Kriminalgeschichte

Eine Leiche als Frachtgut

Im März 1859 verschwand in Wien ein Buchhalter. Ein knappes Jahr später wurde in einem Koffer in Galizien eine verweste Leiche entdeckt. Der Koffer war von einem Postamt in Wien versandt worden.

Landesgericht für Strafsachen Wien (Anfang des 20. Jhdts): lebenslanger schwerer Kerker für den Raubmörder Johann Schmidt 1860
Landesgericht für Strafsachen Wien (Anfang des 20. Jhdts):
lebenslanger schwerer Kerker für den Raubmörder
Johann Schmidt 1860 © Wikimedia Commons

Karl Hurtz, Buchhalter und Kassier im Wiener Vergolder-Unternehmen und in der Gusswarenfabrik seines Bruders Josef Hurtz, verschwand am 14. März 1859 spurlos. Er hatte sich zuletzt in der Niederlassung im „Stadtgwölb“ am heutigen Hohen Markt im Zentrum Wiens aufgehalten eine größere Summe Bargeld bei sich. Im Unternehmen glaubte man, der 34-jährige Karl Hurtz habe seinen Bruder Josef in Leobersdorf besucht. Als der Buchhalter nach zwei Tagen noch immer verschwunden war, sandte man ein Telegramm an Josef Hurtz, der aber nichts über den Verbleib seines Bruders wusste.
Bei der Polizei vermutete man, dass Karl Hurtz sich mit dem Geld nach Amerika abgesetzt haben könnte. Johann Schmidt (auch: Schmitt), Kaufmannsgehilfe der Firma Hurtz, hatte ausgesagt, der Buchhalter hätte angekündigt, nach Amerika zu reisen. Die Ermittlungen führten zu keinem Erfolg. Obwohl Josef Hurtz hartnäckig behauptete, sein Bruder sei sehr wahrscheinlich Opfer eines Raubüberfalls geworden und Schmidt könnte etwas mit dem Fall zu tun haben, erließ die Polizei einen Steckbrief gegen den Verschwundenen wegen strafbarer Handlungen.

Stinkender Reisekoffer.

Am 21. Jänner 1860 wurde in einer Spedition in der damals zur Habsburg-Monarchie gehörenden Stadt Rzeszów in Galizien (heute Polen) ein mit zwei Schlössern versperrter großer Koffer gewaltsam geöffnet, weil es daraus entsetzlich stank und sich der Empfänger nicht eruieren ließ. Darin befand sich eine verweste Leiche. Der Koffer war Mitte März 1859 im Speditionsbüro der Nordbahn in Wien als Eilgut nach Prag aufgegeben worden. Als Absender war „Joachim Poppe, Hotel Stadt London, Wien wohnhaft“ angegeben worden und als Anschrift: „Joachim Poppe, Hotelbesitzer in Prag, Stadt 864“. Der Inhalt war „Porzellain, vergoldete Luster und eine Schachtel Delikatessen“ angeführt worden. In Prag war der über 80 Kilogramm schwere Koffer über Rzeszów nach Lemberg umgeleitet und von dort als unzustellbar nach Rzeszów zurückgeliefert worden.
Bei der Leichenschau stellte man fest, dass der Schädel zertrümmert war, verursacht durch mehrere heftige Schläge mit einer Axt, einem Hammer oder einem anderen schweren Gegenstand. Ein Polizeikommissär informierte während einer Jagd seinen Bekannten Josef Hurtz vom grausigen Fund. Hurtz fuhr nach Rzeszów und agnoszierte anhand von mit „K. H.“ gekennzeichneten Kleidungsstücken und anderer Merkmale den Toten als seinen Bruder Karl.
Nun begannen im Wiener Sicherheitsbüro Ermittlungen wegen des Verdachts des Mordes. Einer der Verdächtigen war Johann Schmidt. Er wurde 1838 geboren, besuchte drei Jahre lang die Volksschule und begann in Sternberg in Mähren eine Lehre, wurde aber wegen kleinerer Diebstähle entlassen. Ein zweiter Lehrherr in Ungarisch-Ostrau entließ ihn wegen Diebstahls schon nach zwei Monaten. Schmidt übersiedelte nach Wien und trat 1855 in die Firma Hurtz ein.
Johann Schmidt wurde festgenommen. Er war der letzte, der das Opfer lebend gesehen hatte, und er hatte eine falsche Spur gelegt. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden eine goldene Taschenuhr, eine Kette und andere Gegenstände aus dem Besitz des Mordopfers gefunden. Ein weiteres Indiz belastete Schmidt schwer: Er hatte am Tag des Verschwindens des Mordopfers den großen Reisekoffer gekauft, in dem die Leiche gefunden wurde. Bei der Einvernahme verwickelte sich Schmidt in Widersprüche und behauptete, dass ein „Berliner“, Gast im „Hotel zur Stadt London“, den Mord begangen habe. Der Mann habe ihn gebeten, Briefmarken zu kaufen. Als Schmidt zurückgekommen sei, habe er den „Berliner“ neben der Leiche angetroffen. Der Fremde habe ihn mit Drohungen und Geschenken zum Schweigen gebracht. Die Ermittlungen ergaben, dass der beschriebene Preuße zur Tatzeit weder in diesem noch in einem anderen Hotel in der Umgebung abgestiegen war.
Die Ermittler gingen davon aus, dass Schmidt seinen Chef am 14. März 1859 nach einem Streit um Geld mit einer Eisenstange erschlagen und ihm mehr als 7.200 Gulden (heutiger Wert ca. 110.000 Euro) und Wertsachen geraubt habe. Er habe das Büro am Abend verlassen, sei aber später zurückgekehrt, um die Leiche zu verpacken, den Tatort zu einigen und per Bahnfracht an eine fiktive Adresse zu senden.

Lebenslange Kerkerstrafe.

Johann Schmidt wurde im Juni 1860 wegen meuchlerischen Raubmords und Veruntreuung zu einer lebenslangen schweren Kerkerstrafe verurteilt. Seine Geliebte Maria Bichl, die Nutznießerin der Beute war, erhielt vier Jahre schweren Kerker. Ihre ebenfalls wegen Hehlerei angeklagte Schwester Rosa Bichl wurde freigesprochen. Johann Schmidt wurde zur Strafverbüßung in das Gefängnis Karthaus in Tschechien gebracht.

Werner Sabitzer


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2023

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