Großer sicherheitspolizeilicher Ordnungsdienst 

Festnahmen bearbeiten

Festnahmen bei Großereignissen werden in Wien von einem eigenen Festnahmekontingent der Landespolizeidirektion Wien bearbeitet.
Festnahmen bei Großereignissen werden in Wien von einem
eigenen Festnahmekontingent der
Landespolizeidirektion Wien bearbeitet. © Gerd Pachauer

Festnahmen bei Großereignissen erfordern besondere Abläufe und spezielle Logistik. In den Landespolizeidirektionen Wien und Salzburg gibt es dafür eigene Festnahmekontingente.

Sechs Festnahmen, 400 Anzeigen, zwei verletzte Polizeibeamte, mehrere Attacken auf Journalisten und Morddrohungen gegen den Bundeskanzler und den Gesundheitsminister waren die Bilanz der Großdemonstration vom 20. November 2021 in Wien. An der Veranstaltung haben nach Schätzung der Wiener Polizei rund 40.000 Menschen teilgenommen – diesen standen 1.400 Polizistinnen und Polizisten gegenüber.
Mehrfach wurden bei der Demo Journalisten und Kamerateams angepöbelt und attackiert, weshalb verschiedene Medienbetreiber ihren Mitarbeitern private Sicherheitskräfte zur Seite stellten. Wirkliche Gewaltexzesse seien ausgeblieben, sagte der Landespolizeivizepräsident von Wien, Mag. Franz Eigner. Dennoch hätten Menschen versucht, Polizistinnen und Polizisten anzugreifen – mit einem hohen Maß an Aggressivität. Ein Demo-Teilnehmer soll versucht haben, einem Beamten die Dienstwaffe zu entreißen, ein anderer Beteiligter wiederum, einen Polizeihubschrauber-Piloten mit einem Laser der Klasse 3 zu blenden.
Der Großteil der Anzeigen sei darauf zurückzuführen gewesen, dass Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer  keine FFP2-Maske trugen. Diese Beanstandungen hätten laut Eigner die Stimmung unter den uneinsichtigen Demonstranten beinahe zum Kippen gebracht.

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen

Festgenommene werden zu den Festnahmeübernahmekontingenten verbracht, in unmittelbarer Nähe des Aktionsraums des jeweiligen Einsatzabschnittes.
Festgenommene werden zu den Festnahmeübernahme
kontingenten verbracht, in unmittelbarer Nähe des
Aktionsraums des jeweiligen Einsatzabschnittes.
© Gerd Pachauer

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen bei Großereignissen wie Demonstrationen, Fußballspielen oder Festivals unterscheiden sich von Festnahmen im Streifendienst und erfordern deshalb eine andere Herangehensweise. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass bei Großereignissen ein eigenes Festnahmekontingent der Landespolizeidirektion (LPD) Wien mit dem Rufnamen „Delfin 500“ Festnahmen zentral aufarbeitet, administriert und die Transportlogistik für Häftlinge in ein Polizeianhaltezentrum oder eine Justizanstalt übernimmt.
„Die kleinste taktische Einheit im „Großen Sicherheitspolizeilichen Ordnungsdienst“ (GSOD) ist die Gruppe, die sechs Beamte umfasst. Kommt es zu einer Festnahme, und würde die taktische Gruppe diese selbst aufarbeiten, wäre die gesamte Gruppe über einen längeren Zeitraum blockiert“, sagt Oberstleutnant Rudolf Haas von der Einsatzabteilung der Landespolizeidirektion (LPD) Wien. Bei mehreren Festnahmen wären daher mehrere Gruppen durch die Administration gebunden, was wiederum die Einsatzfähigkeit einer geschlossenen Einheit, beispielsweise einer ganzen Kompanie, zwischenzeitlich herabsetzen würde. „Ein nicht unerheblicher Risikofaktor, speziell, wenn es sich um Kundgebungen oder Fußballturniere mit Gewaltpotenzial handelt“, sagt Haas. „Wesentliches Ziel der Einführung der Delfin-500-Kräfte war es, die  Polizistinnen und Polizisten im GSOD von Dokumentationstätigkeiten weitgehend zu entbinden, damit diese so rasch wie möglich wieder ihren eigentlichen Einsatz aufnehmen und damit die Einsatzfähigkeit der geschlossenen Einheit gewährleis­ten können“, erläutert der Oberstleutnant.

Entstehung.

Rudolf Haas: 'Die vielen Festnahmen bei den Corona-Demos stellten uns vor neue Herausforderungen.'
Rudolf Haas: 'Die vielen Festnahmen
bei den Corona-Demos stellten uns vor
neue Herausforderungen.'
© Bernhard Elbe

Im Zuge der Planungen für die Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich wurde 2007 von der Einsatzabteilung der Landespolizeidirektion Wien ein eigenes Kontingent geschaffen. Es sollte im Rahmen der GSOD-Einsätze Identitätsfeststellungen sowie strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Festnahmen gewaltbereiter Fans bearbeiten. „Mit dem Ziel, die Kräfte der Einsatzeinheiten und Ordnungsdiensteinheiten beweglich zu halten, nicht längerfristig zu binden sowie aufgabenbezogen und zweckorientiert einzusetzen“, erklärt Oberstleutnant Haas die Beweggründe, die zur Einführung der Delfin-500-Gruppen geführt haben. In der LPD Salzburg gibt es einen „Aufnahme- und Erhebungsdienst“ mit dem Rufnamen „Limes 500“.

Breites Aufgabenspektrum.

Das Aufgabenspektrum der Delfin-500 und Limes-500-Einheiten hat sich erheblich erweitert. Zu den Aufgaben dieser Kräfte zählen etwa die Übernahme und Dokumentation von Festnahmen und Massenfestnahmen nach der Strafprozessordnung (StPO) und dem Verwaltungsstrafgesetz (VStG), Identitätsfeststellungen nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), dem Verwaltungsstrafgesetz und der Strafprozessordnung, die Einhebung einer vorläufigen Sicherheit (§ 37a VStG), Wegweisungen und Betretungsverbote bei Sportgroßveranstaltungen (§ 49a SPG), Wegweisungen bei Platzverboten (§ 36 SPG) oder Sicherstellungen samt Anzeigeerstattung – wenn beispielsweise Fußballfans verbotene pyrotechnische Gegenstände abgenommen werden. Wird beispielsweise im Rahmen einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen von einem Exekutivbediensteten eine Festnahme ausgesprochen, werden Delfin- oder Limes-Kräfte verständigt. Sie befinden sich in unmittelbarer Nähe des Aktionsraums des jeweiligen Einsatzabschnittes. Damit ist gewährleistet, dass der Festnahme- und Aufnahmetrupp zügig an den Ort der Festnahme verlegen kann. 

Die Corona-Pandemie

Festnahme bei einer Anti-Coronademonstration in Wien: Zu den Aufgaben der Festnahmekontingente zählen die Übernahme und Dokumentation von Festnahmen.
Festnahme bei einer Anti-Coronademonstration in Wien:
Zu den Aufgaben der Festnahmekontingente zählen die
Übernahme und Dokumentation von Festnahmen.
© Gerd Pachauer

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Demonstrationen haben eine neue Ära im großen sicherheitspolizeilichen Ordnungsdienst eingeläutet. „Wir haben uns an viele neue Gegebenheiten anpassen müssen. Das hat mitunter neue Arbeitsabläufe und Formulare, beispielsweise zur Identitätsfeststellung oder zur Erfassung von Anzeigen, hervorgebracht“, erläutert Haas. 

Zentrale Aufarbeitung.

Um Festnahmen effizient und zentral aufarbeiten zu können, wurde für derartige Großkommandierungen eine eigene Schreibstelle im Zentraljournaldienst der LPD Wien eingerichtet, die sämtlichen Protokollierungen übernommen hat.
„Die große Anzahl an Festnahmen im Rahmen der Corona-Demos stellte uns vor neue Herausforderungen. Flexibilität und Effizienz bei der Aufarbeitung von Festnahmen waren das Gebot der Stunde, um die Festnahme- und Aufnahmekontingente an einem Ort so kurz wie möglich zu binden und die Kolleginnen und Kollegen im GSOD wesentlich zu unterstützen und zu entlasten“ resümiert Haas.

Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden.

Eine weitere Herausforderung sei es gewesen, dass Verwaltungsfestnahmen – bei Verstößen gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz und die daraus resultierenden Verordnungen – nicht der LPD Wien, sondern der örtlich zuständigen Gesundheitsbehörde, dem Magistrat der Stadt Wien, vorzuführen waren.
„Der Magistrat verfügte weder über die nötigen Kapazitäten, noch über die Erfahrung mit Festnahmen“, sagt Haas. Durch einen Schulterschluss der LPD Wien mit dem Magistrat der Stadt Wien sei aber auch diese Hürde genommen und eine gemeinsame Lösung für die rechts- und zuständigkeitskonforme Aufarbeitung von Covid-Festnahmen gefunden worden. 

Ausblick.

Aufgrund der bislang erfolgreichen Einsatzabwicklung der Festnahme- und Aufarbeitungskontingente der LPD Salzburg und Wien wurde im Innenministerium eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese soll die bundesweite einheitliche Einrichtung von Festnahme-Aufarbeitungstrupps in allen Landespolizeidirektionen prüfen. „Positive Rückmeldungen haben gezeigt, dass derartige Kräfte wesentlich zur Steigerung der Qualität bei der Dokumentation von Amtshandlungen bzw. Festnahmen im GSOD beitragen können“, sagt Oberstleutnant Bernhard Weghofer, Referent und Fachbereichsleiter GSOD des Referats II/2/b im Bundesministerium für Inneres.

Einsatzabschnitt Haft/Tatort.

Im Landeskriminalamt (LKA) Wien wird „je nach Größe des zu erwartenden Ereignisses, egal ob Fußballmatch oder Demonstration, ein eigener Einsatzabschnitt Haft/Tatort über Weisung der Einsatzabteilung der LPD gebildet“, erklärt Oberstleutnant Dietmar Berger, BA MA, stellvertretender Leiter des Ermittlungsdienstes im LKA Wien. „Werden Kräfte des LKA kommandiert, ist eine der ersten Fragen, die wir uns zu stellen haben, wie viele Beamte für die Häftlingsbearbeitung und wie viele Tatortbeamte für den Einsatz benötigt werden. Die Anzahl der kommandierten Kräfte beruht auf den jeweiligen Gefährdungseinschätzungen bzw. auf den Erfahrungen, die bei der Evaluierung vorangegangener Einsätze gemacht wurden. Das LKA bearbeitet dabei ausschließlich Festnahmen nach der StPO.“ 

Herausforderung Massenfestnahmen.

Dietmar Berger: 'Bei politischen Demonstrationen Festgenommene verhalten sich kaum kooperativ.'
Dietmar Berger: 'Bei politischen
Demonstrationen Festgenommene
verhaltensich kaum
kooperativ.' © Bernhard Elbe

Oberstleutnant Berger erinnert sich an den Einsatz vom 3. Juni 2011, es war das Länderspiel Österreich gegen Deutschland, wo 207 Personen nach der Strafprozessordnung festgenommen worden waren. „Massenfestnahmen sind eine Herausforderung – man denke allein an gesetzliche Fristen, die bei jeder einzelnen Festnahme einzuhalten sind. Auch wenn schnell gearbeitet werden muss, darf die Qualität der kriminalpolizeilichen Arbeit und Ermittlung nicht darunter leiden – ein schwieriger Spagat“, gibt Berger zu bedenken. 
Insbesondere bei Demonstrationen mit politischem Hintergrund seien Festgenommene wenig kooperativ. Manche würden sämtliche Angaben verweigern, auch zur Identität. Derartige Festnahmen führen häufig zu Folgedemonstrationen von Anhängern oder Sympathisanten der Festgenommenen, beispielsweise vor den Polizeianhaltezentren. 

Viele Arbeitsschritte und aufwendige Dokumentation.

Nicht selten schildern Festgenommene gegen­über den LKA-Ermittlern Misshandlungen, die ihnen bei der Festnahme widerfahren sein sollen. Derartige Vorwürfe müssen in der LPD Wien dem Referat für besondere Ermittlungen (RBE) angezeigt werden.
„Zwischen der eigentlichen Festnahme und dem Beginn der Einvernahmen durch den Unterabschnitt Häftlingsbearbeitung vergehen oft einige Stunden, da bei jeder Festnahme ein vorgegebenes Prozedere durchlaufen werden muss. Dazu zählen die Überstellung, Aufnahme im Polizeianhaltezentrum mit erkennungsdienstlicher Behandlung und die amtsärztliche Untersuchung“, erklärt Dietmar Berger.
Wenn der Festgenommene einen Rechtsbeistand oder eine Vertrauensperson verlangt, führt dies zu weiteren Verzögerungen. „Wenn der GSOD-Einsatz oft schon beendet wurde, sind die Einvernahmen und Erhebungen der LKA-Ermittler zumeist in vollem Gange. Diese Arbeit dauert nicht selten bis in die frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages oder darüber hinaus an“, sagt Berger.

Informationen sammeln, Beweise sichern.

In jenen Fällen, in denen eine festgenommene Person einen Polizisten verletzt hat, versuchen die Ermittler diese oder diesen schnell amtsärztlich untersuchen zu lassen und als Zeugen zu befragen. „Darüber hinaus versuchen wir weitere Zeugen auszuforschen und zu befragen. Es gilt auch abzuwarten, ob Beweise durch den Unterabschnitt Tatort gesichert werden konnten, beispielsweise Bilder oder Videos, führt Berger an.
„Erst nachdem so viele Informationen wie möglich – was bei einer dynamischen Situation wie einer Demo eine besondere Herausforderung darstellt – gesammelt wurden, wird der Festgenommene von einem Bearbeitungsteam zur Einvernahme vom Polizeianhaltezentrum zum Ermittlungsdienst gebracht.“ Bei jeder Festnahme nach der Strafprozessordnung wird nach Abschluss aller erforderlichen polizeilichen Schritte die Staatsanwaltschaft verständigt und eine Verfügung eingeholt.

Unterbringung der Festgenommenen.

„Menschen, die bei Großereignissen festgenommen werden, sind selten kooperativ, was das Aufnahmeprozedere im Anhaltezentrum erschwert und zusätzliches Personal erfordert“, sagt Major Roland Frühwirth, BA, Leiter der Polizeianhaltezentren in Wien. „Das erschwert die Anfertigung von Fotos, die Zugangsvisite und die rechtlichen Belehrungen und Informationen, die jedem Festgenommenen in einer verständlichen Sprache zur Kenntnis gebracht werden müssen. Neben den Solidaritätsbekundungen vor dem PAZ, durch Sympathisanten der Festgenommenen, sehen wir uns häufig auch mit nachträglichen Beschwerden wegen angeblich verweigerter Rechte, beispielsweise eines Telefonats, konfrontiert.“ 

Pandemiebedingte Auflagen und Vorkehrungen.

Jeder Häftling erhält bei der Aufnahme in einem Polizeianhaltezentrum eine Maske, die er oder sie während des Aufnahmeprozederes tragen muss. „Personen, die im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen Covid-19-Auflagen festgenommen wurden, verweigern das Tragen einer Maske, auch innerhalb des PAZ. Handhabe dagegen gibt es faktisch keine“, sagt Frühwirth. Aufgrund der Covid-Schutzmaßnahmen wurde die gesamte Arrestantelogistik vor neue Herausforderungen gestellt, insbesondere in puncto Raum und Personal. So sind Neuzugänge in eigenen Quarantänezellen für die Dauer von derzeit zehn Tagen unterzubringen – der Kontakt mit anderen Häftlingen muss während dieser Zeit unterbunden werden.
„In der Praxis heißt das, separate Arztbesuche, allein spazieren gehen im Freien, separates Einkaufen in der Trafik und der Kantine, isolierter Empfang von Besuchen etc. Bei einem durchschnittlichen Häftlingsstand von zusammen über 300 Menschen, in den Anhaltenzentren Hernalser Gürtel und Rossauer Lände, bedeuten die zusätzlichen gesundheitsbehördlichen Maßnahmen einen enormen administrativen und organisatorischen Aufwand für uns. Durch die strengen Corona-Maßnahmen und die dadurch restriktiver gewordenen Haftbedingungen, sind auch die Aggressionsbereitschaft und das Gewaltpotenzial bei den Häftlingen gestiegen“, sagt der Leiter der Polizeianhaltezentren.             

Gernot Burkert


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2022

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