Recht

Gnadenschuss für Tiere?

Nur Jäger oder Amtstierärzte dürfen verletzte Tiere erlösen.
Nur Jäger oder Amtstierärzte dürfen
verletzte Tiere erlösen.
© Dieter Nagl/Picturedesk.com

Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist es nicht erlaubt, ein Tier mittels Fangschuss oder Gnadenschuss zu töten. Es gibt dafür keine geeignete Rechtsgrundlage.

Im Juni 2022 kam eine Polizeistreife zu einem neben der Straße liegenden, schwer verletzten Reh. Der Jäger war anfangs nicht erreichbar. Nunmehr wurde der Behördenjournaldienst der zuständigen Bezirkshauptmannschaft informiert. Dieser ordnete die Tötung des Tieres durch die Bundespolizei mittels Fang- oder Gnadenschusses an. Der Patrouillenkommandant, der erst kurz zuvor den Fachkurs für dienstführende Beamte absolviert hatte, weigerte sich. Erst später wurde der Jäger erreicht, der das Tier tötete.

Tierschutzgesetz.

Die grundsätzliche rechtliche Regelung zur Tötung von Tieren findet sich im Tierschutzgesetz – TSchG (BGBl I Nr 118/2004 idF BGBl I Nr 86/2018). Während das TSchG in § 6 Abs. 1 die Tötung von Tieren „ohne vernünftigen Grund“ verbietet und unter Verwaltungsstrafe stellt, sieht § 37 Abs. 1 TSchG die Verpflichtung für Organe der Behörde vor, für eine schmerzlose Tötung eines Tieres zu sorgen, wenn sein Weiterleben mit nicht behebbaren Qualen verbunden wäre.

Behörde im Sinne des TSchG ist nach § 33 grundsätzlich die Bezirkshauptmannschaft. Fraglich ist, ob nunmehr die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes für die Bezirkshauptmannschaft als Tierschutzbehörde tätig werden bzw. deren Weisungen befolgen müssen. Es handelt sich beim TSchG um kein Bundesgesetz, das dem Themenkomplex der Sicherheitsverwaltung zuzuordnen ist (§ 2 Abs. 2 SPG). Insofern bedarf es daher einer konkreten Mitwirkungsverpflichtung für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Materiengesetz selbst. Ein solcher Hinweis zur Mitwirkungspflicht an einer Tötung findet sich vordergründig tatsächlich in § 34 Abs. 1 Z 4 TSchG. Dieser normiert, dass Sicherheitsorgane an der Vollziehung des § 37 (Tötung) mit Maßnahmen der unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt mitzuwirken haben.

Keine unmittelbare Mitwirkung.

Dennoch ist diese Bestimmung anders auszulegen, als dies auf den ersten Blick den Eindruck macht: Die Tötung in § 37 Abs 1 TSchG wurde mit einer Novelle (BGBl I Nr. 61/2017) neu gefasst. Die Mitwirkungsbestimmung für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in § 34 Abs 1 Z 4 TSchG wurde in dieser Novelle hingegen nicht geändert und blieb unverändert wie damals bestehen. Unstrittig ist, dass bis zur vorgenannten Novelle im Jahr 2017 eine Mitwirkung an der Tötung von Tieren für die Polizei nicht bestand. Bis 2017 war die Tötung in einem Absatz (faktisch wortident) geregelt, für die es aber keine Mitwirkungsklausel für Sicherheitsorgane gab. Auch der Regierungsvorlage zur Novelle 2017 lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die Polizei dafür zuständig machen hätte wollen. Sinn und Zweck der Novelle 2017 war „nur“, praktische Probleme bei der Abnahme von Tieren aufzulösen (1515 der Beilagen XXV. GP., Keplinger – Nedwed, WaffGG, 8. Auflage, 93).
Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass trotz der (möglichen) gegenteiligen wörtlichen Auslegung des TSchG eine unmittelbare Mitwirkung an der Tötung von Tieren durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht besteht.

Weisungsrecht der Behörde.

Als Nächstes war zu prüfen, ob die Weisung des Behördenjournaldienstes als Rechtsgrundlage herangezogen werden könnte. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind allerdings nicht für alle behördlichen Agenden der Bezirkshauptmannschaft zuständig. Bezirkshauptmannschaften vollziehen eine Vielzahl von Bundes- und Landesgesetzen. Sie sind auch Sicherheitsbehörden, woraus sich faktisch ergibt, dass Sicherheitsorgane Aufträge „ihrer“ Bezirkshauptmannschaft zumeist umsetzen.
Dabei ist allerdings festzuhalten, dass eine Bezirkshauptmannschaft – je nach dem zu vollziehenden Gesetz – als unterschiedliche Behörde fungiert. Im eingangs erwähnten Beispiel ordnete der Behördenjournaldienst in seiner Tätigkeit für die Tierschutzbehörde eine Tötung an.
Die Bezirkshauptmannschaft war hier also nicht als Sicherheitsbehörde oder in Vollziehung eines unter die Sicherheitsverwaltung fallenden Gesetzes tätig, sondern als Tierschutzbehörde, für die eine sehr detaillierte Aufzählung der Mitwirkung oder Assistenzleistung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im TSchG besteht.
Die Tierschutzbehörde ist zwar fachliche Behörde der einschreitenden Polizistinnen und Polizisten und kann ihnen Weisungen erteilen, allerdings nur in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen.

Grenzen.

Dementsprechend normiert § 44 Abs. 2 des Beamtendienstgesetzes (BDG), dass der Beamte eine Weisung ablehnen kann, wenn diese von einem unzuständigen Organ erteilt worden oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Ab dem Zeitpunkt, wo ein Organ der (grundsätzlich) zuständigen Behörde die Mitwirkungsregeln des Gesetzes für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdiens­tes überschreitet, wird die Weisung von einem unzuständigen Organ erteilt und daher abzulehnen sein. Da eine Weisung nur ein interner Akt ist, der an ein untergeordnetes Verwaltungsorgan ergeht, kann aus einer Weisung entgegen dem zwingenden hoheitlichen Recht auch keine außenwirksame, beispielsweise in das Recht des Tiereigentümers eingreifende, Rechtsquelle für eine Zwangsausübung abgeleitet werden.

Der Verwaltungsgerichtshof formuliert zutreffend (vgl. VwGH 14.05.1980, SlgNF 10.134 A), dass der dienstliche Gehorsam eine der vornehmsten Pflichten des Beamten ist, aber dies keine „willenlose Unterwerfung“ sei, sondern die Vollziehung gesetzlicher Vorschriften. Solche Gesetze sind Grund, aber vor allem Grenze für das Handeln der Sicherheitsorgane, über die sich auch ein vorgesetztes Behördenorgan nicht hinwegsetzen kann. Das mag für den Journaldienst einer Behörde manchmal unverständlich sein, weil dieser für das ganze TSchG zuständig ist, er sich für eine (zwangsweise) Vollziehung des Gesetzes aber nur in Teilbereichen an die Bundespolizei wenden kann.

Waffengebrauchsgesetz.

Jedes Jahr kommen in Österreich 70.000 Wildtiere durch Verkehrsteilnehmer zu Tode.
Jedes Jahr kommen in Österreich 70.000 Wildtiere
durch Verkehrsteilnehmer zu Tode.
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Selbst wenn man die Zuständigkeit der Organe des öffentlichen Sicherheitsdiens­tes nach dem TSchG bejahen würde, würde der Fang- und Gnadenschuss am Waffengebrauchsgesetz (WaffGG) scheitern. Dem österreichischen Verwaltungsrecht wohnt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders inne. Jedes staatlich eingreifende Handeln muss verhältnismäßig sein. Insbesondere das WaffGG hat seit seinem Inkrafttreten das verhältnismäßige Handeln seiner Exekutivorgane genaues­tens determiniert. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach jede Eingriffsnorm sachlich rechtfertigbar, verhältnismäßig, gelinde und zielführend sein muss, werden deshalb in den §§ 3 bis 8 WaffGG sehr detailliert umgesetzt. Das ist sachgerecht, handelt es sich bei einem Waffengebrauch doch wohl um eines der eingriffsintensivsten Mittel, die ein Staat gegenüber seiner Bevölkerung vorsehen kann. Damit gibt der Gesetzgeber aber auch vor, dass das WaffGG immer zur Anwendung gelangen muss, wenn ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes von einer Dienstwaffe bestimmungsgemäß gegen einen Menschen Gebrauch macht.

Gegen eine Sache – wie beim Fang- und Gnadenschuss vorliegend – ist der WaffGG nur in § 2 Z 5 WaffGG vorgesehen – dort aber nicht, um ein Tier von seinen Leiden zu erlösen, sondern um eine Gefahr von diesem Tier (Sache) abzuwehren. § 2 normiert die Zwecke eines Waffengebrauchs taxativ.
Es gibt keine Möglichkeit, von einer Dienstwaffe rechtmäßig Gebrauch zu machen, ohne dieses Handeln unter § 2 zu subsumieren. Erst recht gibt es daher keine Möglichkeit, mit einer Dienstwaffe ein Tier zu töten, ohne das WaffGG „mitzuprüfen“. Würde man also das TSchG zur (rechtmäßigen) Tötung eines Tieres durch ein Organ der Bundespolizei bejahen, würde die Rechtmäßigkeit des Fang- und Gnadenschusses daran scheitern, dass er nicht dem § 2 WaffGG unterstellt werden kann. Würde eine Polizistin oder ein Polizist erwägen, das leidende Tier zu erschlagen, würde wiederum das WaffGG greifen: Schon die Verwendung eines Schlagwerkzeuges entfaltet waffenähnliche Wirkung und führt über § 9 WaffGG wieder zur verpflichtenden Anwendung des WaffGG.

Straf- und disziplinarrechtliche Konsequenzen.

Schon aus Eigenschutz muss einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes klar sein, dass es eine besondere Stellung im Staatsgefüge einnimmt und die fachliche Kompetenz aufweisen muss, über seine Zuständigkeiten Bescheid zu wissen. Das Töten eines Rehs als Wild ist nach § 137 StGB unter gerichtliche Strafe gestellt. Alternativ könnte auch noch Sachbeschädigung oder Tierquälerei nach dem StGB in Betracht kommen. Tötet ein Polizist nunmehr ein solches Tier, bedarf es des Rechtfertigungsgrundes der Ausübung einer Dienstpflicht in Anwendung eines ihn dazu ermächtigenden Gesetzes.

Das Tierschutzgesetz ist dafür, wie zu Beginn dargestellt, nicht heranziehbar. Auch das WaffGG hilft nicht, denn der Fang- und Gnadenschuss ist nicht darin angeführt. Vielen Sicherheitsorganen wird wohl aus der Polizeilichen Grundausbildung noch der Lehrsatz in Erinnerung sein, dass Fang- und Gnadenschüsse eben nicht unter das WaffGG fallen. Damit erfolgen sie aber rechtsgrundlos, obwohl unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt zum Nachteil des Jägers oder Eigentümers eines verletzten Tieres ausgeübt wird. Gegen die Behörde eröffnen sich wiederum Möglichkeiten des Amtshaftungsrechtes, denn Rechtswidrigkeit im Sinne des AHG liegt stets vor, wenn ein hoheitlich agierendes Organ keine Rechtsgrundlage für sein Einschreiten vorweisen kann. Ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes setzt sich jedenfalls durch einen Fang- und Gnadenschuss der Gefahr eines Ermittlungsverfahrens nach § 137 StGB aus. In einer rechtskräftigen Entscheidung hat die Bundesdisziplinarbehörde (2021-0.722.577 vom 13.10.2021) erst kürzlich einen Polizisten disziplinarrechtlich zu einer Geldbuße verurteilt, der einen solchen Fang- und Gnadenschuss aus eigenem durchgeführt hat.
Die manchmal geäußerte Rechtsansicht, dass ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Tierquälerei durch Unterlassung begehen könnte (§§ 2, 222 StGB), wenn es ein verletztes Tier nicht tötet, ist unzutreffend. Ein Sicherheitsorgan, das sich bei Grundrechtseingriffen dem Gesetz entsprechend verhält, kann auch bei einer – vom Gesetzgeber wohl billigend in Kauf genommenen – Schädigung Dritter nicht rechtswidrig handeln. Es drohen keine strafrechtlichen oder amtshaftungsrechtliche Konsequenzen. So hat zum Beispiel das Oberlandesgericht Graz festgestellt, dass bei rechtlich nicht möglichen Grundrechtseingriffen nach dem Unterbringungsgesetz bei einer psychisch beeinträchtigten Person, die regelmäßig „nur“ Fahrzeuge zerkratzt, aber keine Personen gefährdet hat, die Sicherheitsbehörde nicht haften kann (OLG Graz, 5 R 155/17d).

Hausverstand.

Wenn der Jäger nicht erreichbar ist, das Tier leidet und Passanten einen Handlungsdruck aufbauen, ist eine Polizistin oder ein Polizist faktisch gefordert. Dem in manchen Diskussionen geforderten Hinweis, es brauche weniger juristische Bedenken, als vielmehr „Hausverstand“, muss dabei entschieden entgegengetreten werden. Der Bindung der hoheitlichen Verwaltung und deren Organe an die Gesetze im Sinne des als Baugesetz der Verfassung geltenden Legalitätsprinzips kann der Hausverstand nichts entgegensetzen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber ganz bewusst zuständige Organe für die Tötung von Tieren vorgesehen (Amtstierärzte, Jägerschaften). Wenn diese – aus welchem Grund auch immer – ihre Aufgaben nicht wahrnehmen können, wird ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes dadurch noch lange nicht rechtlich oder moralisch zuständig.

Fazit.

Würde eine rechtliche Zuständigkeit der Bundespolizei zur Durchführung von Fang- und Gnadenschüssen bestehen, müsste auch eine entsprechende Schulung im Rahmen der Schießausbildung durch die Dienstbehörde erfolgen, um ein allfälliges Organisationsverschulden hintan zu halten. Querschläger, Verletzungen durch den Schuss­knall oder die Nichterzielung einer schmerzlosen Tötung müssten bereits in der polizeilichen Grundausbildung behandelt werden.
Im Ergebnis erlauben weder das TSchG, noch das WaffGG Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, einen Fang- oder Gnadenschuss durchzuführen. Dieser Ansicht zuwiderlaufende Weisungen sind nicht zu befolgen. Bei Problemen mit der Verständigung von zuständigen Jägern oder Amtstierärzten empfiehlt es sich für die betreffenden Dienstbehörden, das Gespräch mit den von Gesetzes wegen zu diesen Handlungen befugten – aber noch viel mehr verpflichteten – Personen und Organisationen zu suchen.

Mario Breuß


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2022

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