Extremismuspräventon und Deradikalisierung

Prävention verstärken

Expertinnen und Experten des Innenministeriums und der Wissenschaft analysierten bei einem Präventionsgipfel, wie sich die momentanen Krisen weltweit auf die Radikalisierung und Polarisierung in der Gesellschaft und somit auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden auswirken.

Gedenkveranstaltung für die Opfer des Terroranschlags in der Wiener Innenstadt: Mit verstärkten Präventionsmaßnahmen sollte Radikalisierung und Polarisierung entgegengetreten werden.
Gedenkveranstaltung für die Opfer des Terroranschlags
in der Wiener Innenstadt: Mit verstärkten Präventionsmaß-
nahmen sollte Radikalisierung und Polarisierung
entgegengetreten werden.
© Hans Punza/APA/Picturedesk.com

Unter Federführung der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) im Rahmen des Bundesweiten Netzwerks Extremismusprävention und Deradikalisierung (BNED) fand der dritte Präventionsgipfel am 7. Juni 2022 in Wien statt. Das Programm des Präventionsgipfels mit Themen rund um extremistische Propaganda und hybride Bedrohungsszenarien wurde mit einer Videobotschaft von Innenminister Mag. Gerhard Karner eröffnet. Dabei wurde betont, wie wichtig der Austausch zwischen Bediensteten der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft ist, wenn es um die Bekämpfung dieser Gefahren geht. „Jegliche Form des Extremismus stellt eine massive Gefahr für unsere demokratische Ordnung und die innere Sicherheit dar. Die Prävention und Eindämmung von radikalen Ideen sind wichtige Pfeiler im gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Gefährdungen gegen unser demokratisches Zusammenleben“, sagte Karner. Er dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Gipfel ermöglicht und vorbereitet haben.
Anschließend erfolgten die Eröffnungsstatements vom Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Dr. Franz Ruf, MA und dem Direktor der DSN, Mag. Omar Haijawi-Pirchner, BA MA. Dabei wurden die Vorteile der Netzwerkarbeit, die rasche Erkennung von Bedrohungen und eine dadurch ermöglichte konkrete Reaktion des BNED, die Verlagerung der Radikalisierung aufgrund von Pandemie und Krieg sowie potenzielle Zusammenhänge von Verschwörungstheorien und Antisemitismus thematisiert.

Vernetzung und Austausch.

Franz Ruf: „Durch Austausch und Vernetzung Bedrohungen früh erkennen.“
Franz Ruf: „Durch Austausch
und Vernetzung Bedrohungen früh
erkennen.“ © Alexander Tuma

„Sowohl die Pandemie als auch der Krieg in der Ukraine führten zu einer Verlagerung der Radikalisierungstendenzen, wobei neue Gruppierungen und Strömungen innerhalb der Gesellschaft entstanden sind. Das Expertengremium des BNED bildet die Grundlage für einen gesamtheitlichen Ansatz: Durch optimale Vernetzung und Austausch werden Ursachen von Bedrohungen frühzeitig erkannt, um entsprechend mit konkreten Maßnahmen darauf reagieren zu können. Die neue Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst bildet in stetigem Austausch mit der Wissenschaft eine wesentliche Säule für die Sicherheit der Republik“, sagte Franz Ruf.

Vorstellung der DSN.

DSN-Direktor Mag. Omar Haijawi-Pirchner, BA MA stellte die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst vor. „Die Stärkung der Präventionsarbeit und die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft sind zentrale Faktoren, die der DSN in ihrem Aufgabenbereich unterstützend zur Seite stehen sollen. Prävention bedeutet Wissen zu generieren, zu teilen und zu vermitteln, um einen entscheidenden Beitrag im ganzheitlichen Umgang mit Radikalisierung und Extremismus zu leisten. Daher spiegelt sich der Fokus auf Prävention in allen Bereichen der Behördenstruktur wider und die Bereiche wurden massiv ausgebaut sowie professionalisiert“, sagte der DSN-Direktor.

Einzeltäter.

Prof. Dr. Peter Neumann, Professor am King’s College London, Journalist und Experte für islamistischen Terror, referierte über aktuelle Entwicklungen hinsichtlich Terrorismus sowie neue Herausforderungen bei Sicherheitsbehörden, die aus Änderungen der Täterschaft resultieren: Einzeltäter sind mittlerweile das dominante Muster innerhalb des Terrorismus in Europa – sowohl im rechtsextremistischen als auch im islamistischen Bereich. Unabhängig vom Begriff handelt es sich dabei allerdings nicht zwangsläufig um „einsame Wölfe“. Er sprach weiters über Dschihad-Rückkehrer, Gefängnisse bzw. Gefängniserfahrungen als Dreh- und Angelpunkte von Radikalisierung sowie das Entstehen einer neuen Bewegung aus einer Mischung von Fake News, Verschwörungstheorien und Anti-Corona-Maßnahmen.

Wissenschaft und Nachrichtendienst.

Omar Haijawi-Pirchner: „Prävention wurde in allen Bereichen der DSN ausgebaut.“
Omar Haijawi-Pirchner:
„Prävention wurde
in allen Bereichen der DSN ausgebaut.“
© Kerstin Hehenberger

Unter dem Titel „Wissenschaft als wesentliche Säule der nachrichtendienstlichen Tätigkeit“ referierten der Leiter des Nachrichtendienstes in der DSN, Mag. David Blum, MA, Dr. Thomas Riegler vom Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS), in Graz und Mag. Dr. Nicolas Stockhammer von der Donau-Universität Krems.
David Blum, der bereits in der Vergangenheit im Verfassungsschutz tätig war, ließ die Ausgangslage für aktuelle Schwerpunkte anhand des Trends der letzten Jahre Revue passieren: Dabei würde die Welt immer komplexer werden und zwar aufgrund der Digitalisierung, der Covid-19-Pandemie und des Krieges in der Ukraine. Dadurch seien Abläufe immer schwieriger zu verstehen bzw. nachzuvollziehen und so die Gesellschaft überfordert. Als potenzielle Reaktion darauf bilden sich Gruppierungen mit Ideologien, die die Komplexität auf unterschiedliche Arten und Weisen zu vereinfachen versuchen, ergänzte Blum.
Die Aufgabe der DSN liege nun in der genauen Beobachtung solcher Phänomene, damit mögliche Gefahren bereits im Vorfeld erkennbar sind. Durch Erlangung von Primärwissen könnten Erfahrungswerte als Möglichkeiten für Lösungsentwicklungen, etwa zur Verhinderung von Radikalisierung bzw. Extremismus, gewonnen werden. Dafür sei der Dialog und ständige Austausch mit der Wissenschaft notwendig, denn dadurch würde die Professionalität gewährleistet.

Geschichte der Geheimdienste.

Thomas Riegler ging auf die Geschichte von österreichischen Geheimdiensten ein, wobei er betonte, dass die Auseinandersetzung damit unerlässlich sei. Neben den Aspekten, wie dem historischen Gedächtnis, der Transparenz und einer lernenden Organisation verwies Riegler auf die Reform der DSN als „Wegmarker“, da es bislang keinen österreichischen Geheimdienst in dieser Form gegeben hat. Nicolas Stockhammer griff diesen Ausdruck auf und beschrieb mit dessen Hilfe die nunmehrige Sicherheitsarchitektur in Österreich.

David Blum: „Der Dialog und ständige Austausch mit der Wissenschaft ist notwendig.“
David Blum: „Der Dialog
und ständige Austausch mit der
Wissenschaft ist notwendig.“
© Alexander Tuma

Über innerstaatliche Konfliktdialoge sprachen die Psychologin Mag. Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen, Mag. Dieter Gremel von der Beratungsstelle Extremismus, Dr. Adelheid Kastner vom Universitätsklinikum Linz und Dr. Wolfgang Müller von der Universität Wien. Dabei standen Gruppendynamiken und Corona-Maßnahmen-Gegner sowie Phänomene für Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie im Vordergrund.
Bei Verschwörungserzählungen würde es sich nach Schiesser um einen Zündstoff mit demokratievernichtenden Tendenzen handeln – je nach deren Ausgestaltung. Auch die Instrumentalisierung der sozialen Medien in diesem Kontext wurde aufgegriffen. Dabei widmete sich Gremel den Auswirkungen auf die Gesellschaft und wie man weiterhin miteinander kommunizieren könnte, ohne gleich einer Polarisierung zu verfallen.

Polarisierung.

Über Herausforderungen im Kontext der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft sprachen Dr. Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie der Universität Innsbruck, Mag. Ercan Nik Nafs von der Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaft Wien, Mag. Lisa Fellhofer von der Dokumentationsstelle Politischer Islam und Mag. Katharina Bointner von der DSN.
Sämtliche Vortragende waren sich einig, dass Radikalisierungstendenzen und extremistische Ideologien einerseits die Sicherheitsbehörden und andererseits die Zivilgesellschaft stets vor Herausforderungen stellen, die in Krisenzeiten verstärkt werden.
Unter der Prämisse, dass allen Formen des Extremismus ausschließlich gesamtgesellschaftlich begegnet werden kann, wurden in Österreich während der letzten Jahre zahlreiche Maßnahmen in der Extremismusprävention und Deradikalisierungsarbeit gesetzt und gehören nun zum gelebten Alltag bei der DSN.

Peter Neumann: „Einzeltäter sind das dominante Muster innerhalb des Terrorismus.“
Peter Neumann: „Einzeltäter
sind das dominante Muster innerhalb
des Terrorismus.“
© Gerd Pachauer

Das Bundesweite Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung (BNED) stellt dabei einen maßgeblichen Faktor dar. Beim BNED handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Gremium, bestehend aus Mitgliedern von Ministerien, der Zivilgesellschaft sowie der Bundesländer, Städte und dem Gemeindebund. Es ist im Juli 2020 durch den Ministerrat als Expertengremium legitimiert worden.

Nicole Felicitas Antal

 

Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022

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