Verkehrsrecht

Straßenverkehr und Recht

Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zu den Themen Nichtanhalten vor einer Eisenbahnkreuzung, Anwendungsbereich eines Halte- und Parkverbots sowie Mehrfachbestrafung bei Gesamtgewichts- und Achslastüberschreitungen.

Nichtanhalten vor einer Eisenbahnkreuzung

Bei einer Eisenbahnkreuzung mit Schranken und Lichtsignal muss ein Fahrzeuglenker grundsätzlich bereits beim erstmaligen Aufleuchten des Lichtsignals vor der Schranke anhalten
Bei einer Eisenbahnkreuzung mit Schranken und
Lichtsignal muss ein Fahrzeuglenker grundsätzlich
bereits beim erstmaligen Aufleuchten des Lichtsignals vor
der Schranke anhalten © Werner Sabitzer

Mit Straferkenntnis vom 14. Oktober 2021 verhängte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien gegen den Lenker eines Kraftfahrzeugs gemäß § 225 Abs. 3 EisbG eine Geldstrafe. Sie warf ihm vor, dass er vor einer durch Lichtzeichen mit Schranken gesicherten Eisenbahnkreuzung nicht angehalten und dadurch gegen das Haltegebot gemäß § 99 Abs. 1 Z 1 der Eisenbahnkreuzungsverordnung 2012 (EisbKrV) verstoßen habe.
Das Verwaltungsgericht Wien gab der Beschwerde des Lenkers am 25. Juli 2022 statt. Der Lenker habe sich damit gerechtfertigt, dass ihm sein Verhalten nicht vorwerfbar sei, denn als das „rote Licht“ erstmals aufzuleuchten begann, habe er wegen seiner Geschwindigkeit und seiner Entfernung von der Kreuzung ohne Notbremsung nicht mehr anhalten können. Das Straferkenntnis lasse wesentliche beurteilungsrelevante Umstände offen, unter anderem die Entfernung des Kraftfahrzeugs von der Eisenbahnkreuzung und dessen Geschwindigkeit bei erstmaligem Aufleuchten des Lichtsignals. Daher sei nicht auszuschließen, dass die Rechtfertigung des Lenkers zutrifft. Wegen berechtigter Zweifel an der Verwirklichung des Tatbestandes sei das Straferkenntnis aufzuheben.
Die Landespolizeidirektion Wien legte Amtsrevision ein und war erfolgreich. Aus der Begründung des VwGH: Ob die Rechtfertigung des Lenkers zutreffe, hänge davon ab, wie die Eisenbahnkreuzung gesichert war. Zu den nach alter Rechtslage errichteten Eisenbahnkreuzungen, die nur aufgrund der Übergangsbestimmung des § 102 Abs. 1 EisbKrV fortbestehen und ausschließlich durch rot blinkendes Licht gesichert sind, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Lenker grundsätzlich bereits bei erstmaligem Aufleuchten des Lichtsignals vor der Schranke anzuhalten hat. Ist ihm dies wegen der Entfernung, in der er sich bei erstmaligem Aufleuchten des Signals zum Schranken befindet, auch bei angemessener Geschwindigkeit nicht möglich, so hat er die Kreuzung zu übersetzen. Eine Strafbarkeit scheidet dann mangels Vorwerfbarkeit aus (Erkenntnis vom 11.5.1983, 82/03/0195).
Auf Eisenbahnkreuzungen, die gemäß der geltenden EisbKrV errichtet wurden und daher zunächst durch gelbes und erst danach durch rotes, jeweils nicht blinkendes Licht gesichert sind, lässt sich dies jedoch nicht ohne Weiteres übertragen. Denn ein die Strafbarkeit ausschließendes Übersetzen solcher Kreuzungen im Ausnahmefall ist bei solchen Kreuzungen nur vorgesehen, solange das gelbe und nicht bereits das rote (nicht blinkende) Licht aufleuchtet (§ 99 Abs. 1 zweiter Satz EisbKrV).
Das angefochtene Erkenntnis enthält weder zur Art der Sicherung noch zur Entfernung des Lenkers von der Eisenbahnkreuzung bei erstmaligem Aufleuchten des Lichtsignals und zu seiner Geschwindigkeit ausreichende Feststellungen. Das Verwaltungsgericht hat daher seine Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhalts verletzt, weshalb das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.

VwGH Ra 2022/03/0229, 23.1.2023

Halte- und Parkverbot: Anwendungsbereich

Unmittelbar nach Aufladen eines Elektrofahrzeugs in einer Halte- und Parkverbotzone muss der Lenker wegfahren
Unmittelbar nach Aufladen eines
Elektrofahrzeugs in einer Halte- und
Parkverbotzone muss der Lenker
wegfahren © Werner Sabitzer

Mit Straferkenntnis vom 2. September 2021 verhängte der Magistrat der Stadt Wien gegen den Lenker eines Elektrofahrzeugs gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe. Die Behörde warf ihm vor, er habe im Bereich eines Halte- und Parkverbotes während eines bestimmten Zeitraums sein Fahrzeug abgestellt und aufgeladen. Auf die mit einer Zusatztafel kundgemachte Ausnahme für Elektrofahrzeuge während des Ladevorgangs (§ 54 Abs. 5 lit. m StVO) könne er sich nicht berufen, weil er die für einen Ladevorgang zu veranschlagende Zeit weit überschritten habe.
Das Verwaltungsgericht Wien gab der Beschwerde statt und hob das Straferkenntnis auf. Es stellte fest, dass die Energiezufuhr, wie sich aus einer vom Fahrzeughersteller zur Verfügung gestellten „App“ ergebe, um 17:24 Uhr geendet habe. Um 17:39 Uhr sei die Parkwarnleuchte angegangen, um 17:50 Uhr die Beanstandung erfolgt, um 18:07 Uhr schließlich das Fahrzeug abgesteckt und entfernt worden.
Der Ladevorgang, so das Verwaltungsgericht in der Begründung, umfasse nicht nur die Phase der Energiezufuhr, sondern auch Nachbereitungshandlungen wie das Abstecken und Verstauen der Ladevorrichtung und das Verlassen der Ladezone. Darüber hinaus widerspreche es der Lebenserfahrung, dass ein Lenker den Ladevorgang entweder bei der Ladestation abwartet oder ständig auf seiner App überwacht. Für den typischen Fall, in dem sich der Lenker während des Ladevorgangs räumlich von der Ladezone entfernt hat, sei ihm daher ein Toleranzzeitraum zuzugestehen, bis zu dessen Ablauf er die Halte- und Parkverbotszone aber jedenfalls verlassen haben muss. Ein Zeitraum von knapp 45 Minuten zwischen dem Abschluss der Energiezufuhr und dem endgültigen Verlassen des Halte- und Parkverbotes sei noch angemessen und daher von der Ausnahme gemäß § 54 Abs. 5 lit. m StVO gedeckt.
Der Magistrat legte Amtsrevision ein und war erfolgreich. Aus der Begründung des VwGH: Wird ein Teil einer Straße mit öffentlichem Verkehr – wie hier – zu Gunsten bestimmter Verkehrsteilnehmer zweckgewidmet, so ist diese Zweckwidmung restriktiv auszulegen und deckt nur jene Handlungen ab, für deren Durchführung sie unbedingt erforderlich ist. Diese zu Ladetätigkeiten gemäß § 62 StVO ergangene Rechtsprechung (z. B. Erkenntnis vom 5.10.1990, 90/18/0125) ist auf das Aufladen eines Elektrofahrzeugs innerhalb eines Halte- und Parkverbotes zu übertragen.
Vor diesem Hintergrund ist ein zwischen dem Ende der Energiezufuhr und der Entfernung des Fahrzeugs verstreichender Zeitraum von knapp 45 Minuten mit der Zweckwidmung gemäß § 54 Abs. 5 lit. m StVO keineswegs vereinbar. Das Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.“

VwGH Ra 2022/02/0112, 16.2.2023

Gewichtsüberschreitung: Mehrfachbestrafung

Mit Straferkenntnis vom 15. April 2021 verhängte die LPD Niederösterreich gegen den Geschäftsführer einer GmbH zwei Geldstrafen (§§ 101 Abs. 1 lit. a, 103 Abs. 1 Z 1 iVm § 134 Abs. 1 KFG). Sie warf ihm als verantwortlichem Beauftragten (§ 9 VStG) vor, dass bei einem auf die GmbH zugelassenen Lkw am 28. Mai 2020 sowohl das höchste zulässige Gesamtgewicht (3.500 kg) um 1.600 kg als auch die höchste zulässige Achslast der zweiten Achse (2.800 kg) um 660 kg überschritten war. Für die erste Achse stellte sie hingegen keine Überschreitung der höchsten zulässigen Achslast (1.850 kg) fest.
Das Landesverwaltungsgericht wies die Beschwerde des Geschäftsführers am 13. Juli 2022 als unbegründet ab. Es hielt fest, dass die Summe der höchsten zulässigen Achslasten (4.650 kg) über dem höchsten zulässigen Gesamtgewicht (3.500 kg) gelegen habe. Eine Überschreitung des höchsten zulässigen Gesamtgewichtes hätte also nicht zwingend mit der Überschreitung einer höchsten zulässigen Achslast einhergehen müssen. Vielmehr hätten diese Delikte unabhängig voneinander begangen werden können. Daher sei davon auszugehen, dass der Unrechtsgehalt des Achslastdeliktes durch die Bestrafung des Gesamtgewichtsdeliktes nicht abgegolten sei, eine Konsumation des ersten Deliktes durch das zweite ausscheide und zwei Geldstrafen kumulativ zu verhängen seien.
Die Revision des Geschäftsführers wurde abgewiesen. Aus der Begründung des VwGH: Für die Überschreitung der höchsten zulässigen Achslast einerseits und des höchsten zulässigen Gesamtgewichtes andererseits normiert § 101 Abs. 1 lit. a KFG jeweils einen eigenen Tatbestand. Aufgrund des Kumulationsprinzips (§ 30 VStG) sind Achslast- und Gesamtgewichtsdelikt daher grundsätzlich nebeneinander zu bestrafen.
Entspricht jedoch die Summe der höchsten zulässigen Achslasten aller Achsen exakt dem höchsten zulässigen Gesamtgewicht, so tritt das Achslastdelikt ausnahmsweise hinter ein zugleich verwirklichtes Gesamtgewichtsdelikt im Wege der Konsumtion zurück. In einem solchen Fall, in dem die Verwirklichung des zuletzt genannten Tatbestandes zwangsläufig die Verwirklichung des zuerst genannten nach sich zieht, ist nur eine Strafe für das Gesamtgewichtsdelikt zu verhängen (VwGH 30.1.2004, 2003/02/ 0020; 20.11.2015, Ra 2015/ 02/0148).
Aus den vom Landesverwaltungsgericht genannten Gründen lässt sich dies auf den Revisionsfall, in dem die Summe der höchsten zulässigen Achslasten über dem höchsten zulässigen Gesamtgewicht liegt, nicht übertragen. Dies gilt auch dann, wenn wie hier das tatsächliche Gesamtgewicht (5.100 kg) die Summe der Achslasten (4.650 kg) überstieg und es daher nicht mehr möglich war, eine Überschreitung der Achslast durch entsprechende Gewichtsumverteilung zu vermeiden. Da das Landesverwaltungsgericht auf das Achslast- und das Gesamtgewichtsdelikt zutreffend das Kumulationsprinzip angewendet hat, war die Revision als unbegründet abzuweisen.

VwGH Ro 2022/02/0024, 23.11.2022

Bernhard Krumphuber


Öffentliche Sicherheit, Ausgabe 5-6/2023

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