Illegale Migration

Geschäfte mit der Hoffnung

Bis September 2022 wurden rund 48.000 Migrantinnen und Migranten an der grünen Grenze im Burgenland aufgegriffen.
Bis September 2022 wurden rund 48.000 Migrantinnen
und Migranten an der grünen Grenze im
Burgenland aufgegriffen. © Jürgen Belko

Die Zahl der Aufgriffe von illegalen Migrantinnen und Migranten an der österreichisch-ungarischen Grenze steigt. Wie die Lage vor Ort tatsächlich ist, zeigt ein Lokalaugenschein.

Im Burgenland gibt es derzeit die meisten Schlepperaufgriffe österreichweit. Dies liegt an der geografischen Lage und der rund 360 Kilometer langen Grenze zu Ungarn und an der Zusammenarbeit von Polizei und Bundesheer im Kampf gegen Schlepperei.
Bis September dieses Jahres wurden rund 48.000 Migrantinnen und Migranten an der grünen Grenze aufgegriffen. „Ohne die Zusammenarbeit mit den ungarischen Kolleginnen und Kollegen wären die Schlepperfestnahmen so nicht möglich“, sagt Oberstleutnant Helmut Marban von der Landespolizeidirektion (LPD) Burgenland bei einem Lokalaugenschein am burgenländisch-ungarischen Grenzübergang in Deutschkreutz. Von der Meldung, dass eine Gruppe Migranten entlang einer beliebten Schlepper­route gesichtet wurde, bis zu deren Anhaltung und Festsetzung vergehen keine 20 Minuten. Routiniert werden die Aufgegriffenen von Bundesheersoldaten am Rande eines Feldwegs auf gefährliche Gegenstände untersucht, befragt und ihre Handys sichergestellt. Widerstandslos steigen die aus Indien und Afghanistan stammenden Männer kurz darauf in einen Polizeibus ein, der sie in eine der vier burgenländischen Aufarbeitungsdienststellen bringt, wo „polizeiliche Erstmaßnahmen“ durchgeführt werden. Den Migranten werden Fingerabdrücke abgenommen und ihre Identität wird überprüft.
Für den reibungslosen organisatorischen Ablauf der Einsatzkette sorgt im Backoffice der LPD in Eisenstadt ein Team von 20 Personen, das sieben Tage pro Woche 24 Stunden lang die Aufgriffe und die Verteilung der Migrantinnen und Migranten dokumentiert und koordiniert.

Bilaterale Kooperation mit Ungarn.

Ein Polizeibus bringt die Migranten in eine der vier burgenländischen Aufarbeitungsdienststellen.
Ein Polizeibus bringt die Migranten in eine der
vier burgenländischen Aufarbeitungsdienststellen.
© Jürgen Belko

Unsere Hauptaufgabe als Polizei ist nicht das Festsetzen von Migrantinnen und Migranten, sondern das Aufgreifen der Schlepper“, betont Marban. 400 Beamtinnen und Beamten sind in den burgenländischen Grenzdienststellen beschäftigt. Seit Jahresbeginn 2022 wurden im Burgenland 210 Schlepper aufgegriffen. 2021 waren es 169 und im Jahr 2020 rund 100 Schlepper. Ein Erfolg, der auf „strukturierte fremden- und kriminalpolizeiliche Arbeit auf allen polizeilichen Ebenen – von der Grenzkontrolle bis zur strategischen Analyse – zurückzuführen“ sei.
Neben innerstaatlichen Maßnahmen gegen illegale Migration und Schlepperkriminalität gebe es internationale Ansätze, die Österreich verfolge, erläutert Marban. „Zum Schutz unserer Grenzen kommt modernste Wärmebildkamera- und Drohnentechnik zum Einsatz. Da­rüber hinaus ist der gemeinsame Einsatz österreichischer Polizistinnen und Polizisten mit Kolleginnen und Kollegen auf ungarischem Staatsgebiet ein wichtiger Faktor“, sagt Marban. In „gemischten Streifen“ wurden bei über 150 Schwerpunktaktionen rund 115 Schlepper auf der ungarischen Seite der Grenze festgenommen. Bei einer Aktion Anfang Juli 2022 haben 870 Einsatzkräfte 66 Migrantinnen und Migranten in Österreich und 31 Personen auf ungarischer Seite festgesetzt – sieben Schlepper wurden in Gewahrsam genommen.

Menschenverachtende Schlepperbanden.

Migranten werden von Bundesheersoldaten auf gefährliche Gegenstände untersucht und erstbefragt.
Migranten werden von Bundesheersoldaten auf
gefährliche Gegenstände untersucht und
erstbefragt. © Jürgen Belko

„Derzeit greifen wir im Burgenland pro Tag durchschnittlich 400 illegale Migrantinnen und Migranten auf“, berichtet Marban. Zuletzt waren es vor allem indische Staatsbürger, die in der Hoffnung auf Arbeit über Serbien in die EU einreisen. Trotz hoher Aufgriffszahlen sei die aktuelle Situation mit der Migrationswelle 2015 keinesfalls vergleichbar. „Wir haben aus den damaligen Erfahrungen gelernt und organisatorische Maßnahmen getroffen, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt. Fakt ist auch, dass es in der Grenzregion keine Zunahme von Gewalt- oder Eigentumsdelikten gibt“, sagt Marban mit Verweis auf die Kriminalstatistik.

Rücksichtslosigkeit.

Was allerdings zugenommen habe, sei die Rücksichtslosigkeit, mit der Schlepper versuchen, sich der Anhaltung bzw. Kontrolle durch die Polizei zu entziehen. Das Resultat: Autounfälle mit Toten und Schwerverletzten. „Wir beobachten, dass internationale Banden junge, unerfahrene Schlepper für einzelne Fahrten über das Internet rekrutieren, die dann auf Teufel komm raus ein Transportfahrzeug mit Migrantinnen und Migranten von A nach B steuern – ohne entsprechende Fahrpraxis und Ortskenntnisse“, erläutert der Oberstleutnant. Im August dieses Jahres durchbrach ein Schlepperfahrzeug auf der A6 bei Kittsee eine Polizeikontrolle und überschlug sich mehrmals. Drei Menschen kamen ums Leben, etliche weitere wurden schwer verletzt. „Der Vorfall hat einmal mehr gezeigt, dass für die Schleppermafia das Leben von Menschen nichts zählt – der Tod wird einfach in Kauf genommen“, schüttelt der erfahrene Beamte den Kopf. Dass sich statt „erfahrenen Lenkern“ immer mehr „Amateure“ hinter das Steuer eines Schlepperfahrzeugs setzen, führt Marban auch auf die durch transnationale Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden erzielten Ermittlungserfolge zurück. „Es dünnt sich immer stärker aus. Den Banden gehen langsam die erfahrenen Fahrer aus“. Aber Marban ist Realist. Natürlich wisse er, dass das Schleppergeschäft für viele immer noch so einträglich sei, dass Menschen bereit seien, für teilweise 1.500 Euro ihr eigenes Leben und jenes der Migrantinnen und Migranten zu riskieren.

Beamter und Mensch.

Grenzübergang in Deutschkreutz: Vorläufige Endstation für Flüchtlinge.
Grenzübergang in Deutschkreutz:
Vorläufige Endstation für Flüchtlinge.
© Jürgen Belko

Riskant und belastend sind Einsätze wie vor Kurzem die Befreiung von 27 Asylsuchenden von einer fast luftdicht (!) verschlossenen Lkw-Ladefläche auch für die Polizistinnen und Polizisten. „Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort konnten die bereits nach Luft ringenden Migrantinnen und Migranten in letzter Sekunde aus dem Schlepperfahrzeug befreien. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie einige Minuten länger gebraucht hätten.“
Um solche und ähnliche Erlebnisse besser verarbeiten zu können, bietet die LPD nach solchen Amtshandlungen den Beamtinnen und Beamten Peer-Support oder Supervision an. „Jeder von uns geht mit dieser mentalen Belastung anders um. Manche nehmen professionelle Hilfe in Anspruch, andere machen das mit sich selbst aus.“
Wie hält es ein erfahrener Polizist wie er? „Mein Spannungsabbau erfolgt über ,soziales Grunzen‘, also den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen nach Dienstschluss“, sagt der Kommunikationsprofi, der in seinen 35 Dienstjahren schon einiges erlebt hat, sich aber trotzdem „immer wieder für den Polizeiberuf entscheiden“ würde.

Jürgen Belko


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2022

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