Justizgeschichte

Des Scharfrichters Neffe

Würgegalgen (Exponat im Wiener Kriminalmuseum): Von 1873 bis 1918 und im Ständestaat von 1934 bis 1938 in Österreich in Gebrauch.
Würgegalgen (Exponat im Wiener
Kriminalmuseum): Von 1873 bis 1918
und im Ständestaat von 1934
bis 1938 in Österreich in Gebrauch.
© Werner Sabitzer

Josef Lang, der berühmteste und letzte k. k. Scharfrichter in Wien, hatte einen Neffen, der ab 1933 im Ständestaat ebenfalls als Henker tätig war. Johann Lang kam in einem NS-Konzentrationslager um.

Als der bekannte Wiener k. k. Scharfrichter i. R. Josef Lang im Februar 1925 begraben wurde, begleitete den Toten eine unüberblickbare Menschenmenge zu seiner letzten Ruhestätte. Scharfrichter wurden üblicherweise wie Abdecker an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Lang war es trotz seiner Henkerstätigkeit in der Monarchie gelungen, zu einem geachteten Bürger und Besitzer mehrerer Auszeichnungen zu werden. Er betrieb ein Kaffeehaus in Simmering, in dem der damalige Scharfrichter Karl Selinger Stammgast war. Dieser konnte den Cafétier dazu überreden, ihm bei seinen Hinrichtungen als Gehilfe beizustehen. Nach dem Tod Selingers wurde Lang im Februar 1900 zum neuen k. k. Scharfrichter von Wien ernannt; er verkaufte sein Kaffeehaus, denn einem Staatsangestellten war es nicht gestattet, ein selbstständiges Gewerbe zu betreiben. Trotz seiner neuen Funktion blieb Lang ein geachteter und geschätzter Bürger Simmerings.

Todesstrafe im Standrecht.

Am Nachmittag des 3. Oktober 1933 schoss der 22-jährige Wiener Rudolf Drtil mit einem Revolver zweimal auf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Der Kanzler wurde am Oberarm verletzt. Als Folge dieses Attentats wurde am 10. November 1933 das Standrecht und damit die Möglichkeit der Todesstrafe wieder eingeführt. Das Standrecht trat am nächsten Tag in Kraft und galt für Mord, Brandstiftung und für das Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit. Angewandt werden konnte das Standrecht an Straftätern, die auf frischer Tat betreten wurden oder deren Schuld ohne Verzug feststellbar war. Das Verfahren wurde von einem aus vier Richtern und einem Staatsanwalt bestehenden „fliegenden Senat“ am Oberlandesgericht Wien geführt und dauerte längstens drei Tage. Bei einstimmiger Schuldbejahung wurde das Todesurteil ausgesprochen und innerhalb von drei Stunden vollstreckt. Gegen das Urteil war kein Rechtsmittel zulässig, einzig eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten war möglich. Für die Exekutionen wurde ein neuer Scharfrichter benötigt. Diesen gab es bereits. Johann Lang, ein Neffe des Ex-Henkers Josef Lang war schon Ende Juli 1933 als Scharfrichter angestellt worden, mehr als drei Monate vor der Einführung der Todesstrafe im Standrecht.
Johann Lang war Rayonsinspektor bei der Wiener Sicherheitswache, trat aber aus dem Polizeidienst aus und arbeitete in einem Bankinstitut und später als Inkassant bei der Arzneimittelfirma Chemosan AG. Er war verheiratet und hatte fünf Kinder. Er bekam den Posten als Scharfrichter, weil er seinem Onkel mehrmals als Gehilfe bei Hinrichtungen zur Seite gestanden war und sich keine anderen geeigneten Personen gefunden hatten.
Johann Lang wollte im Gegensatz zu seinem Onkel anonym bleiben. Deshalb wurde bei der Vertragsunterzeichnung Geheimhaltung vereinbart. Er arbeitete auf Basis eines Werkvertrags, mit dem seine Bezüge und seine Tätigkeit geregelt wurden. Für eine Hinrichtung sollte Lang 150 Schilling erhalten, seine Gehilfen mussten von ihm bezahlt werden. Die ihm staatlich zugesicherte Anonymität konnte nicht eingehalten werden. Als Lang nach Einführung des Standrechts den Galgenhof im Landesgericht Wien besichtigte, wurde er von einem Fotografen abgelichtet. In den nächsten Tagen erschien Langs Foto in mehreren Zeitungen und die Identität des neuen Henkers war nun bekannt. Lang und seine Familie wurden bedroht; sein Haus im dritten Wiener Bezirk musste von der Polizei bewacht werden. Lang wurde nach Bekanntwerden seines „Zusatzjobs“ als Scharfrichter bei der Chemosan AG nicht mehr als Inkassant, sondern als Hilfsarbeiter verwendet. Kurz darauf wurde das Dienstverhältnis einvernehmlich gelöst. Johann Lang zeigte den Fotografen und die Zeitungsjournalisten, die sein Foto veröffentlicht hatten wegen Urheberrechtsverletzung an. Das Verfahren endete Ende April 1934 mit dem Freispruch aller Angeklagten.

Erste Hinrichtung.

„Galgenhof“ im Landesgericht Wien.
„Galgenhof“ im Landesgericht
Wien. © Archiv

Der erste „Klient“ Johann Langs war der aus dem steirischen Ort Aflenz stammende Peter Strauss. Der geistig und körperlich behinderte Bauernknecht und Gelegenheitsarbeiter war beschuldigt worden, einen Heustadel angezündet zu haben. Bei der Brandstiftung hatte es zwar keine Toten und Verletzten gegeben, dennoch wurde Strauss standrechtlich zum Tod verurteilt. Die Zeit war Anfang der 1930er-Jahre innenpolitisch brisant; es gab Hunderte Sprengstoff- und Brandanschläge in Österreich, vor allem durch Nationalsozialisten. Lang vollstreckte das Urteil am 11. Jänner 1934 auf dem Würgegalgen im Hof des Landesgerichts Graz.
Der Würgegalgen wurde in Österreich seit 1873 verwendet. Er bestand aus einem Holzpfahl, an dem eine kurze Doppelschnur befestigt war. Der Delinquent wurde mit dem Rücken an den Pfahl gestellt. Der Scharfrichter bestieg die an den Galgen gelehnte Treppe und legte die Schlinge um den Hals des Verurteilten. Die Helfer des Henkers zogen auf sein Zeichen an den Schultern des Verurteilten kurz und kräftig nach unten, worauf durch die Sperre der Blutzufuhr in das Gehirn Bewusstlosigkeit eintrat. Danach erstickte der Delinquent.
Nach den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Februar 1934 wurden viele Todesurteile verhängt und 20 davon vollstreckt. Da sich Johann Lang Mitte Februar 1934 in Klagenfurt befand, um das Standgerichtsurteil gegen den 33-jährigen Landwirt Bärnthaler abzuwarten, wurde in Wien ein Ersatzhenker unter Vertrag genommen, der einige führende Putschisten hinrichtete. Während in Klagenfurt im Fall Bärnthaler, der seine Frau ermordet hatte, der Galgen bereits aufgebaut worden war, beschloss das Standgericht, den Fall in das ordentliche Verfahren überzuleiten.
Nach dem Putsch der Nationalsozialisten und der Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß am 25. Juli 1934 richtete Johann Lang 13 Aufrührer hin, darunter die Anführer Franz Holzweger und Otto Planetta, der den Kanzler erschossen hatte. Johann Lang hatte bei den Hinrichtungen zwei Helfer: einen Fiakerfahrer und einen Markthändler.

„Würger des Schuschnigg-Systems“.

Johann Lang: Scharfrichter im Ständestaat.
Johann Lang: Scharfrichter im
Ständestaat. © Archiv

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im März 1938 in Österreich wurde der inzwischen 60-jährige Johann Lang als Repräsentant des verfeindeten Ständestaat-Regimes am 20. März 1938 von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Sein Sohn Hans, ein Justizwachebeamter im Jugendgerichtshof, kam ebenfalls ins KZ. Die Gestapo verhaftete auch den jüngeren Sohn Karl. In der nationalsozialistischen Presse wurde Johann Lang als „Bluthund Schuschniggs“ und „Würger des Schuschnigg-Systems“ bezeichnet. Sein Privatleben wurde diffamiert. Ihm wurden unredliche Geschäfte vorgeworfen, so hätte er nach Hinrichtungen den Galgenstrick oder Teile davon an Abergläubige als „Glücksbringer“ verkauft. Der ehemalige Scharfrichter kam am 22. Juni 1938 im KZ Dachau ums Leben. Die Umstände des Todes sind nicht bekannt. Sein Sohn Hans starb am 22. August 1938 im KZ Flossenburg. Die Nazi-Henker verwendeten als Hinrichtungsinstrument in Wien ein Fallbeil, das „Gerät F“. Als Scharfrichter fungierte ein niederrangiger SS-Angehöriger aus Österreich.
Nach dem Ende des nationalsozialistischen Gewaltregimes 1945 wurde neuerlich ein Scharfrichter gesucht, um nationalsozialistische Kriegsverbrecher und zum Tode verurteilte Kapitalverbrecher aufzuhängen. Man fand einen ehemaligen Gehilfen von Johann Lang, der in einem Kino arbeitete und sein Gehalt aufbessern wollte. Der alte Würgegalgen wurde wieder aktiviert und Scharfrichter Z. vollstreckte in Wien 31 Todesurteile, bis er im Sommer 1950 nach Abschaffung der Todesstrafe in Pension geschickt wurde.

Werner Sabitzer

Quellen:

  • Seyrl, Harald (Hg.): Die Erinnerungen des österreichischen Scharfrichters. Wien 1996.
  • Karny, Thomas: Der Tod des Taglöhners. Grünbach 1999.
  • Sabitzer, Werner: Lexikon der inneren Sicherheit (Polizeilexikon Österreich), Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien/Graz 2008.
  • Johann Lang – Henker im Dienste Schuschniggs. In: Österreichischer Beobachter, 1. Junifolge 1938, S. 10-14.

Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 9-10/2022

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