Verhandlungsgruppen

„Keine Einzelkämpfer“

MMag. Nicole Lang, Leiterin der bundesweiten Verhandlungsgruppen in der Zentralstelle im Bundeskriminalamt, über die Arbeit der Verhandlungsgruppen in Österreich.

Ziel der Verhandler ist es, den Täter zur Aufgabe zu überreden
Ziel der Verhandler ist es, den Täter zur Aufgabe zu
überreden © Gerd Pachauer

Während die Arbeit von Zugriffseinheiten oft spektakulär und sichtbar ist, arbeiten die Mitglieder der Verhandlungsgruppe im Stillen. In Situationen, in denen die Verhandlungsgruppe gerufen wird, ist das polizeiliche Gegenüber in einem Ausnahmezustand. Das emotionale Gleichgewicht des Täters ist aus den Fugen geraten. In solchen Lagen ist es Aufgabe des Verhandlers, auf eine gewaltfreie Bewältigung dieser Situation hinzuarbeiten, die Gefahr für alle Beteiligten zu reduzieren und Spannungen des Täters abzubauen. Dies bedingt, dass das Gegenüber mit all seinen Bedürfnissen, seinen Motiven und der gesamten Persönlichkeit wahrgenommen werden muss.
Die Verhandlungen zielen darauf ab, dass der Täter emotional stabilisiert wird und man mithilfe eines Vertrauensaufbaues und der Entwicklung einer Vertrauensbasis gemeinsam zu einer Lösung kommt.

Wie lange gibt es Verhandlungsgruppen (VG) bei der Polizei in Österreich?
In Österreich wurden Verhandlungsgruppen in den späten 1980er-Jahren eingerichtet. 1989 begann die Ausbildung der Verhandlungsgruppenmitglieder der Verhandlungsgruppen Wien, Ost und West. Sukzessive erfolgte die Aufstellung der VG Süd 1993, 1998 wurde die VG Mitte installiert und 2009 die Verhandlungsgruppe des Innenministeriums.

Für welche Einsatzlagen können VG angefordert werden?
Die Verhandlungsgruppe ist eine Spezialeinheit, die anlassbezogen zusammentritt – insbesondere bei Fällen schwerer Gewaltkriminalität, wie Geiselnahmen und erpresserischen Entführungen. Sie stehen auch in anderen Situationen, bei denen das Verhalten des polizeilichen Gegenübers durch das Gespräch beeinflusst werden soll, zur Verfügung. Solche können z. B. sein: Erpressung mit schwerwiegenden Drohungen, Ankündigung einer Selbsttötung, Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen, Bedrohung von Exekutivbeamten oder Dritten, insbesondere mit Waffen und Sprengstoffen.

Welche Voraussetzungen gibt es zur Aufnahme in eine VG?
Verhandler müssen Stressresistenz aufweisen, da Lagen, in denen Menschenleben gefährdet sind und die sich über etliche Stunden hinziehen, nur zu meistern sind, wenn Verhandler ihre eigenen Stressreaktionen kennen und kontrollieren können. Des Weiteren benötigen die VG-Mitglieder sehr gute kommunikative Fähigkeiten, da bei Verhandlungen mit Tätern oder Opfern eine Vertrauensbasis hergestellt werden soll.
Verhandler sind keine Einzelkämpfer, sondern Verhandeln ist Teamarbeit, daher müssen die Mitglieder teamfähig sein. Zudem muss ein Verhandler in manchen Lagen seine eigenen Urteile und Bewertungen hintanstellen, um dem Gegenüber offen entgegenzutreten und sich voll und ganz auf dieses einzustellen. Verhandler machen diese Tätigkeit neben ihrem Regeldienst. Daher ist für die Tätigkeit als Verhandler unumgänglich, über eine hohe Motivation zu verfügen.

Was sind in den meisten Fällen die Anforderungsgründe einer VG?
Cirka 50 bis 60 Prozent sind Suizidlagen und der Rest teilt sich auf Verbarrikadierungslagen, sonstige Gefährdungslagen und Erpressungen auf. 2020 verzeichneten wir 156 Einsätze, 2021 waren es 126 Einsätze.

Gab es bereits gemeinsame Einsätze mit ausländischen VG?
Ja, vor allem mit den benachbarten Ländern wie Deutschland. Wir arbeiten in enger Kooperation mit ausländischen Verhandlungsgruppen und es finden auch jährliche Vernetzungstreffen statt. Im Anlassfall, bei grenzüberschreitenden Lagen, wird immer in enger Abstimmung mit anderen Verhandlungsgruppen gearbeitet.

Können Sie ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit beschreiben, wie ein Einsatz erfolgreich gemeistert wurde?
In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass Geisellagen und Verbarrikadierungslagen unter Beachtung sicherheitspolizeilicher Maßnahmen unblutig gelöst werden können. So auch in einem Fall aus Tirol, bei dem ein Täter eine Raiffeisenbank überfällt und sich mit einer Geisel verschanzt. Verhandler nahmen Kontakt auf mit dem Täter. Er konnte nach zahlreichen Gesprächen überzeugt werden, seine Geisel freizulassen und sich kurz darauf zu stellen.

Interview: A. H.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022

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