Kriminalgeschichte

Vierfacher Raubmord in Scheibbs

Vor 100 Jahren wurden in einem Bauernhaus bei Scheibbs vier Bewohner mit eingeschlagenen Schädeln aufgefunden. Ein ehemaliger Knecht auf dem Hof wurde als Raubmörder überführt.

„Mordkommission“ der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Niederösterreich in der Zwischenkriegszeit in einem „Tatra“.
„Mordkommission“ der Kriminalabteilung des Landesgendarmerie-
kommandos Niederösterreich in der Zwischenkriegszeit
in einem „Tatra“. © LPD NÖ

Zwei Knechte eines Bauernhofs in Brandstadt in der Gemeinde Neustift in Niederösterreich wunderten sich am 29. Oktober 1921, dass sie vom Bauern nicht wie üblich um sechs Uhr geweckt worden waren. Die Knechte versorgten das Vieh. Danach betrat ein Knecht das Bauernhaus, weil noch kein Licht zu sehen war. Im Vorhaus sah er seine Schwester, die 15-jährige Johanna Sonnleitner, auf dem Boden liegen. Sie war als Magd beschäftigt und hatte ihr Bett im Vorhaus. Sie lebte noch, verlor aber viel Blut aus einer Kopfwunde.
Der Knecht holte den Nachbarn, der im Schlafzimmer den 26-jährigen Hoferben Alois Steindl und dessen 23-jährige Frau Stefanie schwerst verletzt im Bett liegend antraf. Neben Steindl saß der zweieinhalbjährige Sohn. In einem anderen Zimmer lag der 78-jährige Hofbesitzer Alois Steindl. Er war tot.
Als Gendarmen vom Posten Scheibbs am Tatort eintrafen, lebten noch der Hoferbe und die Magd. Sie wurden in das Krankenhaus gebracht. Alois Steindl starb auf der Fahrt ins Krankenhaus, die Magd in der Nacht kurz nach einer Kopfoperation.
Als eine Kommission den Tatort besichtigte, wurde sie von Schaulustigen behindert, die Spuren vernichteten.
Die gerichtliche Obduktion ergab, dass alle Opfer schwere Kopfverletzungen aufwiesen und mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen worden waren, vermutlich mit dem stumpfen Teil einer Axt. Die Verletzungen dürften den Opfern offenbar im Schlaf zugefügt worden sein, denn es gab keine Spuren einer Gegenwehr. Alle Kästen waren aufgebrochen und durchwühlt; Geld und Wertgegenstände waren weg. Da auch Rehkrickeln von den Wänden gestohlen worden waren, vermuteten die Ermittler Jäger oder Wilderer als Täter. Von Krems wurde ein Diensthund angefordert, der allerdings erst am nächsten Tag Spuren aufnehmen konnte.
Für Hinweise zur Lösung des Kapitalverbrechens wurde eine Geldprämie ausgelobt. Die vier Leichen wurden am 1. November 1921 beerdigt. Gendarmeriebezirksinspektor Adam Licha vermutete nach der Tatortarbeit, dass sich der Täter im Haus ausgekannt haben musste. Männer, die früher am Bauernhof gearbeitet hatten, wurden vernommen. Unter den Verdächtigen befand sich der 28-jährige Franz Langer, der bis elf Jahre zuvor auf dem Hof als Knecht gearbeitet hatte. Er wurde am 1. November 1921 von Beamten des Gendarmeriepostens Amstetten wegen eines in Eisenerz begangenen Wilddiebstahls festgenommen. Langer trug eine Hose aus dem Besitz Alois Steindls und hatte dessen Hut und Krawattennadel bei sich. In der Wohnung seiner Mutter wurden weitere Gegenstände aus dem Bauernhof Steindls sichergestellt.

Franz Langer

Franz Langer, 1893 in St. Anton an der Leßnitz geboren, wuchs auf einem Bauernhof in der Nähe von Scheibbs auf. Schon in der Schule fiel er als unangepasst und gewaltbereit auf. Er war auffallend groß und attraktiv. Als 18-Jähriger kam er als Knecht auf den Bauernhof von Steindl, wurde aber bald wegen Wilddiebstahls verurteilt und verließ den Hof.
Die Gendarmen verhörten auch die Geliebte Langers. Sie gab an, sie hätte in Langers Unterkunft eine Uhrenkette gesehen, die Steindl gehörte. Franz Langer bestritt den vierfachen Raubmord. Er wurde am 11. November in das Bezirksgericht Scheibbs überstellt. Aufgebrachte Menschen versammelten sich am Bahnhof; sie bedrohten und beschimpften den Verdächtigen und die Gendarmen konnten mit Mühe einen Lynchmord verhindern. Nachdem der Staatsanwalt bei der zweiten Vernehmung eindeutige Beweismittel vorlegt hatte, gestand Langer den Vierfachmord.
Während der U-Haft widerrief Langer sein Geständnis. Auch bei der Schwurgerichtsverhandlung 6. und 7. Juli 1922 in St. Pölten leugnete er das Kapitalverbrechen. Er behauptete, die Gegenstände aus dem Besitz Steindls in einem Zug gestohlen zu haben. Er sei nie in Scheibbs gewesen. Langers Geliebte und seine 48-jährige Mutter Aloisia Langer waren mitangeklagt. Die Geliebte bekannte sich schuldig, beim Wildern mitgegangen zu sein und vom Wild gegessen zu haben, geschossen habe aber immer Langer. Die Mutter gab an, von der Herkunft der gestohlenen Gegenstände nichts gewusst zu haben. Franz Langer wurde wegen vierfachen Raubmordes zu lebenslangem schweren Kerker verurteilt. Seine Mutter und seine Geliebte wurden freigesprochen.

Werner Sabitzer


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 11-12/2021

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