Sprengwesen

Sprengtechnik online

Zerstörtes Schiff im Hafen von Beirut: Ein Jahr nach der Explosionskatastrophe vom 4. August 2020 sind Schäden noch sichtbar.
Zerstörtes Schiff im Hafen von Beirut: Ein Jahr nach
der Explosionskatastrophe vom 4. August 2020
sind Schäden noch sichtbar.
© Joseph Eid / AFP / picturedesk.com

Als Ersatz für Präsenzveranstaltungen hat der Verband der Sprengbefugten Österreichs Fortbildungsseminare online abgehalten.

Die – ansonsten alljährlich in Linz stattfindende und für November 2020 vorgesehene – Informationstagung für Sprengtechnik musste pandemiebedingt abgesagt werden. Um die Zeit zur nächsten Tagung zu überbrücken, hat der Veranstalter, der Verband der Sprengbefugten Österreichs (sprengverband.at), an zwei Tagen, am 10. Februar und 1. April 2021, Fortbildungsveranstaltungen online durchgeführt. Die Vortragsreihe am 10. Februar wurde, nach Grußworten des Präsidenten des Sprengbefugtenverbandes, Hermann Richter, mit einem Referat des Landesgeschäftsstellenleiters Tirol, Ing. Andreas Kuschel, eingeleitet, der nach dem damaligen Stand der Covid-19-Verordnungen die Schutzmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitsverhältnisse in Steinbrüchen und bei Sprengarbeiten erörterte.
Die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020, bei dem etwa 2.750 Tonnen des seit 2014 dort gelagerten Ammoniumnitrats explodiert waren, nahm Dipl.-Ing. Heinz Krätschmer, Geschäftsführer von Maxam Österreich, zum Anlass, die Eigenschaften dieser Chemikalie sowie frühere ähnliche Explosionen näher darzustellen.

Ammoniumnitrat.

Ammoniumnitrat: Substanz zur Sprengstofferzeugung.
Ammoniumnitrat: Substanz
zur Sprengstofferzeugung.
© Kurt Hickisch

Bei Ammoniumnitrat (AN; NH4NO3) handelt es sich um eine farblose, kristalline Substanz, die üblicherweise in Form von festen, runden Körnern (Prills) in den Handel kommt. Die Chemikalie ist hygroskopisch (wasseranziehend) mit hoher Löslichkeit in Wasser. Bei steigender Temperatur kommt es zu einer thermischen Ausdehnung (Platzen von Säcken). Bei 210 Grad beginnt sich die Substanz zu zersetzen.
Ammoniumnitrat, von dem 2017 angeblich etwa 150 Millionen Tonnen hergestellt wurden, wird zu etwa 80 Prozent zu Düngemitteln (Stickstoffdünger) verarbeitet, zu 20 Prozent zu Sprengstoff. Die Chemikalie ist kein Sprengstoff. Da sie oxidierend wirkt, ist sie als brandfördernder Stoff nach Klasse 5.1 des ADR eingestuft. Durch die Abgabe von Sauerstoff bei der Umsetzung können schon geringe Beimengungen brennbarer Stoffe das AN zum Sprengstoff werden lassen. AN bildet bei Zersetzung oder unter Säureeinwirkung Stickoxide. Bei Erhitzen unter Einschluss ist Verpuffung oder Explosion möglich.

Katastrophen.

Ein Ereignis von historischem Ausmaß war die Explosion im BASF-Werk von Oppau bei Ludwigshafen am 21. September 1921. Das großindustriell erzeugte AN wurde in 20 m hohen Betonsilos gelagert, die von oben befüllt wurden. Die Entnahme erfolgte durch Tore am Boden, wobei das zu einer festen Masse verdichtete Material nach bergmännischen Verfahren durch Lockerungssprengungen gewonnen wurde. Dieses Verfahren war allgemein anerkannt, galt als sicher und war behördlich genehmigt. Dennoch detonierten am 21. September 1921 ca. 400 von insgesamt 4.500 Tonnen AN. Es entstand ein 20 m tiefer Krater im Ausmaß von 120 mal 80 m. Das Unglück forderte 600 Tote und 2.000 Verletzte.
Im Hafen von Texas City explodierte am 16. April 1947 die S.S. Grandcamp, nachdem eine Stunde zuvor ein Brand an Bord ausgebrochen war. Das Schiff hatte 7.700 Tonnen AN geladen. 581 Menschen wurden getötet, 5.000 verletzt, 500 Häuser zerstört.

Wirkungsdemonstration: Sprengung von Türschlössern
Wirkungsdemonstration: Sprengung
von Türschlössern.
© Kurt Hickisch

15 Stunden später explodierte die brennende S.S. Highflyer, die 600 Tonnen AN und 1.800 Tonnen Schwefel geladen hatte.
80 Jahre nach der Katas trophe von Oppau, am 21. September 2001, explodierten in einem Düngemittelwerk in Toulouse ca. 300 Tonnen AN. Es waren 31 Tote zu beklagen und über 2.500 Verletzte. Der Sachschaden betrug 1,5 Milliarden Euro. Als Ursache wird chlorhaltiger Abfall vermutet. Dieser Unfall führte zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments zur Neugestaltung der Umweltschutzpolitik der Union (B5-0611, 0612, 0514 und 0615/ 2001, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 11. April 2002).
Am 27. März 2019 explodierte ein mit AN beladener Lkw auf dem Highway 278, eine Meile westlich von Camden, Arkansas, USA. Die Bremsen des Kfz waren heiß gelaufen, es fing Feuer, die Löschversuche des Fahrers waren vergeblich. Die Explosion war über mehrere Meilen zu hören und zu fühlen.
Die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 hatte laut Krätschmer die Ursache in grenzenlosem Leichtsinn und einem Versagen der Behörden. Bei den 2.750 Tonnen AN handelte es sich um konfisziertes Gut, das schon seit 2014 in einer Lagerhalle im Hafen untergebracht war. In der gleichen Halle waren Feuerwerkskörper gelagert, die vermutlich durch Schweißarbeiten in Brand gerieten, explodierten und dadurch das AN initiierten. Die Folge waren mehr als 200 Tote, mehr als 5.000 Verletzte. Große Teile des Hafens wurden zerstört, mit Schäden in weiten Teilen der Stadt.
Nach der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 511 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (D) muss AN, da es bei 32 Grad seine Kristallstruktur ändert, vor Witterungseinflüssen geschützt werden, vor Aufheizung durch Sonneneinstrahlung sowie vor Verunreinigung und gefährlicher Zusammenlagerung. Wärmeeintrag durch Feuer- und Heißarbeiten muss verhindert werden. Die für die Lagerung größerer Mengen zu beachtenden baulichen Maßnahmen sind in der Gefahrstoffverordnung (D) geregelt.
Allgemein gilt beim Umgang mit AN: Zündquellen fernhalten, Rauchverbot, vor Wärmeeinwirkung schützen, Hautkontakt vermeiden (dichte Schutzhandschuhe), Schutzbrille tragen, unter Verschluss aufbewahren, Eindringen in Wasser/Boden vermeiden und verunreinigtes Material in dichten Behältern sammeln.

Metallsprengungen.

Metallsprengung mit einer Schneidladung.
Metallsprengung mit
einer Schneidladung.
© Kurt Hickisch

Über Metallsprengungen, wie sie etwa bei Abbrucharbeiten zum Trennen von Stahlträgern eingesetzt werden, berichtete bei den Vorträgen vom 1. April 2021 Vizeleutnant i. R. Christian Baumann, Landesgeschäftsstellenleiter Oberösterreich des Sprengverbandes. Die Verfahren kommen auch im Entminungsdienst bei der Beseitigung von sprengkräftigen Kriegsrelikten (Bomben) oder von „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (USBV; Sprengfallen) im Entschärfungsdienst der Polizei zum Einsatz. Bei Zutrittssprengungen ermöglichen sie das rasche Eindringen in Gebäude oder im Rettungs- und Bergedienst den Zugang zu eingeschlossenen oder verschütteten Personen. Perforierungssprengungen werden bei der Gewinnung von Erdöl eingesetzt, um in die in die Tiefe getriebenen Stahlrohre Löcher an jenen Stellen zu sprengen, wo sich die Erdöl/Erdgas führenden Schichten befinden. Metalle können in Sprengverfahren plattiert und es können sogar Kunstobjekte hergestellt werden, indem mit Foliensprengstoffen beispielsweise Abbilder von zwischengelegten dünnen Materialien auf Metall „graviert“ werden.
Die üblichen gewerblichen Sprengstoffe erreichen nicht die für einen im wahrsten Sinn des Wortes „durchschlagenden“ Erfolg erforderliche Detonationsgeschwindigkeit von über 7.000 m/sec. Es müssen plastische Sprengstoffe eingesetzt werden, oder bereits vorgefertigte Schneidladungen, die durch ihren besonderen Aufbau die Wirkung des Sprengstoffs auf einen „Jet-Strahl“ bündeln. Eine Besonderheit bildet dabei der „Rebar Cutter“, eine speziell für die Trennung von unter Zug stehenden Seilen entwickelte Schneidladung, die auch unter schwierigen Arbeitsbedingungen einfach angebracht und aus sicherer Entfernung gezündet werden kann.

Elektrische Zünder

Zündmaschinen.
Zündmaschinen.© Kurt Hickisch

Elektrische Zünder werden über einen pyrotechnischen Vorgang ausgelöst. Die in den Zünder reichenden Drähte bilden im Inneren der Kapsel eine Glühbrücke. Wird diese durch ausreichend starken Stromdurchfluss (Zündmaschine) erhitzt, entzündet sich die die Glühbrücke umschließende Zündpille. Die entstehende Flamme zündet beim Momentzünder die in der Kapsel enthaltene Primär- und diese wiederum die Sekundärladung, die letztlich die Energie liefert, die zur Initiierung des die Kapsel umgebenden (Sicherheits-) Sprengstoffs ausreicht.
Bei Zeitzündern befindet sich vor der Primärladung noch ein pyrotechnischer Verzögerungssatz, über den die Primärladung in Stufen von Halb- bzw. Millisekunden verzögert ausgelöst wird. Damit können, etwa in Steinbrüchen, Abschläge in Zeitintervallen hintereinander ausgelöst werden, wodurch das Ausmaß von Erschütterungen im umliegenden Gelände reduziert werden kann. Im Idealfall einer Reihensprengung sollte sich die nachfolgende Sprengung an das Auslaufen der Erschütterungswelle der vorangegangenen anschließen, sodass letztlich die Gesamterschütterung nur wenig über der einer einzelnen Sprengung liegt. Allerdings ist die kleinste Zeitstufe, die mit elektrischen Zündern erreicht werden kann, 20 Millisekunden, mit Toleranzen von 1 bis 2 Prozent, und damit in Anbetracht der Schnelligkeit der Ausbreitung der Erschütterungswellen immer noch zu lang.

Marc Ganster: Geringere Umweltbelastung durch elektronische Zünder.
Marc Ganster:
Geringere Umweltbelastung
durch elektronische
Zünder.
©Kurt Hickisch

Bei elektronischen Zündern, über deren Einsatzmöglichkeiten Dipl.-Ing. Mark Ganster, Austin Europe GmbH, referierte, lässt sich die Verzögerungszeit durch einen eingebauten Mikrochip über ein Programmiergerät (Logger), auf die Millisekunde genau, von einer bis zu 20.000 Millisekunden einstellen und damit noch besser an die gegebenen seismischen Verhältnisse anpassen. In Entwicklung sind Zündintervalle von 0,1 msek. Die einzeln adressierbaren Zünder werden über eine Busleitung verbunden. Durch ein zweites Gerät (Blaster) wird der gesamte Zündkreis mit Strom versorgt, durch den die in den Zündern eingebauten Kondensatoren aufgeladen werden. Bei der Auslösung der Sprengung gibt der Mikrochip nach der vorprogrammierten Zeit die im Kondensator gespeicherte elektrische Energie wie beim Momentzünder ab, was letztlich zur Detonation der Ladesäule führt.
Die noch bessere Anpassung an die Verhältnisse des zu sprengenden Gesteins ermöglicht eine bessere Ausnützung der Energie des Sprengstoffs sowie eine den betrieblichen Erfordernissen besser angepasste Fragmentierung des Gesteins, wodurch Brecherarbeiten reduziert werden. Die Zündintervalle können an Hand von Software-Simulationen optimiert werden. Auch ist eine lückenlose Dokumentation der Bezünderung der einzelnen Bohrlöcher möglich. Insgesamt, so Ganster, überwiegen die erzielbaren wirtschaftlichen Vorteile sowie die verringerte Umweltbelastung den höheren Preis der elektronischen Zünder gegenüber den elektrischen.

Präsenztagung 2021.

Präsident Richter gab bekannt, dass nach dem Stand der Planungen und soweit auf Grund der Covid-Situation absehbar, die 51. Internationale Tagung für Sprengtechnik in bisher gewohnter Form als Präsenzveranstaltung am 10. und 11. November 2021 wiederum im WIFI Linz stattfinden wird.

Hermann Richter: Präsident des Verbandes der Sprengbefugten Österreichs.
Hermann Richter:
Präsident des
Verbandes der
Sprengbefugten
Österreichs.
© Kurt Hickisch

Kurt Hickisch


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 7-8/2021

Druckversion des Artikels (862 kB)