Gewaltschutz

Opfern Schutz ermöglichen 

Vor 25 Jahren wurde mit dem „Gewaltschutzgesetz“ der Grundstein für die moderne Präventionsarbeit gegen Gewalt in der Privatsphäre gelegt. Zu deren Bekämpfung ist eine breite Zusammenarbeit notwendig.

Podiumsdiskussion: Doris Täubel-Weinreich, Familienrichterin, Rudolf Keplinger, LPD Oberösterreich, Sandra Szabo, Moderatorin, Marina Sorgo, Bundesverband Gewaltschutzzentren, Dina Nachbaur, Beratungsstelle für Gewaltprävention.
Podiumsdiskussion: Doris Täubel-Weinreich, Familienrichterin, Rudolf Keplinger, LPD Oberösterreich, Sandra Szabo,
Moderatorin, Marina Sorgo, Bundesverband Gewaltschutzzentren, Dina Nachbaur, Beratungsstelle für Gewaltprävention.
© Gerd Pachauer

Häusliche Gewalt ist ein komplexes soziales Problem, in dem viele Stellen kooperieren: Exekutive, Gerichte, Kinder- und Jugendhilfe sowie Gewaltschutzzentren und andere Nicht-Regierungsorganisationen.
„Um gegen Gewalt im privaten Bereich konsequent vorgehen zu können, braucht es eine enge Vernetzung zwischen Polizei und den Gewaltschutzeinrichtungen. Diese Zusammenarbeit ist ein international anerkanntes Vorzeigemodell. Ziel ist, den Opfern umfassenden und nachhaltigen Schutz zu ermöglichen“, sagte Innenminister Mag. Gerhard Karner beim Symposium zum „25 Jahre Gewaltschutz“ am 29. April 2022 in Wien, das von Innen-, Justiz- und Frauenministerium gemeinsam mit dem Bundesverband der Gewaltschutzzentren ausgerichtet worden war.

Laufende Erneuerung.

Gerhard Karner: „Es braucht eine enge Vernetzung zwischen Polizei und den Gewaltschutzeinrichtungen.“
Gerhard Karner: „Es braucht eine
enge Vernetzung zwischen
Polizei und den Gewaltschutz-
einrichtungen.“
© Gerd Pachauer

Neben der Zusammenarbeit dieser Stellen ist auch eine ständige Evaluierung und Modernisierung des Gewaltschutzes wichtig. Aus diesem Grunde erfuhr der Schutz vor Gewalt in der Privatsphäre im Herbst 2021 seine jüngste Modernisierung: Mit knapp 25 Millionen Euro wurde das größte Gewaltschutzpaket seit jeher geschnürt. Ein zentraler inhaltlicher Punkt war die institutionalisierte, opferschutzorientierte Täter/-innen-Arbeit, als besondere Maßnahme zur Vorbeugung künftiger Gewalttaten. Gefährder/-innen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen worden ist, müssen an einer mindestens sechsstündigen Gewaltpräventionsberatung in einer Beratungsstelle für Gewaltprävention teilnehmen. Die Kosten von voraussichtlich neun Millionen Euro pro Jahr übernimmt das Bundesministerium für Inneres. Außerdem wurde mit Jahresbeginn 2022 ein automatisches Waffenverbot für Gefährder/-innen bei Aussprache eines Betretungs- und Annäherungverbotes eingeführt.

Werkzeuge.

Ein besonders effizientes und wichtiges Werkzeug beim Gewaltschutz sind die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen zum Schutz von gefährdeten Personen. Es handelt sich hierbei um koordinierte Konferenzen mit Behörden und Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben vollziehen, wo besondere Einzelfälle analysiert werden. Ein weiteres Werkzeug für Opfer von häuslicher Gewalt ist der neu eingeführte „Stille Notruf“. Diese als Handy-App entwickelte Lösung ist eines von vielen Mitteln, das Opfern von Gewalt in einer akuten Gefahrensituation ermöglicht, den Polizeinotruf zu verständigen.

Breite Unterstützung.

Marina Sorgo: „Österreich hat als ers tes Land in Europa tiefgreifende Konsequenzen im Umgang mit Gewalt gezogen.“
Marina Sorgo: „Österreich hat
als erstes Land in Europa tiefgreifende
Konsequenzen im Umgang mit Gewalt
gezogen.“ © Gerd Pachauer

„Österreich hat mit dem Gewaltschutzgesetz international eine Vorreiterrolle im Gewaltschutz eingenommen. Heute wird so viel Geld wie noch nie in den Gewaltschutz investiert, alleine heuer fließt mehr als die Hälfte des Rekord-Frauenbudgets von 18,4 Millionen Euro in den Gewaltschutz“, sagte Frauenministerin Dr. Susanne Raab. „Trotzdem hört unsere Arbeit im Gewaltschutz nie auf, denn jeder Fall von Gewalt an Frauen und Mädchen ist einer zu viel. Jede Frau und jedes Kind soll ein Leben frei von Gewalt leben können. Daher werde ich auch in Zukunft mit allen Akteurinnen und Akteuren geeint gegen Gewalt an Frauen in Österreich vorgehen.“

Gesellschaftlicher Wandel.

„Mit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes vor 25 Jahren fand ein gesellschaftlicher Wandel statt. Zuvor waren Gewalttaten im familiären Umfeld individuelle Probleme der Frau – nicht der Täter war das Problem. Dass das heute nicht mehr vorstellbar ist, ist eine frauenpolitische Errungenschaft“, sagte Justizministerin Dr. Alma Zadic. „Es gibt aber noch immer viel zu tun. Die zahlreichen Frauenmorde der vergangenen Jahre sind ein Auftrag an uns alle, weitere gesamtgesellschaftliche Veränderungen in Gang zu setzen, damit das Leben von Frauen und Mädchen in Österreich sicherer wird.“

Vorreiter.

„Mit dem Gewaltschutzgesetz 1997 hat Österreich als erstes Land in Europa tiefgreifende Konsequenzen im Umgang mit Gewalt gezogen“, sagte Marina Sorgo MA, Vorsitzende des Bundesverbands der Gewaltschutzzentren und Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Steiermark. In den ersten Jahren seien pro Jahr rund 2.000 Personen in den Gewaltschutzzentren betreut worden, im vergangenen Jahr wurden mehr als 22.000 auf diesem Weg erreicht. Insgesamt waren es seit Inkrafttreten rund 330.000 Personen, zum allergrößten Teil Frauen und ihre Kinder – mehr Menschen als Graz Einwohner hat.

Zahlen und Daten zum Gewaltschutz.

Susanne Raab; „Jede Frau und jedes Kind soll in Österreich ein Leben frei von Ge walt führen können.“
Susanne Raab; „Jede Frau und jedes
Kind soll in Österreich ein Leben frei von
Gewalt führen können.“
© Gerd Pachauer

Zwischen 1997 und 2022 wurden von der Polizei 161.650 Betretungs- und Annäherungsverbote nach den Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes ausgesprochen. Von Anfang 2020 bis Anfang April 2022 wurden 28.750 derartige Maßnahmen gezählt. Heuer wurden bis 1. April cirka 3.380 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen  und 2.700 Gefährder weggewiesen. Das Betretungs- und Annäherungsverbot gilt für die Dauer von zwei Wochen. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob es sich bei der Gefährderin oder dem Gefährder um die Mieterin oder den Mieter oder um die Eigentümerin oder den Eigentümer der Wohnung handelt. Von Bedeutung ist, dass die gefährdete Person in dieser Wohnung wohnt.
Ab 2020 – bei 11.652 Betretungs- und Annäherungsverboten – sind die Daten wegen einer Änderung der Zählweise nicht mehr mit den früheren vergleichbar: Seither wird „pro Maßnahme“ gezählt, d. h. jeweils eine Gefährderin oder ein Gefährder und eine gefährdete Person werden pro Maßnahme erfasst. Gibt es eine weitere gefährdete Person oder Gefährderin bzw. Gefährder, erfolgt eine weitere Maßnahme, was zu einer weiteren statistischen Fallzahl führt.
Bis Ende 2019 hingegen waren ausschließlich die Gefährder/-innen registriert worden. Mehr als 90 Prozent der weggewiesenen Personen waren männlich. Seit Mitte der 2000er-Jahre ist eine tendenzielle Steigerung in den Statistiken zu erkennen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Maßnahme „Betretungs- und Annäherungsverbot an Akzeptanz dazugewonnen habe.“

Sensibilisierung.

Beigetragen habe auch die Sensibilisierung für das Thema Gewalt in der Familie allgemein und dass Opfer – mehr als 80 Prozent Frauen – dadurch weniger als früher Stigmatisierung fürchten müssten. Der Rückschluss, dass es aufgrund der steigenden Zahlen auch ein „mehr an Gewalt“ gäbe, ist kriminalpolizeilich nicht erwiesen. Es ist eher davon auszugehen, dass sich durch die zunehmende Akzeptanz das Dunkelfeld der nicht gemeldeten Vorfälle stetig verringert hatte.
Von September bis Ende Dezember 2021  wurden bundesweit rund 4.000 Gefährder/-innen in den Beratungsstellen für Gewaltprävention beraten bzw. zu dem mehrstündigen Trainings verpflichtet.

Maßnahmen innerhalb der Polizei.

Alma Zadic: „Zuvor waren Gewalttaten im familiären Umfeld individuelle Probleme der Frau – nicht der Täter war das Problem.“
Alma Zadic: „Zuvor waren Gewalttaten
im familiären Umfeld individuelle Probleme
der Frau – nicht der Täter war das
Problem.“ © Gerd Pachauer

„Gewaltschutz gehört zu den zentralen Aufgaben der Polizei in Österreich. Seit 25 Jahren wird die Aus- und Fortbildung in diesem Bereich ständig weiterentwickelt und durch die enge Vernetzung mit den Gewaltschutzzentren professionalisiert“, sagte Innenminister Karner.
Seitens des Innenministeriums werden alle Maßnahmen, Prozesse und Ausbildungen im Bereich der häuslichen Gewalt laufend evaluiert, modernisiert und verbessert. Federführend ist hierbei das Bundeskriminalamt. Eine zentrale Maßnahme ist die Ausbildung von Präventionsbeamtinnen und -beamten, deren Zahl von 500 auf mehr als 900 erhöht wurde. Diese Polizistinnen und Polizisten stehen bundesweit für den Gewaltschutz intern und extern als Expert/-innen zur Verfügung. Ziel ist, dass ein Präventionsexperte bzw. eine -expertin in jeder Polizeiinspektion verfügbar ist. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Aus- und Fortbildung der Polizistinnen und Polizisten im Gewaltschutz. Das erfolgt in der Regel gemeinsam mit den Gewaltschutzzentren und der Interventionsstelle Wien.

GiP-Support.

In der Landespolizeidirektion (LPD) Wien unterstützt ein GiP-Supportteam – GiP ist die Abkürzung für Gewalt in der Privatsphäre – seit Anfang Juli 2021 die ersteinschreitenden Polizistinnen und Polizisten in Wien bei Amtshandlungen mit Gefährdungs- und Gewaltpotenzial im privaten Bereich. Mit Hilfe des Support-Teams sollen die im Einsatz stehenden Beamt/-innen eine aussagekräftige Gefahrenprognose treffen können, auf die sich weitere Maßnahmen und Verfügungen stützen.

Ausblick.

„Es braucht einen Schulterschluss der gesamten Gesellschaft. Sie muss Frauen, die Opfer von Gewalt werden, noch mehr ermutigen, die Gewaltspirale zu durchbrechen und die Polizei zu rufen. Unser gemeinsames Ziel ist, Zivilcourage zu fördern, wenn Menschen Gewalt in Beziehungen erkennen oder wahrnehmen. Eine sensibilisierte Zivilgesellschaft ist der beste Garant für die Reduzierung von Gewalthandlungen“, sagte Innenminister Karner.

GIP-Support: Beim Einschreiten bei Gewalt in der Privatsphäre werden Polizistinnen und Polizisten der Landespolizeidirektion Wien von erfahrenen Kollegen unterstützt.
GIP-Support: Beim Einschreiten bei Gewalt in der Privatsphäre
werden Polizistinnen und Polizisten der Landespolizeidirektion Wien
von erfahrenen Kollegen unterstützt. © Bernhard Elbe

Die Arbeit mit Opfern und gegen das Phänomen der häuslichen Gewalt ist in allen modernen Gesellschaften eine Herausforderung. Wie auch in anderen Ländern wurde auch in Österreich seit Längerem festgestellt, dass eine allein sicherheits- oder kriminalpolizeiliche Herangehensweise ein derart komplexes kriminalsoziologisches Problem nicht lösen kann, weshalb mittlerweile seit vielen Jahren eine enge Kooperation zwischen verschiedenen staatlichen und nicht staatlichen Organisationen besteht. Neben den angeführten internen polizeilichen Anpassungen und Modernisierungen gibt es gesellschaftlich gesehen Verbesserungspotenzial. Dies betrifft etwa die Stärkung der Zivilcourage (Erstatten von Anzeigen bei der Polizei bei verdächtigen Wahrnehmungen, etwa in der Nachbarschaft), den weiteren Abbau von vorurteilsbehafteten Stigmata gegenüber Opfern von häuslicher Gewalt, aber auch den weiteren Ausbau der Akzeptanz und der Kenntnis der Gewaltschutzmaßnahmen, vor allem bei besonders gefährdeten Opfergruppen.

Informationen und Checklisten für Polizistinnen und Polizisten zum Thema „Gewalt in der Privatsphäre“ bietet der „Kriminalistische Leitfaden“ des Bundeskriminalamtes.
Am E-Campus des Bundesministeriums für Inneres gibt es einen Online-Kurs zum Gewaltschutzgesetz, in dem Regelungen über Organisation und Vollziehung bei „Gewalt in der Privatsphäre“, insbesondere des § 38a SPG, behandelt werden. Der Online-Kurs enthält acht Videosequenzen zu den wichtigsten Themenbereichen des Gewaltschutzes.

Opferschutz 

Hilfe und Information

Frauen, die Gewalt erfahren, finden Hilfe und Informationen bei den

  • Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen unter www.gewaltschutzzentrum.at und der Rufnummer: 0800/700217 und der
  • Frauenhelpline unter: 0800/222 555 (kostenlos und rund um die Uhr), www.frauenhelpline.at; beim
  • Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www. aoef.at 

Betroffene von Gewalttaten und Verbrechen können sich auch an die Opferschutzorganisation Weisser Ring wenden unter Tel.: 0800/112-112, www.opfernotruf.at.

  • Weitere Notrufe: Droht akute Gewalt, rufen Sie sofort den Polizei­notruf unter 133 oder 112. Gehörlose und Hörbehinderte können per SMS an 0800/133 133 Hilfe rufen.
  • Weitere Angebote: 24-Stunden-Frauennotruf Wien: 01 71719, Frauenhausnotruf Wien: 05 77 22, Männerinformation: 0800 400 700.

Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2022

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