Bundeskriminalamt

Massenphänomenen auf der Spur

Unter der Leitung von Ministerialrat Dr. Gerald Rak, MSc, MA ermitteln rund 30 Beamtinnen und Beamte im Büro 7.2 Finanzermittlungen des Bundeskriminalamtes im Falle von Fälschungen und Massenphänomenen. Der im November 2022 gestartete Probebetrieb nahm den Echtbetrieb auf.

Gefälschte Finanzamt-SMS: Die Empfänger werden mit der Androhung einer Pfändung eingeschüchtert.
Gefälschte Finanzamt-SMS: Die Empfänger werden
mit der Androhung einer Pfändung eingeschüchtert.
© BK

Das Handy vibriert und signalisiert eine SMS. Neugierig öffnet Frau M. die neue Nachricht. Der Inhalt ist anders als erwartet. Frau M. liest „Finanzamt“, dann müsste die Nachricht doch wichtig und dringlich sein. Es ist von einer offenen Forderung mit der Nummer 23894891 die Rede, die trotz Mahnungen nicht beglichen worden sei. Auch der baldige Termin mit dem Gerichtsvollzieher, der für die Pfändung zu ihr käme, würde schon feststehen. Doch über den beigefügten Zahlungslink könne sie das Pfändungsverfahren noch rechtzeitig abwenden. Frau M. ist alarmiert, sie möchte die Pfändung verhindern und klickt auf den Link. Sie überweist einen dreistelligen Betrag auf ein österreichisches Konto, im Glauben, dass die Angelegenheit erledigt wäre.

Phänomen „Finanz_Pfändung“.

So wie Frau M. erging es zahlreichen Österreicherinnen und Österreichern. Das Phänomen tauchte erstmals am 16. Februar 2023 auf und wurde an die Staatsanwaltschaft St. Pölten berichtet. Um ein sich möglicherweise im Anfangsstadium befindliches Massenphänomen frühzeitig zu erkennen, wurde der neue Modus Operandi beobachtet. Als Sofortmaßnahme leitete die Geldwäschemeldestelle (A-FIU) in Zusammenarbeit mit dem Referat Vermögenssicherung (Asset Recovery Office, ARO) des Bundeskriminalamts einen „Hold“ auf den angegebenen österreichischen Konten an, wodurch die Täter nicht mehr an die unrechtmäßig erworbenen Gelder gelangen konnten. Bereits am 3. März 2023 erging vom Bundeskriminalamt eine Mitteilung an alle Landeskriminalämter, mit der sie auf das Phänomen aufmerksam machten.

Probebetrieb.

Im November 2022 startete der Probebetrieb zur besseren Erkennung und zum schnelleren, einheitlichen Vorgehen bei Massenphänomenen in der Abteilung 7 Wirtschaftskriminalität des Bundeskriminalamtes. Das Büro 7.2 steuert, leitet und koordiniert die bundesweiten Ermittlungen. Zudem leiten die Ermittlerinnen und Ermittler im Bedarfsfall den internationalen Schriftverkehr ein.
„Um die Täter schnell fassen zu können, müssen Massendelikte bereits im Stadium ihrer Entstehung erkannt werden. Damit die vorhandenen Ressourcen zielgerichtet eingesetzt werden können, gibt es nun sogenannte BK-Koordinatoren“, führt Dr. Gerald Rak, Leiter des Büros 7.2, aus. Pro Fall gibt es einen Koordinator, der die gesamte Planung und Kommunikation zwischen dem zuständigen Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft übernimmt. Zudem ist er für die Aufstellung eines Ermittlungsteams, das Finden der richtigen Ermittlungsstrategie und der Herstellung einer Kommunikationsstruktur zuständig, wie etwa gemeinsame E-Mail-Adressen oder Laufwerke.
Um die überwiesenen Gelder der Opfer schnell zu sichern und vor dem Zugriff der Täter zu schützen, braucht es auch die A-FIU sowie die Expertinnen und Experten des Referats ARO. Dadurch sollen Schäden minimiert und Täter schneller ausgeforscht werden. Ein wichtiger Partner bei Ermittlungen sind die jeweiligen Staatsanwaltschaften. Durch die Kooperation mit den österreichweiten Cybercrime-Kompetenzstellen der Staatsanwaltschaften sowie der abteilungsinternen und -übergreifenden Zusammenarbeit können Doppelgleisigkeiten und Mehrfachermittlungen vermieden werden und durch die gemeinsam entwickelten Abläufe rascher Ermittlungsschritte gesetzt werden.

Erkennen, dokumentieren, analysieren.

Gerald Rak: „Massendelikte müssen frühzeitig erkannt werden.“
Gerald Rak: „Massendelikte müssen
frühzeitig erkannt werden.“
© Privat

Am Anfang eines jeden neuen Phänomens ist dessen Erkennen von zentraler Bedeutung. Zu Beginn eines (neuen) Massenphänomens stellen sich etwa die Fragen, ab wann man von einem (neuen) Massenphänomen bzw. Seriendelikt spricht oder wann und in welcher Weise die nachgeordneten Dienststellen aufmerksam gemacht werden und Erstmaßnahmen gesetzt werden. „Von einem Massenphänomen spricht man ab ein paar Hundert Vorfällen, die sich durch gemeinsame Kriterien auszeichnen und österreichweit verteilt sind“, erklärt Rak.
Um einen bundesweiten Überblick zu erhalten und Delikte als Massenphänomene erkennen zu können, werden jeden Tag die Daten aus dem Sicherheitsmonitor (SIMO) analysiert und Täterentitäten erfasst. Liegt ein Phänomen vor, werden die nachgeordneten Dienststellen nach dem Lagevortrag und der Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft informiert. Da besonders im städtischen Bereich vermehrt Massenphänomen-Fälle zu verzeichnen sind, wären die Landeskriminalämter schnell an den Grenzen ihrer Ressourcen, weshalb sich ein koordiniertes Vorgehen als zielführend herausgestellt hat.
„Es ist ungemein wichtig, die Landeskriminalämter rasch zu informieren, um das weitere, einheitliche Vorgehen zu gewährleisten. Wir suchen uns dann einen Partner zur operativen Ermittlungsunterstützung, wobei wir darauf achten, dass auch andere als ursprünglich zuständige Landeskriminalämter herangezogen werden, um eine Überlastung zu vermeiden“, sagt Büroleiter Rak. Gleiches gilt für die Befassung einer Staatsanwaltschaft.
Nachdem die Mitarbeiter des Büros 7.2 im Fall „Finanz_Pfändung“ die Landeskriminalämter informiert hatten, erstellten sie eine Phänomenbeschreibung und informierten, dass dieses Delikt bundesweit von einer einzigen Dienststelle bearbeitet werden solle. Bis dahin erfolgte die Koordination durch das jeweilige Landeskriminalamt. Die Expertinnen und Experten des Büros 7.2 fertigten eine Liste aller damals bekannten PAD-Zahlen an, die sich als unvollständig herausstellte, da nur Betrugshandlungen, aber nicht Erpressung und § 100 3a Strafprozessordnung (Bericht zur Beurteilung des Sachverhalts an die Staatsanwaltschaft) inkludiert waren.
Damit die Staatsanwaltschaft ein Bild über die Sachlage erhält und Anordnungen verfügen kann, bedarf es eines Zusammenhangberichts. Dieser enthielt alle bekannten Informationen, wie etwa Empfänger-IBAN, der Name des Empfängers, Art der Kontoeröffnung oder die Telefonnummer des Tatverdächtigen.
Nachdem die These der einheitlichen Täterschaft von der zuständigen Staatsanwaltschaft anerkannt wurde, wurde das Landeskriminalamt Steiermark mit den bundesweiten Ermittlungen betraut. Die Ergebnisse der Ermittlungen stehen noch aus.

Vier Säulen der Ermittlung.

Die Expertinnen und Experten des Bundeskriminalamtes arbeiteten einen Muster-Ablauf anhand des Phänomens „Finanz_Pfändung“ zur Täterausforsch-ung aus, der auch in zukünftigen Fällen als Unterstützung bei der Ausarbeitung von Ermittlungsstrategien herangezogen werden kann. „Bei jedem neuen Fall muss eine zugeschnittene Ermittlungsstrategie entwickelt werden, denn jeder Fall ist anders. Das von uns entworfene Modell soll jedoch Anhaltspunkte liefern“, sagt Rak. „Wichtig ist auch, auf die Spezialisierungen der jeweiligen Landeskriminalämter einzugehen und diese richtig einzusetzen.“ Im Fall der Finanzamt-SMS übernahm das Bundeskriminalamt die Geldwäscherausforschung und die Ermittlungen im technischen Bereich. Das Landeskriminalamt Steiermark war hingegen für die Geldflussanalyse und die Hintergrundermittlungen bezüglich der verwendeten Telefonnummern zuständig. „Durch das bundesweite Zusammenziehen der Akten auf Seiten der Staatsanwaltschaft und die einheitliche Vorgehensweise bei den Ermittlungen wurden unzählige Doppelarbeiten, wie gleichlautende Anlass­berichte zu bereits bekannten IBANs oder Täter-Telefonnummern, aber auch Abgleiche von Personendaten via Europol verhindert“, streicht Rak hervor.

Fälschungen.

Neben Massenphänomenen untersuchen die Expertinnen und Experten des Büros 7.2 auch Fälschungen, wie etwa Falschgeld oder gefälschte Dokumente. Da vor allem immer mehr Straftaten im Zusammenhang mit Kryptowährungen sowie dem Darknet verzeichnet werden, kommt hier die sogenannte „Cyberstreife im Internet“ zum Einsatz.

Interessentensuche.

Das Büro 7.2 ist auf der Suche nach Interessenten. Wer Interesse hat, findet im Intranet des Bundesministerium für Inneres nähere Informationen zu den erforderlichen Qualifikationen und zum Bewerbungsprozess. Initiativbewerbungen können überdies jederzeit an das Abteilungspostfach der Abteilung 7 im Bundeskriminalamt übermittelt werden.

Romana Tofan


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2023

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