Polizeiliche Aus-und Fortbildung

Training im virtuellen Raum    

Virtuelles Training: Bei einem Praxistest wurde das Entscheidungsmanagement von Dreier- und Vierer-Teams trainiert.
Virtuelles Training: Bei einem Praxistest wurde das
Entscheidungsmanagement von Dreier- und
Vierer-Teams trainiert.
© R. Maringer

Die praktische polizeiliche Aus- und Fortbildung soll mit virtuellen Trainingsmodulen ergänzt werden. Bei einem Praxistest konnten Teilnehmerinnen und Teilnehmer die VR-Technik testen.

Das EU-Horizon-2020-Forschungs- und Innovationsprojekt SHOTPROS entwickelt seit nunmehr drei Jahren eine innovative Virtual-Reality-Lösung (VR) für die taktische polizeiliche Aus- und Weiterbildung, um vor allem Entscheidungsfindungen unter Stress zu verbessern. Sechs Behörden aus fünf Ländern nehmen daran teil.
Bei einem Training konnte ein Virtual-Reality-System auf seine Praxis­tauglichkeit getestet werden. Dabei wurde das Entscheidungsmanagement von Dreier- und Vierer-Teams trainiert. Vor allem Streifenwagenbesatzungen sollen von dieser – das herkömmliche Einsatztraining ergänzenden – Trainingsmöglichkeit profitieren. Möglich machen dies bis zu 70 Funkempfänger, die rund um die virtuelle Trainingswelt im Rechteck auf Stativen aufgebaut sind. Diese Funkempfänger sind mit den Sensoren der VR-Trainingsanzüge der Teilnehmer verbunden, die sämtliche Bewegungen zum Trainerstand übertragen und dort visualisiert werden. Es gibt unterschiedliche Systeme, die durch Funkantennen oder Kamerasysteme gestützt werden. Ziele des Projektes sind unter anderem, einheitliche Richtlinien und didaktische Grundlagen für die taktische polizeiliche Aus- und Fortbildung sowie Train-the-Trainer-Konzepte auf europäischer Ebene zu erarbeiten. 

Realität und Fiktion.

Virtuelle Trainingsszenarien bieten die Möglichkeit, beispielsweise Personen und Tiere in ein Szenario einzubinden (z. B.: Kinder, Rollstuhlfahrer, aggressive Hunde etc.), was in einem realen Übungsszenario nicht möglich ist. Für die realistische Gestaltung von VR-Trainings ist es möglich, entweder Avatare (künstliche Personen oder Grafikfiguren) oder/und echte Rollenspieler einzusetzen. Der Vorteil von Rollenspielern besteht darin, dass sich diese während der Trainingssequenzen situativ an die Reaktionen der Trainingsteilnehmer anpassen können. Seitens des technischen Operators können ebenfalls Avatare jederzeit – mit eingespeicherten Verhaltensmustern – eingespielt werden. 

VR-Trainingsanzüge.

Die persönliche VR-Trainingsausstattung besteht aus einem Helm, einer VR-Brille, Kopfhörern, einer Weste, die mit einem Steuerungssystem und Sensoren an Armen und Beinen verbunden ist. Das Steuerungssystem befindet sich am Rücken und ähnelt einem Rucksack. Mittels Schlaufen sowie Klett- und Steckverschlüssen wird der Anzug über der Kleidung befestigt. Zusätzlich erhalten die Teilnehmer einen Einsatzgurt mit polizeilicher Ausrüstung (z. B.: Faustfeuerwaffe, Teleskopeinsatzstock, Handfesseln, Pfefferspray, Funkgerät), die im virtuellen Training eingesetzt werden können. Der eingebaute Akku eines Steuerungssystems hat eine Laufzeit von rund 60 Minuten. 

Trainingsphasen.

Virtuelle Trainingsszenarien bieten die Möglichkeit, beispielsweise Personen und Tiere in ein Szenario einzubinden.
Virtuelle Trainingsszenarien bieten die Möglichkeit,
beispielsweise Personen und Tiere in ein
Szenario einzubinden.
© R. Maringer

Von der Projektleitung, die mit erfahrenen Einsatztrainern internationaler Polizeieinheiten zusammenarbeitet, werden drei Phasen unterschieden.
Zuerst wird vom Trainer das Trainingsziel und das dazu passende Szenario definiert (z. B.: häusliche Gewalt in einem Einfamilienhaus, bewaffnete Person in einem Wohngebiet, Verkehrskontrolle etc.). Nach einer Einweisung wird das vorbereitete Szenario von den Teilnehmern absolviert.
Um die körperlichen Stressreaktionen in den unterschiedlichen Phasen des Szenarios messen zu können, wurden die Teilnehmer zuvor mit Mess­instrumenten verkabelt. Diese Vitalwerte werden während der Trainingssequenzen dem Trainer sowie dem technischen Operator in deren Überwachungsbereichen über Monitore angezeigt. Der Trainer beobachtet das Training und die (Stress-)Reaktionen der Teilnehmer und kann bei Bedarf den Ablauf anpassen und weitere Stressoren einfließen lassen bzw. reduzieren. Damit soll eine individuelle Anpassung der Szenarien auf die jeweils eingesetzten Teilnehmer und deren Stresslevels möglich sein, was sich auf den persönlichen Trainingserfolg auswirken soll. Gleichzeitig ist der technische Operator jederzeit via Funk mit den Teilnehmern verbunden. Zum Abschluss wird das absolvierte Training gemeinsam besprochen und etwaige Adaptierungen als Lernprozess bei weiterführenden Trainingseinheiten eingeführt. 

Persönliche Erfahrungen.

Bei der praktischen Vorstellung des virtuellen Trainings im Februar 2022 konnten ausgewählte Teilnehmer erste persönliche Erfahrungen bei Trainings machen, unter Einhaltung der 2G-Sicherheitsmaßnahmen. Mag. Markus Murtinger, Leiter des Forschungsprojektes und leitender Mitarbeiter des Austrian Institute of Technology, gab den Teilnehmern einen Einblick in die bisherige Entwicklung des Projektes. Das Team rund um Murtinger stand während der gesamten Veranstaltung für Fragen zur Verfügung, was anfängliche Skepsis rasch verschwinden ließ.

Besuchern

Besuchern wurde die Möglichkeit geboten, selbst in die Rolle eines Trainingsteilnehmers zu schlüpfen und virtuelle Trainingssequenzen auszuprobieren. Die persönliche Ausrüstung pro Teilnehmer sieht auf dem ersten Blick schwer und sperrig aus. Erst nach einer Sicherheitseinweisung zum Ablauf eines Trainings in virtueller Umgebung wurden die freiwilligen Teilnehmer zum Ausrüstungsstand geführt, wo unter Hilfestellung die „VR-Trainingsausstattung“ angelegt wurde. Es wurden die Brillen aufgesetzt, die Kopfhörer über den Ohren fixiert und man befand sich in einem virtuellen Raum aus sich kreuzenden Linien. Via Headset wurden die Teilnehmer durch ein Tutorial geführt, damit die Sensoren an die Schrittlängen bzw. Bewegungen des jeweiligen Trägers mit dem Computersystem abgestimmt werden können – ähnlich wie bei der Einstellung eines neuen Schrittzählers einer Sportuhr – nur professioneller.

Erstes Szenario.

Trainingsteilnehmer werden vom Trainer in die Übungsszenarien eingewiesen.
Trainingsteilnehmer werden vom Trainer
in die Übungsszenarien eingewiesen.
© A. Hohensinn

Die Teilnehmer begaben sich danach über Anleitung der Trainer in das erste Szenario. Dabei kamen Erinnerungen an diverse Computerspiele auf, nur dass man sich hier inmitten einer solchen Umgebung wiederfand. Sehr ungewöhnlich war das Hinauf- bzw. Heruntersteigen über Treppen, da man sich in der Realität auf einem Turnhallenboden bewegte – die VR-Brille spiegelte vor, dass man sich in einen Keller bzw. ein Obergeschoß bewegte. Umgebungsgeräusche machten die Szenarien rea­lis­tischer und man konnte sich mit der Situation besser identifizieren. Um die Anwendung der Bewaffnung zu üben, wurden im ersten Durchgang Situationen eingespielt, die das Kennenlernen erleichterten.

In zwei weiteren Szenarien

In zwei weiteren Szenarien „tauchte“ man sofort in die Einsatzlage ein und man nahm die reale Umgebung nicht mehr wahr. Gemeinsam mit zwei weiteren Teilnehmern wurde versucht, die bisher erlernten Fähigkeiten bestmöglich umzusetzen. Fazit: Als Teilnehmer muss man sich ein Stück weit in die virtuelle Welt versetzen können, um sich voll auf die eingespielten Szenarien zu konzentrieren – dann klappt es jedenfalls mit dem Erreichen des persönlichen Erfolges – jedenfalls als Ergänzung zum „herkömmlichen“ polizeilichen Training.

Virtual Reality-Sickness.

Interessant ist, dass es offenbar nicht jedem Menschen möglich ist, virtuelle Trainings durchzuführen. Bis zu fünf Prozent der möglichen Teilnehmer leiden im Zuge dieser Trainingsart unter der sogenannten „Virtual Reality Sickness“. Darunter ist eine Form der Übelkeit und Schwindel zu verstehen, die mit dem Eintauchen in eine computergenerierte Umgebung eintritt. Diese Symptome wurden im Zuge von Studien vor allem bei VR-Computer-Spielen festgestellt und können bis zu mehreren Stunden nach Absolvierung der Trainingseinheiten anhalten. Bei wenigen Menschen können diese Symptome zum sofortigen Abbruch der Trainingssequenz führen.

SIAK.

Der Fachzirkelleiter für die polizeiliche Grundausbildung der Sicherheitsakademie des Innenministeriums (SIAK), Chefinspektor Roland Maringer, beschäftigt sich im Rahmen seiner Tätigkeit bereits seit geraumer Zeit damit, Trainingssequenzen mit VR-Filmen zu ergänzen. Mithilfe von selbst erstellten Kurzvideos, in denen diverse Einsatzszenarios nachgestellt werden, soll es Teilnehmern der Polizeigrundausbildung (PGA) möglich sein, Entscheidungen vielfach zu trainieren, ohne dabei Statisten und Trainerpersonal wiederholt zu bemühen. Die Feedbacks der PGA-Teilnehmer fielen überwiegend positiv aus, daher sollen in diesem Bereich vermehrt praktische Erfahrungen gemacht werden, um ein für Österreich anwendbares System zu finden. Für eine künftig qualifizierte und vor allem flächendeckende Aus- und Fortbildung von Polizeibediensteten unterschiedlicher Organisationseinheiten ist es notwendig, über eine umfassende Ausrüstung und Know-how in diesem Bereich zu verfügen.

Internationale Vernetzung.

Im Projekt SHOTPROS habe Maringer Kontakte zu anderen europäischen Polizeibehörden aufbauen können, die an zukunftsweisenden Systemen interessiert seien. So sollen regelmäßige Treffen den fachlichen Austausch vorantreiben – bereits im März 2022 fand in Deutschland ein weiteres Treffen statt, wo Österreich vertreten war.
Das letzte Treffen fand in Österreich bei der SIAK statt, das von Chefinspektor Mag. Thomas Greis organisiert worden war. Auch für ihn steht fest, dass regelmäßige internationale Vernetzungen mit direkten Ansprechpartnern für die Entwicklung dieses Projektes sehr wichtig sind. Durch den Austausch mit „elementaren Playern“ auf diesem Gebiet entstand bereits jetzt ein großer Vorteil für die SIAK, die für die polizeiliche Grundausbildung und Fortbildung in Österreich verantwortlich zeichnet. Laut Auskunft von Greis wird derzeit eine „Stärken-Schwächen-Analyse“ im Rahmen kleinerer Projekte bzw. Arbeitsgruppen durchgeführt. Diese Erkenntnisse sollen gemeinsam mit Tes­tungen in die Forschung im VR-Bereich einfließen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie mussten im polizeilichen Ausbildungssektor rasch neue Lernformen getestet werden, was für gegenständliches Projekt sicherlich von großem Vorteil war. 

Mehrwert.

Für den Polizei-Einsatztrainer „Timo“, der als fixes Projektmitglied die praktischen VR-Trainings mit den Übungsteilnehmern leitet, stellt das VR-Training einen großen Mehrwert dar. „Innerhalb kurzer Zeit kann man viele unterschiedliche Szenarien basteln. Man benötigt lediglich eine Trainingsörtlichkeit, weniger Personal und null Requisite. Das Gegenüber kann mittels Computer dargestellt werden und man benötigt keine Sicherheitsvorkehrungen, wie zum Beispiel bei der Durchführung von FX-Szenarien.“

Analysemöglichkeiten.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Nachbesprechungen durch Trainerpersonal bietet das VR-Training eine wesentliche Komponente zur Aufarbeitung des absolvierten Szenarios. Für Timo steht fest: „Aufgrund der vielen Kameraperspektiven (z. B. VR-Brille, Waffe, Gegenüberdarsteller, Streifenpartner etc.) ist es möglich, im Rahmen der Feed­backrunde am Trainercomputer die Szenen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten und die Fakten zu besprechen. Dies soll die Handlungssicherheit bei den Teilnehmern für den Einsatz festigen. Durch die Messung von Herzfrequenz, Puls und Atmung der Teilnehmer während der Szenarien kann seitens des Trainers zielgerichtet die Intensität des Trainings gesteuert werden – ein absoluter Mehrwert. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Teilnehmer künftig weder unter- noch überfordert werden.“
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Polizei speziell bei der Durchführung von einsatzbezogenen Trainings weiterentwickeln muss und die Erweiterung/Ergänzung durch virtuelle Realitäten jedenfalls einen guten Ansatzpunkt liefert, besser zu werden.                                         

A. H.

Wissensplattform POLIZEI.WISSEN

Neue Angebote

Wissensplattform POLIZEI.WISSEN
Wissensplattform POLIZEI.WISSEN © Gerd Pachauer

Wer nützliche Handlungsanleitungen, Richtlinien und Gesetzestexte, Erlässe sowie Schulungsunterlagen und   -videos für die polizeiliche Arbeit an einem Ort auffinden möchte, sollte die Wissensplattform POLIZEI.WISSEN besuchen. Sie stellt all das gebündelt, übersichtlich strukturiert und ansprechend gestaltet zur Verfügung und ist seit Dezember 2021 für alle Bediensteten des Innenressorts über einen Direktlink auf der MyHome-Seite sowie die Intranetseiten der Landespolizeidirektionen abrufbar.
Ein Journal mit Fachbeiträgen und Kommentaren sowie eine Rubrik über die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit u.a. mit Portraits über einzelne Organisationseinheiten laden darüber hinaus zum Schmökern ein. Nachdem die grundsätzliche Befüllung und laufende Aktualisierung der Wissensplattform in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen gut angelaufen sind, arbeitet das Redaktionsteam an neuen Angeboten.

Schon gewusst? – Polizeibefugnisse. So bietet die Plattform seit Kurzem etwa eine Übersicht über Polizeibefugnisse an. Denn sie sind oft in unterschiedlichen Gesetzen und unterschiedlichem Umfang geregelt. Die Befugnisse zur Personendurchsuchung und für vorläufige Festnahmen finden sich beispielsweise im SPG, dem FPG und der StPO.
Polizistinnen und Polizisten müssen also nicht nur die Befugnisse kennen, sondern auch wissen, nach welchen Gesetzen sie in welchem Umfang zulässig sind. Komplexe Fragen also, auf die es auf POLIZEI.WISSEN nun klare Antworten gibt.
Das Redaktionsteam arbeitet an den nächsten Angeboten, die es exklusiv auf der Wissensplattform geben soll. Sie werden Polizistinnen und Polizisten ihren Arbeitsalltag erleichtern. Weitere Ideen und Wünsche dazu sind unter POLIZEI.WISSEN@bmi.gv.at herzlich willkommen.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2022

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