Interview

„Rasche Asylverfahren“

Christian Filzwieser, seit Oktober 2022 Leiter der Gruppe V/B (integrierte Grenzverwaltung, Fremdenpolizei, Asyl und Rückkehr) im Bundesministerium für Inneres, über Herausforderungen, Maßnahmen und Ziele der Gruppe.

Christian Filzwieser: „Wir brauchen auch eine konsequente Rückführungspolitik“
Christian Filzwieser: „Wir brauchen
auch eine konsequente
Rückführungspolitik“
© Privat

Welche Rolle kommt der Gruppe V/B im BMI zu?
Mit der Umstrukturierung der Sektion V am 1. Juli 2022 wurden die Aufgabenbereiche der ehemaligen Gruppen V/B (Grenzen und Fremdenpolizei) und V/C (Asyl und Rückkehr) in der „neuen“ Gruppe V/B zusammengeführt, die nun die Bezeichnung „Integrierte Grenzverwaltung, Fremdenpolizei, Asyl und Rückkehr“ trägt. Im Zuge der neuen Geschäftseinteilung wurde zwar die operative Durchführung des Abschiebemanagements in die Gruppe II/BPD – Bundespolizeidirektion überführt, die Aufgaben der Gruppe erweiterten sich jedoch insofern, als dass sich in der Abteilung V/B/7 „Fremdenpolizei, Visaangelegenheiten und ETIAS“ nun auch die nationale ETIAS-Stelle für das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) befindet. Hervorzuheben ist außerdem, dass der Gruppe V/B neben der Grundversorgung auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zugeordnet ist.
Aufgrund der Zusammenführung der genannten Aufgabenbereiche in nur mehr eine Gruppe sowie aufgrund der Vielzahl der zu behandelnden Agenden besteht zweifelsfrei ein sehr hoher Koordinierungsbedarf. Zur Erreichung eines umfassenden, belastbaren und nachhaltigen Migrationsmanagements ist eine gute Zusammenarbeit nicht nur mit der Gruppe V/A „EU und Internationales, Aufenthalt, Förderungen“ unter der Leitung meiner Kollegin Franziska Kandolf, sondern auch mit anderen Sektionen des Ministeriums, wie zum Beispiel der Generaldirektionen für öffentliche Sicherheit unabdingbar. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind das neu geschaffene Lenkungsgremium Migration und die interministerielle sowie eine internationale Kooperation.

Wie sehen Sie die aktuelle Lage im Bereich Asyl und Migration? Mit welchen Herausforderungen ist die Gruppe V/B derzeit konfrontiert?
Im Jahr 2022 wurden in Österreich über 100.000 Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Damit wurde ein neuer Rekordwert erreicht, der sogar über dem Niveau des großen Fluchtjahres 2015 lag. Über 90 Prozent der neueinreisenden (originären) Antragstellerinnen und Antragsteller gelangen über die Balkanrouten nach Österreich. Einer der Gründe, warum die Zahlen zuletzt so stark gestiegen sind, liegt in der Visa-Politik Serbiens: Staatsangehörige aus Indien, Tunesien und vieler anderer afrikanischer Staaten können bzw. konnten per Direktflug problemlos in Serbien einreisen, ohne hierfür ein Visum zu benötigen. Dies bewirkte in der Folge eine rasche Migrationsbewegung nach Österreich.
Positiv hervorzuheben ist aber, dass es seit Ende der Visafreiheit für indische und tunesische Staatsangehörige in Serbien bereits zu einem starken Rückgang hinsichtlich dieser Antragstellerinnen und Antragsteller in Österreich gekommen ist, die im Jahr 2022 noch auf Platz drei bzw. vier der Asylstatistik lagen. Sie haben de facto selten Chance auf Asyl. Zudem sorgten zuletzt die winterlichen Witterungsbedingungen für ein Abflachen des Migrationsaufkommens.
Zwar bleiben die Zahlen der in Österreich Grundversorgten stabil auf gleichem Niveau, zumal ein großer Teil der Antragstellerinnen und Antragsteller in andere Länder weiterzieht. Nichtsdestotrotz ist die Lage in den Bundesbetreuungseinrichtungen mit Hinblick auf den zu 123 Prozent ausgelasteten Belagstand (Stand 13. Jänner 2023) weiterhin massiv angespannt. Hinzu kommt, dass seit 24. Februar 2022 etwa 90.000 Vertriebene aus der Ukraine in Österreich registriert sind und dass ein baldiges Ende des Ukrainekrieges gegenwärtig (noch) nicht zu erblicken ist. Es soll an dieser Stelle allerdings auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Republik Österreich in Zusammenhang mit der Aufnahme von Ukrainern bereits Großes geleistet hat.
Eine weitere Herausforderung ist, dass Österreich als Binnenland bei zirka 75.000 von 100.000 Antragstellerinnen und Antragstellern die Erstregistrierung vornimmt. Dies zeigt, dass das europäische Asyl- und Migrationssystem nicht (von allen Mitgliedstaaten) hinreichend effektuiert wird, was nicht nur zu einer enormen Belastung des hiesigen Asylsystems führt, sondern auch ein Sicherheitsproblem für die gesamte EU darstellt.

Christian Filzwieser: „Ein zentrales Anliegen unserer Arbeit ist allgemein die Führung rascher und qualitativer Asylverfahren“
Christian Filzwieser: „Ein
zentrales Anliegen unserer Arbeit ist
allgemein die Führung rascher und
qualitativer Asylverfahren“
© Gerd Pachauer

Um mit einem Ausblick auf 2023 fortzusetzen – welche Ziele und Maßnahmen sind geplant?
Ein zentrales Anliegen ist allgemein die Führung rascher und qualitativer Asylverfahren. Die durchschnittliche Verfahrensdauer für Normverfahren beträgt derzeit 3,5 Monate. Bei bestimmten klaren Fällen (sichere Herkunftsstaaten sowie Staaten mit geringer Anerkennungswahrscheinlichkeit und keine vorgebrachten Fluchtgründe) erfolgt jedoch eine beschleunigte Verfahrensabwicklung. Hier werden bereits innerhalb von 72 Stunden nach Antragstellung alle wesentlichen Elemente des Asylverfahrens geklärt, auf die sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bei seiner Entscheidungsfindung stützt. Schnellverfahren geben die Möglichkeit, rasch zwischen Schutz- und Nichtschutzbedürftigen zu unterscheiden und so das österreichische Asylsystem zu entlasten.
In Zusammenhang mit unbegründeten Anträgen ist es allerdings auch wichtig, dass Antragstellerinnen und Antragsteller wieder in ihre Herkunftsstaaten zurückgeführt werden. Eine glaubwürdige und funktionierende Asyl- und Migrationspolitik braucht daher auch eine konsequente Rückführungspolitik. Im Sinne einer humanen und effektiven Rückführungspolitik und in Verfolgung des EU-Aktionsplanes ist die freiwillige Rückkehr Grundpfeiler der nationalen Rückkehrstrategie: Erst wenn die betreffende Person nicht freiwillig ausreist, wird er oder sie zwangsweise außer Landes gebracht.
Größte praktische Herausforderung ist dabei, die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten als notwendige Voraussetzung für Rückführungen. Daher arbeitet das Bundesministerium, gemeinsam mit Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten und dem Bundeskanzleramt, an einer Intensivierung dieser Kooperation. Erst kürzlich (am 2. Jänner 2023) vereinbarte die Republik Österreich ein umfassendes Migrations- und Mobilitätsabkommen mit Indien, das unter anderem ermöglichen soll, irregulär eingewanderte indische Staatsangehörige rascher wieder in ihren Herkunftsstaat zurückzuführen. Im Bereich der Grundversorgung wird eine partnerschaftliche Weiterentwicklung des Grundversorgungssystems angestrebt sowie ein weiterer Ausbau der Unterbringungskapazitäten. Als angestrebte Maßnahme ist hier beispielsweise die Förderung privater und organisierter Quartiergeber durch einen „Teuerungsausgleich“ zu nennen. Oberstes Ziel ist es, Obdachlosigkeit zu vermeiden.
Schließlich wird sich das Bundesministerium für Inneres für die Republik Österreich auch weiterhin verstärkt für eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) aussprechen und Forderungen nach einer größeren EU-Unterstützung für den Außengrenzschutz stellen (siehe hierzu 5-Punkte-Plan der Regierung).

Sie sind nach über fünfzehn Jahren in der Gerichtsbarkeit in das BMI gewechselt. Was waren hier Ihre ersten Eindrücke?
Zunächst möchte ich in diesem Kontext die freundliche Aufnahme im Bundesministerium für Inneres hervorheben sowie die kollegiale und wertschätzende Zusammenarbeit mit den Führungskräften unter dem Motto „Wir sind ein Bundesministerium für Inneres“. Augenscheinlich war für mich auch sogleich die hohe Kompetenz und Fachexpertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die professionelle und sachliche Herangehensweise an die vielen großen Herausforderungen. Das Team des Bundesministeriums für Inneres überzeugte mich ferner durch seine Zuverlässigkeit, sein großes Engagement, aber auch durch die Belastbarkeit in Stresssituationen. Ich freue mich auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit!

Was bringen Sie in das Bundesminis terium für Inneres ein?
Vor allem meine jahrzehntelange juristische Berufserfahrung im Asyl- und Fremdenwesen und mein dadurch erworbenes Fachwissen. Auch bin ich mit den handelnden Akteuren im Asylbereich (Behörden, NGOs) gut vertraut. Aufgrund meiner langjährigen Funktion als Kammervorsitzender der Kammer A im Bundesverwaltungsgericht (BVwG) und meiner dortigen Tätigkeit als Koordinator für den Bereich Fremdenwesen und Asyl, glaube ich außerdem, mit der Verantwortung und den Herausforderungen, die mit der Leitung einer Gruppe einhergehen, entsprechend umgehen zu können.
Abschließend möchte ich betonen, dass ich – so wie bereits in meiner Tätigkeit als Verwaltungsrichter – selbstverständlich die Rechtsstaatlichkeit und die Integrität des Verwaltungshandelns immer hochhalten werde, zumal dadurch das gesamte Staatswesen profitiert und dies gerade in einem derart sensiblen Bereich wie dem Migrationswesen besonders wichtig ist. Insofern fühle ich mich im Bundesministerium für Inneres, das diese Sichtweise teilt und lebt genau am richtigen Platz.

Interview: Eva-Teresa Steinbauer

Zur Person

Dr. Christian Filzwieser wuchs in der Obersteiermark auf und studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, wo er 1997 zum Doc. Iur. promovierte. Nach seiner Gerichtspraxis absolvierte er zudem ein Postgraduate-Studium an der London School of Economics & Political Science (MSc. Theory & History of International Relations). Seit 1999 ist er im österreichischen Asyl- und Fremdenwesen tätig. Er arbeitete von 1999 bis 2003 im Bundesasylamt Außenstelle Wien und von 2003 bis 2006 als Leiter in der Grundsatz- und Dublinabteilung in der Bundesasylamt Zentrale. Daraufhin wechselte er als Senatsmitglied zum Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) und 2008 als Richter an den Asylgerichtshof. Seine Laufbahn als Richter setzte er von 2014 bis Oktober 2022 am BVwG fort, wo er auch als Kammervorsitzender und Koordinator für den Fachbereich Fremdenwesen und Asyl tätig war. Seit 17. Oktober 2022 leitet Dr. Christian Filzwieser die Gruppe V/B (Integrierte Grenzverwaltung, Fremdenpolizei, Asyl und Rückkehr) im BMI. Er ist außerdem stellverstretender Vorsitzender des Beirats der Staatendokumentation, Verfasser zahlreicher Fachpublikationen (e.g. Kommentar zum Asyl- und Fremdenrecht) und Mit-Herausgeber des Jahrbuchs Fremdenwesen und Asyl, das seit 2016 jährlich erscheint.

Gruppe V/B

Struktur und Aufgaben

Die Aufgaben der Gruppe V/B sind auf fünf Abteilungen verteilt:

  • Die Abteilung V/B/6 „Integrierte Grenzverwaltung“ beschäftigt sich mit rechtlichen und strategischen Angelegenheiten der Grenzverwaltung, einschließlich jener im Rahmen der Europäischen Grenz- und Küstenwache (Frontex). Dies reicht von Verhandlungen mit Nachbarstaaten zur Schaffung von Grenzübergangsstellen bis zur Entwicklung und Umsetzung von Strategiedokumenten zum Integrierten Grenzmanagement. Hierzu werden Grundsatzfragen beantwortet, Leitlinien erstellt und die intra- und interministerielle Koordination der nationalen Umsetzung sämtlicher Komponenten auf diesem Gebiet vorgenommen. Der Abteilung obliegt außerdem die Fachaufsicht gegenüber den Landespolizeidirektionen in Angelegenheiten der integrierten Grenzverwaltung. Außerdem vertritt sie das Bundesministerium im Rahmen des Frontex-Verwaltungsrates sowie in mehreren EU-Ratsarbeitsgruppen. Operative Aufgaben werden von der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vollzogen.
  • Die Abteilung V/B/7 „Fremdenpolizei, Visaangelegenheiten und ETIAS“ übt die Fachaufsicht über die Landespolizeidirektionen und die österreichischen Vertretungsbehörden in fremdenpolizeilichen bzw. Visaangelegenheiten aus. In Visaangelegenheiten ist sie mit Leitlinien und Koordination einschließlich der Erarbeitung zwischenstaatlicher Vereinbarungen betraut. Weiters ist die Abteilung für Rückübernahmeabkommen mit EU- und Nachbarstaaten, Durchlieferungen und Durchbeförderungen zuständig. In der Abteilung ist nun auch die nationale ETIAS-Stelle für das europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem angesiedelt. Dabei handelt es sich um eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung für Reisende in die EU, die von der Visumpflicht befreite Drittstaatsangehörige betrifft. Das System soll noch 2023 in Betrieb gehen (Stand Jänner 2023).
  • Die Abteilung V/B/8 „Asyl“ ist für grundsätzliche Angelegenheiten des Asyl- und Fremdenwesens zuständig, einschließlich interministerieller und internationaler Kooperation. Ihr obliegen alle rechtlichen Angelegenheiten im Asylbereich und sie hat die Fachaufsicht im Hinblick auf die Vollzugskompetenzen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Weiters in den Aufgabenbereich fallen die Verhandlungen zu den Rechtsakten für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Darüber hinaus erstellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Abteilung beispielsweise die öffentlichen Asylstatistiken. Sie ist auch zentrale Stelle für Asyl- und Migrationsanalysen sowie Kontaktstelle für EUROSAT und der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA).
  • Die Abteilung V/B/9 „Grundversorgung“ befasst sich mit Aufgaben der Grundversorgung im Zuständigkeitsbereich des Bundes, inklusive Angelegenheiten der BBU GmbH. Hier befindet sich auch die Geschäftsstelle des Bundes-Länder-Koordinationsrats, also jenes Gremiums, welches sich der partnerschaftlichen Lösung von Problemen widmet. Diese können sich etwa aus aktuellen Anlassfällen oder der Auslegung der Grundversorgungsvereinbarung gemäß Art. 15a B-VG ergeben. Zur Vermeidung von Missbrauch bzw. des ungerechtfertigten Bezugs von Leistungen werden durch das hierfür zuständige Referat auch regelmäßig Leistungskontrollen durchgeführt.
  • Der Abteilung V/B/10 „Rückübernahme, Reintegration und Qualitätsentwicklung“ obliegen sämtliche Aufgaben im Zusammenhang mit dem österreichischen Rückkehr-System sowie der Qualität, Aus- und Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in asyl- und fremdenrechtlichen Belangen. Freiwilliger Rückkehr wird grundsätzlich stets Vorrang eingeräumt. Diese wird gezielt gefördert und unterstützt – unter anderem durch entsprechende Reintegrationsangebote. Erfolgreiche Außerlandesbringungen sind in besonderem Maße von der Kooperation der Herkunftsstaaten abhängig. Daher zählen der Auf- und Ausbau der Rückkehr-Drittstaatskooperation unter Nutzung gesamtstaatlicher Synergien sowie Verhandlungen von Rückübernahmeabkommen / sonstigen Vereinbarungen zu den weiteren Arbeitsschwerpunkten. Die Aktivitäten der Abteilung erfolgen in enger Koordination mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen. Zudem bringt sich die Abteilung proaktiv auf europäischer Ebene – bei EU-Institutionen sowie Frontex samt entsprechender Gremien und bei internationalen Partnern, wie IOM oder UNHCR, ein.

Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 3-4/2023

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