100 Jahre Interpol (1)

Die Vorläufer der Interpol

Vor 100 Jahren wurde in Wien die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation gegründet, später Interpol genannt. Im ersten Teil der vierteiligen Serie werden die Vorläufer der IKPO beschrieben.

Die ersten Zusammenschlüsse von Staaten zur gemeinsamen Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsformen bzw. zum Informationsaustausch waren die Mainzer Büros und die Konferenz von Rom 1898. Sie dienten aber nicht der Bekämpfung allgemeiner Kriminalitätsformen, sondern hatten staatspolizeilichen bzw. nachrichtendienstlichen Charakter. Bis dahin war man auf guten Willen und die Tätigkeit der diplomatischen Vertretungen angewiesen.

Mainzer Zentraluntersuchungskommission 1819.

Am 23. März 1819 erstach der radikale Burschenschafter Karl Ludwig Sand in Mannheim den bekannten Schriftsteller August von Kotzebue, der sich Russland angedient und den Patriotismus der deutschen Studenten verspottet hatte. Als Reaktion auf den Mord und aus Angst vor einer Revolution lud Österreichs Außenminister Klemens Wenzel Lothar von Metternich-Winneburg zu Beilstein (1773 – 1859) im August 1819 Vertreter des „Deutschen Bundes“ nach Karlsbad in Böhmen ein, wo Maßnahmen zur Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Strömungen beschlossen wurden, darunter strengere Regeln für die Zensur und die Universitäten („Karlsbader Beschlüsse“). Den Burschenschaften wurden die politische Tätigkeit verboten und die Autonomie der Universitäten stark eingeschränkt. Metternich zählte zu den führenden Staatsmännern in Europa. Beim Wiener Kongress, bei dem die politische Neuordnung Europas beschlossen wurde, hatte er die führende Rolle gespielt.
Die vier Karlsbader Beschlüsse der Vertreter von zehn deutschen Staaten wurden am 20. September 1819 von der Bundesversammlung als Bundesbeschlüsse angenommen. Unter anderem wurden die Universitäten und die Presse der Zensur unterworfen. Ein Beschluss betraf die Bildung einer Zentraluntersuchungskommission des Deutschen Bundes in Mainz mit weitreichenden Befugnissen zur Ermittlung „der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen“. Für die polizeiliche und gerichtliche Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse waren die Einzelstaaten zuständig. Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission, die „hochverräterische Umtriebe“ erkennen und verhindern sollte, stellte ihre Tätigkeit 1828 ein. Nach der Revolution 1848/49 wurden die Karlsbader Beschlüsse aufgehoben.

„Mainzer Zentralpolizei“.

Staatskanzler Klemens Fürst Metternich
Staatskanzler Klemens
Fürst Metternich
© Gemälde (Ausschnitt) von
Thomas Lawrence um 1820,
Original im Kunsthistorischen
Museum Wien

Klemens Fürst Metternich, seit 1821 Haus-, Hof- und Staatskanzler Österreich-Ungarns, baute in seinen Bemühungen, liberale und revolutionäre Bewegungen zu bekämpfen, in Europa ein Netz von Spitzeln („Konfidenten“) auf. Die geheime Polizei wurde ausgebaut, es gab „Schwarze Kabinette“, jährlich wurden 15.000 Briefe heimlich geöffnet und die österreichischen Dechiffreure in der Geheimen Ziffernkanzlei galten als die besten der Welt.
Nach der Juli-Revolution 1830 in Frankreich kam es auch in Deutschland zu Auseinandersetzungen. In Braunschweig steckten Aufständische 1830 das Schloss in Brand, 1833 gab es Unruhen in Frankfurt am Main. Anfang 1833 erfuhr Fürst Metternich, dass liberale Kräfte geplant hätten, in Frankreich, Baden, Württemberg, Hessen und in der Rheinpfalz eine rheinische Republik zu schaffen – unter dem Schutz Frankreichs. Metternich beriet sich mit Regierungsvertretern von Bayern, Preußen und Württemberg und man kam überein, eine gemeinsame polizeiliche Überwachungsstelle zu betreiben. Kurz darauf wurde in Mainz eine geheime Dienststelle eingerichtet – die „Mainzer Zentralpolizei“, wie sie von Metternich bezeichnet wurde. Die Zentralpolizei agierte innerhalb des Deutschen Bundes und wurde von der Bundespräsidialmacht betrieben, es war aber kein Nachrichtendienst des Deutschen Bundes, sondern eine Einrichtung Metternichs, die von der Polizeihofstelle in Wien finanziert wurde.
Karl Noé, Oberkommissär der Wiener Polizei-Oberdirektion, war der erste Vertreter Österreichs im neuen Mainzer Büro. Er wurde von zwei Wiener Konzeptsbeamten unterstützt. Im September 1833 wies Metternich Noé an, das Büro nach Frankfurt am Main zu verlegen. Dort gab es schon früher einen von der österreichischen Gesandtschaft eingerichteten geheimen Ausforschungsdienst. Mitte 1834 verlegte Noé die Zentralpolizei wieder nach Mainz; die Übersiedlung nach Frankfurt hatte sich nicht bewährt. Von Mainz aus wurde ein ausgedehntes Konfidentennetz gesponnen – mit Kontakten nach Frankreich, Belgien, England, Italien, Spanien und in die Schweiz. Noé lieferte er aber über die Bundes-Präsidialgesandtschaft an Metternich. Umgekehrt erhielt Noé von der Staatskanzlei, die dem Außenministerium unterstand, zusammenfassende Darstellungen der Gesandtschaftsberichte.

Karl Noé, Leiter der „Mainzer Zentralpolizei“
Karl Noé, Leiter der
„Mainzer Zentralpolizei“
© Polizeiarchiv Wien

Die Mitarbeiter des Mainzer Büros informierten die kooperierenden Regierungen unter anderem über liberale und revolutionäre Strömungen. Es gab V-Leute in Mainz, Leipzig, Frankfurt, Straßburg, Paris und in der Schweiz. Observiert wurden liberale Schriftsteller, darunter Heinrich Heine, der in Paris lebte. Metternich versuchte, die Zusammenarbeit mit der französischen Polizei zu forcieren. Noè war deshalb zweimal in Paris, sein Mitarbeiter Josef Clannern von Engelshofen blieb längere Zeit in Frankreich, um Nachrichten auszutauschen. Nach einigen Monaten der Zusammenarbeit kamen dem französischen Innenminister Bedenken, und der Informationsaustausch mit Österreich wurde beendet. Karl Noé wurde wegen seiner Verdienste 1836 in den Adelsstand erhoben („Edler von Nordberg“). Am 23. Oktober 1841 wurde er als Leiter der Mainzer Zentralpolizei abgesetzt; Nachfolger wurde im November 1841 sein Mitarbeiter Clannern von Engelshofen. Diesem wurde zur Unterstützung Wilhelm Kowarz zugeteilt, ein Rechtspraktikant der Wiener Polizei-Oberdirektion. Nach dem Abgang Noés wurde die Dienststelle „Mainzer Informations-Bureau“ genannt. Noé wurde 1847 Leiter der Polizeidirektion Innsbruck, 1848 Leiter der Polizeidirektion Linz und im Februar 1849 Stadthauptmann (Polizeidirektor) in Wien. Ab Dezember 1850 war er im Innenministerium tätig.
Die umfangreiche und grenzüberschreitende geheimdienstliche Tätigkeit Metternichs konnte die Revolution 1848 nicht verhindern. Als Folgen der Revolution musste Metternich am 13. März 1848 Österreich verlassen und das Mainzer Informations-Bureau wurde im April 1848 aufgelöst. Die Unterlagen des Büros wurden vernichtet und die Konfidenten erhielten eine Abfindung.

„Polizeivereine“.

1836 versuchten Baden und 1851 Österreich und Preußen, eine eigene zentrale Polizei des Deutschen Bundes einzurichten. Beide Vorhaben scheiterten am Widerstand Bayerns, das eine Einschränkung der staatlichen Souveränität befürchtete. Es entstanden aber „Polizeivereine“, in denen mehrere Staaten die polizeiliche Tätigkeit koordinierten und Informationen austauschten. Die Polizeivereine bestanden nur kurze Zeit.

Konferenz von Rom 1898.

Militär-Polizeiwache um 1837 in Wien
Militär-Polizeiwache um 1837 in Wien © Polizeiarchiv Wien

Im späten 19. Jahrhundert stieg die Zahl von Anschlägen und sonstigen Verbrechen durch Anarchisten in vielen Ländern an. Im Großraum Wien verübten Anarchisten 1883 und 1884 schwere Gewalttaten, darunter Raubmorde. Am 15. Dezember 1883 erschoss der Anarchist Anton Kammerer in Floridsdorf den Polizeikonzipisten Franz Hlubek und am 25. Jänner 1884 ermordete Kammerers Gesinnungsgenosse Hermann Stellmacher den Polizeiagenten Ferdinand Blöch. Nachdem der Anarchist Luigi Lucheni am 10. September 1898 in Genf Österreichs Kaiserin Elisabeth mit einer Feile in das Herz gestochen hatte, wurde dieser Mord als grenzübergreifende Sicherheitsbedrohung durch Anarchisten wahrgenommen. Auf Initiative Italiens tagten bei einer internationalen Konferenz vom 24. November bis 21. Dezember 1898 54 Delegierte aus 21 Staaten zum Thema „soziale Verteidigung gegen Anarchisten“. In der geheimen Abschlusserklärung stimmten die Teilnehmerstaaten zu, spezielle Organisationen zur Überwachung Verdächtiger des Anarchismus einzurichten. Anarchismus wurde als „gewaltsames Mittel zur Zerstörung der Organisiertheit der Gesellschaft“ definiert und Straftaten von Anarchisten sollten nicht als politische Doktrin gewertet werden, sondern als kriminelle Taten. In den Staaten wurden Gesetze gegen anarchistische Aktivisten und Organisationen erlassen.
1904 wurde bei einer Folgekonferenz in St. Petersburg von den Delegierten von zehn europäischen Staaten das „Geheimabkommen für internationalen Krieg gegen Anarchismus“ unterzeichnet. Die Staaten verpflichteten sich zur Einrichtung einer zentralen Stelle der Polizei zur Sammlung von Nachrichten über Anarchisten und ihre Aktivitäten. Die Ausweisung von Anarchisten in ihre Herkunftsländer sollte auf „kürzestem Wege“ erfolgen.
1902 einigten sich sechzehn lateinamerikanische Staaten auf einen Vertrag, der die Auslieferung von Anarchisten ermöglichte. Darunter war Paraguay, das 1909 mit Deutschland einen Auslieferungsvertrag abschloss.

Internationale Kriminalistische Vereinigung.

IKV-Gründer Franz von Liszt: Forderung nach einer Konvention zur Bekämpfung internationaler Straftaten
IKV-Gründer Franz von Liszt:
Forderung nach einer Konvention zur
Bekämpfung internationaler Straftaten
© Archiv

Im späten 19. Jahrhundert gab es einige Initiativen, die internationale Polizeikooperation zu institutionalisieren. Ein wesentlicher Impuls kam von der „Internationalen Kriminalistische Vereinigung“ (IKV), gegründet 1888 von dem aus Wien stammenden Strafrechtsprofessor Franz von Liszt (1851–1919) und zwei weiteren Rechtswissenschaftlern. Liszt war Experte auf dem Gebiet des Völkerrechts: Zwischen 1898 und 1919 erschienen elf Auflagen seines Lehrbuchs des Völkerrechts.
Hauptziel der IKV war die Reform des Strafrechts und Strafvollzugs, um das anwachsende Verbrechertum wirksamer bekämpfen zu können. „Wir leben in einer Zeit, wo sich der professionelle Dieb oder Betrüger in Paris ebenso heimisch fühlt wie in Wien oder London, wo gefälschte Rubel in Frankreich oder England produziert und in Deutschland in Umlauf gebracht werden, wo Banden von Kriminellen permanent über mehrere Länder arbeiten“, schrieb Franz von Liszt 1893. Die fast jedes Jahr abgehaltenen Versammlungen der IKV fanden in verschiedenen Staaten statt. Im Lauf der Jahre entstanden Landesgruppen in vielen Staaten Europas, in Nord- und Südamerika sowie in Ägypten und Japan.
Bei der Jahresversammlung im September 1905 in Hamburg fasste die IKV folgende Beschlüsse zur Bekämpfung des internationalen Verbrechertums:

  • Als Folgeerscheinung der modernen Verkehrsentwicklung ist ein internationales Verbrechertum entstanden, dessen Erforschung und Bekämpfung internationale Maßnahmen erfordert.
  • In sämtlichen Staaten sind Zentralstellen zur Bekämpfung des internationalen Verbrechertums einzurichten. Sie sollen den Polizeibehörden der Hauptstädte angegliedert werden und alle Nachrichten über internationales Verbrechertum sammeln und ständig zum Zwecke vorbeugender Maßnahmen wie im Interesse der Strafverfolgung austauschen. Die Zentralstellen sollen berechtigt sein, unmittelbar miteinander in Verbindung zu treten. Die Befugnis ist für alle größeren Strafverfolgungsbehörden erwünscht.
  • Die fortlaufende wissenschaftliche Aufarbeitung des bei den Zentralstellen gewonnenen Materials muss die Grundlage schaffen zur weiteren Ausgestaltung des Kampfes gegen das internationale Verbrechertum.
  • Die Versammlung beauftragt den Vorstand, bei den Regierungen die Einberufung einer internationalen Konferenz zu beantragen, die sich mit der Vorbereitung einer Vereinbarung zum Zwecke der Bekämpfung der internationalen Verbrechen und Vergehen befassen soll.

Schon im Sommer 1905 hatte die IKV-Landesgruppe Frankreich beschlossen, eine internationale Konferenz zu organisieren. Diese Konferenz sollte die Grundlagen für eine Konvention zur Bekämpfung internationaler Verbrechen und Vergehen beschließen. Beide Initiativen wurden nicht weiter verfolgt. Der Erste Weltkrieg stoppte weitgehend die Tätigkeit der IKV und 1937 wurde die IKV formell aufgelöst.

Internationale Abkommen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen grenzüberschreitende Kriminalitätsformen wie Mädchenhandel, Drogenschmuggel und Betrug zu. Das bereits dichte Eisenbahnnetz in Europa, die rege Dampfschifffahrt und die zunehmende Zahl an Automobilen begünstigten reisende Täter. Der grenzüberschreitende Mädchenhandel führte zu ersten internationalen Vertragswerken: Am 18. Mai 1904 wurde in Paris das erste „Internationale Abkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels“ unterzeichnet, dem Österreich-Ungarn im Jänner 1905 beitrat. Die Vertragspartner verpflichteten sich unter anderem, in ihrem Staat eine Behörde zu errichten, in der Informationen über die Anwerbung von Frauen und Mädchen „zum Zweck der Unzucht im Ausland“ gesammelt wurden. Zudem gab es die Verpflichtung, insbesondere Bahnhöfe und Häfen zu überwachen, um Mädchenhändler ausfindig zu machen. Am 4. Mai 1910 wurde wiederum in Paris ein weiteres Abkommen festgelegt – das „Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels“.
Die hohe Zahl an Opiumabhängigen führte dazu, dass im Jänner 1912 auf der „1. internationalen Opiumkonferenz“ in Den Haag, Niederlande, erstmals ein staatenübergreifendes Drogenkontrollabkommen beschlossen wurde. Es fehlte aber eine institutionalisierte internationale Polizeikooperation, um die grenzüberschreitende Kriminalität wirksam bekämpfen und Verdächtige in einem anderen Staat festnehmen und ausliefern zu können.

Der internationale kriminalpolizeiliche Kongress (Premier Congrès de Police Judiciaire Internationale) im April 1914 in Monaco war der erste Meilenstein in der Geschichte der weltweiten Polizeikooperation. Schon 1909 hatte es im Fürstentum eine Tagung von Polizeichefs der „Rivierastaaten“ Frankreich, Monaco und Italien gegeben – mit dem Ziel, die Polizeizusammenarbeit unter diesen Staaten zu verbessern.
Vom 14. bis 19. April 1914 tagten auf Einladung von Fürst Albert I. von Monaco etwa 300 Polizeijuristen, Strafvollzugsexperten, Strafrechtler und andere Wissenschaftler, Verwaltungsfachleute, hochrangige Kriminalbeamte, Kriminalanthropologen und andere Experten in Monaco. Da viele Staaten gezögert hatten, offizielle Delegationen zu entsenden, entschloss sich die Regierung Monacos, aus dem internationalen Kongress eine wissenschaftliche Fachtagung zu machen. Die Tagung hatte somit keinen völkerrechtlich relevanten Charakter, deshalb konnten etwa beim wichtigen Thema Auslieferung keine verbindenden Beschlüsse gefasst werden. Die Teilnehmer kamen aus Ägypten, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, El Salvador, Frankreich, Guatemala, Italien, Kuba, Mexiko, dem Gastgeberland Monaco, Österreich, Persien, Portugal, Rumänien, Russland, San Salvador, der Schweiz, Serbien, Spanien, der Türkei und Ungarn. Aus den USA nahm ein Richter teil und aus Großbritannien kamen ein Richter und drei Polizeijuristen. Den Vorsitz führte der Dekan der Juristischen Fakultät der Universität von Paris. Beim Kongress wurden vier Hauptthemen behandelt:

  • die Entwicklung geeigneter Maßnahmen zur Beschleunigung und Vereinfachung der internationalen Fahndung nach Rechtsbrechern;
  • die Verbesserung und Vereinheitlichung der erkennungsdienstlichen Methoden wie des anthropometrischen Verfahrens;
  • die Einrichtung einer internationalen zentralen Aktenhaltung (Strafregister);
  • sowie die Angleichung des Auslieferungsverfahrens.

Es gab zahlreiche Vorträge und Diskussionen über wichtige Aspekte der Forschung zum Thema internationales Verbrechen und seiner Bekämpfung.
Die Kongressteilnehmer beschlossen – unter Vorbehalt der Zustimmung der Regierungen – die Einrichtung einer gemeinsamen Institution, die für die Zentralisierung von Auskünften und die Unterstützung der Polizeibehörden aller Länder zuständig ist – eventuell mit Sitz in Paris. Die Polizeibehörden sollten zudem einfacher und direkter untereinander in Kontakt treten dürfen, Polizeiwissenschaft wurde als Bestandteil des rechtswissenschaftlichen Studiums empfohlen, ebenso eine bessere wissenschaftliche Ausbildung der Kriminalbeamten. Geplant waren unter anderem die Ausarbeitung einer „signaletischen Karte“ und eines einheitlichen Registrierverfahrens, die Einrichtung eines internationalen Zentralstrafregisters sowie eine Definition des Begriffs „internationaler Verbrecher des gemeinen Rechts“. Die vorläufige Verhaftung von geflüchteten Straftätern sollte auf – in dringenden Fällen auch telefonisches oder telegrafisches – Ersuchen derjenigen Justizbehörde möglich sein, in derem Land die Straftat begangen worden war. Vertreter von Fachvereinigungen sollten ein Vertragsmodell für die Auslieferung ausarbeiten. Beim Kongress wurde erörtert, Esperanto als allgemeine Sprache für den internationalen Fahndungsverkehr einzuführen. Die junge Kunstsprache war aber noch nicht weit verbreitet, deshalb wählten die Delegierten Französisch als Übergangssprache.
Die Monaco-Initiative wurde wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht weiter verfolgt, aber Esperanto gewann nach Kriegsende als mögliche internationale Verkehrssprache der Polizei an Bedeutung. Beim Kongress in Monaco beschlossen die Delegierten die Einrichtung einer Kommission und die Abhaltung einen Folgekongresses. Damit wurde der Grundstein für eine dauernde Organisation der internationalen Polizeizusammenarbeit geschaffen. Zum Folgekongress im August 1916 in Bukarest kam es aber wegen des Ersten Weltkriegs nicht mehr.

Weitere Polizeikonferenzen.

Internationaler Polizeikongress 1914 in Monaco: Programmheft
Internationaler Polizeikongress
1914 in Monaco: Programmheft
© Archiv

Bei der deutschen Polizeikonferenz in Berlin 1912 wurden unter anderen internationale Fragen behandelt, wie die Verbesserung und Vereinheitlichung der Bekämpfung des schweren und reisenden Verbrechertums sowie Probleme des unmittelbaren Verkehrs mit ausländischen Polizeibehörden. Delegierte forderten die Zulässigkeit des Direktverkehrs für alle Fälle der Verhütung, Erforschung und Aufklärung schwerer Verbrechen. Dazu sollten die Länder jeweils eine Behörde nennen, über die der unmittelbare Informationsaustausch erfolgen sollte. Diese Behörden sollten unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein, Mitfahndungs- und Festnahmeersuchen auszustellen sowie für eine Auslieferung einen Haftbefehl zu erwirken und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die ersuchte Behörde sollte alle Fahndungsergebnisse der ersuchenden Behörde auf kürzestem Weg mitteilen. Außerdem sollten weitere Maßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen möglich sein – in Abstimmung mit dem inländischen Recht.
Auch bei anderen Polizeikongressen wurde die Notwendigkeit einer besseren Kooperation der Polizei über die Grenzen hinweg betont, etwa 1905 in Buenos Aires, 1909 und 1912 in Sao Paulo und 1913 in Washington. Bei diesen Tagungen waren sich die Teilnehmer einig, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität unzureichend seien und dass es notwendig sei, das Auslieferungsverfahren und das Fahndungswesen zu reformieren.

Initiativen nach dem Ersten Weltkrieg.

Nach dem Ersten Weltkriegs entstanden neue Formen der grenzüberschreitenden Kriminalität; eine verstärkte und institutionalisierte länderübergreifende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden erschien notwendig. Im Dezember 1919 versuchte Marius Cornelis van Houten, Kommandant der niederländischen Gendarmerie, mit einem Brief an die Polizeibehörden bedeutender Länder, eine Konferenz für internationale Verbrechensbekämpfung einzuberufen. Van Houten verwies in seinem Schreiben auf den Kriminalitätsanstieg als Folge des Ersten Weltkriegs und schlug vor, in allen Ländern Polizeizentralen zu errichten, die unmittelbar zusammenarbeiten und als Bindeglieder einer internationalen Zentrale fungieren sollten. Die Zentrale sollte die Aufgabe haben, die kriminalistischen Verhältnisse in allen Ländern zu erforschen und dem Völkerbundsrat Vorschläge zu internationalen Vereinbarungen zu machen, die der Vorbeugung und Bekämpfung des Verbrechertums dienen sollen. Außerdem sollte die internationale Zentrale von grenzüberschreitend agierenden Verbrechern Lichtbilder, Strafblätter, besondere Kennzeichen und andere Merkmale sammeln, ein periodisches internationales Fahndungsblatt herausgeben sowie den Polizeibehörden Auskünfte aus der Sammlung geben. Van Houtens Initiative wurde nicht weiterverfolgt; die Länder hatten nach dem Ersten Weltkrieg offenbar andere, größere Probleme.

Polizeikongress in New York.

New Yorks Polizeichef Richard E. Enright: Initiator des Polizeikongresses 1922 in New York
New Yorks Polizeichef Richard E. Enright:
Initiator des Polizeikongresses 1922 in New York © Archiv

Das nächste internationale Vernetzungstreffen gab es 1922 in New York, initiiert von New Yorks Polizeichef Richard E. Enright. Wesentliche Punkte dieses Kongresses waren die Standardisierung der Polizeisysteme und Arbeitsmethoden, eine engere Zusammenarbeit der Polizeibehörden, die Einrichtung eines Zentralpolizeibüros für den Kriminalnachrichtendienst und eines Nachrichtenaustauschdienstes über Verbrecher, sowie die Einführung einer zweckmäßigen Kontrollmethode bei grenzüberschreitender Kriminalität. An diesem Kongress nahmen nur Delegierte aus Amerika teil, deshalb kam eine Umsetzung der Vorschläge nicht zustande. Ebenso erfolglos verlief ein internationaler Polizeikongress in New York im Jahr 1923.

IKPO 1923.

Der Durchbruch bei der Gründung einer internationalen Polizeiorganisation erfolgte beim internationalen Polizeikongress vom 3. bis 7. September 1923 in Wien, zu dem Wiens Polizeipräsident Johann Schober eingeladen hatte. Bei dieser Versammlung wurde die „Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission“ (IKPK) gegründet, die heutige Interpol.

Werner Sabitzer

Im nächsten Heft: Die IKPK von der Gründung 1923 bis 1945


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2023

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