Europäische Union

EUAM Ukraine – Krieg und Kultur

Seit Gründung der EU Advisory Mission (EUAM) Ukraine im Dezember 2014 unterstützen internationale Berater aus Europa den Prozess der „Security-Sector-Reform“, um dem Misstrauen der ukrainischen Öffentlichkeit gegenüber der Regierung und den Sicherheitskräften entgegenzuwirken.

Euromaidan-Revolution: Proteste gegen die Regierung in der Ukraine zwischen Ende November 2013 und Februar 2014
Euromaidan-Revolution: Proteste gegen die Regierung in der Ukraine zwischen Ende November 2013 und Februar 2014 © Colcin - Stock.adobe.com

Ursprünglich wurde die European Union Advisory Mission Ukraine (EUAM Ukraine) gegründet, um das Vertrauen der ukrainischen Bevölkerung in die Sicherheit wiederherzustellen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Sicherheitsbehörden war nach der Euromaidan-Revolution der Würde (2013-2014), schwer beschädigt, da es im Zuge der Revolution zu einer Reihe von gewalttätigen bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen gekommen war, bei denen Demonstranten teilweise durch Polizeieinheiten und unbekannte Schützen in der Hauptstadt Kiew erschossen worden waren.
Die Ukraine suchte nachfolgend bei der EU um Unterstützung für die ihrerseits angestrebte „Security-Sector-Reform“ an. Besonderes Augenmerk galt seither der Reform der Justiz (Strafverfolgungsbehörden), des Sicherheitsbehörden (Exekutive und Nachrichtendienste) sowie der Korruptionsbekämpfung zur Stärkung der rechtsstaatlichen Institutionen und damit zur Wiederherstellung des Vertrauens der ukrainischen Bevölkerung in ihren staatlichen Sicherheits- und Justizapparat.
Seitdem besteht zwischen der ukrainischen Regierung und der EUAM Ukraine eine enge Zusammenarbeit, um eine nachhaltige Reform des zivilen Sicherheitssektors voranzutreiben. Es wurden von Seiten der EUAM Ukraine fortlaufend strategische Beratungen sowie praktische Unterstützung und Reformen basierend auf den internationalen Standards der EU für die ukrainischen Partner angeboten.

Manfred Pinnegger (vorne), Kommandant des österreichischen EUAM-Kontingents in der Ukraine
Manfred Pinnegger (vorne), Kommandant des
österreichischen EUAM-Kontingents in der
Ukraine © EUAM Ukraine

Das EUAM-Mandat basiert auf fünf Prinzipien: Nationale und staatliche Sicherheit, organisierte und grenzüberschreitende Kriminalität, Strafrechtspflege, Gemeindesicherheit und Polizeimanagement sowie digitale Transformation und Innovation. Das Mandat selbst inkludiert die Tätigkeitsbereiche: strategische Beratung zur Reform des zivilen Sicherheitssektors, Unterstützung der Umsetzung von Reformen durch praktische Beratung, Ausbildung und andere Projekte. Kooperation und Koordination stellen sicher, dass Reformbemühungen mit ukrainischen und internationalen Akteuren koordiniert werden.

Mit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine ist die EUAM nicht mehr in der Lage, ihr Mandat wie zuvor auf dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine umzusetzen. Derzeit ist die EUAM Ukraine mit ihrem Hauptquartier in Kiew, den „Regional Field- Offices“ in Lviv und Odesa sowie einer „Mobile Unit“ in der Ukraine präsent. Die Mission führt ihre inzwischen aufgrund des Krieges angepass­ten operativen Tätigkeiten nach wie vor in der Ukraine fort; Projektaktivitäten zur Unterstützung der ukrainischen Partner werden weiterhin vor Ort umgesetzt. Auf diese Weise sollen die ukrainischen Justiz- und Sicherheitsbehörden trotz des Krieges bei ihren Reformen weiter unterstützt werden, damit die Ukraine ihr Ziel erreicht, in absehbarer Zeit ein unabhängiger, freier, rechtsstaatlicher und wirtschaftlich prosperierender Staat zu werden.

Ausrüstungssspende für die forensische Unterstützungseinheit der nationalen Polizei der Ukraine; Markus Mitterer (2. v. li.)
Ausrüstungsspende für die forensische Unterstützung-
seinheit der nationalen Polizei der Ukraine;
Markus Mitterer (2. v. li.) © EUAM Ukraine

Die EU unterstützt durch diese Mission die Stärkung und den Ausbau von Freiheit, Frieden, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit für die ukrainische Bevölkerung und trägt auf diese Weise zur Verbesserung der gesamteuropäischen Sicherheitslage in der Region bei. Das EUAM-Team setzt sich gegenwärtig aus über 300 Mitarbeitern (internationale und ukrainische Expertinnen und Experten) zusammen.
Die russische Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hatte zur Folge, dass sich Manfred Pinnegger, der vom österreichischen BMI als „Seconded National Expert“ auf die Position eines „National State Security Trainer & Adviser“ in die Mission entsandt wurde, zum Zeitpunkt des Interviews in Österreich befand. Der Umstand, aufgrund der militärischen Sicherheitslage nicht vor Ort in Kiew seinen Dienst versehen zu können, erzeugte bei ihm gemischte Gefühle. Einerseits war er froh, von Österreich aus vielfältige Aufgaben in seinem Tätigkeitsbereich für die ukrainischen Partner weiterhin online durchführen und dabei gleichzeitig in Sicherheit und bei seiner Familie sein zu können. Andererseits empfand er die Situation aufgrund der Sicherheitslage, nicht selbst vor Ort bei seinen ukrainischen Mitarbeitenden sein zu können und ohnmächtig abwarten zu müssen, als belastend.
„Die Sorgen um die Sicherheit und das Wohlergehen der verbliebenen Kolleginnen und Kollegen sowie die Ungewissheit darüber, wie sich die Lage in den nächsten Wochen weiterentwickeln wird, nagt an einem selbst. Auch wenn wir stets versuchen, die Kommunikation und den Informationsaustausch täglich mit unseren Mitarbeitenden in Online-Meetings oder durch Telefongespräche aufrecht zu erhalten, ist das Gefühl, ohnmächtig zu sein, sehr bedrückend. In Wirklichkeit weiß man nicht, was im Krieg als Nächstes passieren wird und wie sich die Lage entwickeln wird“, sagt Pinnegger. In seinen bislang 28 Dienstjahren hat er bereits vieles erlebt. Die professionelle Unterstützung und Betreuung des österreichischen Kontingents in der EUAM durch den BMI-Fachbereich II/BPD/6/ EU/UN ist „überdurchschnittlich und absolut professionell“, berichtet Pinnegger.

Von österreichischer Seite befinden sich derzeit insgesamt drei Experten im EUAM-Einsatz in der Ukraine. Die Strukturen auf europäischer Ebene, ausgehend vom „European External Action Service“ (EEAS), dem auswärtigen Dienst der EU, beinhalten verschiedene Stabsorganisationselemente. So bewertet das „Civilian Planning and Conduct Capability“ (CPCC) als Stabsabteilung des EEAS fortlaufend die Sicherheitslage in allen „EU Civilian Security and Defence Policy“ (CSDP) Missionen, zu denen die EUAM zählt. Das Risk-Assessment über die jeweilige Sicherheitslage im Missionsgebiet entscheidet darüber, ob ein Einsatz vor Ort vertretbar ist oder nicht.
Pinnegger ist gegenwärtig in Kiew und damit im „EUAM Main Headquarter“ (MHQ) stationiert. Sein Aufgabenbereich erstreckt sich auf Beratungs­tätigkeiten gegenüber den ukrainischen Nachrichtendiensten, auf die Durchführung von EUAM-Projektaktivitäten sowie auf Organisation und Abhaltung von Trainings für die Kolleginnen und Kollegen in den ukrainischen Diensten. Schwerpunkt der Ausbildung und des Trainings sind „Cybersecurity“, „Hybrid-Warfare“, „OSINT-Intelligence“, „Digital IT-Forensics“, „Risk-Management“ und verschiedene rechtliche Ausbildungsinhalte insbesondere zum Thema Rechtsstaatlichkeit sowie Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte.

Kulturgüterschutz.

Unterzeichnung einer Geldspende an die EUAM Ukraine: Arad Benkö, österreichischer Botschafter, Antti Juhani Hartikainen, Head of the Mission
Unterzeichnung einer Geldspende an die EUAM Ukraine:
Arad Benkö, österreichischer Botschafter, Antti Juhani
Hartikainen, Head of the Mission © EUAM Ukraine

Die Ermittlungen von Kriegsverbrechen, die aufgrund der Zerstörung von ukrainischen Kulturgütern mutmaßlich von russischer Seite im Zuge des Krieges begangen wurden, fallen in die Zuständigkeit des ukrainischen Inlandsdiens­tes. Da Pinnegger als Berater und Trainer eng mit dem „Security-Service of Ukraine“ zusammenarbeitet, entstand die Idee für eine EUAM-Projekt-Aktivität zum Schutz des ukrainischen kulturellen Erbes. Vom 25. bis 26. Mai 2023 ist in Lviv eine Fachkonferenz zum Thema „best practices for the investigation and the prevention of war crimes against Ukrainian cultural heritage“ geplant. „Ziel ist es, internationale Ermittlungs- und Strafverfolgungsexperten für die Bekämpfung von Verbrechen gegen kulturelles Erbe sowie der organisierten Kulturgutkriminalität mit Expertinnen und Experten aus dem Kulturgüterschutz und der musealen Kulturgutforschung zu einem Wissens- und Erfahrungsaustausch zusammen zu bringen. Dadurch soll eine Sensibilisierung und zugleich eine Bewusstseinsbildung für den ukrainischen Kulturgüterschutz bei den verantwortlichen ukra­inischen Entscheidungsträgern bewirkt werden“, erklärt Pinnegger.
Pinnegger hat in seiner polizeilichen Laufbahn mehrere Auslandseinsätze, u. a. im Kosovo, in Bosnien und in Bolivien absolviert. „Die Moral und Motivation der ukrainischen Partner und auch der Zivilbevölkerung ist in höchstem Maße beeindruckend. Das motiviert mich umso mehr und deshalb bemühe ich mich unsere ukrainischen Mitarbeitenden gemeinsam mit allen anderen internationalen und nationalen Kolleginnen und Kollegen in der Mission bestmöglich zu unterstützen“, sagt Pinnegger. „Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn man in einer so bedeutsamen Mission einen Beitrag leisten darf.“
Er hebt hervor, wie gut die Organisation über das BMI erfolgt, denn ohne Menschen, „die über den Tellerrand hinausschauen, wäre vieles nicht möglich“. Dabei wird Österreich sowohl EU-weit als auch international als gleichwertiger und wertvoller Partner wahrgenommen, obwohl es im Vergleich zu anderen internationalen Playern ein kleines Land ist. Seine Vorgesetzten achten zudem darauf, Kollegen so individuell zu entsenden, dass es für alle Beteiligte eine Bereicherung und einen Mehrwert darstellt. Pinnegger betont, dass er im Zuge seiner Arbeit im internationalen Bereich wundervolle Menschen kennengelernt hat und sieht auch das Projekt der Fachtagung als eine Chance für nachfolgende Projektaktivitäten zum Kulturgüterschutz in der Ukraine. Er ist davon überzeugt, dass die EUAM Ukraine mit all ihren Projekten, ihren vielfältigen Beratungsdienstleistungen und der Bereitstellung von umfassendem Fachwissen zu den unterschiedlichsten Themen durch die internationale Expertinnen und Experten, durch die praktische Durchführung von Trainings für die ukrainischen Counterparts und nicht zuletzt durch die vielseitigen Sachleistungen einen sehr positiven Fußabdruck in der Ukraine hinterlassen und dabei helfen wird, der Ukraine ihren Weg in die Freiheit, Souveränität und in eine friedliche Zukunft erfolgreich zu beschreiten.

Verfolgung von Kriegsverbrechen.

Sein Kollege, Markus Mitterer, ist seit 15. Jänner 2022 bei der Mission tätig und war davor 30 Jahre lang im Exekutivdienst. In dieser Zeit hatte er zahlreiche Auslandseinsätze, wobei der erste im Jahr 2003 im Kosovo absolviert wurde. Der Kärntner hat im Rahmen der Mission einen anderen Aufgabenbereich wie Pinnegger. Er war bereits im März 2022 wieder in der Ukraine stationiert und ist im Bereich Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen für die Mission als Berater tätig. Innerhalb der Mission ist er „Head of Criminal Investigations and Organised Crime Unit“, wobei sich 40 Personen in der Unit befinden. Für diese trägt Mitterer die Verantwortung und berät auf dem klassischen kriminalpolizeilichen Gebiet sowie im Zusammenhang mit der Aufklärung von Kriegsverbrechen. Im September 2022 wurde für ukrainische Beamtinnen und Beamte ein Training im Wiener Bundeskriminalamt abgehalten, wobei Forensik und Tatortuntersuchungen im Vordergrund standen. „Solche Kooperationen werden von allen Seiten sehr positiv aufgenommen“, sagt Mitterer.

Zeugenschutz.

Ein langjähriger Cobra-Beamter befindet sich im Bereich Zeugenschutz im Einsatz („Senior Advisor on Witness Protection“) und arbeitet ausschließlich verdeckt. „Es gibt eine hervorragende Kooperation zwischen mir und dem Bundeskriminalamt (Referat Zeugenschutz). In Ausbildungsangelegenheiten und bei der Verknüpfung internationaler Kontakte ist diese äußerst hilfreich. Der Zeugenschutz befindet sich in der Ukraine noch im Aufbaustadium und wird zukünftig im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, zur erfolgreichen Korruptionsbekämpfung und zur Aufklärung der unzähligen und grausamen Kriegsverbrechen unumgänglich sein“, so der Beamte.
Seit Herbst 2022 ist er im Rahmen der EUAM Ukraine vor Ort tätig. „Aufgrund der regelmäßigen ‚air raid alarms‘ (Raketenalarme) müssen Besprechungen und Ausbildungen kurzfristig abgesagt bzw. in die Luftschutzkeller verlegt werden. Der dauernde Schlafentzug ist mitunter belastend, die Sicherheitslage unberechenbar.“ Trotz der schwierigen Sicherheitslage seien die ukrainischen Kollegen in höchstem Maße bemüht, ihren Auftrag zu erfüllen, obwohl eine Einschüchterungstaktik seitens Russlands konsequent versucht werde. Nach persönlicher Einschätzung des Beamten „lassen sich die Ukrainer von den regelmäßigen Luftangriffen nur wenig bekümmern. Die Taktik Russlands wird wegen der hohen Resilienz in der Ukraine nicht aufgehen.“
Das BMI-Referat Auslandseinsätze beteiligt sich derzeit mit der Entsendung von Polizistinnen und Polizisten an vier EU-geführten friedensunterstützenden Missionen in Georgien, Kosovo, Libyen, der Ukraine sowie an einer VN geführten Mission im Kosovo.

Nicole Felicitas Antal


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2023

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