Interview Bettina Schützhofer

„Macht auf der Straße ausleben“

Mag. Dr. Bettina Schützhofer, Geschäftsführerin des verkehrspsychologischen Instituts „sicher unterwegs“, über die Gründe, warum vorwiegend junge Männer schnell fahren und wie eine Verhaltens­änderung herbeigeführt werden kann.

Bettina Schützhofer: „Junge Männer, die schnell fahren, überschätzen oft ihre fahrerischen und psycho motorischen Fähigkeiten.“
Bettina Schützhofer: „Junge Männer,
die schnell fahren, überschätzen oft ihre
fahrerischen und psycho motorischen Fähigkeiten.“
© www.sicherunterwegs.at

Aus welchen Gründen werden Menschen zu Rasern?

Aus psychologischer Sicht sind extreme Raser in die hiesige Verkehrskultur tief eingebettet. Sehr häufig ist auch bei extremen Rasern kein Unrechtsbewusstsein vorhanden, weil Schnellfahren bis zu einem gewissen Grad in der Gesellschaft als Kavaliersdelikt angesehen wird. Befragungen von Fahrzeuglenkern haben sehr deutlich gezeigt, dass der gesetzlich eingeräumte Toleranzbereich bei Geschwindigkeitsübertretungen in der Regel bereits einberechnet wird. Teilweise ist ein gewisses Budget für Geldstrafen bereits einkalkuliert. Somit kann man viel schneller fahren als erlaubt, riskiert jedoch den eigenen Führerschein (noch) nicht. Vielen fehlt das notwendige Wissen, wa­rum Geschwindigkeitsbeschränkungen Sinn ergeben; etwa unterschiedliche Aufprallenergien bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Was zeichnet extreme Raser aus bzw. wie kann man dieses Verhalten aus verkehrspsychologischer Sicht beurteilen?

Besonders auffällig bei extremen Rasern ist, dass es sich dabei meist um junge Männer handelt, die wenig Verständnis für die physikalischen Grenzen des Fahrzeuges aufweisen. Diese Gruppierung überschätzt ihre fahrerischen und psychomotorischen Fähigkeiten, zeigt eine hohe Risikobereitschaft – dies führt zu unrealistischen Gefahreneinschätzungen. Bei Fahranfängern, die verpflichtend in der Mehrphasenausbildung einen Fahrsicherheitstag mit verkehrspsychologischem Gruppengespräch absolvieren müssen, wird unter anderem durchwegs der Anhalteweg unterschätzt.
Psychologisch gesehen reift bei Jugendlichen das Belohnungszentrum des Gehirns schneller als das Kontrollzentrum. Die Reifung des Frontallappens, wo das Kontrollzentrum angesiedelt ist, das wir beispielsweise für Impulskontrolle brauchen, reift bis zum Alter von Mitte Zwanzig. Daher gehen insbesondere junge Männer ein besonderes Risiko beim Lenken ein, wenn sie durch Schnellfahren beispielsweise Anerkennung von ihren Peers, oder jungen Frauen bekommen. Diese Anerkennung ist für sie eine wichtige Belohnung und Glücksquelle. Mit Abschluss dieses körperlichen Entwicklungsprozesses hört bei einer großen Anzahl an jungen Männern das Schnellfahren meist von selbst auf. Natürlich gibt es eine kleine Gruppe von Männern, die auch danach weiterhin extrem rasen. Dieses – zum Teil sogar soziopathische – Verhalten wurde vor allem bei Menschen festgestellt, die grundsätzlich keine Normen und Regeln anerkennen wollen und auch außerhalb des Autos oder des Straßenverkehrs konfliktgeneigt sind.

Aus welchem Grund nehmen besonders junge Männer an illegalen Straßenrennen teil?

Junge Männer, die zum extremen Rasen neigen, befinden sich meist innerhalb einer sogenannten „Peer-Group“, die zu risikoreichem Verhalten neigt – zum Beispiel illegale Straßenrennen – und einen hohen emotionalen Bezug zum Auto hat – zum Beispiel Tuning. Diese dabei gemachten „positiven Erfahrungen mit Kontroll­illusion“ verschaffen jedes Mal einen „Kick“ bzw. führen zu „Flowerleben“, verstärkt wird dies durch positives Feedback/Bewunderung durch die zahlreich anwesenden Mitglieder dieser Gruppe („Peers“). Unter anderem dient die Teilnahme mit getunten Fahrzeugen an derartigen Treffen innerhalb von Jugendgruppen als Statussymbol, um im eigenen Auto auf der Straße Macht auszuleben, die Freude am Fahren zu erleben und die eigene Kompetenz im Straßenverkehr zu erfahren, um als erwachsen angesehen zu werden.

Manche übertreiben diese Neigung ja sichtlich – wie kann man sich die Nachschulung in Ihrem Institut vorstellen?

Nachschulungen für verkehrsauffällige Lenker umfassen insgesamt 4 Sitzungen mit 15 Einheiten und eine Probefahrt. Ziel ist es, Einstellungs- und Verhaltensveränderungsprozesse bei den Probanden unter Anleitung von Verkehrspsychologen herbeizuführen. Bei der Probefahrt, bei der sich der Proband als Lenker, ein geprüfter Fahrlehrer sowie weitere Nachschulungsteilnehmer („Peers“) im Fahrzeug befinden, wird ein sogenanntes Fahrtenprotokoll erstellt, um zu dokumentieren und durch Selbst- und Fremdbeobachtung sowie Selbst- und Fremdbewertung Einsicht und darauf basierende Veränderung zu erzeugen. Dabei geben der Fahrlehrer und die mitfahrenden Peers Feedback zur praktischen Fahrt. In der Praxis wird vor allem durch die Rückmeldungen der anderen Peers der Unterschied zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung beim Lenken sichtbar und regt zum Nachdenken an.

Sind bei verkehrspsychologischen Maßnahmengesprächen die Themen „Reue“ oder „Einsicht“ gegenwärtig?

Ja, natürlich. Spätestens nach einem schweren oder sogar tödlichen Verkehrsunfall kommt die äußerst schmerzliche Einsicht der Extrem-Raser. Oft handelt es sich bei den Opfern um Mitglieder der eigenen „Peer-Group“. Dies kann für den Verursacher derartiger Unfälle sogar so weit führen, dass dieser sein gesamtes Leben in einer kleinen Dorfgemeinde aufgeben muss, da er stigmatisiert ist.

Gab es Klienten, die sich nach einem Vorfall in der Prävention einsetzten?

Im Zuge von Nachschulungsmaßnahmen wird vereinzelt sogar der Entschluss gefasst, als ehemaliger Unfalllenker/Betroffener im Rahmen des Projektes „close to“ das selbst Erlebte bei Fahrschulausbildungen an Führerschein-Anwärter weiterzugeben. Das Projekt wurde jedoch ursprünglich als Schwerpunktmaßnahme gegen Alkolenker eingerichtet – dies ebenfalls für Extrem-Raser auszubauen, ist jedenfalls ein interessanter Gedanke.

Erst kürzlich wurde im Parlament eine weitere Novellierung des KFG beschlossen. Ergänzend zu Ihrer Befragung von Probanden interessiert es uns, aus welchen persönlichen Gründen eine so übereinstimmende Ablehnung gegen die Beschlagnahmung des Fahrzeuges besteht?

Die Teilnahme mit getunten Fahrzeugen an Treffen innerhalb von Gleichgesinnten dient als Statussymbol, um im eigenen Auto auf der Straße Macht auszuleben.
Die Teilnahme mit getunten Fahrzeugen an Treffen
innerhalb von Gleichgesinnten dient als Statussymbol,
um im eigenen Auto auf der Straße Macht auszuleben.
© LPD Kärnten

Im Gespräch teilten uns die Befragten mit, dass das Auto den Staat „nichts angehe“. Daraus kann man auch entnehmen, dass Rasen nicht als so schwer eingestuft wird und dieser Eingriff sozusagen aus Sicht der Betroffenen nicht verhältnismäßig wäre. Zugegeben muss man sich natürlich auch die juristische Durchsetzbarkeit genauer ansehen – zum Beispiel Firmenautos etc. Selbst Italien, das sehr rigoros mit Fahrzeugbeschlagnahmungen bei Alkolenkern vorgeht, hat hier mit Problemen zu kämpfen. Aus der Sicht der Verkehrspsychologie ist es auch notwendig, abzuwägen, welche Maßnahmen als überschießend empfunden werden, denn dadurch kann die Akzeptanz von sinnvolleren Maßnahmen in den Augen der Betroffenen abgemildert werden.

Welche konkreten präventiven Maßnahmen würden Ihrer Meinung nach zu einem Umdenken von Extrem-Rasern in der Szene führen?

Verkehrserziehung sollte das gesamte Leben lang stattfinden. Es ist besonders wichtig, dass seitens des Gesetzgebers unterschiedliche Maßnahmenpakete vorgesehen sind, um alters- und zielgruppenspezifisch präventiv wirken zu können. Es hilft wahrscheinlich nicht besonders, wenn beispielsweise die Geldstrafen für die Teilnahme an illegalen Straßenrennen eines jungen Mannes vom Vater und die Nachschulung von den Großeltern bezahlt werden – hier müssen offenbar andere Maßnahmen greifen.
Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Österreich bereits sehr junge Menschen ihre Mopeds tunen, um höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Die Lust am Tuning beginnt in der Zielgruppe recht früh und so haben unter Umständen bereits 16-jährige Führerscheinanwärter einen ganz anderen Zugang zur Geschwindigkeit.
Grundsätzlich bräuchte es in Österreich eine veränderte gesellschaftliche Einstellung zum Schnellfahren u.a. mit Hilfe von Maßnahmenpaketen, umfassender Aufklärung und Prävention auf allen Ebenen. Um die Verkehrskultur nachhaltig zu verändern,  ist jedenfalls ein langer Atem nötig. Die Verkehrsdichte nimmt laufend zu und damit auch die Anzahl der Konflikte zwischen den unterschiedlichen Fahrertypen.

Interview: A. H.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2022

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