Verkehrsleitzentrale Wien

Fließverkehr steuern

Verkehrsleitzentrale: Überblick über das Verkehrsgeschehen in der Bundeshauptstadt
Verkehrsleitzentrale: Überblick über das Verkehrsgeschehen in der Bundeshauptstadt © Gerd Pachauer

Seit 60 Jahren laufen alle Informationen über den Wiener Straßenverkehr in der Verkehrsleitzentrale der Wiener Polizei zusammen. Über 40.000 Einsätze im Jahr werden hier bearbeitet.

Ein Polizist, der an der Kreuzung den Verkehr regelt, ist in der Bundeshauptstadt mittlerweile ein seltener Anblick: „Manche Verkehrsteilnehmer kennen die Bedeutung der Handzeichen gar nicht und wissen nicht, wie sie sich zum Beispiel bei einem erhobenen Arm verhalten sollen“, berichtet Chefinspektor Rainer Samer, seit 2018 Leiter der Verkehrsleitzentrale. Anders war das im Jahr 1962, als die Verkehrsleitzentrale in der Wiener Rossauer Kaserne eingerichtet wurde. Zehn Ampeln waren damals mit dem Verkehrsrechner verbunden. Am Rest der Kreuzungen dirigierten Polizeibeamte das Verkehrsgeschehen. „Das Wetter spielt keine Rolle – extreme Hitze oder starker Schneefall sind Bedingungen, die diese Tätigkeit sehr anstrengend machen können.“ Später konnten die Ampelsignale mit Kurbeln oder Druckknöpfen aktiviert werden.
In Wien wurden die ersten elektrischen Ampeln zu Beginn der 1930er-Jahre in Betrieb genommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte sich die Anzahl um ein Vielfaches, was eine Koordinierung der einzelnen Anlagen notwendig machte. Heute hat man in der Verkehrsleitzentrale den Überblick über 1.320 Verkehrsampeln.

Fließverkehr aufrecht erhalten.

„Auf einer Planwand sehen wir die Farbcodes zu den einzelnen Standorten. Ein rosa Kreis bedeutet, dass es hier Kommunikationsschwierigkeiten gibt. Gelb bedeutet nicht unbedingt eine Störung, sondern nur, dass die Ampel auf gelb­blinkend geschalten ist. Die Farbe Lila steht für eine Störung, die nicht unbedingt einen Ampelausfall zur Folge hat. Die Farbe Rot weist auf einen Ampelausfall hin. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Verkehr trotzdem fließt und die Ampel wieder in Funktion gesetzt wird.“

Die Verkehrsleitzentrale fungiert als Schnittstelle zu anderen Akteuren im Verkehrsbereich, unter anderem zur Magistratsabteilung (MA) 33 (früher MA 46), der Asfinag, den Wiener Linien und den Medien. „Insbesondere mit der Stadt Wien arbeiten wir seit der Einrichtung der VLZ sehr gut und eng zusammen. Wir verfügen über Direktleitungen, über die wir die Einsätze durchgeben. Mitarbeiter der MA 33 fahren die Ampelanlagen je nach Priorität an, um sie wieder instand zu setzen. Gibt es zum Beispiel bei einem Schutzweg keine Ampelsicherung mehr, wird dieser Einsatz nach oben gereiht, da es sehr gefährlich für Fußgänger und Radfahrer werden kann.“ Bis die Funktionstüchtigkeit wieder gewährleistet werden kann, organisieren die Kolleginnen und Kollegen der Verkehrsleitzentrale Handregelungen durch Exekutivbedienstete der naheliegenden Stadtpolizeikommanden oder Polizeiinspektionen.

Technischer Wandel.

Verkehrsleitzentrale in den 1970er-Jahren und heute. In der VLZ leisten heute 20 Polizisten wechselweise ihren Dienst
Verkehrsleitzentrale in den 1970er-Jahren und heute. In der VLZ leisten heute 20 Polizisten wechselweise ihren Dienst
© Alexander Tuma / Gerda Pachauer

Für Chefinspektor Samer und sein Team ist es wichtig, den Überblick über das gesamte Verkehrsgeschehen zu haben, um rasch und koordiniert auf Verkehrsbehinderungen reagieren zu können. Links und rechts neben der Planwand stehen mehrere Bildschirme, auf denen neuralgische Punkte in Wien eingeblendet werden können:
„Früher hat man winzige Monitore und einige wenige Kameras gehabt. Heute können wir auf 150 zurückgreifen. Sie sind in alle Richtungen schwenkbar und dienen uns zur Verkehrsbeobachtung. Wir hatten zum Beispiel einen Anrufer, der uns von zwei Getöteten nach einer Fahrzeugkollision berichtete. Die beiden angeblich toten Lenker haben aber in Wahrheit am Unfallort Datenblätter ausgefüllt. Oder umgekehrt: Uns wurde von einem abgestellten Fahrzeug berichtet, mit der Kamera haben wir gesehen, dass sich auf der Fahrbahn eine leblose Person befindet. Mit diesem Wissen kann man den Einsatz effizienter planen. Wir sehen auch, ob Ladegut verloren wurde oder ob jemand ein auffälliges Fahrverhalten zeigt“, sagt der Fachbereichsleiter. „Aufzeichnungen können bei uns nicht gemacht werden, das ist technisch sowie rechtlich nicht möglich.“
Die Umstellung auf LED-Ampeln und die verfeinerten Anmeldeformen für Fußgänger, insbesondere das akustische Signal für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen, gelten ebenfalls als wichtige Neuerungen der letzten Jahrzehnte. Mittlerweile gibt es intelligente Ampeln, die den Querungswunsch von Fußgängern selbstständig erkennen. Auch Straßenbahnen und Busse können sich mit Funk oder Sensoren in den Fahrdrähten vor einer Kreuzung anmelden und bekommen dann länger oder früher grünes Licht. „Das Grund liegt in der größeren Anzahl der zu transportierenden Personen und soll zur Attraktivierung der öffentlichen Verkehrsmittel beitragen. In der nächsten Ampelphase wird die Zeit durch eine längere Grünphase für den Querverkehr kompensiert.“

Rainer Samer: „Erfahrung ist wichtiger als technisches Wissen“
Rainer Samer: „Erfahrung ist wichtiger
als technisches Wissen“
© Gerd Pachauer

Die Grüne Welle ist ein Beispiel für eine Optimierung von Ampelabläufen, durch die der Verkehr flüssig gehalten wird. Dadurch können die Fahrzeuge auf diversen Straßenzügen, unter Einhaltung der vorgegebenen Fahrgeschwindigkeit von beispielsweise 50 km/h, die meisten Kreuzungen ohne Halt überqueren. Zu den Vorteilen zählen kürzere Fahrtzeiten, die Schonung der Umwelt durch geringeren Kraftstoffverbrauch und die Erhöhung der Verkehrssicherheit.

Rund um die Uhr ist die Verkehrsleitzentrale besetzt, im Tagdienst von 6 bis 18 Uhr mit mindestens vier und im Nachtdienst von 18 bis 6 Uhr mit mindestens zwei Mitarbeitern. Die Dienste werden von einem Team aus 20 Exekutivbediensteten geleistet. „Erfahrung ist wichtiger als technisches Wissen. Es gibt eine Schulung, wo man die Programme der Ampelanlagen kennenlernt“, sagt Samer. „Fast alle hier kommen aus anderen Fachbereichen der Verkehrsabteilung, hauptsächlich von der motorisierten Einheit, vom Verkehrsunfallkommando oder vereinzelt von der Radargruppe. Sie sind Spezialisten in ihrem Gebiet, verfügen über Ortskenntnisse und vor allem über ein gewisses Verkehrsverständnis. Das ist insbesondere bei Staatsbesuchen und Demonstrationen wichtig, um potenzielle Hotspots vorherzusehen oder Sperren richtig setzen zu können.
Wir geben auch Auskünfte in Angelegenheiten des Verkehrsrechts, da muss man sattelfest sein.“ Weitere hilfreiche Eigenschaften seien Ruhe, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zu koordinieren: „Als Funkstelle für die Verkehrsabteilung ist es unsere Aufgabe, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort bestmöglich zu unterstützen, da hilft es zu wissen, was benötigt werden könnte.“

Dienstalltag.

Gegen 4 Uhr beginnt der Frühverkehr, vereinzelt fahren auch schon früher Lkws, die Waren liefern. In den Hauptverkehrszeiten (Frühverkehr: 7 bis 10 Uhr, Abendverkehr: 15 bis 19:30 Uhr) kommt es aufgrund der Menge an Fahrzeugen vermehrt zu Stauungen und Unfällen. „Der Fokus liegt auf der Verkehrsbeobachtung mit den Kameras, Entlastungsmaßnahmen bei Staubildungen sowie Absperr- und Umleitungsmaßnahmen“, erklärt der Fachbereichsleiter. Ruhiger gehe es während des Spätabendverkehrs bis 22:30 Uhr zu, hier konzentriere man sich normalerweise hauptsächlich auf Schwerpunkte und den Autobahnverkehr. „Allerdings gilt meistens, je später der Abend, desto schwerwiegender die Verkehrsunfälle in Bezug auf Verletzungen und Fahrzeugschäden. Das ist auf die höheren Geschwindigkeiten auf verkehrsärmeren Straßen zurückzuführen. Bei Bedarf muss für die Bergung der Fahrzeuge auch manchmal die Feuerwehr hinzugezogen werden.“

Verparkungen.

Verkehrsregelung mit Handzeichen in in den 1960er-Jahren in Wien
Verkehrsregelung mit Handzeichen in
in den 1960er-Jahren in Wien
© Barbara Pflaum/Brandstaetter
images/ picturedesk.com

Seit Kurzem wird auch der ruhende Verkehr in der Leitzentrale überwacht. „Das wurde örtlich von der Parkraumüberwachungsgruppe der Stadt Wien getrennt und in der Rossauer Kaserne untergebracht“, sagt Samer. „Ein Team aus zehn Personen leitet die entsprechenden Schritte ein, um zum Beispiel verparkte Einfahrten, Lade- oder Behindertenzonen möglichst schnell wieder frei zu bekommen.“

Informationsweitergabe.

„Seit einigen Jahren posten wir auf dem Twitter-Kanal der Wiener Polizei aktuelle Verkehrsinformation und können so beinahe in Echtzeit die Bevölkerung erreichen. Zu erkennen sind unsere Tweets an dem Kürzel vlz“, berichtet Samer, der seit 2001 in der Verkehrsleitzentrale Dienst macht. Mittels Traffic-Information-System serviciert die Verkehrsleitzentrale unter anderem Medien und Autofahrerclubs – es gehen auch aktuelle Informationen direkt an die Navigationssysteme. Inklusive Aktualisierungen waren es 16.000 Meldungen seit Jahresbeginn. „Früher gab es hier in der Verkehrsleitzentrale sogar ein kleines Büro, von dem aus direkte Radioeinspielungen gemacht wurden.“

Staatsbesuche.

Auch die Koordinierung von Staatsbesuchen fällt in das Tätigkeitsfeld der Verkehrsleitzentrale und wurde während des EU-Ratsvorsitzes 2018 sogar zu einer der Hauptaufgaben. „Wir werden vom Landesamt für Verfassungsschutz über eine Lotsung informiert und besetzen dann die jeweiligen Ampeln und Kreuzungen und schalten entsprechend, mit dem Ziel, dass der Konvoi möglichst ohne Anhaltungen durchkommt, der restliche Verkehr aber trotzdem fließen kann.“

Verkehrsleitung: Lotsung eines Staatsbesuchs durch Polizisten des motorisierten Streifendienstes der Landesverkehrsabteilung Wien
Verkehrsleitung: Lotsung eines Staatsbesuchs durch
Polizisten des motorisierten Streifendienstes der
Landesverkehrsabteilung Wien © Alexander Tuma

Zu den Herausforderungen zählt das stetig zunehmende Verkehrsaufkommen in den letzten Jahrzehnten. „Seit der Corona-Pandemie können die Hauptverkehrszeiten nicht mehr so eindeutig wie davor festgemacht werden. Es gibt Tage und Uhrzeiten, an denen ohne ersichtlichen Grund ungewohnt viel los ist“, sagt der Chefinspektor. Außerdem gelte es, Entwicklungen bei den neuen Mobilitätsformen wie Elektroautos und E-Scootern, mit denen es vermehrt zu Unfällen komme, im Auge zu behalten. Auch habe man es bei Demonstrationen im innerstädtischen Bereich mit höheren Teilnehmerzahlen zu tun, was sich auf den Verkehr auswirke.
„Bei den aktuellen Klebeaktionen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten sorgen wir dafür, dass die Wege für Einsatzorganisationen frei bleiben und leiten den Verkehr um. In unserem Beruf muss man flexibel bleiben. Es wird immer Einsätze geben, die man so noch nie erlebt hat. Da gilt es dann schnell Entscheidungen zu treffen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Der Terroranschlag im November 2020 war ein solcher. Da sind viele Kollegen aus der Freizeit in den Dienst gekommen. Um den Verkehr zu warnen, haben wir im direkten Umkreis des Anschlags alle Ampeln am Ring gelbblinkend gestellt, damit die Leute freie Fahrt stadtauswärts hatten. Keiner sollte irgendwo an einer Ampel warten müssen. Zu diesem Zeitpunkt war auch noch nicht klar, um wie viele Täter es sich tatsächlich handelte und wohin sie geflüchtet waren. Die Nacht war sehr fordernd, hat aber die Einsatzbereitschaft und das erfolgreiche Zusammenwirken aller Kräfte gezeigt.“

Anna Strohdorfer/Sophie Stummer


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 1-2/2023

Druckversion des Artikels (PDF 1,0 MB)