Integrationsbericht 2022

Steigende Herausforderungen

Der Integrationsbericht 2022 sieht Handlungsbedarf vor allem im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen. Durch die Ukraine-Krise und die steigende Zahl an Asylanträgen werden die Herausforderungen größer.

Zwischen Migration und Integration bestehen Wechselwirkungen. Migrationspolitik beeinflusst zukünftige Integrationsaussichten, umgekehrt wirken Erfolge und Rückschläge in der Integration auf die Bedingungen zu-künftiger Migration. Der Bericht des unabhängigen Expertenrats für Integration im Bundeskanzleramt und das von der Statistik Austria erstellte Statistische Jahrbuch Migration & Integration sind daher auch für das BMI relevant. Ihre Statistiken und Analysen fließen in die Tätigkeit der für Migrationsagenden zuständigen Sektion V und in den Prozess der Migrationsstrategieentwicklung ein.

Drei Entwicklungen prägen laut Expertenrat derzeit das Integrationsgeschehen in Österreich: die Aufnahme von über 70.000 Vertriebenen aus der Ukraine, die Nachwirkungen der Pandemie und der kontinuierlich steigende Anteil von Personen mit Migrationshintergrund, also von Menschen, die selbst oder deren Eltern beide im Ausland geboren sind. Ende 2021 waren das über 2,4 Millionen Menschen – mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung und um fast 700.000 mehr als vor zehn Jahren. Knapp 1,6 Millionen (17,7 %) hatten eine ausländische Staatsangehörigkeit; die größte Gruppe bildeten die über 216.000 deutschen Staatsangehörigen (+ 65.900 gegen­über 2012), gefolgt von rund 138.400 rumänischen – bei diesen gab es seit 2012 den größten Zuwachs (+ 91.100). Stark gestiegen ist auch die Zahl der syrischen (+ 66.400) und ungarischen (+ 64.600) Staatsangehörigen.

Zunahme der Zahl an Asylanträgen.

Rund 154.000 Personen sind 2021 nach Österreich zu- und 102.000 aus Österreich ausgewandert. Während der Zuzug aus den EU- und EFTA-Staaten mit rund 85.000 gegenüber den vergangenen Jahren recht konstant blieb, ist jener aus Drittstaaten deutlich gestiegen. Mit 39.930 Asylanträgen, darunter 32.375 originären, gab es 2021 den höchsten Wert seit 2016. Im ersten Halbjahr 2022 hat Österreich mit 31.000 Asylanträgen und rund 72.000 Vertriebenen aus der Ukraine bereits mehr Geflüchtete aufgenommen als 2015. Es ist daher absehbar, dass in den kommenden Monaten insbesondere auf das Schulwesen, den Arbeitsmarkt und den Gesundheitsbereich erhebliche Herausforderungen zukommen werden.

Handlungsbedarf im Bildungssystem.

Rund 27 Prozent aller Schülerinnen und Schüler verwenden in der Familie eine andere Umgangssprache als Deutsch. In Wien sind es 53 Prozent, in den übrigen größeren Städten ist der Anteil nicht viel geringer. Das bedeutet nicht zwangsläufig fehlende Deutschkenntnisse, zeigt aber Nachholbedarf. Das österreichische Bildungssystem, das früh zwischen Bildungswegen trennt und stark auf die Unterstützung von Eltern (oder Nachhilfe) setzt, kann, so der Expertenrat, Herkunftsunterschiede kaum ausgleichen: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bekommen grundlegende Qualifikationen oft nicht ausreichend vermittelt, besuchen seltener weiterführende Schulen und haben schlechtere Karrierechancen. Der Anteil der Jugendlichen mit nicht-deutscher Erstsprache, die die Schule ohne Abschluss verlassen, ist mehr als dreimal so hoch wie bei jenen mit Deutsch als Erstsprache. Auch die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsene, die sich weder in einem Beschäftigungsverhältnis noch in Ausbildung befinden ist zwar im europä­ischen Vergleich gering, allerdings ist die Schere zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund (13 bzw. 7 %) groß. Die Gefahr dabei: Bildungssegregation kann zu einer Verfestigung ethnosozialer Gegensätze innerhalb der Gesellschaft führen.

Öffentliche Sicherheit.

Die Zahl der Verurteilten und der Tatverdächtigen sinkt bei österreichischen und ausländischen Staatsangehörigen seit 2012 kontinuierlich, jedoch ist insbesondere bei den 18- bis 20-Jährigen der Anteil der rechtskräftig Verurteilten unter den ausländischen Staatsangehörigen mit 1,5 Prozent noch immer doppelt so hoch wie unter den österreichischen und unter den jungen Erwachsenen aus dem ehemaligen Jugoslawien außerhalb der EU (2,0 %), aus Afghanistan, Syrien und dem Irak (2,1%) fast dreimal so hoch.

Arbeit, Soziales und Gesundheit.

Trotz einer gewissen Entspannung am Arbeitsmarkt ist die Arbeitslosenrate vor allem bei Drittstaatenangehörigen mit über 17 Prozent noch immer hoch. Die Zahl der Armutsgefährdeten ist bei österreichischen Staatsangehörigen von 9,9 auf 10,8 Prozent, bei Drittstaatsangehörigen von 45 auf 46,1 Prozent gestiegen. Im Gesundheitsbereich zeigt sich einerseits die große Bedeutung von ausländischen Arbeitskräften – vor allem in der Pflege – und andererseits der Einfluss sozioökonomischer Faktoren und (mangelnder) Sprachkenntnisse auf das Gesundheitsverhalten: Personen mit Migrationshintergrund nehmen im Schnitt seltener Vorsorgeuntersuchungen und fachärztliche Leistungen in Anspruch und lassen sich seltener impfen.

Fokus Ukraine.

Um die Chancen der Vertriebenen aus der Ukraine auf Integration sowie bei einer eventuellen Rückkehr zu verbessern, empfiehlt der Expertenrat u. a. den Einsatz von muttersprachlichem Lehr- und Betreuungspersonal in Schulen und Kindergärten, eine leichtere Anerkennung von Qualifikationen, den Ausbau von Intensiv- und berufsspezifischen Sprachkursen sowie ein Angebot an Lehrausbildungen und Traineeships. Da rund 90 % der Geflüchteten Frauen und Kinder sind, brauche es ein größeres Angebot an Kinderbetreuung sowie Sensibilität für und konkrete Hilfsangebote bei Fällen von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, sexueller Ausbeutung oder Menschenhandel. Herausforderungen ergeben sich in der psychologischen Betreuung, da das Angebot begrenzt und der Bedarf durch die Folgen der Pandemie gestiegen ist. Der Integrationsbericht 2022 und das Statistische Jahrbuch Migration & Integration 2022 sind unter www.bundeskanzleramt.gv.at/ verfügbar.

Harald Greifeneder


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2022

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