Porträt

Ruhepol im Krisenfall

Mehr als drei Jahrzehnte war er in Spezialeinheiten tätig: Ende Februar ist General Hannes Gulnbrein, zuletzt Leiter des Einsatzkommandos Cobra, nach 40 Jahren Polizeidienst in den Ruhestand getreten.

Verleihung eines Anerkennungszeichens an Hannes Gulnbrein anlässlich des Einsatzes beim Terroranschlag in Wien
Verleihung eines Anerkennungszeichens an
Hannes Gulnbrein anlässlich des Einsatzes beim
Terroranschlag in Wien © Gerd Pachauer

Er gilt als „Prototyp“ eines Spezialeinheiten-Angehörigen, als Mann mit eisernen Nerven und Ruhepol im Krisenfall: Hannes Gulnbrein. Der 1958 geborene Steirer trat 1983 in die Bundespolizeidirektion Wien ein, kam 1992 zur Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA) und 2005 zum Einsatzkommando Cobra. Ende Februar 2023 trat Gulnbrein als Leiter des Einsatzkommandos Cobra in den Ruhestand, kurz nachdem er vom Generalmajor zum General befördert worden war.
Bei vielen Polizeieinsätzen der letzten Jahrzehnte, die große öffentliche Aufmerksamkeit erlangten, stand Hannes Gulnbrein an vorderster Front – etwa bei Opernballdemonstrationen, der Entführung von zwei Österreichern nach Mali 2008, dem Amoklauf 2013 in Annaberg oder dem Terroranschlag 2020 in Wien.

Nach der Matura und dem Bundesheer hatte Gulnbrein zunächst begonnen, als kaufmännischer Angestellter zu arbeiten, aber rasch bemerkt, dass dies nicht der richtige Karriereplan für ihn war: „Ich habe nach Abwechslung gesucht und bin so zur Polizei gekommen.“ Als Absolvent der Polizeischule Wien führte ihn sein Weg nach Favoriten, während der Offiziersausbildung arbeitete er neben Favoriten auch in Ottakring.

WEGA.

Verabschiedung und Beförderung zum General: Hannes Gulnbrein mit Ehefrau Isabella, Innenminister Gerhard Karner
Verabschiedung und Beförderung zum General:
Hannes Gulnbrein mit Ehefrau Isabella, Innenminister
Gerhard Karner © Jürgen Markowecz

1992 wurde er Kompaniekommandant bei der WEGA – und sollte die Welt der Spezialeinheiten bis zur Pension nicht mehr verlassen. Die „Alarmabteilung“ der Wiener Polizei wurde zu dieser Zeit gerade reformiert.
Am 14. Juni 1993 gehörte die Geiselnahme im Kindermodengeschäft „Mary“ nach einem Bankraub und der Tötung eines Polizisten zu Gulnbreins ersten Großeinsätzen bei der WEGA. Der Geiselnehmer tötete sich selbst, nachdem die WEGA das Feuer auf ihn eröffnet hatte. Chefverhandler Oberst Friedrich Maringer vom Wiener Sicherheitsbüro war zuvor vom Täter angeschossen worden. Er überlebte nur, weil sein Mobiltelefon die Kugel abfing. Nach dem Angriff auf Maringer eröffneten die Polizeikräfte das Dauerfeuer auf das Kindermodengeschäft. Rund 1500 Projektile wurden später gezählt.
„Die Taktik für solche Sonderlagen wurde nach diesem Einsatz völlig neu aufgestellt und die Ausrüstung verbessert“, bemerkt Gulnbrein. „Wir haben für die WEGA Aufnahmekriterien festgelegt, einen Leistungstest und einen Grundausbildungslehrgang eingeführt. Man braucht in einer solchen Einheit keine Generalisten, sondern Spezialisten. Also wurden erstmals Sonderfunktionen wie Sprenger, Taucher, Seiltechniker und Präzisionsschützen eingerichtet.“ Beim EKO Cobra werde heute eine sehr ähnliche Philosophie verfolgt.

Cobra in Wien.

Hoher Besuch beim Einsatzkommando Cobra: DSE-Direktor Bernhard Treibenreif und EKO-Cobra-Kommandant Hannes Gulnbrein mit Jordaniens König Abdullah II.
Hoher Besuch beim Einsatzkommando Cobra:
DSE-Direktor Bernhard Treibenreif und EKO-Cobra-
Kommandant Hannes Gulnbrein mit Jordaniens
König Abdullah II. © Gerd Pachauer

Bei der WEGA habe man aus Gulnbreins Sicht viel Know-how aufbauen können, was in weiterer Folge für die Gründung des Wiener Standortes der Cobra im Jahr 2005 nützlich gewesen sei. Gulnbrein wurde 2005 Kommandant der Cobra Wien, zuvor war er stellvertretender WEGA-Kommandant.
Im Jahr 2000 war die Teilung der WEGA in zwei Komponenten – das Mobile Einsatzkommando (MEK) und das Polizeieinsatzkommando (PEK) – erfolgt. Das MEK leitete die Amtshandlungen ein, das PEK übernahm sie oder führte Zivilzugriffe durch. Heute gibt es mit den Schnellen Interventionsgruppen und der WEGA wieder eine ähnliche, der Cobra vorgelagerte Struktur.
„Der Trend geht in den letzten Jahren in Richtung mobiler, speziell ausgebildeter Polizeiteams, die auf der Straße unterwegs sind und sofort reagieren können. Erfolgreiche Beispiele gibt es zum Beispiel auch in England, Holland und Norwegen“, bemerkt Gulnbrein. Die WEGA sei in diesem Zusammenhang in Wien unersetzbar: „Dass Beamte der WEGA beim Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 bereits nach neun Minuten die Bedrohungslage beendet haben, hat international für viel Beachtung gesorgt.“ Hannes Gulnbrein war in der Terrornacht als „Einsatzabschnittkommandant Spezialkräfte“ Mitglied des Einsatzstabs der Landespolizeidirektion Wien. „Je schrecklicher die Einsätze sind, desto ruhiger werde ich“, sagt Gulnbrein. „Man muss die Situation akzeptieren, sich einen Überblick verschaffen und Entscheidungen treffen.“

Neue Ausrüstung.

Dass der Offizier, auch immer wieder bereit war, innovative Wege zu beschreiten, bewies er bei der Amoklage rund um Annaberg im September 2013. Nachdem ein flüchtiger Wilderer mehrere Einsatzkräfte getötet hatte, verschanzte er sich auf seinem Gutshof.
Hannes Gulnbrein organisierte als Cobra-Einsatzleiter vom Bundesheer in Melk Panzerfahrzeuge, da der Täter Waffen mit hoher Durchschlagskraft besaß und der Polizei keine entsprechenden Fahrzeuge zur Verfügung standen. Inzwischen haben das Einsatzkommando Cobra und die WEGA mehrere sondergeschützte Fahrzeuge, die „Survivors“, und die Beschaffung zusätzlicher kleinerer Fahrzeuge ist im Laufen.
„Veränderungen bei der Taktik, der Ausstattung und Technisierung haben meine ganze Dienstzeit geprägt“, unterstreicht Gulnbrein, der 2020 zum Kommandanten des Einsatzkommandos Cobra ernannt wurde. „Man muss ständig in die Ausbildung und Fortbildung investieren, mit der Technik Schritt halten und die Teamarbeit in den Vordergrund stellen.“ Durch den internationalen Fachaustausch habe man viel profitiert, sei es im ATLAS-Netzwerk der Spezialeinheiten oder mit den Sondereinheiten der deutschen Nachbarbundesländer im Rahmen der sogenannten „Südschiene“.

Geiseln in Mali.

Wiederholt war Hannes Gulnbrein an riskanten Auslandseinsätzen beteiligt, unter anderem agierte er bei einem Entführungsfall im Jahr 2008 als Berater des Verhandlungsführers des Außenministeriums. Die algerische Al-Kaida hatte zwei Österreicher von Tunesien nach Mali verschleppt – in eine Region mit Schmuggelrouten, illegalem Waffen-, Drogen- und Menschenhandel.
Ein Sonderbotschafter knüpfte die notwendigen Kontakte und auch die ehemalige Außenministerin Ursula Plassnik reiste nach Mali. Im Hintergrund beriet Gulnbrein den Sonderbotschafter wäh-rend monatelanger Verhandlungen in allen Aspekten der Sicherheit. Durch seine Erfahrung und sein Verhandlungsgeschick wirkte er maßgeblich daran mit, dass die beiden österreichischen Geiseln schließlich freikamen.

Kein „Elite-Denken“.

Hannes Gulnbrein: Ruhepol im Krisenfall
Hannes Gulnbrein: Ruhepol im
Krisenfall © Gerd Pachauer

Hannes Gulnbrein sieht das Einsatzkommando Cobra als Teil eines „großen Ganzen“: „Wir dürfen nicht in ein Elite-Denken verfallen. Spezialisierung ist wichtig, aber so, dass sie in die Arbeit der gesamten Polizei integrierbar ist.“ Dies sei auch für die Rekrutierung des Nachwuchses wichtig. Die Breite der Cobra werde als attraktiv wahrgenommen – es gebe vielseitige Möglichkeiten, aktiv zu sein, nicht nur bei klassischen Hochrisikoeinsätzen, sondern auch im Personenschutz, als Air-Marshal oder in Krisenunterstützungsteams im Ausland.
Der General hat zahlreiche Ehrenzeichen und Belobigungen erhalten. Seine Expertise stellte er bereitwillig für viele internationale Anlässe zur Verfügung – etwa bei Olympischen Spielen oder als Sicherheitsberater während der Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich 2016.

Sportbegeisterung.

Als passionierter Sportler hat Hannes Gulnbrein fast alles ausprobiert: Von Fußball über Skitouren bis zum Mountainbiken. Berufsbezogene Fitness war Teil des Alltags. Für das Trekking im Himalaya-Gebirge nahm er sich eine wochenlange Auszeit, zu seinen aktuellen Leidenschaften gehört auch das Motorradfahren.
Als „sportliches Erbe“ des Cobra-Kommandanten gilt die Einführung eines „Cobra-Vergleichswettkampfs“ zwischen allen Cobra-Standorten im Jahr 2022. Der Wettbewerb motivierte die Mannschaften zu sportlichen Höchstleistungen. Auch den Vergleich mit internationalen Spezialeinheiten hat die Cobra nie gescheut. Gulnbrein ist stolz darauf, dass das Einsatzkommando 2015 die Combat Team Conference, die Olympischen Spiele der Polizei-Sondereinheiten, am Standort der deutschen GSG 9 für sich entscheiden konnte.

Im Ruhestand bleibt nun nicht nur mehr Zeit für die Familie – Gulnbrein ist Vater von zwei Kindern, Großvater einer Enkelin und teilt mit seiner Frau die Freude am Sport –, auch ein Abgehen des „Camino Francés“-Jakobswegs in Spanien ist geplant: Zu Fuß von Pamplona bis Santiago de Compostela wird Hannes Gulnbrein fast 800 Kilometer unterwegs sein.

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2023

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