ATLAS-Verbund

Vernetzung gegen Terror

Im ATLAS-Verbund europäischer Polizei-Spezialeinheiten finden pro Jahr über 50 gemeinsame Aktivitäten statt. Im September 2022 trainierten Sondereinheiten in der Slowakei die Zusammenarbeit im Kampf gegen terroristische Bedrohungen.

Anti-Terror-Training im Kastell von Komarno: Rampenfahrzeug des EKO Cobra, Einsatzbeamte aus Ungarn und der Slowakei.
Anti-Terror-Training im Kastell von Komarno: Rampenfahrzeug des EKO Cobra, Einsatzbeamte aus Ungarn
und der Slowakei © Gregor Wenda

Zwei Hubschrauber kreisen über der Festung in Komarno an der slowakisch-ungarischen Grenze. Während mehrere Polizisten einer Sondereinheit aus Portugal sich von einem der Helikopter abseilen, fährt in der Nähe ein Rampenfahrzeug des Einsatzkommandos Cobra Einsatzbeamte direkt an den 1. Stock eines Gebäudes heran: Anti-Terror-Einheiten aus Ungarn und der Slowakei stürmen das Haus. Wenige hundert Meter entfernt trainieren Einsatzkräfte aus Bulgarien, Tschechien und Spanien, in einen entführten Bus zu gelangen. Die Szenarien waren Teil einer internationalen Anti-Terror-Übung des ATLAS-Verbundes europäischer Polizei-Spezialeinheiten, die Ende September 2022 in der Slowakei stattfand.

Einsatzbeamte der maltesischen Polizei-Spezialeinheit SIU.
Einsatzbeamte der maltesischen Polizei-Spezialeinheit SIU.
© Gregor Wenda

Seit 1. Juli 2021 nimmt die slowakische Polizei-Sondereinheit „Lynx Commando“ den Vorsitz innerhalb des ATLAS-Verbundes wahr. Zuvor hatte den „Chair“ über vier Jahre das Einsatzkommando Cobra inne. Übungen zur Vorbereitung gemeinsamer Einsätze bei Terror- oder Amoklagen sind ein wesentliches Element der Kooperation innerhalb des vor über 20 Jahren gegründeten ATLAS-Verbundes. „Pro Jahr finden im Rahmen von ATLAS über 50 solche Aktivitäten statt“, sagt Alfred Spörr, Leiter des ATLAS Support Office bei Europol in Den Haag. Der Österreicher steht dem ATLAS-Unterstützungsbüro bei Europol seit November 2018 vor; zuvor war er lange beim Einsatzkommando Cobra und dort auch in verschiedenen Auslandsmissionen tätig. 38 Spezialeinheiten aus allen EU-Mitgliedstaaten sowie aus Island, Norwegen, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich gehören derzeit ATLAS an. Finanziert wird das Netzwerk von Europol. Zur Bündelung des Know-hows wurden im Verbund vier Expertengruppen (Expert Groups – EG) gebildet: Sie behandeln Bedrohungen auf dem Seeweg (EG Naval), in Massenverkehrsmitteln (EG Transport), in Flugzeugen (EG Aircraft) und in Gebäuden (EG Building). Neben Fachtreffen und „Exercises“, die zum Teil zwischen 150 und 200 Einsatzbeamte involvieren, finden alle paar Jahre internationale Groß­übungen („ATLAS Common Challenges“) in mehreren Staaten parallel statt – das nächste Mal 2023. Auch mit anderen internationalen Polizei-Netzwerken gibt es gemeinsame Übungen – so zum Beispiel im Oktober 2022 eine „Cross Network Exercise“ von ATLAS und europäischen Air-Marshals im Rahmen des EU-Projekt EIFS (Enhancing In-Flight Security) am Flughafen Wien.

Festung Komarno.

Taktisches Übungsszenario mit Black-Hawk-Hubschrauber.
Taktisches Übungsszenario mit Black-Hawk-
Hubschrauber. © Gregor Wenda

Die „EG Building“ wurde 2007 gegründet und stand bis Ende 2016 unter der Führung des EKO Cobra. Seither ist das slowakische „Lynx Commando“ für diese Expertengruppe verantwortlich und stellt das Kastell in Komarno immer wieder für Übungen innerhalb des Spezialeinheiten-Netzwerks zur Verfügung. „In Komarno konnten dieses Jahr aufgrund ausreichender Budgetmittel sogar zwei ATLAS-Übungen durchgeführt werden“, berichtet Alfred Spörr, der die „Exercise“ in der Slowakei gemeinsam mit einer Europol-Delegation besuchte.
Einheiten aus Bulgarien, Irland, Kroatien, Malta, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, Tschechien und Ungarn waren vertreten. Neben dem Trainieren von Seiltechniken mit Hubschraubern und taktischen Manövern in Gebäuden, die den Einsatz von Öffnungstechnikern und Präzisionsschützen miteinschlossen, wurden Einsatzsanitäter („Medics“) und Zugriffshunde in die Abläufe integriert. In der Untertunnelung der Komorner Bastion konnten Operationen mit Nachtsichtgeräten trainiert werden.
„Der Wert der gemeinsamen Trainings liegt darin, dass quer über Landesgrenzen hinweg die gleichen Routinen entwickelt und verinnerlicht werden. Bei Einsätzen wie der Suche nach einem extremistisch motivierten Soldaten in Belgien 2021 hat man gesehen, wie rasch verschiedene europäische Sondereinheiten zusammengezogen werden können und unter einer einheitlichen Führung harmonieren“, sagt Spörr. Auch nach dem Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 hatten mehrere europäische ATLAS-Mitglieder Kräfte in Bereitschaft gesetzt, um das Einsatzkommando Cobra zu unterstützen. „Glücklicherweise war eine Verstärkung durch andere Staaten nicht notwendig“, betont Spörr.

Die „EG Building“ gestaltet Angriffsszenarien auf Gebäude aller Art, etwa auf Schulen, Shopping-Center oder Touristenattraktionen. Erfahrungen von vergangenen Sonderlagen wie in München, Paris oder Wien werden laufend einbezogen. In die Übungen wird regelmäßig Fachwissen aus den sieben Foren von ATLAS integriert – von Möglichkeiten des Eindringens in Objekte (Forum Entry) über gemeinsame Einsatzführung und gemeinsame Einsatzsprache (Forum Coordination, Communication, Command, Control – C4), Präzisionsschützenwesen (Forum Sniper), Verhandlungen (Forum Nego), medizinische Versorgung in Gefahrenbereichen (Forum Medic) und schnelle taktische Reaktionsteams (Forum Rapid Response) bis zu technischen Innovationen (Forum Innovation). Die Erfahrungen aus Übungen und anderen Formen des Praxisaustausches werden in Handbüchern zusammengefasst; gemeinsame Standards, die für die ATLAS-Zusammenarbeit gelten, werden vielfach von Polizeisondereinheiten im nationalen Bereich übernommen.

Centres of Excellence.

Zugriffshundeführer der kroatischen Polizei-Sondereinheit ATJ Lucko.
Zugriffshundeführer der kroatischen
Polizei-Sondereinheit ATJ Lucko.
© Gregor Wenda

Seit 2019 werden innerhalb des ATLAS-Verbundes Ausbildungszentren (Centres of Excellence) zu bestimmten Schwerpunktbereichen errichtet. In den Zentren sollen taktische Modelle sowie gemeinsame Aus- und Fortbildungsprogramme entwickelt werden. Nach Eröffnung eines Centre of Excellence für den Bereich „Medic“ in Budapest und eines weiteren Zentrums im Bereich „Aircraft-Training“ in Italien laufen derzeit Verhandlungen mit der Gemeinde Komarno, um in der Slowakei unter der Leitung des „Lynx Commando“ ein weiteres Kompetenzzentrum für den Bereich „Building“ zu errichten. Die strategische Lage dieses Zentrums soll gewährleisten, dass alle Mitglieder von ATLAS von ihren Stützpunkten anreisen können, ohne jedes Mal ihre gesamte Ausrüstung und Bewaffnung für Trainingszwecke mitführen zu müssen. Eine neue Möglichkeit der gemeinsamen Beschaffung und Nutzung von Einsatzmitteln wird im Rahmen des ATLAS-Projekts „Pooling und Sharing“ geschaffen. Mehrere ATLAS-Einheiten haben in einem ersten Schritt beschlossen, ein Projekt zur gemeinsamen Verwendung von Einsatzbooten für polizeiliche Interventionen umzusetzen. Bei der Übung in Komarno im September 2022 war bereits eines dieser Boote im Einsatz.

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022

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