Illegale Migration

Flucht im Lastkraftwagen

Oft gelangen Flüchtlinge als blinde Passagiere in Lkws über die Grenzen, ohne dass es der Lkw-Fahrer weiß. Es fehlen sichere bzw. bewachte Lkw-Parkplätze, um den Zutritt zu den Lkws zu verhindern.

Flüchtlinge dringen von oben in den Frachtraum eines Lkws ein, indem die Planen aufgeschnitten werden.
Flüchtlinge dringen von oben in den Frachtraum eines
Lkws ein, indem die Planen aufgeschnitten werden.
© Philippe Huguen/AFP/picturedesk.com

Der Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2021 des Bundeskriminalamtes zeigt, dass in den vergangenen Jahren in Österreich ein Anstieg der Zahl an Aufgriffen von illegalen Migranten zu verzeichnen ist. Menschen aus aller Welt flüchten etwa per Schiff, Flugzeug, Lkw, Pkw oder auch zu Fuß nach Europa. Obwohl das Thema „Flüchtlinge in Lkws“ auch in Österreich seit Jahren relevant ist, wurde das mediale Interesse erst durch die UK-Flüchtlingskrise angekurbelt, als Flüchtlinge vor dem Calais-Tunnel ­Lkws überfielen, um nach England zu gelangen. Dabei wurden etwa brennende Baumstämme auf die Fahrbahn gelegt, um einen Lkw zum Stehenbleiben zu zwingen und auf die Ladefläche aufsteigen zu können.
Die meisten Flüchtlingsübergriffe ereignen sich auf Parkplätzen. Während der Lkw-Fahrer seine Ruhezeit konsumiert, verschaffen sich Flüchtlinge Zugang zum Inneren des Laderaums. Dort bleiben diese oft tagelang unter katastrophalen Zuständen bis zur Ankunft im Zielland. Doch der Großteil der Flüchtlinge schafft es bei der Flucht nach Großbritannien nicht einmal bis zur Grenze. Die britischen Behörden sind mittlerweile top ausgerüstet und röntgen die Lkws. Darüber hinaus werden Spürhunde in den kilometerlangen Schlangen vor dem Grenztunnel eingesetzt, um ebenfalls Personen im Inneren des Laderaums aufzuspüren.

Strafen.

Wird ein Lkw-Fahrer mit Personen im Laderaum erwischt, gibt es von den englischen Behörden an den Fahrer Strafen von 2.000 Pfund (2.373 Euro) pro mitgeführter Person. Auch wenn der Fahrer nichts von den „blinden Passagieren“ wusste, kann er sich in den wenigsten Fällen freibeweisen, da die englischen Behörden vorgeben, welche Sicherheitsmaßnahmen gegen das Eindringen von Flüchtlingen ergriffen werden müssen. Die häufigste Sicherheitsanweisung: Der Lkw-Fahrer darf ausschließlich bewachte Parkplätze benutzen.

Sichere Lkw-Abstellplätze?

Auf den Parkplätzen gibt es strenge Sicherheitsvorkehrungen, wie Zäune, Bewachung, Kameras und Beleuchtung vor allem an Brennpunkten, wie dem Hafen von Calais und dem Kanaltunnel nach Großbritannien. Nachdem die Strafen beim Aufgriff von illegalen Einwanderern hoch sind und die britische Regierung dafür eine Informations- und Sensibilisierungskampagne betreibt, kann davon ausgegangen werden, dass jeder Transportunternehmer, der auf dieser Route unterwegs ist, Kenntnis von diesen Risiken hat und dementsprechende Maßnahmen ergreift. Die britischen Behörden verfügen nicht nur Strafen bei Aufgriff von illegalen Einwanderern, sondern belegen die Fahrer und Unternehmer auch mit Bußgeldern, wenn sie nicht über ein wirksames Sys­tem zur Sicherung ihrer Fahrzeuge verfügen oder wenn es nicht ordnungsgemäß verwendet wird.

Sicherheitsmaßnahmen.

Ungebetene Fahrgäste: Flüchtlinge nutzen die Gelegenheit, in einen Lkw zu gelangen, wenn der Fahrer pausiert.
Ungebetene Fahrgäste: Flüchtlinge nutzen die Gelegenheit,
in einen Lkw zu gelangen, wenn der Fahrer pausiert.
© Yoan Valat/EPA/picturedesk.com

Unter einem wirksamen System wird aus Sicht der britischen Behörde verstanden: schriftliche Anweisungen für die Fahrer, wie das System zu benutzen ist, robuste Sicherheitsvorrichtungen zur wirksamen Sicherung des Fahrzeugs, der Ladung und des Laderaums, Schulung der Fahrer im Umgang mit dem System und den Sicherheitsvorrichtungen, Checklisten (www.gov.uk/government/publications/vehicle-security-checklist ) zur Fahrzeugsicherung für Fahrer, Überprüfung, ob die Fahrer die Anweisungen befolgen. Sie sollten den Verhaltenskodex zur Verhinderung des unerlaubten Eindringens lesen.

Unternehmen, die regelmäßig Englandverkehr abwickeln, sind sich der Risiken bewusst und befolgen die üblichen Sicherheitsvorkehrungen. Unternehmen, die nur selten nach England fahren, werden möglicherweise eine geringere Kenntnis dieser Gefahren und Vorschriften haben und eher dem Risiko eines Flüchtlingsübergriffs ausgesetzt sein. Das Risiko eines Flüchtlingsübergriffes ist nicht nur im Englandverkehr hoch, sondern auch im Rest von Europa (40.000 Aufgriffe allein in Österreich im Jahr 2021). Es gibt jedoch wenige sichere Lkw-Parkplätze.

„Bewachter Parkplatz“.

Sicherheitshinweise für Lkw-Fahrer: Der Folder des Bundeskriminalamts und der Wirtschaftskammer Österreich wurde in 15 Sprachen herausgegeben.
Sicherheitshinweise für Lkw-Fahrer:
Der Folder des Bundeskriminalamts und
der Wirtschaftskammer Österreich
wurde in 15 Sprachen herausgegeben.
Grafik: Bundeskriminalamt

Das Minimalkriterium für einen bewachten Parkplatz ist eine Videoüberwachung. In der Praxis sind bewachte Parkplätze – mit Portier und Schrankenanlagen – eher selten. Eine derartige Infrastruktur und eine Vereinheitlichung der Sicherheitsstandards und Zertifikate ist in Europa im Ausbau. In der Praxis gibt es mehrere Möglichkeiten, qualifizierte Parkplätze über spezielle Internetportale zu lokalisieren.
Ein solches Internetportal ist zum Beispiel Truckparkingeurope (www. truckparkingeurope.com ). Es ist eine einfach zu nutzende Plattform, um sichere Lkw-Parkplätze, Stellplätze und Autohöfe zu finden und zu buchen. Bei der TRANSPark-Plattform (www.iru.org/apps/transpark-app ) werden die eingetragenen Parkplätze von der DEKRA-Organisation bewertet. DEKRA ist eine deutsche Prüfgesellschaft im Sachverständigenwesen. Dazu werden Security-Levels der Stufe 1-5 vergeben. TRANSPark hilft Berufskraftfahrern und Fuhrparkleitern im Güterkraftverkehr, Parkmöglichkeiten in weltweit über 60 Ländern zu finden.
ESPORG (www.esporg.eu/de )ist eine Organisation in Europa. Auf der ESPORG-Seite wird aber für Großbritannien kein einziger Lkw-Parkplatz angeboten.

Ein Musterbeispiel für einen sicheren Lkw-Parkplatz befindet sich in Calais/Polley in Frankreich (https://polley-groupe.com/parking-securise/ ): Dort gibt es eine permanente Zutrittskontrolle durch Mitarbeiter. Er ist beleuchtet, durch einen 2,4 Meter hohen Zaun geschützt und verfügt über ein leistungsstarkes Videoüberwachungssystem.

Studie.

Die EU-Kommission hat 2019 eine Studie über sichere und gesicherte Parkplätze für Lkw veröffentlicht. Vgl. Europäische Kommission (2019), Study on safe and secure parking places for trucks. Abrufbar unter:  https://sstpa.eu-study.eu/download/19/final-report/1188/final-report-sstpa-28022019-isbn.pdf . Darin wurde auf den Mangel an sicheren und gesicherten Parkflächen in der Union hingewiesen. Derzeit stehen 7.000 Parkplätze zur Verfügung, während die Nachfrage nach Nachtparkplätzen für schwere Nutzfahrzeuge auf 400.000 pro Nacht geschätzt wird. Da es nach wie vor zu wenige sichere Parkflächen gibt und die Sicherheit und die Dienstleistungen der bestehenden Einrichtungen oft unzureichend und unkoordiniert sind, hat die EU Maßnahmen zur Erlassung von Normen für sichere Parkflächen und Zertifizierungsverfahren für diese Parkflächen ausgearbeitet. Zu diesem Zweck wurde durch die Verordnung (EU) 2020/1054 des Europäischen Parlaments und des Rates ein neuer Artikel 8a in die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 aufgenommen, wonach sichere Parkflächen in der Union eine Reihe von Anforderungen erfüllen müssen, um als sicher zu gelten, und zwar in Bezug auf das Erkennen und Verhindern von unberechtigtem Eindringen, Beleuchtung und Sichtverhältnisse, Kontaktstellen und Verfahren für Notfälle, geschlechtergerechte sanitäre Einrichtungen, Möglichkeiten zum Kauf von Lebensmitteln und Getränken, Kommunikationsverbindungen und Stromversorgung.

„Sicheren“ Parkplatz finden.

Ob die Plätze zum Zeitpunkt des Eintreffens des Lkws verfügbare Stellflächen haben, kann nur über eine Reservierung sichergestellt werden. Eine Reservierung muss aber oft tagelang im Voraus gebucht werden. Das ist in der Praxis sehr schwierig, weil die Abfahrtszeiten bei den Ladestellen oft unvorhersehbar sind und die verfügbare Restlenkzeit immer erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Abfahrt abgeschätzt werden kann.
Auch wenn Rastplätze als „bewacht“ beworben werden, heißt das nicht, dass dort eine Bewachung sichergestellt wird. Als „Bewachung“ wird oft auch nur eine Beleuchtung oder Videoüberwachung beworben. Derartige Rastplätze sind derzeit nur vereinzelt zu finden. Ein weiteres Problem ist, dass die Kriterien für die Bewertung (Zertifizierung) als sicherer Parkplatz nicht einheitlich geregelt sind. Die meisten Zertifizierungen können von den Betreibern selbst durchgeführt werden.

Alexej Miskovez, Dominik Schärmer, Christian Spendel

Über die Autoren:
Dr. Dominik Schärmer und Mag. Alexej Miskovez sind Teil der ausschließlich auf Transportrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei Schärmer + Partner Rechtsanwälte GmbH und Partner beim spezialisierten Schulungsanbieter Dr. Schärmer & Dr. Spendel Cargo Experts GmbH. Mag. Dr. Christian Spendel ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Transportwesen und Partner bei Dr. Schärmer & Dr. Spendel Cargo Experts GmbH.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022

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