Porträt

Ein Leben für die Wahl

Ende Februar 2023 ist Prof. Mag. Robert Stein in den Ruhestand getreten. Mehr als drei Jahrzehnte war er im Bundesministerium für Inneres für Wahlen zuständig.

Verleihung des Professor-Titels an Robert Stein: Die Minister Martin Polaschek und Gerhard Karner, SC Mathias Vogl
Verleihung des Professor-Titels an Robert Stein:
Die Minister Martin Polaschek und Gerhard Karner,
SC Mathias Vogl © Jürgen Markowecz

In den Medien wurde er als „Wahlleiter der Nation“, „Herr der Urne“ oder „Mister Wahl“ bezeichnet: Prof. Mag. Robert Stein, Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten im Bundesministerium für Inneres. Für Generationen wurde er zum „Gesicht“ bundesweiter Wahlereignisse und zum „Erklärer“ komplexer rechtlicher Vorgänge. Mit Vollendung des 65. Lebensjahres trat der Jurist mit 28. Februar 2023 in den Ruhestand. Die öffentliche Aufmerksamkeit rund um sein Dienstende überraschte ihn: „Ich bin natürlich über die vielen Jahre zu einem der Wahlexperten in Österreich geworden, aber Wahlen sind immer Teamarbeit und werden auf vielen Ebenen im ganzen Land organisiert und durchgeführt.“ In der Wahlabteilung des Innenministeriums laufen bei bundesweiten Wahlen alle Fäden zusammen. Die Bediensteten „seiner“ Abteilung, mit denen er vor Wahlen zum Teil sieben Tage die Woche und bis tief in die Nacht zusammenarbeitete, empfand Stein wie eine „Familie“.

Mathematik und Politik.

Robert Stein mit „seiner Familie“, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wahlabteilung im Innenministerium
Robert Stein mit „seiner Familie“,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wahlabteilung
im Innenministerium © Privat

Die Faszination für das Wahlrecht entwickelte sich bei Robert Stein bereits während der Schulzeit. Als Gymnasiast in Wien-Währing verfolgte er politische Vorgänge und berechnete Mandatsverteilungen nach unterschiedlichen Modellen des Verhältniswahlrechts – ein Thema, das er auch bei seiner Reifeprüfung 1976 präsentierte. „Mathematik und Politik haben mich immer gereizt, dass ich beides eines Tages beruflich miteinander verbinden könnte, habe ich mir zur Matura allerdings noch nicht gedacht“. Nach dem Jusstudium, wo ihn vor allem das öffentliche Recht begeisterte, absolvierte Stein seinen Zivildienst im Innenressort. Mit dem Ende des Wehrersatzdienstes eröffnete sich die Gelegenheit, dort zu bleiben – er bekam im Dezember 1985 eine Stelle in der Abteilung für Zivildienstlegistik. „Während meiner Zeit in dieser Abteilung habe ich viel über das legistische Handwerk gelernt und die Liebe für das Kreieren von Rechtsnormen entdeckt“, bekennt Stein. Die Arbeiten an Gesetzesentwürfen sollte ihn bis zu seiner Ruhestandsversetzung weiter begleiten. „Änderungen im Wahlrecht stellen einen Sonderfall dar, weil sie in aller Regel mit Initiativanträgen und nicht nach Ministerialentwürfen auf den Weg gebracht werden“, erklärt Stein. Die Rolle des Innenministeriums ist es, den Parlamentsklubs zuzuarbeiten, sie fachlich zu beraten und Texte für die weitere Diskussion zu erstellen.

Formular für Auslandsösterreicher.

Innenminister Mag. Gerhard Karner überreichte Ministerialrat Robert Stein als Abschiedsgeschenk ein rund 700 Seiten starkes Kompendium, in dem alle Bundesgesetzblätter zusammengefasst sind, an denen der Jurist im Wahlrecht mitgearbeitet hat – von der Wahlrechtsreform 1992, die eine neue Nationalratswahlordnung mit sich brachte, bis zur jüngsten Novellierung, die erst Ende Jänner 2023 im Nationalrat beschlossen wurde. Nicht unter den verschiedenen Wahlrechtsnovellen ist jene, die Stein im Mai 1990 in die Wahlabteilung führte: Nachdem der Verfassungsgerichtshof entschieden hatte, dass auch Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft ohne Hauptwohnsitz im Land nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen werden dürfen, implementierte der Gesetzgeber neue Bestimmungen.
„In relativ kurzer Zeit galt es, möglichst viele Auslandsösterreicherinnen und -österreicher zu erreichen und in die Wählerevidenz einzutragen. Dazu benötigte die Abteilung für Wahlangelegenheiten personelle Verstärkung“, erinnert sich Stein. Die Technik steckte noch „in den Kinderschuhen“, es konnte auf keine existierenden Datenbanken zurückgegriffen werden. Zusammen mit dem Diplomaten Dr. Hans Winkler, später Staatssekretär im Außenministerium, und Experten für Formularwesen entwickelten die Bediensteten der Wahlabteilung ein Formular zur Eintragung von Auslandsösterreichern, das mit der Post an die zuständigen Gemeinden geschickt werden konnte. Im Kern ähnelt das Antragsformular für Auslandsösterreicher immer noch dem 1990 erarbeiteten Vorbild.

Wahlbeobachtung.

Mathias Vogl war als Leiter der Rechtssektion im BMI Robert Steins Chef
Mathias Vogl war als Leiter der Rechtssektion im BMI
Robert Steins Chef © Gerd Pachauer

Die frühen 1990er-Jahre waren für Robert Stein auch aus einer anderen Perspektive wahlrechtlich spannend: Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erhielt er wiederholt die Gelegenheit, in osteuropäischen Staaten auf Einladung der OSZE und der Organisation ACEEEO als Wahlbeobachter zu fungieren – so insbesondere in Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik. Das Thema Wahlbeobachtung blieb während seiner gesamten Zeit im Wahlrecht prägend: 2007 wurde die Möglichkeit der internationalen Wahlbeobachtung durch die OSZE in den Wahlgesetzen festgeschrieben; seither fanden zahlreiche Wahlbeobachtungsmissionen der OSZE und ihrer Teilnehmerstaaten und Kooperationspartner in Österreich statt. „Die OSZE-Berichte haben den Wahlbehörden professionelles Arbeiten und der Bevölkerung ein hohes Vertrauen in das heimische Wahlsystem attestiert“, schildert Stein. Bei der Weiterentwicklung des Wahlrechts sei der Austausch mit anderen Staaten und Behörden sehr wichtig – ebenso mit der Zivilgesellschaft.

Wahlrechtsnovellen.

1994 wurde Robert Stein stellvertretender Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten, 2004 wurde er deren Leiter. Seit 2006 wurde er anlässlich jeder Nationalratswahl auch zum Stellvertreter der Bundeswahlleiterin oder des Bundeswahlleiters bestellt. Zu den bedeutendsten Wahlrechtsreformen während seiner Amtszeit zählt Stein das große Wahlrechtspaket des Jahres 1992, mit dem die bis heute geltenden Regelungen zum Verhältniswahlrecht und zur Mandatsverteilung bei Nationalratswahlen verankert wurden. „Dadurch, dass der Gesetzgeber die erforderlichen Grundlagen verfassungsrechtlich abgesichert hat, sehe ich auf lange Sicht Kontinuität bei den Grundsätzen zur Wahlarithmetik.“ Weitere einschneidende Veränderungen habe etwa die Novelle 2007 mit der Einführung der vollen Briefwahl im Inland und Ausland und der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die Novelle 2011 mit umfangreichen Verbesserungen bei der Briefwahl, die Novelle 2013 mit der Einführung von Vorzugsstimmen auf Bundesebene und die Novelle 2016 mit der Schaffung des Zentralen Wählerregisters und des neuen Volksbegehrens-Systems gebracht. Die erste Online-Registrierung eines Volksbegehrens Anfang 2018 sei ein besonders innovativer Moment gewesen.
Zu den markantesten Ereignissen seiner Karriere zählt Robert Stein unter anderem die Aufhebung der Ergebnisse der Nationalratswahl 1995 in Donnerskirchen und Reutte, aber auch die Nationalratswahl 2006, die nach der Abspaltung des BZÖ von der FPÖ zahlreiche Rechtsfragen aufwarf, die bis dahin in der Literatur nur unzureichend behandelt worden waren. „Das Innenressort hat damals mehrere Rechtsgutachten eingeholt, die in der Folge veröffentlicht wurden und inzwischen auch in die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes Einzug gefunden haben“, berichtet Stein. Als besonders intensiv ist die Bundespräsidentenwahl 2016 in Erinnerung geblieben: Nach der Aufhebung des 2. Wahlgangs durch den Verfassungsgerichtshof aufgrund von rechtswidrigen Handlungen einzelner Bezirkswahlbehörden, musste der Termin für die Wiederholungswahl wegen schadhafter Wahlkarten nochmals von Oktober auf Dezember 2016 verschoben werden – dafür waren eigene sondergesetzliche Maßnahmen erforderlich. Aus den Vorfällen der Bundespräsidentenwahl 2016 habe nicht nur die Verwaltung, sondern auch der Gesetzgeber Lehren gezogen – von der Schaffung eines E-Learning-Tools bis zur Implementierung des Zentralen Wählerregisters. „Damals ist in der öffentlichen Wahrnehmung leider etwas untergegangen, dass bei der Bundespräsidentenwahl 2016 fast alle Bezirkswahlbehörden tadellos gearbeitet haben und es auch auf Ebene der örtlichen Wahlbehörden keine nennenswerten Beanstandungen gab“, unterstreicht Stein.

Wahlen und EDV.

Manfred Berger war Robert Steins Vorgänger als Leiter der Wahlabteilung
Manfred Berger war Robert Steins Vorgänger als Leiter
der Wahlabteilung © Gerd Pachauer

Dass in Zeiten des Voranschreitens von E-Government und einer immer größeren Technisierung der Bereich der Wahlen nicht ausgespart bleibt, hat den EDV-affinen Juristen Robert Stein während seiner Berufslaufbahn stets gereizt. Zahlreiche IT-gestützte Verbesserungen für wahlberechtigte Personen haben Einzug in den Alltag gehalten – von der Beantragung einer Wahlkarte über Internet und Handy bis zur Möglichkeit, für ein Volksbegehren online zu unterschreiben. Auch mit dem Bereich der Online-Stimmabgabe, dem E-Voting, hat sich Stein viel beschäftigt: Hierfür würde es allerdings, wie bei der Briefwahl, einer Verfassungsänderung bedürfen, und einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs. Auch eine ausreichend lange Erprobung in Frage kommender technischer Lösungen auf nicht-staatlichen Ebenen sei erforderlich.

Wahlrechtsänderungsgesetz 2023.

Knapp vor Steins letztem Tag im Büro wurde das Wahlrechtsänderungsgesetz 2023 im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Den Gesetzwerdungsprozess vom Initiativantrag bis zur parlamentarischen Beschlussfassung hat Robert Stein mit seinem Team noch vollständig begleitet. „Die Reform bringt viele weitreichende Änderungen, vor allem bei der Briefwahl, aber auch für Menschen mit Behinderungen.“ Für die Umsetzung der Wahlrechtsreform 2023 ist er nun noch als Berater für das das Innenressort tätig. Am 18. April 2023 wurde ihm vom Wissenschaftsminister im Beisein des Innenministers der Berufstitel „Professor“ für sein wissenschaftliches Werk verliehen – Robert Stein war jahrzehntelang Experte in in- und ausländischen Gremien und Arbeitsgruppen und ist Autor zahlreicher Bücher und Fachartikel. Seit seinem Ruhestandsantritt hat Stein bereits einige Wochen in seinem Zweitwohnsitz an der norddeutschen Ostsee verbracht, wo es ihn zukünftig noch stärker hinziehen wird – und wo er sich auch einem seiner größten Hobbys, der Fotografie, widmen kann.

G. W.


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2023

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