Gewaltschutz

Notwendige Sofortmaßnahme

Österreich war eines der ersten europäischen Länder, in dem der Schutz vor häuslicher Gewalt gesetzlich geregelt wurde – ein Überblick über die Entwicklungen.

Zwischen 1997 und 2022 wurden von der Polizei 161.650 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen.
Zwischen 1997 und 2022 wurden von der Polizei 161.650
Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen.
© Gerd Pachauer

Die Prävention von häuslicher Gewalt ist ein langjähriges Anliegen Österreichs. Gewaltschutz kommt im Bundesministerium für Inneres als oberster Sicherheitsbehörde hohe Priorität zu. Am 1. Mai 1997 trat das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie (Gewaltschutzgesetz) in Kraft, das ein Paket von Änderungen verschiedener Gesetzesmaterien – im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB), in der Exekutionsordnung (EO) und im Sicherheitspolizeigesetz (SPG) – darstellte.
Damit war nicht nur ein Paradigmenwechsel verbunden, es wurde insbesondere auch eine Befugnis für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes geschaffen, einen Gefährder aus einer Wohnung, in der dieser mit der gefährdeten Person lebt, wegzuweisen und ihn davon fernzuhalten, dorthin zurückzukehren (Betretungsverbot). Erstmals konnte damit eine wirksame und zur Sicherung und zum Schutz gefährdeter Personen notwendige Sofortmaßnahme gesetzt werden. An diese polizeiliche Anordnung konnte längstens binnen 20 Tagen eine einstweilige Verfügung des Familiengerichts anschließen oder das Betretungsverbot trat außer Kraft. Begleitend wurde in jedem Bundesland eine Interventionsstelle bzw. ein Gewaltschutzzentrum eingerichtet, die Gewaltopfern Hilfe und Unterstützung anbieten; die Kooperation von Behörden und privaten Einrichtungen wurde wesentlich verstärkt. Seit 1997 gab es zahlreiche Änderungen des Gewaltschutzgesetzes.

Änderungen.

Mit 1. Jänner 2000 trat eine Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz in Kraft, mit der die Regelung des Betretungsverbotes überarbeitet und eine gesetzliche Basis für die Beauftragung von Interventionsstellen geschaffen worden ist. In der SPG-Novelle 2005 wurde die gesetzliche Grundlage zur Schaffung einer zentralen Gewaltschutzdatei im Sicherheitspolizeigesetz geschaffen. Diese – von allen politischen Kräften im Parlament unterstützte – Bestimmung ermöglicht es den Sicherheitsbehörden und den einschreitenden Beamtinnen und Beamten österreichweit die für eine rasche Gefährlichkeitsprognose erforderlichen Informationen zu gewinnen.

Zweites Gewaltschutzgesetz.

Im Jahr 2009 erließ der Gesetzgeber das zweite Gewaltschutzgesetz, das Novellen zu einer Vielzahl von Gesetzen, etwa Exekutionsordnung, Strafgesetzbuch, Tilgungsgesetz und Strafregistergesetz, beinhaltete. Die wesentlichen Entwicklungen betrafen das Strafrecht und das Zivilrecht. Im Sinne eines verbesserten Opferschutzes wurden etwa die gesetzlichen Grundlagen für einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in der Familie und für einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privat­sphäre („Stalking“) neu geregelt sowie der Schutz der Opfer vor strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung wesentlich gestärkt.
Die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes der fortgesetzten Gewaltausübung ist erfolgt. Änderungen betrafen die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügungen und den geschützten Personenkreis. Mit einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre konnte damit auch ein Betretungsverbot mit einer Höchstdauer von einem Jahr erlassen werden. Im Sicherheitspolizeigesetz wurde die Verlängerung der Dauer des Betretungsverbotes und damit die Frist zur Antragstellung einer einstweiligen Verfügung auf zwei Wochen verankert.

Eine umfassende Änderung erfolgte mit der SPG-Novelle 2013. Diese brachte eine Ausweitung des Betretungsverbotes gemäß § 38a SPG auf Schulen und institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen, wie Kindergärten, um unmündige Minderjährige bei Fällen von familiärer Gewalt auch an derartigen Orten vor Übergriffen schützen zu können. Weiters wurde eine Verwaltungsstrafbestimmung geschaffen, mit der die Missachtung einer durch bestimmte einstweilige Verfügungen getroffenen Anordnung unter Strafe gestellt wird, um eine wirksame Durchsetzung der gerichtlichen Verfügung, insbesondere durch die Möglichkeit einer Festnahme des Gefährders durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, sicherzustellen. Eine weitere – kleinere – Novellierung erfolgte durch die Präventions-Novelle 2016, mit der ergänzend eine Meldeverpflichtung zur Normverdeutlichung – § 38b SPG – eingeführt wurde.

Fallkonferenzen.

Informations-Kampagne des BMI: Betroffene sollen ermutigt werden, so rasch wie möglich Rat und Hilfe zu suchen.
Informations-Kampagne des BMI: Betroffene sollen ermutigt
werden, so rasch wie möglich Rat und Hilfe zu suchen.
© BMI

Durch das Gewaltschutzgesetz 2019 wurde im Sicherheitspolizeirecht mit der Neuregelung des Betretungsverbotes, der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Fallkonferenzen und der Einführung einer Gewaltpräventionsberatung für Gefährder durch Beratungsstellen für Gewaltprävention ein weiterer Meilenstein gesetzt.
Davor war im Jahr 2018 die damalige Staatssekretärin im BMI, Mag. Karoline Edtstadler, mit der Leitung der „Taskforce Strafrecht“ beauftragt worden. In weiterer Folge wurden zwei Kommissionen eingesetzt, in denen unter Beiziehung multidisziplinärer Expertinnen und Experten für das Thema Strafrecht sowie die Themen Opferschutz und aktive Täterarbeit Empfehlungen erarbeitet wurden.
Für das Sicherheitspolizeirecht waren die Ergebnisse der Kommission Opferschutz und Täterarbeit unter Leitung von Sektionschef Mag. Dr. Mathias Vogl, Leiter der Rechtssektion im BMI, von größter Bedeutung. Nach der Neustrukturierung regelt § 38a SPG nunmehr ein Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt für die Wohnung samt einem Umkreis von (gesetzlich festgelegten) 100 Metern und das Verbot der Annäherung an gefährdete Personen im Umkreis von 100 Metern; der Schutzbereich bewegt sich also mit der gefährdeten Person. Daher konnte auch ein Wegfall des eigenständigen Betretungsverbotes für Schulen, institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen und Horte erfolgen.

Die Informationspflichten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurden erweitert. So ist der Kinder- und Jugendhilfeträger immer dann unverzüglich zu informieren, wenn eine minderjährige Person in der Wohnung wohnt. Seit 1. September 2021 hat ein Gefährder binnen fünf Tagen ab Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zur Vereinbarung einer Gewaltpräventionsberatung zu kontaktieren und an der Beratung aktiv teilzunehmen. Im Falle der Nichtbeachtung kann eine Verwaltungsstrafe verhängt werden. Ebenso wurde eine langjährige Forderung nach Schaffung einer Rechtsgrundlage für sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen umgesetzt, wonach die Sicherheitsbehörden in Einzelfällen („High Risk“) mit Behörden und jenen Einrichtungen, die mit dem Vollzug öffentlicher Aufgaben, insbesondere zum Zweck des Schutzes vor und der Vorbeugung von Gewalt sowie der Betreuung von Menschen, betraut sind, erforderliche Maßnahmen erarbeiten und koordinieren.

Waffenverbot.

Im Anschluss an das Gewaltschutzgesetz 2019 wurde durch die Gesamtreform des Exekutionsrechts im Jahr 2021 auch eine Neuordnung der Grundlagen für einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen und zum allgemeinen Schutz vor Gewalt vorgenommen. Die jüngste Neuerung erfolgte mit 1. Jänner 2022: Mit dem Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots tritt nun automatisch auch ein vorläufiges Waffenverbot in Kraft.

Die kontinuierliche Entwicklung der gewaltschutzrechtlichen Regelungen im österreichischen Recht zeigt eindrucksvoll die zentrale Bedeutung von Opferschutz und Täterarbeit in der Gewaltprävention.
Das Bundesministerium für Inneres und die nachgeordneten Sicherheitsbehörden treten für effektive Gewaltprävention, enge behördliche Abstimmungen und Kooperation unter Bedachtnahme auf die verlässliche Partnerschaft mit den Gewaltschutzzentren und auch Gewaltpräventionszentren mit dem Ziel ein, das hohe Schutzniveau weiter auszubauen.

Peter Andre


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2022

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