Rechtsschutzbeauftragter

Rechtsschutz und Kontrolle

Ein Überblick über die Tätigkeiten des Rechtsschutzbeauftragten und des Rechtsschutzsenats beim Bundesminister für Inneres im Jahr 2021.

Handypeilungen: Der Rechtsschutzbeauftragte prüft, ob die Ermittlungen von Standortdaten Rechtmäßigkeit sind.
Handypeilungen: Der Rechtsschutz-
beauftragte prüft, ob die Ermittlungen
von Standortdaten Rechtmäßigkeit
sind. © Gerd Pachauer

Der Rechtsschutzbeauftragte (RSB) beim Bundesminister für Inneres ist gemäß § 91a Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) zur Wahrnehmung des besonderen Rechtsschutzes im Ermittlungsdienst der Sicherheitsbehörden berufen. Dieser „besondere Rechtsschutz“ umfasst die Überprüfung verschiedener in § 91c SPG aufgezählten Ermittlungsmaßnahmen.
Das Polizeiliche Staatsschutzgesetz (PStSG) übertrug dem RSB (und teilweise dem Rechtsschutzsenat) auch den besonderen Rechtsschutz über die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden. Mit 1. Dezember 2021 wurde das PStSG in „Staatsschutz- und Nachrichtendienstgesetz“ (SNG) umbenannt und damit insbesondere die Struktur der Verfassungsschutzbehörden wesentlich geändert.
Die Gemeinsamkeit aller der Kontrolle des RSB und des Rechtsschutzsenats unterliegenden Maßnahmen liegt darin, dass sie den Be-troffenen typischerweise – zumindest zunächst – nicht bekannt sind, weshalb sie selbst kein Rechtsmittel dagegen erheben können. Diese Rechtsschutzlücke soll die unabhängige Kontrolle des RSB (bzw. des Senats) bestmöglich kompensieren.

Unterschiedliche Kontrollmechanismen.

Je nachdem, um welche Ermittlungsmaßnahmen es sich handelt, treffen die Polizei bzw. die Verfassungsschutzbehörden unterschiedliche Meldeverpflichtungen. Bei Maßnahmen ach dem SPG ist dem RSB entweder die jeweilige Maßnahme nachträglich zu melden oder die Gelegenheit zu einer Vorweg-Stellungnahme zu geben. Ermittlungsmaßnahmen nach dem SNG dürfen die Verfassungsschutzbehörden erst mit Ermächtigung des RSB (bzw. des Senats) beginnen. Es gibt somit gewissermaßen drei Intensitätsstufen der Kontrolle – die nachprüfende Kontrolle nach dem SPG, die „Vorweg-Stellungnahme“ nach dem SPG bzw. dem Grenzkontrollgesetz (GrekoG) und die „Vorab-Ermächtigung“ nach dem SNG.

Nachprüfende Kontrolle (SPG).

Über Ermittlungsmaßnahmen, die in diese Meldekategorie fallen, haben die Sicherheitsbehörden dem RSB nach deren Durchführung zu berichten. Dabei handelt es sich etwa um die punktuelle Ermittlung von Daten eines Anrufers oder des Benutzers einer IP-Adresse, die Ermittlung von Standortdaten (eines Mobiltelefons), Observationen (mit oder ohne unterstützenden Peilereinsatz), verdeckte Ermittlungen und den verdeckten Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten. Der RSB prüft diese Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit. Kommt er zu dem Ergebnis, dass Rechte Betroffener verletzt worden sind, ist er verpflichtet, sie über die Ermittlungen zu informieren und, wenn dies nicht möglich ist, Beschwerde bei der Datenschutzbehörde zu erheben.

Vorweg-Stellungnahme (SPG, GrekoG).

Bevor öffentlich angekündigte Videoüberwachungen (von Kriminalitätsschwerpunkten oder zum Schutz besonderer Objekte aufgrund völker-rechtlicher Verpflichtungen) nach dem SPG oder Überwachungsanlagen an Grenzübergangsstellen nach dem GrekoG eingerichtet werden, ist dem RSB spätestens drei Tage vor Beginn der Ermittlungen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Einsatz darf erst nach Ablauf dieser Frist oder bei Vorliegen einer entsprechenden Äußerung des RSB erfolgen.

Vorab-Ermächtigung (SNG).

SC Mathias Vogl, RSB-Team: Lamiss Khakzadeh, Wilfried Seidl, Ursula Medigovic, Ernst Eugen Fabrizy, Farsam Salimi.
SC Mathias Vogl, RSB-Team: Lamiss Khakzadeh,
Wilfried Seidl, Ursula Medigovic, Ernst Eugen Fabrizy,
Farsam Salimi. © Gerd Pachauer

Das SNG setzt schon vor einem konkret zu befürchtenden gefährlichen Angriff an und schafft die Rechtsgrundlage zur Beobachtung von potenziell gefährlichen Gruppierungen oder Einzelpersonen. Dementsprechend gesteigert ist auch die Kontrolle durch den RSB (bzw. den Senat). Sowohl die Aufgabenerfüllung an sich im Rahmen einer erweiterten Gefahrenerforschung gegen Gruppierungen (kurz „erweiterte Gefahrenerforschung“) oder des vorbeugenden Schutzes vor verfassungsgefährdenden Angriffen durch eine Einzelperson (kurz „vorbeugender Schutz“), als auch die Inanspruchnahme konkreter Befugnisse darf erst nach der Erteilung einer Ermächtigung durch den RSB (bzw. den Senat) begonnen werden (sogenannte Basis- bzw. Befugnisermächtigungen). Für die Ausübung gewisser Befugnisse ist die Vorab-Ermächtigung des Senats notwendig, der aus dem RSB und zwei seiner Stellvertreter zusammengesetzt ist.

SPG-Meldungen.

2021 erreichten den RSB – in der Regel jeweils einmal pro Woche gesammelt über die Abteilung II/1 des BMI – 1.331 Meldungen nach dem SPG (bzw. GrekoG). Der überwiegende Teil (1.324 Meldungen, 99,5 Prozent) betraf Ermittlungshandlungen, die der RSB einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen hatte.
Zu Ermittlungshandlungen, die dem RSB vorweg zur Stellungnahme vorzulegen sind, wurden lediglich sieben Meldungen erstattet (0,5 Prozent). Von diesen sieben Meldungen betrafen zwei die Inbetriebnahme bzw. die Erweiterung einer öffentlich angekündigten Videoüberwachung nach § 54 Abs. 6 SPG. Fünfmal wurde der Einsatz von Bildaufzeichnungsgeräten im Bereich von Grenzübergangsstellen nach § 12 Abs. 2 GrekoG vorweg gemeldet.

Handypeilungen.

Die 1.324 Meldungen, die dem RSB zur nachprüfenden Kontrolle vorgelegt wurden, berichteten von verschiedenen Ermittlungen. 75 Prozent davon betrafen die Ermittlung von Standortdaten: Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass eine gegenwärtige Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit eines Menschen besteht, kann die Polizei von Telekomunternehmen Auskunft über den Standort des Mobiltelefons des Gefährders, des Gefährdeten sowie dessen Begleiter verlangen. Die gegenwärtige Gefahr, die zu einer solchen Standortfeststellung Anlass gab, war in 53 Prozent der Fälle ein befürchteter Suizid. In 25 Prozent der Fälle wurden Personen aufgrund einer Unfallbefürchtung gepeilt. Dabei handelte es sich um Befürchtungen von medizinischen Notlagen (großteils von Patienten mit psychischen Beeinträchtigungen), von Alpin- und Freizeitunfällen, von alkohol- oder drogenbedingten Notlagen sowie von Verkehrsunfällen. Verbrechensbefürchtungen und nicht eindeutig zuordenbare Gefahren führten ebenfalls zu Standortfeststellungen. Ohne gesetzlich dazu verpflichtet zu sein, teilen die Sicherheitsbehörden dem RSB in den meisten Fällen auch das Ergebnis der erfolgten Standortfeststellung mit. In etwas weniger als einem Viertel der Fälle trug die Standortfeststellung zumindest dazu bei, dass die unter besorgniserregenden Umständen abgängige Person aufgefunden werden konnte.

Observationen.

2021 wurden dem RSB 138 Observationen gemeldet, was 10 Prozent der Gesamtmeldungen entspricht und damit (nach dem schlichten Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten) die dritt­häufigste Meldekonstellation darstellt. Die Ermittlung personenbezogener Daten durch Beobachten ist zulässig zur Verhinderung einer geplanten strafbaren Handlung noch während ihrer Vorbereitung sowie – wenn dies anders nicht oder nur sehr schwer möglich wäre – zur Abwehr gefährlicher Angriffe oder krimineller Verbindungen. Zweck der dem RSB 2021 gemeldeten Observationen war wie auch bisher vor allem die Abwehr professioneller Diebstähle (insbesondere Taschen- und Einbruchsdiebstähle). Aber auch zur Bekämpfung von Suchtmittelkriminalität wurden Observationen eingesetzt. Zur Unterstützung dürfen die Sicherheitsbehörden – wenn dies erforderlich ist – auch Peilsender einsetzen, die meist an Kfz montiert werden. 2021 kam es zu 60 Peilereinsätzen.

PStSG-/SNG-Meldungen.

Mit 1. Dezember 2021 wurde das PStSG in „Staatsschutz- und Nachrichtendienstgesetz – SNG“ umbenannt und inhaltlich wesentlich geändert. Für den RSB bedeutete die Reform, dass nun sämtliche Ermächtigungen sowohl des RSB als auch des Senats zu begründen sind.
Die wichtigste Tätigkeit, die das SNG dem RSB überträgt, besteht in der durch Vorab-Ermächtigung auszuübenden Kontrolle der von den Verfassungsschutzbehörden (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und die für Staatsschutz zuständigen Organisationseinheiten der neun Landespolizeidirektionen (bis 30. November 2021 das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und die neun Landesämter für Verfassungsschutz)) geplanten Aufgabenerfüllungen und Befugnisausübung: Beabsichtigen die Verfassungsschutzbehörden die Durchführung einer erweiterten Gefahrenerforschung oder von Maßnahmen zum vorbeugenden Schutz, so dürfen sie ihr Vorhaben nur umsetzen, wenn der RSB dazu im Vorhinein eine sogenannte Basisermächtigung erteilt hat.
Zur Erfüllung dieser beiden Aufgaben erlaubt das SNG den Einsatz einer Reihe von Ermittlungsmaßnahmen (Befugnisse). Wichtig ist, dass die Verfassungsschutzbehörden – zusätzlich zur genannten Basisermächtigung – auch für den Einsatz jeder dieser Ermittlungsmaßnahmen eine vorausgehende Befugnisermächtigung durch den RSB bzw. den Senat benötigen. Die vom SNG vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen sind insbesondere die Observation, die verdeckte Ermittlung (eventuell durch Einsatz einer Vertrauensperson), der verdeckte Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten sowie die Einholung bestimmter Auskünfte von Telekombetreibern oder Transportdienstleistern. Einer Vorab-Ermächtigung durch den Senat unterliegen der Einsatz einer Vertrauensperson sowie die Einholung bestimmter Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste und sonstigen Diensteanbietern.
Den RSB erreichten 2021 – über einen verschlüsselten E-Mail-Kanal – 280 Meldungen aufgrund des PStSG bzw. SNG. Davon bezogen sich 104 auf die erweiterte Gefahrenerforschung und 176 auf den vorbeugenden Schutz.
Mit 41 Erstmeldungen suchten die Verfassungsschutzbehörden um die Genehmigung neuer Überwachungsmaßnahmen an.
99 Fortsetzungsmeldungen betrafen die Verlängerung einer bereits bestehenden Basisermächtigung des RSB.
In 34 Zwischenmeldungen begehrten die Verfassungsschutzbehörden innerhalb einer bereits bestehenden Ermächtigung die Ermächtigung für eine zusätzliche Ermittlungsmaßnahme. In 40 Meldungen berichteten die Verfassungsschutzbehörden über den Abschluss der Ermittlungen und in 66 Meldungen – meist ein Jahr nach der erstatteten Abschlussmeldung – über den weiteren Umgang mit den Daten und/oder mit der Verpflichtung zur Information des Betroffenen einer abgeschlossenen Aufgabe.

Ermächtigungspraxis.

Vorweg ist festzuhalten, dass die 2021 erstatteten Ersuchen durchwegs so gut begründet waren, dass sie vom RSB allesamt positiv erledigt werden konnten. Bei der erstmaligen Erteilung einer Basisermächtigung wurde die Maximaldauer von sechs Monaten für eine erweiterte Gefahrenerforschung lediglich ein einziges Mal gewährt. Für fortgesetzte erweiterte Gefahrenerforschungen wurden dagegen Ermächtigungen ganz überwiegend für die vollen sechs Monate und für den Rest immer für mehr als drei Monate erteilt.
Die Praxis zum vorbeugenden Schutz zeigt sich dagegen, was die Dauer der erteilten Ermächtigungen anlangt, deutlich restriktiver: Erst- und Fortsetzungsermächtigungen erstreckten sich hier mehrheitlich auf eine Dauer von mehr als drei, aber weniger als sechs Monaten.
In der ganz überwiegenden Mehrheit der Ersuchen hat der RSB die Ermächtigung für alle gewünschten Befugnisse uneingeschränkt erteilt. Lediglich zu drei Meldungen verweigerte der RSB teilweise die Ermächtigung von einzelnen Befugnissen.

Claudia Braunsteiner

Rechtsschutzbeauftragter

Unabhängig und weisungsfrei

Der Rechtsschutzbeauftragte (RSB) beim Bundesminister für Inneres und seine Stellvertreter sind bei der Besorgung ihrer Aufgaben unabhängig und weisungsfrei. Um die Unabhängigkeit zu gewährleis­ten, sind strenge Ernennungserfordernisse, weitreichende Ausschlussgründe und ein qualifiziertes Bestellungsverfahren vorgesehen. Mit der Einführung des SNG erfolgte eine Aufstockung des RSB-Teams um zwei weitere Stellvertreter. Seit 1. Juli 2021 ist Generalprokurator i. R. Prof. Dr. Ernst Eugen Fabrizy mit der Funktion des RSB betraut. Als StellvertreterInnen wirken Dr. Beate Stolzlechner-Hanifle, Erster Generalanwalt i. R. Dr. Wilfried Seidl, Univ.-Prof. i. R. Dr. Ursula Medigovic, ao. Univ.-Prof. Dr. Lamiss Khakzadeh und Assoz. Prof. Mag. Dr. Farsam Salimi. Der in bestimmten Fällen gesetzlich vorgesehene Rechtsschutzsenat wird durch den RSB und zwei seiner StellvertreterInnen gebildet.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022

Druckversion des Artikels (PDF 346 kB)