Europäische Polizeitrainer-Konferenz 2022

Wissensvermittlung und Forschung

Hunde: In 90 Prozent der Fälle werden Bissverletzungen durch den eigenen Hund oder den eines Bekannten verursacht. 27 Prozent der Bissopfer sind Kinder und Jugendliche.
Hunde: In 90 Prozent der Fälle werden Bissverletzungen durch
den eigenen Hund oder den eines Bekannten verursacht.
27 Prozent der Bissopfer sind Kinder und Jugendliche.
© Werner Sabitzer

Neben der Vermittlung für die Polizeiarbeit wichtiger Erkenntnisse wurde bei der Europäischen Polizeitrainer-Konferenz praktische Verhaltensforschung geleistet.

Parallel zur Enforce Tac und im Vorfeld zur IWA 2022, fand am 1. und 2. März 2022 am Messegelände Nürnberg die Europäische Polizeitrainer Kon­ferenz (EPTK) statt, veranstaltet vom Verein Polizeitrainer in Deutschland (PiD; polizeitrainer.de) in Kooperation mit der NürnbergMesse. Traditionsgemäß (die EPTK findet seit 2006 statt) ist der erste Tag fachspezifischen Vorträgen gewidmet, zu dem sich etwa 240 Teilnehmer aus insgesamt zehn europäischen Ländern sowie den USA eingefunden hatten. Die Teilnahme ist beschränkt auf Angehörige der Polizei sowie der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, wie Polizei, Justiz und Zoll. Der zweite Tag umfasste praktisches Training im Stationsbetrieb, wobei die Anzahl der Teilnehmer seit jeher mit 120 begrenzt ist.
„Auf der Straße brauchen wir Menschen, die sich engagieren, aber auch den nötigen Rückhalt bei den staatlichen Institutionen finden.“ Mit diesem Appell leitete Eckhard Niebergall, 1. Vorsitzender von PiD, die Tagung ein. Er bezeichnete diese als der Polizeianwärterin Yasmin Bux (24) und dem Polizeikommissar Alexander Klos (29) gewidmet, die am 31. Jänner 2022 bei einer Verkehrskontrolle erschossen wurden. Die beiden mutmaßlichen Täter wurden noch am selben Tag festgenommen.
In seinen Grußworten wies Polizeidirektor Stefan Beck, Leiter der Bereitschaftspolizei Nürnberg, darauf hin, dass von rund 4.000 Auszubildenden am ersten Konferenztag 830 neue Polizisten angelobt wurden. Im Polizeiberuf seien erforderlich (juristisches) Fachwissen und soziale Kompetenz. Beides zusammen müsse in Handlungskompetenz umgesetzt werden. Konfliktsituation sollten nach Möglichkeit kommunikativ gelöst werden, doch sei auch eine robuste Polizei gefordert, wenn die Stimmung umschlagen sollte.

Terrorlagen.

Mit Verletzungsfolgen und der Versorgung von Verletzten nach terroristischen Sprengstoffanschlägen befasste sich Univ. Prof. Dr. Leo Latasch. Die primären Folgen des Explosionsdrucks betreffen Ohren, Lunge und Darm. Dazu kommen die Verletzungen durch in den Sprengstoff eingelagerte Schrauben oder Stahlkugeln, die eine Schrapnell-Wirkung entfalten. Eine extreme Zunahme an tödlichen Verletzungen verursachen auch kollabierende Gebäude.
Von Bedeutung sind die Reaktionszeiten der Rettungskräfte, vom Beginn der ersten Rettung eines Verletzten bis zur Einlieferung des letzten in ein Krankenhaus. Bei den als Beispiel herangezogenen Anschlägen im Bataclan in Paris am 13. November 2015 (130 Todesopfer, 660 Verletzte, davon 98 lebensgefährlich) hatte die Verbringung der Opfer in Gesundheitseinrichtungen Vorrang, mit nur einem Minimum an Notfallmaßnahmen vor Ort. Die Unterscheidung nach Dringlichkeit der weiteren Behandlung wurde in den Krankenhäusern vorgenommen.
Nach der Erstürmung des Bataclan um 00.18 Uhr des 14. November waren die ersten Rettungskräfte innerhalb von 3 bis 10 Minuten an den insgesamt sieben Anschlagsorten. Die Opfer waren bis 02.40 Uhr des 14. November in Konvois auf gesicherten Routen abtransportiert. Um 04.20 Uhr war die Hilfsintervention vor Ort beendet. Für mehr als 6.000 traumatisierte Personen (Verletzte, Betroffene, Angehörige, Augenzeugen, Rettungskräfte) wurde über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen medizinisch-psychologische Betreuung aufrechterhalten.

Diensthunde.

In Deutschland sind etwa 5.000 Polizeidiensthunde im Einsatz. „Der Rasse nach sind es vorwiegend deutsche und belgische Schäferhunde“, berichtete Sylke Schwoch, seit 2006 Diensthundeführerin und seit 2018 Trainerin für Schutzhundewesen beim zentralen Diensthundewesen. Der Hund wird in die Familie des Hundeführers aufgenommen und verbleibt auch dort. Die Ausbildung zum Diensthund dauert neun oder für Spezialausbildungen zwölf Monate. Hundeführer und Hund müssen eine Prüfung ablegen, die jährlich wiederholt und bestanden werden muss. Mittlerweile gibt es auch Hunde, die Datenträger aufspüren können. Der Hund ist laut Schwoch ein effektives, vielseitiges und flexibles Hilfsmittel und kann in ein Team eingepflegt werden. Die Einsatzmöglichkeiten sind begrenzt bei mehreren Tätern, gegenüber Unbeteiligten und in Gegenwart anderer Tiere.

Bissverletzungen.

Statistisch gesehen, kommt es in den USA zu 0,011 tödlichen Hundeattacken pro 100.000 Einwohnern, in der EU zu 0,0009 und in Deutschland zu 0,008, führte Victoria Fischer, Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln, zur Gefährlichkeit von Bissverletzungen durch Hunde aus. Bissopfer allgemein sind zu 27 % Kinder und Jugendliche, zu 25 % sind sie jünger als sechs Jahre. In 90 % der Fälle werden die Bissverletzungen durch den eigenen Hund oder den eines Bekannten verursacht.
Wundmorphologisch betrachtet, kommt es beim Zuschnappen eines Hundes (Beißen) zu Quetschwunden, beim Reißen auch zu oberflächigen Hautverletzungen. Beim Schütteln (Beuteln) kommt es zu einer Penetration der Haut ähnlich einer Schnittverletzung durch einen Dolch. Durch das Abdrücken mit den Pfoten werden Schürf- und Kratzwunden verursacht. Im zivilen Bereich sind von Hundeangriffen zu 70 bis 80 % die Extremitäten (Arme, Beine) betroffen, Hals und Gesicht zu jeweils 10 bis 15 %. Polizeihunde richten ihre Angriffe vornehmlich gegen den Gesichts- und Brustbereich.
Als sekundäre Folge können Wundinfektionen wie Eiterungen, Blutvergiftung (Sepsis), bis zu Gasbrand und Tollwut hinzukommen. Es können auch lebenslange Folgen wie Entstellungen bleiben. Bisse durch Menschen sind zwar selten, verursachen aber in mindestens 60 % der Fälle Nachfolgeinfektionen, davon 20 % mit nekrotisierender Wirkung (Gewebezerfall).
Zum Tod nach Hundebissen können führen: Blutverlust (auch nach innen), Verletzungen der Atemwege (Luftröhre), des Gehirns (Rückenmark) oder Luftembolie (Eindringen von Luft in das geöffnete venöse System).

Rechtsfragen des Einsatzes.

Wenn der Hund gezielt eingesetzt wird, bedient sich der Betreffende eines gefährlichen Werkzeugs im Sinn des Strafrechts, stellte Prof. Dr. Volker Erb, Johannes Gutenberg Universität Mainz, den strafrechtlichen Bezug her. Das macht den Schusswaffengebrauch gegen das Tier zulässig, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos sind oder offensichtlich keinen Erfolg haben werden. Die Drohung eines Täters, einen Kampfhund von der Leine zu lassen, ist einem angedrohten Messerangriff vergleichbar.
Rechtsprobleme ergeben sich durch Fehlreaktionen des Hundes, etwa auf Abwehrreflexe des Gebissenen, oder wenn der Hund auf Schlüsselreize reagiert. Prof. Volker Erb ging hierzu näher auf das Urteil des AG Brilon vom 20.5.2019, 11 DS-215 Js 42/18-30/19 (abrufbar unter openjur.de/u/ 2175489.html) ein. Anlässlich einer Amtshandlung hatte der in „Hab-Acht“-Stellung gehaltene Diensthund den Versuch des verletzt am Boden liegenden Geschädigten, sich aufzurichten, als Angriffshandlung gewertet und nochmals zugebissen.
Diesen Zustand der angespannten Wachsamkeit des Hundes verglich Prof. Erb mit dem Problem der „automatisierten Verteidigung“, wenn ein System von sich aus Verteidigungsmaßnahmen setzt.
Im Notwehrrecht gilt allgemein, dass Unklarheiten über die Stärke des Angriffs, wenn diese also überschätzt wird, zu Lasten des Angreifers gehen. Wenn der Verteidiger den Angriff allerdings gar nicht abwartet (antizipierende Verteidigung), entgeht er nur dann der strafrechtlichen Verantwortung, wenn eine Überreaktion des Systems nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden kann.
Bei einem Hund, der in einem Zustand der Wachsamkeit gehalten wird, muss damit gerechnet werden, dass er auf bestimmte Schlüsselreize reagiert auch bei Handlungen, die üblicherweise nicht als vorsätzliche Provokation des Tieres ausgefasst würden. Es muss nach Lage der Dinge ausgeschlossen werden können, dass jemand gebissen wird, der sich nur ungeschickt verhält. Der Hund muss so dressiert sein, dass er nicht schon bei der sprichwörtlichen „falschen Bewegung“, sondern nur bei einem auch für Menschen evidenten Angriffs- oder Fluchtverhalten eines Verdächtigen zufasst. Können diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, muss der Hundeführer entweder das Verhalten des Hundes im Auge behalten oder den Zustand seiner Wachsamkeit beenden.

Hinterhalt.

Per Videoaufzeichnung meldete sich John T. Meyer Jr. (TeamOne Network) aus den USA und gab, mit etlichem originalem Videomaterial, einen Überblick über Fälle, in denen Polizeibeamte in einen, entweder geplanten oder aus der Situation entstandenen Hinterhalt (Ambush) gelockt wurden. In statistischer Darstellung wurden Profile von Tätern und Opfern geboten und letztlich dargestellt, welche Lehren gezogen werden können. Wie so oft: „Routine kills“. Oder: „The body cannot go where the mind has not been“. Man muss sich stets vor Augen halten, was passieren könnte. Angriffen aus dem Hinterhalt zu begegnen, wurde am zweiten Veranstaltungstag praktisch geübt (Station 3).

Verhaltenserkennung.

„Wahrnehmung ist ein hochkomplexer Vorgang, der zu einer Person wie ein Fingerabdruck gehört“, führte Sandra Adiarte, Bond University Australien, aus. Einschätzung und folgerichtiges Erfassen einer Situation, etwa, wie jemand unter Drogen, Alkohol, Psychosen, reagiert, ist daher von Person zu Person verschieden. Ebenso auch die Auswertung von Videodateien etwa von Bodycams, die immer nur Ausschnitte komplexer Vorgänge zeigen. Es sollte eine zentrale Auswertung erfolgen.
Mit der Frage, was eigentlich das berühmte „Näschen“ des Kriminalisten oder sein „Bauchgefühl“ bei der Einvernahme eines Verdächtigen ausmacht, befasst sich die Polizeiliche Verhaltenserkennung, in den USA als Behavior Detection Analysis (BDA) bezeichnet oder in Kanada als Behavior Pattern Recognition. Durch Analyse des beobachtbaren nonverbalen Verhaltens, Bewegungen, Gestik, Mimik des Gegenübers, können entsprechende Schlüsse gezogen werden, schilderten Ralf Krüger und Cornelia Rott (RKS Rott Krüger Sicherheit) die eingesetzten Techniken. Lügen ist insofern anstrengend, als die Wahrheit unterdrückt werden muss. Unser Kurzzeitgedächtnis kann lediglich fünf bis sieben Fakten behalten. Beim Lügen steigert sich der Erregungszustand (arousal) und wird über unbewusste stereotype Handlungen wie Herumnesteln, Kratzen am Kopf, Hals oder Kinn, Handbewegungen, abzuführen versucht. 

Im öffentlichen Raum

Übung der Sondereinheit Cobra: „Man muss sich stets vor Augen halten, was passieren könnte.“
Übung der Sondereinheit Cobra: „Man muss sich stets vor
Augen halten, was passieren könnte.“
© Gerd Pachauer

Im öffentlichen Raum gilt es, beispielsweise bei Terrorverdacht, jene zu erkennen, deren Verhalten sich von dem der anderen abhebt. Beispielsweise ist auf einem Foto inmitten einer fröhlichen Menschenmenge als einziger ein Mann mit einem angespannt wirkenden Gesichtsausdruck zu sehen – John Hinckley Jr., der wenig später das Attentat auf Ronald Reagan verübte.
Für den öffentlichen Raum muss zunächst bestimmt werden, was als „normales“ Verhalten anzusehen ist (Fixierung einer Baseline). Darauf aufbauend könnten beispielsweise KI-gestützte Systeme Abweichungen im Verhalten einzelner Personen feststellen. Schon einige Jahre zuvor war von PiD („PiD forscht“) am Hamburger Flughafen mit Studenten ein verhaltenspsychologisches Experiment dahingehend unternommen worden, dass sie eine Tätigkeit durchzuführen hätten, die durchaus die Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane am Flughafen auf sie lenken könnte, mit nicht absehbaren Folgen. Es wurde beobachtet und in einem Video festgehalten, wie sich die, emotional unter Druck stehenden Probanden im Gewühl der Passagiere verhalten und von diesen abgehoben haben. Diesmal wurden in das Messegeschehen Personen eingeschleust, die sich in irgendeiner Weise abweichend verhalten sollten. Die Teilnehmer am praktischen Training (Station 1) hatten die Aufgabe, sich selbst unter das Messepublikum zu mischen und diese Personen herauszufinden. Die Ergebnisse wurden im Plenum diskutiert, vor allem dahingehend, wodurch diese Personen auffällig erschienen sind. Die Station 3 des praktischen Trainings hatte die Abwehr von Angriffen und den Zugriff in der Kurz- und Mitteldistanz zum Inhalt. 

Suizide.

In einer Videoaufzeichnung berichtete Steve Johnson über Selbstmorde von Polizisten in den USA. Eine Statistik über die Jahre 2017 bis 2021 zeigt, dass im Durchschnitt die Zahl der Suizide ungefähr so hoch war wie die der auf andere Weise im Dienst ums Leben gekommenen Polizisten.
Harald Wilmin, Oberstleutnant i. R. der französischen Polizei, berichtete, dass sich in Frankreich im Durchschnitt der letzten 25 Jahre jährlich 44 Polizisten das Leben nehmen würden. 2021 wurde mit dem Aufbau eines Netzwerkes von Polizisten begonnen, die, psychologisch geschult, ihren Kollegen bei psychischen Problemen zur Seite stehen können.
Den Abschluss der Referate des ersten Veranstaltungstages bildete ein Videobericht von Albert Lee, Hongkong, über die gewalttätigen Demonstrationen in Hongkong aus polizeilicher Sicht.                   

Kurt Hickisch


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2022

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