Italien

Im Zeichen der „Tricolore“

Festakt zum 170. Jahrestag des Bestehens der Polizia di Stato in Rom: Ehrenformationenen zahlreicher Einheiten.
Festakt zum 170. Jahrestag des Bestehens der Polizia di Stato in Rom: Ehrenformationenen zahlreicher Einheiten.
© Polizia di Stato

Seit 170 Jahren besteht die italienische Nationalpolizei. Knapp 100.000 Beamtinnen und Beamte sind im ganzen Staatsgebiet für die öffentliche Sicherheit verantwortlich.

Mit prächtigem Blick auf Rom feierte die italienische Nationalpolizei (Polizia di Stato) am 12. April 2022 ihr 170-jähriges Bestehen. Auf der Pincio-Terrasse der Villa Borghese formierten sich Abordnungen der verschiedenen Polizeieinheiten. Staatspräsident Sergio Mattarella und Innenministerin Luciana Lamorgese überbrachten Grußbotschaften, höchstrangige Repräsentanten aus Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Klerus waren anwesend. Mehr als zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie war der Festakt in Rom ein starkes öffentliches Zeichen: Die Frauen und Männer der Nationalpolizei hätten sich immer wieder „anspruchsvollen Prüfungen stellen müssen“, betonte Innenministerin Lamorgese in ihrer Ansprache. Während der Pandemie habe die Polizei „mit Ruhe und Ausgeglichenheit die Einhaltung der Vorschriften zur Eindämmung von Ansteckungen gewährleistet und dadurch die öffentliche Ordnung sichergestellt“.
Italien war gerade zu Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 besonders stark von Viruserkrankungen betroffen. Rund 34.000 Bedienstete der Polizia di Stato haben sich seither mit dem Virus infiziert, 20 Bedienstete haben ihr Leben verloren. 2021 waren in Italien rund 300 Ärzte und 500 Sanitätskräfte der Nationalpolizei im Einsatz gegen Covid-19, 20 Millionen Impfdosen wurden an vulnerable Bevölkerungsgruppen und Polizeibeamte verabreicht.  Staatspräsident Mattarella verlieh der Polizia di Stato dafür die nationale Goldmedaille für Zivilcourage. 

Die Geschichte

Die Geschichte der italienischen Nationalpolizei war im Laufe von knapp zwei Jahrhunderten geprägt von markanten Ereignissen. Geburtsort der heutigen Polizia di Stato war das König­reich Sardinien: Nach dem Ende der Herrschaft Napoléon Bonapartes über weite Teile Europas wurde durch den Wiener Kongress in zahlreichen Ländern wieder die vorherige staatliche Ordnung hergestellt. Viktor Emanuel I., König von Sardinien-Piemont und Herzog von Savoyen, gründete 1814 in Turin ein Militärkorps nach Vorbild der Gendarmerie, dem auch polizeiliche Aufgaben zukamen, die Carabinieri. Polizei-, Verwaltungs- und Justizbefugnisse lagen in militärischer Hand. 1841 wurde im Kriegsministerium Sardiniens erstmals ein eigenständiger Oberbefehlshaber für die Polizei eingesetzt. 1848 bildete sich neben dem Kriegsminis­terium ein Vorläufer des heutigen Innenministeriums heraus und der moderne Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ entstand. Polizeigewalt sollte von militärischer Gewalt entkoppelt und in die Hände ziviler Verwaltungsträger gelegt werden. König Karl Albert unterstellte die Verwaltung für öffentliche Sicherheit der Leitung eines Generalinspekteurs; diesem waren „Intendanten“ in den Provinzen und letztlich die Bürgermeister in den Gemeinden nachgeordnet.

Neuer Wachkörper.

Als exekutiver Arm für die neuen zivilen Sicherheitsbehörden wurde mit Gesetz vom 11. Juli 1852 ein „Korps der Garden für die öffentliche Sicherheit“ (Corpo delle Guardie di Pubblica Sicurezza) ins Leben gerufen – in Abgrenzung zu den Carabinieri. Der neue Wachkörper, der zwar nach militärischem Muster aufgebaut, aber als zivile Polizeiorganisation intendiert war, wurde als unmittelbare Folge des ersten italienischen Unabhängigkeitskriegs von 1848 bis 1849 eingerichtet. Nach dem Ende des zweiten Unabhängigkeitskrieges 1859 wurde das Korps reorganisiert und verschiedene Funktionen und Dienstgrade wurden verändert.
Der Sieg über Österreich bei der Schlacht von Solferino am 24. Juni 1859 ebnete den Weg zu einem gemeinsamen italienischen Königreich: Viktor Emanuel II. von Sardinien wurde am 17. März 1861 der erste König eines geeinten Italiens; Turin wurde zur Hauptstadt. Mit der Einheit Italiens wurde das „Korps der öffentlichen Sicherheit“ auf das gesamte neue Staatsgebiet, einschließlich Sizilien, ausgedehnt. Durch den Erlass vom 9. Oktober 1861 erhielt das Königreich Italien eine „Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit“. 

Nach der Vereinigung

Streifenwagen der Polizia di Stato in neuem Design
Streifenwagen der Polizia di Stato in neuem Design.
© Gregor Wenda

Nach der Vereinigung Italiens erschütterten Unruhen wegen der Getreidesteuer im Norden und ein ausuferndes Bandenwesen im Süden des Landes die öffentliche Sicherheit und Ordnung; das Corpo delle Guardie di Pubblica Sicurezza musste rasch aufgestockt werden. Die neuen Polizisten durften anfangs nicht heiraten und mussten in Kasernen wohnen. Zur Verbesserung der Ausbildung wurde in Turin die erste Polizeischule Italiens installiert und 1876 nach Rom verlegt. 1879 sollte das Image der Polizeiarbeit gehoben werden; der neue Innenminister wollte „junge Menschen mit Einfallsreichtum und guten Studien“ gewinnen. Die Verpflichtung zur Ehelosigkeit und Kasernierung wurde aufgehoben, das Gehalt aufgebessert. Die Präsenz der beiden wichtigsten Wachkörper im italienischen Königreich wurde weiter ausgebaut – mit neuen oder verstärkten Pos­ten der Carabinieri in kleineren Gemeinden sowie Dienststellen der Garden für die öffentliche Sicherheit in größeren Städten.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg prägten starke soziale Spannungen Italien. In einer groß angelegten Polizeireform wurde das „Korps der Königlichen Garde für die öffentliche Sicherheit“ (Corpo della Regia Guardia per la Pubblica Sicurezza) gegründet, in das auch die seit 1890 bestehenden städtischen Wachen fusioniert wurden. Zur Professionalisierung der kriminalistischen Arbeit wurde 1919 auch noch ein eigenständiges Korps von Ermittlungsagenten (Corpo degli Agenti Inves­tigativi) aufgebaut, das in Zivil tätig war. Die Königliche Garde war graugrün uniformiert, bewaffnet und motorisiert. Nach der Machtübernahme der Faschisten in Italien wurden die Königliche Garde und das Korps der Ermittlungsagenten 1925 zum „Korps der öffentlichen Sicherheitsagenten“ (Corpo degli Agenti di Pubblica Sicurezza) zusammengeführt; 1943 wurde das Korps Teil der Streitkräfte, blieb aber dem Innenministerium unterstellt.
Nach dem Sturz der faschistischen Regierung von Benito Mussolini wurde eine neue Garde für die öffentliche Sicherheit formiert (Corpo delle Guardie di Pubblica Sicurezza); bis zur Befreiung Italiens vom NS-Regime 1945 unterstützten Mitglieder dieses Polizei­korps auch die Partisanen im Kampf gegen den Nationalsozialismus.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der italienischen Republik im Jahr 1946 leistete die Garde für die öffentliche Sicherheit ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit in einem sich neu ordnenden demokratischen Staat. Mit der zunehmenden Motorisierung wurde die Verkehrspolizei ausgebaut, ab 1961 gab es ein eigenes Frauenpolizeikorps (Polizia Femminile), das vor allem im Bereich des Schutzes von Frauen und Minderjährigen eingesetzt wurde.

Aktuelle Organisation.

Der letzte markante Meilenstein in der polizeilichen Reorganisation erfolgte mit 1. April 1981: Das Corpo delle Guardie di Pubblica Sicurezza wurde von einer neu geschaffenen Nationalpolizei (Polizia di Stato) abgelöst, für deren Dienst sich Frauen und Männer seither uneingeschränkt bewerben können. Das Frauenpolizeikorps wurde abgeschafft, die gewerkschaftliche Vertretung der Polizeibediensteten rechtlich abgesichert.

Die oberste Sicherheitsbehörde

Motorisierte Verkehrspolizisten der Polizia di Stato.
Motorisierte Verkehrspolizisten der Polizia di Stato.
© Nora Wenda

Die oberste Sicherheitsbehörde Italiens ist seit 1981 das Innenministerium. Innerhalb des Ministeriums ist eine Abteilung für die öffentliche Sicherheit (Dipartimento della Pubblica Sicurezza) als Führungsspitze der Polizia di Stato installiert. Deren Leiter, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, ist Italiens oberster Polizeipräsident im Rang eines „Präfekten der Republik“; er wird vom Innenminister vorgeschlagen und vom italienischen Staatspräsidenten ernannt. Dem Generaldirektor stehen ein erster stellvertretender Generaldirektor, ein stellvertretender Generaldirektor für die Koordinierung der Polizeikräfte und ein stellvertretender Generaldirektor für die Zentraldirektion der Kriminalpolizei zur Seite.

Die Nationalpolizei

Die Nationalpolizei ist ein nach militärischem Muster eingerichteter ziviler Wachkörper. 99.333 Frauen und Männer zählen zum Personalstand. In jeder Provinzhauptstadt gibt es eine Quästur der Polizia di Stato, die von einem Provinzpolizeichef (Quästor) geleitet wird. Das Provinzpolizeipräsidium ist nicht nur für sicherheits- und kriminalpolizeiliche Aufgaben zuständig, sondern auch für verwaltungsbehördliche Agenden wie die Ausstellung von Waffenbesitzkarten, Reisepässen oder Aufenthaltstiteln.
Innerhalb des Rayons einer Quästur bestehen zahlreiche weitere Polizeidienststellen, die vor allem für die sichtbare Polizeipräsenz in Gemeinden und Bezirken sorgen. In den Provinzen sind auch territoriale Einheiten von Spezialorganisationen der Nationalpolizei eingerichtet: etwa der Verkehrspolizei, der Eisenbahnpolizei oder der Post- und Kommunikationspolizei. Einheiten der Grenzpolizei, der Seepolizei oder der Flugpolizei sind an strategischen Orten innerhalb des Staatsgebietes stationiert.

Direktionen.

Neben der territorialen Organisation der Nationalpolizei bestehen verschiedene gemeinsame Direktionen und Zentralstellen, darunter die Zentraldirektion der Kriminalpolizei (Direzione centrale della Polizia Criminale), die Zentraldirektion für Anti-Drogen-Dienste (Direzione centrale per i Servizi antidroga), die Zentraldirektion zur Verbrechensbekämpfung (Direzione centrale Anticrimine della Polizia di Stato) oder die Zentraldirektion für Einwanderungs- und Grenzangelegenheiten (Direzione centrale dell'Immigrazione e della Polizia delle frontiere).
Zur Zentraldirektion für die Präventive Polizei (Direzione centrale della Polizia di prevenzione) gehört die Anti-Terror-Einheit N.O.C.S. (Nucleo Operativo Centrale di Sicurezza) der Nationalpolizei, die eines der italienischen ALTAS-Mitglieder ist. Seit 2015 gibt es auf Ebene der Quästuren zusätzliche schnelle Zugriffseinheiten der Nationalpolizei (Unità Operative di Primo Intervento – U.O.P.I.), die die N.O.C.S.-Kräfte entlasten. Die Anti-Mafia-Ermittlungsdirektion (Direzione investigativa antimafia – D.I.A.) wurde 1992 zur Bekämpfung der Mafia und anderer Formen Organisierter Kriminalität gegründet; in ihr sind neben der Nationalpolizei die Carabinieri und die Finanzpolizei vertreten.

Mehrere Wachkörper.

In Italien werden gleich mehrere Wachkörper mit Sicherheitsaufgaben im gesamten Staatsgebiet eingesetzt: die Nationalpolizei, die Carabinieri, die für finanz- und zollrechtliche Angelegenheiten zuständige Finanzpolizei (Guardia di Finanza), Organe des Strafvollzuges (Polizia Penitenziaria) und die Forstpolizei (Corpo Forestale dello Stato). Viele Gemeinden unterhalten zudem eine kommunale oder regionale Polizeiwache (Polizia Locale). Polizia di Stato und Carabinieri kommt eine „allgemeine Zuständigkeit“ zu, in der Praxis gilt daher zumeist das Prinzip des ersten Einschreitens an einem Tatort. Das Zusammenspiel der Wachkörper wird seit 1981 im Rahmen eines „Koordinierungsmodells“ mit einer Kommission im Innenministerium gesteuert. 

Statistik.

Diensthundeführer der italienischen Nationalpolizei.
Diensthundeführer der italienischen Nationalpolizei.
© Polizia di Stato

Anfang April wird jährlich der Tätigkeitsbericht der Polizia di Stato präsentiert. 2021 wurden von Organen der Nationalpolizei insgesamt 6,2 Millionen Personen und 3,4 Millionen Fahrzeuge kontrolliert. Im Sicherheits- und Ordnungsdienst waren bei 16.643 Demonstrationen von nationalem Interesse mehr als 590.000 Beamte eingesetzt. Die Verkehrspolizei führte über 449.000 Verkehrsüberwachungsdienste durch, 605.000 Geschwindigkeitsüberschreitungen wurden geahndet. In Bahnhöfen und Zügen wurden 3,6 Millionen Personen kontrolliert. Ermittlungen gegen Mafia-Verbrechen betrafen 662 Personen, aufgrund von Organisierter Kriminalität wurden Vermögenswerte im geschätzten Gesamtwert von über 58 Millionen Euro beschlagnahmt. Bei Anti-Drogen-Operationen wurden etwa 6 Tonnen Suchtgift sichergestellt.

Briefmarke und Münze.

Aus Anlass des 170. Geburtstages der Nationalpolizei wurden eine 2-Euro-Gedenkmünze und eine Briefmarke herausgegeben. Die staatliche Münzstätte Italiens hat ein Geldstück geprägt, das hinsichtlich Größe und Gewicht den übrigen 2-Euro-Münzen entspricht. Abgebildet sind eine Polizistin und ein Polizist vor einem Patrouillenfahrzeug, flankiert von den Daten der Jubiläumsjahre (1852 - 2022). Ähnlich gestaltet ist eine Briefmarke, die im April 2022 präsentiert wurde und zusätzlich das Wappen der Polizia di Stato und die „Tricolore“, die dreifarbige Nationalfahne in Grün-Weiß-Rot, zeigt. Der Alfa Romeo Giulietta auf Marke und Münze gilt als beliebtester italienischer Polizei-Streifenwagen. Schnelle und formschöne Polizeifahrzeuge haben im Autofahrerland Italien eine lange Tradition. Etwa 70 historische Fahrzeuge, darunter Motorräder, Roller, eine „Schneekatze“ und Jeeps der Nachkriegszeit, sind im Automuseum der Nationalpolizei in Rom zu sehen. Ebenfalls in der italienischen Hauptstadt befindet sich das Museum der Polizia di Stato, wo deren Geschichte durch umfangreiche Sammlungen von Uniformen, Waffen, Unterlagen und Bildern dokumentiert wird.

www.poliziadistato.it 

Gregor Wenda


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2022

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