Antisemitismus-Meldestelle

Noch nie so viele Übergriffe

Die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) registrierte im Vorjahr 965 antisemitische Vorfälle – das ist die höchste erfasste Anzahl seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren.

Bei Versammlungen von Corona-Maßnahmengegnern wurde eine Zunahme von Holocaust-Verharmlosungen festgestellt.
Bei Versammlungen von Corona-Maßnahmengegnern wurde
eine Zunahme von Holocaust-Verharmlosungen festgestellt.
© Gerd Pachauer

Der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) wurden 2021 965 antisemitische Übergriffe in Österreich gemeldet – um 65 Prozent mehr als 2020 (585). IKG-Präsident Oskar Deutsch sprach bei der Präsentation des Berichts am 13. Mai 2022 von einem Negativrekord. „So erschre­ckend das ist, wir werden uns nicht einschüchtern lassen“, betonte er.

Der Negativrekord an Vorfällen im Mai 2021 (167) war aus Sicht der Meldestelle vor allem auf die militärische Eskalation zwischen palästinensischen Terrororganisationen in Gaza und dem Staat Israel zurückzuführen und die bereits seit Ende 2020 zunehmenden rechtsextremen Aktivitäten im Rahmen der Pandemie. Die zweitmeisten registrierten antisemitischen Vorfälle im Vorjahr wurden mit 113 Vorfällen im November gemeldet. Diese standen laut Meldestelle primär im Kontext neuer CoV-Schutzmaßnahmen und der damals angekündigten Impfpflicht. Der Großteil der gemeldeten Vorfälle fand in sozialen Netzwerken (386) statt. Auf persönlicher Wahrnehmung basierten 292 der Fälle. Im Onlinebereich wurden 131 Vorfälle verzeichnet. Hierbei wurden aber oft mehrere Kommentare zu einem Vorfall zusammengefasst.

Beim ideologischen Hintergrund werden im Bericht 48 Prozent der antisemitischen Vorfälle unter „Rechts“ eingeordnet, 15 Prozent unter „Links“ und elf Prozent unter „Muslimisch“; der Rest war nicht zuzuordnen. Auffällig ist für IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele, dass bei Angriffen und Bedrohungen der muslimische Hintergrund überwiegt: Bei den Angriffen waren es sieben von zwölf, bei den Bedrohungen 14 von 22. Bei den Angriffen nannte Nägele etwa die Attacke auf einen als jüdisch erkennbaren Buben auf der Salztorbrücke in Wien, aber auch die Bedrohung einer nicht jüdischen Studentin in der U-Bahn, die ein Buch über jüdische Geschichte gelesen hatte. „Antisemitismus betrifft nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern die gesamte Gesellschaft“, betonte er.
Die Polizei wollte dies zunächst nicht als antisemitistischen Vorfall aufnehmen, hier werde nun sensibilisiert. „Antisemitismus ist per se antidemokratisch“, sagt Deutsch. Wer die demokratische und freie Gesellschaft verteidigen wolle, müsse dagegen einschreiten.

Maßnahmen des Innenministeriums.

„Das entschlossene Vorgehen gegen jede Form von Antisemitismus ist nicht nur historische Verantwortung, sondern vor allem eine aktuelle Herausforderung, der sich die Polizei und der Staatschutz umfassend stellen“, kommentierte Innenminister Mag. Gerhard Karner die Zahlen des Antisemitismus-Berichts. Neben der Sensibilisierung der Polizis­tinnen und Polizisten im Bereich „Hate-Crime“ hat das Innenminis­terium auch ein spezielles „Antisemitismus“-Modul in der Grund-, Aus- und Weiterbildung ins Leben gerufen. Darüber hinaus wird seit 2020 jährlich ein „Hate-Crime“-Bericht erstellt, der die entsprechenden Straftaten strukturiert erfasst und analysiert.

Schulterschluss gegen Antisemitismus.

„Es braucht im Kampf gegen Antisemitismus in Österreich die enge Vernetzung aller Akteure. Derartige Formen des Extremismus können nur in einem gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss bekämpft werden“, ist Innenminister Karner überzeugt und verweist auf die traditionell enge Vernetzung der Sicherheitsbehörden mit der Israelitischen Kultusgemeinde.
Auch die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst beobachtet die zunehmend antisemitische Stimmung. War vor der Corona-Pandemie ein „Bodensatz“ an Antisemitismus festzustellen, wurden durch die Pandemie antisemitische Handlungen an die Oberfläche befördert. So konnte beispielsweise eine Zunahme von Holocaust-Verharmlosungen bei Versammlungen von Corona-Maßnahmengegnern festgestellt werden.
„Bei den genannten Versammlungen ist die Polizei konsequent eingeschritten. Es wurden zahlreiche Anzeigen erstattet, die auch zu Verurteilungen durch die Justiz geführt haben“, sagte Karner.

Nationale Strategie gegen Antisemitismus.

In Umsetzung der 2021 von der Bundesregierung vorgestellten gesamtheitlichen Strategie zur Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus hat die für die Strategieumsetzung verantwortliche Stabstelle Österreichisch-Jüdisches Kulturerbe im Bundeskanzleramt eine Arbeitsgruppe zur Vernetzung der Behörden, der IKG und der verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen errichtet. Es soll dadurch der gegenseitige Informationsaustausch sowie die Dokumentation der Vorfälle verbessert werden.

Kontakt.

Die Antisemitismus-Meldestelle ist unter https://www.antisemitismus-meldestelle.at/ erreichbar.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2022

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