Recht

Sensibles Vorgehen

Nicht nur beim Betreten von Räumen, sondern auch von Grundstücken sind der Exekutive nach der Rechtsprechung oft enge juristische Grenzen gesetzt.

Hinter einem Haus befindliche Örtlichkeiten können von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht ohne Rechtsgrund betreten werden.
Hinter einem Haus befindliche Örtlichkeiten können
von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht ohne
Rechtsgrund betreten werden.
© Katarzyna Bialasiewicz photographee.eu/Stock.adobe.com

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes führen täglich Amtshandlungen aufgrund unterschiedlichster rechtlicher Grundlagen durch. Eines haben diese Amtshandlungen in der Regel gemeinsam: Sie finden auf Grundstücken oder in Räumen statt, die dazu von den Polizistinnen und Polizis­ten betreten werden müssen. Während es bei Räumen, die vom Hausrecht geschützt sind, eine hohe Sensibilität für eine rechtliche Grundlage zum Betreten und einer allfälligen Durchsuchung gibt, wird das „bloße“ Betreten von Grundstücken in der polizeilichen Praxis oft als wenig problematisch gesehen, erfordert allerdings ebenso ein sorgfältiges Abwägen und Prüfen.

Betreten eines Grundstückes.

In einem vom Landesverwaltungsgericht Vorarlberg entschiedenen Fall (LVwG-2-11/2021-R8 vom 7.3.2022) war das Betreten eines Gartens die Beschwerdebehauptung. Nach einer Anzeigeerstattung über ein innerhalb eines Ortsgebietes – und somit illegal – abgefeuertes Feuerwerk sowie von „Schüssen“ an einer bestimmten Adresse fuhren zwei Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Vorfallsort. Dort konnten sie weder ein aktuell stattfindendes Feuerwerk noch Schüsse feststellen, sahen aber vor der Haustüre abgebrannte Feuerwerkskörper liegen.
Die Sicherheitsorgane hörten im hinteren Bereich des Hauses im Garten Stimmen, eine Kontaktaufnahme scheiterte jedoch. Die Beamten begaben sich zurück zur Haustüre und klingelten mehrmals erfolglos. Daraufhin öffneten die Beamten an der links vom Haus ein brusthohes, nicht versperrtes Gartentor und gingen in den dahinterliegenden, nicht einsichtigen Bereich des Gartens. Dort trafen sie auf mehrere Gäste einer Geburtstagsparty.
Plötzlich eskalierte die Situation: Der Hund des späteren Beschwerdeführers eilte auf einen der beiden Polizis­ten zu und biss ihn in die Hand. Der Beamte zog seine Dienstwaffe und forderte den Hundebesitzer auf, das Tier zurückhalten. Erst nach dem Eintreffen der Rettung beruhigte sich die Lage.
Der Hundebesitzer wurde wegen einer Übertretung nach dem Pyrotechnikgesetz angezeigt und rechtskräftig bestraft. Er brachte eine Maßnahmenbeschwerde zu mehreren Punkten beim Landesverwaltungsgericht ein, darunter wegen des Betretens des Gartens. Das Gericht beurteilte das Betreten des Grundstückes durch die Polizei letztlich als rechtswidrig – und zwar aus den folgenden Erwägungen: Zunächst war zu untersuchen, ob beim Betreten eines Grundstückes eine „faktische Maßnahme“ oder eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (AuvBZ) vorliegt. Nur eine solche AuvBZ kann nämlich vor dem Verwaltungsgericht mit einer Maßnahmenbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG bekämpft werden, nicht jedoch „schlichtes Polizeihandeln“.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat eine reichhaltige Judikatur zur Beurteilung entwickelt, ob ein Verhalten eines Behördenorgans eine AuvBZ darstellt (zum Beispiel VwGH vom 20.11.2006, 2006/09/ 0188). Die Rechtsprechung hat einen eher weiten Ansatz entwickelt, um Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Maßnahmenbeschwerde zu gewähren. Demnach muss zunächst ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung relativ formfrei auf Grundlage eines Gesetzes einschreiten.
Formfrei bedeutet in der Regel, dass kein nach dem AVG geführtes förmliches Verfahren, das mit einem Bescheid endet, durchgeführt wird. Dies war im besprochenen Sachverhalt der Fall, da die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes für die Sicherheitsbehörde 1. Instanz im Rahmen der Sicherheitsverwaltung, zu dem das Pyrotechnikgesetz gehört (§ 2 iVm § 5 Abs 1 SPG), einschritten.

Das Einschreiten als „Akt“ muss sich gegen individuell bestimmte Adressaten richten – im vorliegenden Fall war dies der spätere Beschwerdeführer als Eigentümer bzw. Mieter des Grundstückes. Der Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt muss zudem in die subjektiven Rechte des Adressaten eingreifen. Art 8 der in Österreich im Verfassungsrang stehenden Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt das Recht auf Achtung der Wohnung.
Der Begriff der Wohnung umfasst unter anderem auch Flächen im Freien wie beispielsweise Gärten (vgl. Grabenwarter/Frank, B-VG [2020], Art 8 EMRK, Rz 9). Ob der Betroffene den Eingriff überhaupt „sinnlich wahrnimmt“, ist laut Verfassungsgerichtshof (VfGH) irrelevant (VfGH vom 29.11.1979, VfSlg. 8668), weshalb auch ein heimliches Betreten oder Durchsuchen einen Eingriff in subjektive Rechte darstellt. Zuletzt muss eine  Auv­BZ einseitig in die Rechte eingreifen, indem die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei der Nichtbefolgung eines Befehls oder physischer Zwang (beispielsweise Körperkraft oder Waffengewalt) droht. Letzteres war im gegenständlichen Verfahren fraglich. Das Betreten des Grundstückes durch ein zwar geschlossenes, aber unversperrtes Gartentor fand weder mit physischer Gewalt, noch durch Befehl statt und wurde vom Beschwerdeführer anfänglich gar nicht bemerkt.

Implizite Duldungspflicht.

Die Polizei soll beim Betreten von nicht allgemein zugänglichen Grundstücken besonders sensibel vorgehen.
Die Polizei soll beim Betreten von nicht allgemein
zugänglichen Grundstücken besonders sensibel vorgehen.
© Gerd Pachauer

Zu dieser rechtlichen Fragestellung hat der VwGH allerdings bereits in einer Entscheidung im Jahr 2006 (VwGH vom 20.11.2006, 2006/09/0188) klargestellt, dass ein Organhandeln ohne Zwang und Befehl einen vergleichbaren Eingriff in die Rechtssphäre bewirken kann, wenn dieses Handeln in objektiver Hinsicht darauf abzielt, eine „implizite Duldungspflicht“ des Betroffenen zu erwirken.
Das Betreten von Grundstücken und Liegenschaften, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen, bewirkt dann eine solche Duldungspflicht, wenn sie nicht allgemein zugänglich sind. Gartenzäune, Hecken oder hinter dem Haus befindliche Örtlichkeiten können somit von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht ohne Rechtsgrund betreten werden.

Eine Ausnahme hat der VfGH lediglich im Betreten von nicht der Allgemeinheit zugänglichen Liegenschaften zur ortsüblichen Feststellung, ob jemand zu Hause ist, gesehen – ein solches Vorgehen wird nicht als Auv­BZ beurteilt (VfSlg 8931/1980). Die beschriebene Judikatur bezieht sich auf den ländlichen Raum, wo nach Ansicht des Höchstgerichtes ein großzügigerer Maßstab beim Betreten von Liegenschaften angewendet werden kann, als im urbanen Gebiet. Das Betreten eines Grundstückes, der Gang zur Eingangstür sowie das Klingeln sind nach der Rechtsprechung somit noch nicht als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu beurteilen – anders hingegen das Betreten weiterer Grundstücksteile mit dem darüberhinausgehenden Zweck der „Erhebungen“ zu einer Verwaltungsübertretung.

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das Betreten eines hinter dem Haus liegenden Gartens durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ohne Zustimmung einen AuvBZ darstellte. Deshalb ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob es für diese AuvBZ eine Rechtsgrundlage gibt. Im konkreten Fall war dies zu verneinen. Zwar lag der (später auch bestätigte) Verdacht einer Verwaltungs­übertretung vor, dem die Polizeibeamten von Amts wegen nachzugehen hatten. Ermittlungen in einem Verwaltungsstrafverfahren sind aber nur bis zu einem gewissen Grad zulässig.
Das Betreten von Grundstücken ist im Verwaltungsstrafgesetz (VStG) nicht explizit geregelt. Vordergründig komme  § 39a VStG in Betracht, der die Organe des öffentlichen Sicherheits­dienstes zu „Zwangsgewalt“ – und somit wohl auch zum Betreten von Grundstücken – ermächtigen würde. Allerdings kann § 39a VStG nur zur zwangsweisen Durchsetzung von vier taxativ aufgezählten Befugnissen im VStG angewendet werden. Diese sind: Identitätsfeststellung eines Verwaltungsübertreters, seine Festnahme, die Einhebung einer Sicherheitsleistung oder die Beschlagnahme von Verfallsgegenständen. Keiner dieser vier Fälle lag im Sachverhalt vor.
Die Polizeibeamten sahen keine konkrete Person bei der Zuwiderhandlung nach dem Pyrotechnikgesetz, keine Person mit Gegenständen, die auf die Tat hingewiesen hätten, betrat das Grundstück und keine Person wurde von Dritten konkret der Täterschaft beschuldigt. Dass die Sicherheitsorgane den Verdächtigen hinter dem Haus erst „suchen“ mussten, ist von § 39a VStG nicht umfasst.

Weitere Betretungsrechte könnte das betreffende Materiengesetz enthalten, aber hier scheidet das Pyrotechnikgesetz aus: Zwar sieht § 9 eine Durchsuchungsermächtigung für Grundstücke und von Räumen vor, die denk-logisch ein Betreten voraussetzen, aber die Bestimmung ist in der Gegenwart formuliert. Mit anderen Worten besteht die Durchsuchungsermächtigung nur solange, als zeitgleich gegen das Pyrotechnikgesetz verstoßen wird. Beim Eintreffen der Sicherheitsorgane war dies nicht mehr der Fall.

Die im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht von der Sicherheitsbehörde angedeutete Gefahrenerforschung nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG) wegen der zumindest nicht auszuschließenden Schüsse ließ das Gericht nicht gelten. In § 39 SPG, der ebenfalls ein Betretungsrecht für Grundstücke vorsieht, ist die Gefahrenerforschung nicht angeführt. Lediglich zur Ers­ten Allgemeinen Hilfeleis­tung und zur Abwehr gefährlicher Angriffe ist ein Betreten nach dieser Bestimmung möglich.

Für die polizeiliche Praxis ergibt sich daraus die Notwendigkeit, beim Betreten von Grundstücken, die einer allgemeinen Zugänglichkeit entzogen sind, besonders sensibel vorzugehen. Insbesondere wenn es nur um Bagatelldelikte geht, wie sie Verwaltungsübertretungen darstellen, werden Erhebungen auf solchen Liegenschaften nicht immer erlaubt sein.
Der Gesetzgeber reagierte in den letzten Jahren mit einer vermehrten Ermächtigung für Organe des öffentlichen Sicherheits­dienstes, um auch Grundstücke betreten zu dürfen. In den betreffenden Verwaltungsmaterien muss dazu ein konkretes Betretungsrecht normiert sein. Wird der Täter direkt am Grundstück von den Sicherheitsorganen auf frischer Tat gesehen, mit Gegenständen betreten oder von Dritten beschuldigt, kann weiterhin auch § 39a VStG als Rechtsgrundlage herangezogen werden.

Mario Breuß


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2022

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