Ruthenenlager Wolfsberg (1914–1917); Holzbaracken; ukrainische Notkirche, Wasserleitung, Flüchtlinge im Lager.
© Museum im Lavanthaus Wolfsberg

Von 1914 bis 1917 befand sich in Wolfsberg in Kärnten ein großes Lager für Ukrainerinnen und Ukrainer („Ruthenen“), die vor den eindringenden russischen Truppen geflüchtet waren.

Im Flüchtlingsfriedhof St. Johann wurden sechs Stelen errichtet, mit den Namen, dem Alter und dem Sterbejahr der Toten. Auf der Steinplatte davor wird in Deutsch, Ruthenisch und Englisch auf das Schicksal der Verstorbenen hingewiesen.
Im Flüchtlingsfriedhof St. Johann wurden sechs Stelen
errichtet, mit den Namen, dem Alter und dem Sterbejahr der
Toten. Auf der Steinplatte davor wird in Deutsch, Ruthenisch
und Englisch auf das Schicksal der Verstorbenen hingewiesen.
© Werner Sabitzer

Im späten 18. Jahrhundert wurde die heutige Westukraine Teil des Königreichs Galizien und Lodomerien, eines Kronlandes der Habsburg-Monarchie. Die Westukraine war nun „österreichisch“. Die Bewohner wurden „Ruthenen“ genannt. Als nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs Truppen des russischen Zarenreichs in Galizien einfielen, flüchteten Hunderttausende Ruthenen Richtung Westen. Auf dem Gebiet des heutigen Österreichs entstanden mehrere Flüchtlingslager – in Gmünd, Leibnitz, Satteins, Oberhollabrunn (für bessergestellte Flüchtlinge) und Wolfsberg im Kärntner Lavanttal.
Das Wolfsberger Lager war das größte in der k. k. Monarchie und wurde ab September 1914 auf einem Exerzierplatz im Süden der Stadt errichtet, im heutigen Stadtteil Reding. Davor waren die Flüchtlinge in St. Andrä im Lavanttal untergebracht. Im Wolfsberger Lager waren vorwiegend Familien einquartiert, insgesamt waren es bis zu 7.350 Männer, Frauen und Kinder, fast so viele wie die Stadt Wolfsberg Bewohner hatte. Im Lager waren auch polnische und jüdische Flüchtlinge untergebracht. Etwa 300 Kinder wurden hier geboren.

In der Lagerstadt Wolfsberg 

Der Ruthenenweg in Reding erinnert an das Ukrainer-Lager in Wolfsberg.
Der Ruthenenweg in Reding erinnert an das Ukrainer-Lager
in Wolfsberg. © Werner Sabitzer

In der Lagerstadt Wolfsberg befanden sich über 60 Wohn- und Schlafbaracken sowie Isolier- und Krankenbaracken, ein ständiger Arzt, eine Entlausungs- und Badebaracke, Küchengebäude, Lebensmittelmagazine, Brennholz- und Kohlenlager, Werkstätten, ein Kindergarten, eine Schule, einige Geschäfte, ein Postamt, eine Tabaktrafik, ein Verwaltungsgebäude und eine Notkirche aus Holz mit einem 17 Meter hohen Glockenturm. Eine Wasserleitung und eine Stromleitung versorgten das Barackenlager. Für die Lagerinsassen wurden jeden Tag 7.500 Rationen Brot, 650 Liter Milch, 1.000 kg Kartoffel, 1.000 kg Reis, Bohnen oder Rollgerste, 300 kg Schweinefett und 200 kg Zucker benötigt. 250 Milchkühe wurden nach Wolfsberg gebracht, 50 davon waren im Flüchtlingslager eingestallt. Für die Organisation der Nahrungsmittelversorgung war die Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg zuständig, die Kosten waren hoch.
Das Gelände war umzäunt und bewacht. Niemand durfte ohne Erlaubnis das Lager verlassen oder betreten. Die Insassen erhielten von der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg weiße und ab Jänner 1915 hellbraune Passierscheine ausgestellt. Im Lauf der Kriegsjahre wurde die Versorgung der Flüchtlinge mit Lebensmitteln immer schwieriger. Viele Flüchtlinge starben an Seuchen und Unterernährung. Schon in den ersten Monaten gab es einige Cholera-Tote. Allein im Jänner 1915 starben 126 Lagerinsassen, die meisten davon Kinder. Für die vielen Toten wurde der Friedhof St. Johann („Galizianerfriedhof“) errichtet. Insgesamt wurden hier über 900 Lagerinsassen beerdigt, etwa 60 Prozent davon waren Kinder unter fünf Jahren; sie starben an Lungenentzündung, Typhus, Cholera, Masern, Hirnhautentzündung und anderen Erkrankungen. Ansteckende gefährliche Krankheiten griffen auf Bewohner außerhalb des Lagers über. Die Lagerinsassen litten an Hunger, einige von ihnen flüchteten wegen mangelnder Nahrung aus dem Lager.
In den Sommermonaten wurden viele Flüchtlinge zu Ernteeinsätzen und Waldarbeiten in andere Teile der Monarchie gebracht. Für die Arbeiteranwerbung in Wolfsberg berechtigt waren die Landwirtschaftsgesellschaft in Wien und die Landesarbeitsnachweisstelle in Graz.

Rückkehr.

Etwa 60 Prozent der im Flüchtlingslager Verstorbenen waren Kinder im Alter unter fünf Jahren.
Etwa 60 Prozent der im Flüchtlingslager
Verstorbenen waren Kinder im Alter unter
fünf Jahren. © Werner Sabitzer

Als sich Russland nach der Revolution 1917 aus dem Ersten Weltkrieg zurückzog, wurden die russisch besetzten Gebiete in der Ukraine ­zurückerobert. Die meisten überlebenden Flüchtlinge kehrten in ihre kriegsbeschädigte Heimat zurück. Die Baracken in Wolfsberg wurden abgebaut und in das Kanaltal transportiert – für Bewohner, deren Häuser im Krieg zerstört worden waren. Der Flüchtlingsfriedhof St. Johann wurde stillgelegt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er wieder als Friedhof für die Insassen des Kriegsgefangenenlagers Wolfsberg verwendet.

In Erinnerung

In Erinnerung an das Schicksal der Ruthenen wurde am 20. September 2019 in Wolfsberg-Reding eine Gedenkstätte mit sechs Stelen enthüllt. Auf dem Gelände des ehemaligen Flüchtlingslagers, heute ein Siedlungsgebiet, erinnert der „Ruthenenweg“ an die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
Im Wolfsberger Museum im Lavanthaus gab es 2013 unter dem Titel „Lagerstadt Wolfsberg“ eine Sonderausstellung, in der das Ruthenenlager und die späteren Lager in Wolfsberg (Kriegsgefangenenlager Stalag XVIII A, 1939–1945 und Internierungslager Camp 373, 1945–1948) dargestellt wurden.

Werner Sabitzer


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2022

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